Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2000, Az. 1 StR 236/00

1. Strafsenat | REWIS RS 2000, 1089

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[X.] DES VOLKESURTEIL1 StR 236/00[X.]in der Strafsachegegenwegen Totschlags u.a.- 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung [X.], an der teilgenommen haben:Vorsitzender [X.] am [X.]. [X.] die [X.] am [X.]. [X.],[X.],[X.],[X.],[X.]als Vertreter der [X.],Rechtsanwalt als Verteidiger,Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des [X.] vom 23. November 1999 mit den Feststellungenaufgehoben.Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurge-richt zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung und wegen Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren unddrei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Ne-benklägerin (Mutter des [X.]). Die Beschwerdeführerin rügt die Verlet-zung sachlichen Rechts und erhebt eine Verfahrensrüge. Ihr Rechtsmittel, dashinsichtlich der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung einenSchuldspruch (auch) wegen eines versuchten Tötungsdelikts und hinsichtlichder Verurteilung wegen Totschlags einen Schuldspruch wegen Mordes er-strebt, hat mit der Sachbeschwerde Erfolg; auf die Verfahrensrüge kommt esdeshalb nicht an.- 4 -I.1. Das [X.] hat im wesentlichen folgenden Sachverhalt [X.]:Am Morgen des 27. Februar 1999 teilte [X.], die Ehefrau [X.] und das spätere Tatopfer, diesem ihren Entschluß mit, sich vonihm zu trennen und mit den beiden gemeinsamen Kindern endgültig die ge-meinschaftliche Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte, der seine bereits län-ger andauernden Bemühungen, den Zerfall der Familie zu verhindern, alsnunmehr endgültig gescheitert ansehen mußte, geriet hierdurch in einen [X.] Erregungszustand. Um [X.] "um jeden Preis" am [X.] zu hindern, begab er sich in die Küche, kochte dort für [X.] Kaffeewasser auf, in das er 18 Schlaftabletten Lendormin 0,25 mg gab,und ließ die nichtsahnende [X.] den hiermit gebrühten [X.]. Diese wurde nach der Einnahme des Kaffees zunehmend müder. Zu ei-nem Schlaf kam es hingegen nicht, da bei dem Aufkochen der [X.] ein Großteil des Wirkstoffs zerstört worden war.Als der Angeklagte seiner Ehefrau etwa eine halbe Stunde nach derEinnahme des Kaffees vorschlug, sich doch schlafen zu legen, lief diese [X.] der Wohnungstür, zog ihre Jacke an und legte sich einen Schal um.Um das Weggehen seiner Ehefrau, das für ihn in seiner hohen Erregung "mitdem Verlust seiner Familie völlig identisch geworden" war, auf jeden Fall zuverhindern, ergriff er ein im Wohnzimmer abgelegtes Videokabel, ging [X.] einige Schritte hinterher und schlang es ihr, seitlich hinter ihr sich befin-dend, so um den Hals, daß das Kabel sich vorne um ihren Hals legte. Als [X.] das Kabel zuzog, fielen er und seine Ehefrau zu Boden, wobei [X.] aufgrund der Wirkung der Schlaftabletten kaum noch eine Gegen-- 5 -wehr zeigte. Der Angeklagte verknotete das in drei Touren um den Hals der [X.] festgezogene Kabel. Infolgedessen trat mangels ausreichenderBlutversorgung des Gehirns bei [X.] der Tod ein.2. Nach Auffassung des [X.] ist dem Angeklagten [X.] ersten Sachverhaltsabschnitts ein - wenn auch nur bedingter - Tötungsvor-satz nicht nachzuweisen, insbesondere weil sich der Angeklagte bereits zudiesem [X.]punkt in einem akuten Affektzustand befunden habe.Hinsichtlich des Erdrosselns der Ehefrau meint das [X.], esmüsse zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen werden, daß die [X.] nicht mehr arglos war, als der Angeklagte sie mit Tötungsvorsatz [X.] müsse zu seinen Gunsten angenommen werden, daß er auf [X.] hochgradigen [X.] nicht in der Lage war, deren [X.] Wehrlosigkeit zu erkennen.