Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.11.2014, Az. VIII R 47/11

8. Senat | REWIS RS 2014, 1489

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Gegenstand

Abziehbarkeit von Fahrtaufwendungen eines selbständigen Dozenten nach Geschäftsreisegrundsätzen - Zulässigkeit einer sich gegen die Kostenentscheidung des FG richtenden Anschlussrevision - Einheitliche Kostenentscheidung


Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.], [X.], vom 27. Oktober 2011  3 K 1849/09 sowie die [X.] der Kläger werden als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen; die Kosten der [X.] tragen die Kläger.

Tatbestand

1

I. Die Kläger, Revisionsbeklagten und [X.]skläger (Kläger) sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer [X.]. Die Klägerin ist [X.] tätig in X.

2

Der Kläger war in den Streitjahren (2001 bis 2003) als Personalberater tätig. Seine Tätigkeit bestand vor allem in der Übernahme von vorbereitenden Tätigkeiten bei der Auswahl von qualifizierten Bewerbern für die jeweiligen Auftraggeber. Diese Tätigkeit übt der Kläger von einer Betriebsstätte im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses in [X.] aus. Im 2. Obergeschoss des Hauses befindet sich auch die gemeinschaftliche Ehewohnung der Kläger. Eine weitere Wohnung im 1. Obergeschoss steht leer.

3

Neben der Tätigkeit als Personalberater war der Kläger in den Streitjahren außerdem als Dozent bzw. Prüfer an verschiedenen Bildungseinrichtungen in unterschiedlichen Orten tätig.

4

Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärungen für 2001, für 2002 und für 2003 machten die Kläger --ohne gesonderten Ausweis in der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes ([X.] für Fahrten zu den Bildungseinrichtungen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen geltend.

5

Aufgrund einer Außenprüfung ging der Beklagte, Revisionskläger und [X.] (das Finanzamt --[X.]--) davon aus, bei den Fahrten handele es sich um Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßigen Betriebsstätten i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG, so dass die Betriebsausgaben nur beschränkt abziehbar seien.

6

Gegen die entsprechenden Einkommensteueränderungsbescheide für 2001 bis 2003, die während des [X.] aus anderen Gründen geändert und in dieser Fassung zum Gegenstand des Verfahrens geworden waren, erhoben die Kläger nach Zurückweisung des Einspruchs Klage, deren Gegenstand --nach mehreren Änderungen der angefochtenen Bescheide aus anderen [X.] nur der Streit über die Berücksichtigung der Fahrtaufwendungen blieb.

7

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage statt.

8

Dagegen richtet sich die Revision des [X.], mit der die Verletzung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG gerügt wird.

9

Das [X.] beantragt, das angefochtene [X.]-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die [X.] der Kläger zurückzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, sowie im Wege der [X.], dem [X.] unter Aufhebung der Kostenentscheidung des [X.]-Urteils die Kosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet und deshalb nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen. [X.] ist unbegründet und deshalb nach § 126 Abs. 2 [X.]O zurückzuweisen.

1. Die Revision des [X.] ist zurückzuweisen, weil das [X.] zu Recht die angefochtenen Steuerbescheide unter Ansatz weiterer Fahrtkosten für die Dozententätigkeit des [X.] als Betriebsausgabe geändert hat. Denn die streitigen Fahrtaufwendungen des [X.] für die Fahrten zwischen seiner Wohnung und den Bildungseinrichtungen sind nicht nur im Umfang der Entfernungspauschale nach Maßgabe des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, sondern nach Geschäftsreisegrundsätzen nach § 4 Abs. 4 EStG gewinnmindernd als Betriebsausgabe anzusetzen.

a) Steuerpflichtige, die ihren Gewinn --wie der [X.] nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, können als Gewinn den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben absetzen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 EStG). Dabei dürfen ihre Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Betriebsstätte den Gewinn nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG nicht mindern, soweit nicht in den folgenden Sätzen der Vorschrift etwas anderes bestimmt ist. So bestimmt Satz 2 der Vorschrift, dass zur Abgeltung dieser Aufwendungen § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG entsprechend anzuwenden ist; diese Regelung sieht in Bezug auf Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte vor, dass für jeden Arbeitstag, an dem der Steuerpflichtige die regelmäßige Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte anzusetzen ist.

b) Die Begrenzung des [X.] für Aufwendungen im Zusammenhang mit Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG gilt auch für Steuerpflichtige, die als Unternehmer Gewinneinkünfte erzielen und Aufwendungen für Fahrten zwischen ihrer Wohnung und der Betriebsstätte ihres Auftraggebers haben.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des [X.] ([X.]) ist als Betriebsstätte bei einem im Wege eines Dienstvertrags tätigen Unternehmer, der nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt, der Ort anzusehen, an dem oder von dem aus er die geschuldete Leistung zu erbringen hat, in der Regel also der Betrieb des Auftraggebers ([X.]-Urteile vom 13. Juli 1989 IV R 55/88, [X.]E 157, 562, [X.] 1990, 23; vom 27. Oktober 1993 I R 99/92, [X.]/NV 1994, 701; vom 19. August 1998 XI R 90/96, [X.]/NV 1999, 41; vom 19. September 1990 [X.], [X.]E 162, 82, [X.] 1991, 208; [X.], [X.]E 162, 77, [X.] 1991, 97; vom 31. Juli 1996 XI R 5/95, [X.]/NV 1997, 279; vom 29. April 2014 VIII R 33/10, [X.]E 246, 53, [X.] 2014, 777). Der Betriebsstättenbegriff des § 12 der Abgabenordnung ist hingegen nicht maßgeblich ([X.]-Urteile in [X.]E 162, 77, [X.] 1991, 97; vom 18. September 1991 XI R 34/90, [X.]E 165, 411, [X.] 1992, 90).

Auf dieser Grundlage ist nach dem [X.]-Urteil in [X.]/NV 1994, 701 die Begrenzung des [X.] nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 EStG auf Aufwendungen eines freiberuflichen EDV-Dozenten für Fahrten anzuwenden, die er vom Ort seines häuslichen Arbeitszimmers zu den für die Lehrtätigkeit --von dem Träger der [X.] zur Verfügung gestellten Gebäuden unternommen hat. Dies gilt nach dieser Entscheidung unabhängig von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Rechtsprechung zu ständig wechselnden Einsatzstellen auch auf die Fälle des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG (vgl. [X.]-Urteil vom 5. November 1987 IV R 180/85, [X.]E 151, 413, [X.] 1988, 334; bestätigt mit [X.]-Urteil vom 15. April 1993 IV R 5/92, [X.]/NV 1993, 719) selbst bei mehreren Tätigkeiten eines Unternehmers, wenn sie alle in einem eng umgrenzten Gebiet wie einer einzigen (Groß-)Stadt ausgeübt werden (vgl. [X.]-Urteile vom 2. November 1984 VI R 38/83, [X.]E 142, 389, [X.] 1985, 139, m.w.N.; VI R 143/83, [X.]E 143, 20, [X.] 1985, 266).

bb) Im Übrigen gelten aber für solche Fahrtaufwendungen zu mehreren Tätigkeitsstätten im Zusammenhang mit der Erzielung von [X.] --wie im Streitfall bei der Erzielung von Einkünften aus selbständiger Arbeit-- die für die Einsatzwechseltätigkeit von Arbeitnehmern entwickelten Ausnahmen von der [X.] des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, sofern die Tätigkeit des Unternehmers der Tätigkeit von Arbeitnehmern --entsprechend der früheren [X.] als solche an ständig wechselnden Einsatzstellen entspricht (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 151, 413, [X.] 1988, 334; in [X.]E 162, 77, [X.] 1991, 97; in [X.]/NV 1994, 701; in [X.]E 246, 53, [X.] 2014, 777; in [X.]/NV 1997, 279).

c) Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] zu Recht angesichts der in unterschiedlichen Orten belegenen [X.] die Abziehbarkeit der Fahrtaufwendungen nach Geschäftsreisegrundsätzen bejaht.

aa) Die Fahrten des [X.] im Rahmen seiner Dozententätigkeit sind zwar solche zwischen seiner Wohnung und der jeweiligen Bildungseinrichtung als Betriebsstätte. Denn das in seinem (ausschließlich mit seiner Familie bewohnten) Wohnhaus unterhaltene Büro kann mit Blick auf die außerhalb des Büros auszuübende Dozententätigkeit keine Betriebsstätte sein (vgl. [X.]-Urteile in [X.]/NV 1994, 701; in [X.]E 246, 53, [X.] 2014, 777).