[X.] hinsichtlich der Verurteilung (nur) wegen gefährlicher Körper-verletzung durch das Beibringen der Schlaftabletten als auch hinsichtlich [X.] (nur) wegen Totschlags durch das Erdrosseln mit dem Videokabelhält die landgerichtliche Beweiswürdigung revisionsrechtlicher Nachprüfungnicht stand.1. Soweit das [X.] im ersten Fall einen Tötungsvorsatz des [X.] als nicht erwiesen ansieht, läßt das Urteil eine erschöpfende Beur-teilung des Sachverhalts vermissen.Die Klärung der Frage, ob der Täter - direkten oder bedingten - [X.] hatte, setzt eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven- 6 -Tatumstände voraus. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, daß das [X.] die erhobenen Beweise entsprechend gewürdigt, vor allem die Umstände,die die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beein-flussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.Daran fehlt es hier.Das angefochtene Urteil teilt zur Einlassung des Angeklagten mit, er ha-be eingeräumt, grundsätzlich - wenn auch nicht im konkreten [X.]punkt [X.] - von der tödlichen Wirkung einer Überdosis Schlaftabletten gewußt zu ha-ben. In den polizeilichen Vernehmungsprotokollen sei zwar als seine Aussageaufgenommen, er habe daran gedacht, daß die von ihm benutzte Menge [X.] ausreichend sei, einen Menschen zu töten und er habe dies inKauf genommen. Aus den Bekundungen des [X.]. in der [X.] ergebe sich jedoch, daß diese Aussage unsachgerechterweise(vgl. Nr. 45 Abs. 2 [X.]) von den ermittelnden Kriminalbeamten selbst for-muliert worden sei, so daß diese den Angeklagten insoweit auch mißverstan-den haben könnten. Aus diesem möglichen Mißverständnis der Vernehmungs-beamten schließt das [X.] ohne jegliche Würdigung weiterer Beweisin-dizien, zugunsten des Angeklagten könne nicht ausgeschlossen werden, daßer sich der Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs bei Verabreichung der tatge-genständlichen 18 Schlaftabletten nicht bewußt gewesen sei. Schon die Fest-stellungen über den [X.] hätten zu weiteren Erwägungen Veranlassunggeben müssen. Das Beibringen von 18 Schlaftabletten stellt eine objektiv le-bensgefährliche Handlung dar - was der Angeklagte zudem jedenfalls in [X.] Form wußte -. Zu Ungunsten des Angeklagten spricht auch, daß er sichnicht auf eine geringere Dosierung der Schlaftabletten beschränkt hat, die zurErreichung seines Zwecks (Verbleiben der Ehefrau in der Wohnung) erfah-rungsgemäß ausgereicht hätte, sondern alle ihm verfügbaren [X.] -verwendet hat. Schließlich hat der Angeklagte kurze [X.] nach diesem Vorgangseine Ehefrau tatsächlich getötet, und zwar nach den Feststellungen des[X.] mit Tötungsvorsatz. Das [X.] hätte daher auch aufgrundder Parallelität der beiden Vorgehensweisen und ihrer engen zeitlichen Ver-knüpfung zu prüfen gehabt, ob auch schon die erste Handlung des Angeklag-ten mit Tötungsvorsatz erfolgte. Es hat mithin eine Reihe von Umständen nichtgewürdigt, die gegenteilige Feststellungen als die getroffenen zumindest nichtweniger naheliegend erscheinen lassen.Das [X.] leitet Zweifel am Vorliegen eines Tötungsvorsatzes er-gänzend daraus her, daß der Angeklagte sich im [X.]punkt der [X.] gemäß der Einschätzung des Sachverständigen in einemakuten Affektzustand befunden habe. Es erörtert hierzu zwar auch Merkmale,die in Psychiatrie und Rechtsprechung als mögliche Indizien für einen affekti-ven Ausnahmezustand genannt werden (vgl. BGHR StGB § 21 Affekt 4 m.w.N.;zusammenfassend [X.] in Festschrift für [X.], 1989 S. 201). [X.] kennzeichnen allerdings den Zustand des [X.] in einer mehr stan-dardisierten Form. Um den biologisch-psychologischen Sachverhalt des Affektsdirekt zu erfassen, bedarf es insbesondere einer Analyse der [X.] einschließlich des unmittelbaren [X.] und des unmittelbarenNachtatgeschehens ([X.] aaO S. 208). Das [X.] hätte im Rahmeneiner dementsprechenden Gesamtabwägung wesentliche Tatumstände stärkerin Rechnung zu stellen gehabt, die gegen die Annahme sprechen, das Persön-lichkeitsgefüge des Angeklagten sei so schwer erschüttert gewesen, daß einetiefgreifende [X.] eingetreten sei. Das gilt vor allem für die Ge-staltung der eigentlichen Tat durch den Angeklagten. Er hat seiner vom [X.] übernommenen Tatschilderung zufolge nicht spontan gehandelt. DasBeibringen der Schlaftabletten mit Hilfe der Kaffeezubereitung stellte ein mehr-- 8 -aktiges, länger hingezogenes Geschehen dar, das der Planung und [X.] des verhältnismäßig komplexen Ablaufs bedurfte. Das [X.] hatinsoweit sogar das gesetzliche Merkmal des hinterlistigen Überfalls bejaht, wasvoraussetzt, daß der Täter in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht be-rechneten Weise vorgeht.2. Auch soweit das [X.] im zweiten Fall die Voraussetzungendes [X.] "heimtückisch" verneint hat, erweisen sich die zugrundeliegenden Erwägungen als unzureichend.Nach ständiger Rechtsprechung handelt heimtückisch, wer in [X.] die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt zur Tötungausnutzt (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 m.w.N.). Bei der er-schöpfenden Würdigung der erhobenen Beweise muß sich der [X.] in [X.] insbesondere mit solchen Feststellungen auseinandersetzen,die zunächst einmal (prima facie) gegen die von ihm gezogenen Schlußfolge-rungen sprechen (vgl. [X.] in [X.]. § 261 StPO Rdn. 50 m.w.N.).Die Feststellungen über den [X.], die [X.] die [X.] sprechen hier für eine heimtückische Tötung. Damit hatsich das [X.] überhaupt nicht auseinandergesetzt.Eine solche Auseinandersetzung wäre insbesondere unter dem Ge-sichtspunkt des von dem [X.] verneinten Merkmals der [X.]igkeit [X.] geboten gewesen. [X.] ist, wer sich keines Angriffs von seiten des[X.] versieht (BGHSt 32, 382 m.w.N.). Das [X.] verneint diesesMerkmal allein mit der Erwägung, [X.] habe "möglicherweise" bereitsvor dem Anziehen von Jacke und Schal erkannt, daß ihr der [X.] beigebracht hatte, und deshalb mit einem Angriff des [X.] -klagten gerechnet. Das genügt für sich allein nicht, zumal das [X.]ausdrücklich festgestellt hat, daß es bis zu diesem [X.]punkt in der Ehe trotzerheblicher Konflikte und Spannungen niemals zu handgreiflichen Aggressio-nen des Angeklagten gegen seine Ehefrau gekommen ist.Unzureichend erscheint auch die hilfsweise für den Fall zu bejahender[X.]igkeit der [X.] angestellte Erwägung des [X.], es seizugunsten des Angeklagten davon auszugehen, daß dieser aufgrund seineshochgradigen [X.] nicht in der Lage war, die [X.]igkeit zuerkennen. Diese allein auf die psychische Verfassung des Angeklagten ab-stellende Darlegung läßt besorgen, das [X.] habe hinsichtlich der sub-jektiven Erfordernisse heimtückischer Begehungsweise wiederum wesentlicheUmstände - insbesondere das Tatverhalten des Angeklagten - nicht berück-sichtigt, die zunächst einmal auf die vollständige Erfassung und Beherrschungaller objektiven und subjektiven Umstände durch den Angeklagten hindeuten.Sie ist zudem - worauf die Beschwerdeführerin zu Recht hinweist - nicht ohneweiteres zu vereinbaren mit der von dem [X.] vorgenommenen Bewer-tung des Verabreichens der Schlaftabletten als Köperverletzung mittels eineshinterlistigen Überfalls. Mit der Bejahung der objektiven und subjektiven Vor-aussetzungen des Merkmals des hinterlistigen Überfalls hat das [X.]hinsichtlich dieser Tat - wie bereits ausgeführt - seine Überzeugung zum Aus-druck gebracht, der Angeklagte sei planmäßig in eine auf Verdeckung seinerwahren Absichten berechneten Weise vorgegangen, um hierdurch der ange-griffenen Ehefrau die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren. Dadas [X.] bereits für diese Tat von einem hochgradigen Erregungszu-stand des Angeklagten ausging, für den es dem Angeklagten die Vorausset-zungen des § 21 StGB wegen tiefgreifender [X.] zubilligte,bleibt es die Erklärung schuldig, warum der Angeklagte bei der zweiten Tat- 10 -nicht mehr das Bewußtsein dafür gehabt haben soll, ob und inwieweit das Ta-topfer die Situation erkennt.3. Der Schuldvorwurf bedarf daher insgesamt der Prüfung und Entschei-dung durch einen neuen Tatrichter.Schäfer [X.] [X.] Kolz [X.]

Meta

1 StR 236/00

21.09.2000

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.09.2000, Az. 1 StR 236/00 (REWIS RS 2000, 1089)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 1089

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