Des Weiteren erfüllen die jeweils zur Ausübung der Lehrtätigkeit aufgesuchten Bildungseinrichtungen nach den oben ([X.]) dargestellten Maßstäben die Voraussetzungen für die Annahme einer Betriebsstätte.

bb) Auf die Fahrten zwischen der Wohnung des [X.] und den jeweiligen Bildungseinrichtungen hat das [X.] aber zutreffend die Grundsätze der [X.]-Rechtsprechung zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Kosten für Fahrten von Arbeitnehmern zu ständig wechselnden Einsatzstellen entsprechend angewendet (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 151, 413, [X.] 1988, 334; in [X.]/NV 1994, 701, m.w.N.), weil die verschiedenen Einsatzstellen nicht innerhalb eines in sich geschlossenen, nicht weit [X.] und überschaubaren Gebiets, sondern sehr weit auseinander in unterschiedlichen Städten liegen (vgl. dazu [X.]-Urteile in [X.]E 142, 389, [X.] 1985, 139; vom 10. Mai 1985 VI R 157/81, [X.]E 144, 46, [X.] 1985, 595; zu Fällen fehlender hinreichenden Entfernung [X.]-Urteil in [X.]E 162, 77, [X.] 1991, 97; in [X.]E 151, 413, [X.] 1988, 334 - Entfernung von nur 25 km; ebenso [X.]-Urteil vom 23. Oktober 2014 III R 19/13, [X.]/NV 2015, 555).

2. [X.] ist nach § 126 Abs. 2 [X.]O als unbegründet zurückzuweisen.

Zwar durften die Kläger mit ihrer Anschlussrevision ausschließlich die Entscheidung des [X.] über den Kostenpunkt zum Gegenstand des Verfahrens machen, nachdem das [X.] gegen die Entscheidung in der Hauptsache Revision eingelegt hat ([X.]-Urteil vom 22. Mai 1979 VIII R 218/78, [X.]E 128, 314, [X.] 1979, 741, m.w.N.).

Ihr Einwand, die Kostenentscheidung beruhe auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung der §§ 136 und 137 [X.]O, ist indessen unbegründet.

Mit Blick auf den für das Gerichtskostenrecht geltenden Grundsatz der Kosteneinheit (vgl. [X.], Urteil vom 29. Juni 2006  7 [X.] 14/05, [X.], 1243; [X.] in [X.], [X.]O § 136 Rz 34, m.w.N.) hat das [X.] zu Recht im Rahmen des ihm insoweit zustehenden und im Streitfall auch tatsächlich ausgeübten Ermessens eine einheitliche Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung des § 136 [X.]O unter Einbeziehung der von den Klägern im Laufe des Verfahrens vorgenommenen Einschränkungen ihres Klagebegehrens sowie unter Berücksichtigung verspäteten Vortrags nach § 137 [X.]O (z.B. Vorlage von Nachweisen über Schuldzinsen erst im Klageverfahren) getroffen.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VIII R 47/11

11.11.2014

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 27. Oktober 2011, Az: 3 K 1849/09, Urteil

§ 4 Abs 5 S 1 Nr 6 EStG 2002, § 4 Abs 5 S 1 Nr 6 EStG 1997, § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG 2002, § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG 1997, § 4 Abs 4 EStG 2002, § 4 Abs 4 EStG 1997, § 136 FGO, § 137 FGO, § 155 FGO, § 554 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.11.2014, Az. VIII R 47/11 (REWIS RS 2014, 1489)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1489

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