Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.01.2013, Az. X ZB 8/11

10. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 8787

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Gegenstand

Kostenentscheidung nach übereinstimmender Erledigterklärung eines Vergabenachprüfungsverfahren für die Vergabe von Briefdienstleistungen: Vereinbarkeit der Zulassung von Nebenangeboten bei alleinigem Zuschlagskriterium "niedrigster Preis" mit Gemeinschaftsrecht


Tenor

Die vor der Vergabekammer entstandenen Gebühren und Auslagen und die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin zur Hälfte und die Antragsgegnerin sowie die Beigeladene zu je einem Viertel.

Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendige Aufwendungen und außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Das vorliegende Nachprüfungsverfahren bezieht sich auf die im offenen Verfahren ausgeschriebene Vergabe von Briefdienstleistungen der [X.] im Kalenderjahr 2011. Die täglich anfallenden sogenannten inhaltsgleichen und nicht inhaltsgleichen Sendungen, die mit Ausnahme der Großbriefe entsprechend der Handhabung vor dem Ausschreibungszeitraum in [X.] vorsortiert zur Abholung bereitgestellt wurden, sollten abgeholt und bundesweit zugestellt werden. Die Gesamtzahl belief sich im Jahre 2009 auf rund 90 Millionen und im Jahre 2010 auf rund 106 Millionen Briefsendungen.

2

Den Zuschlag sollte das Angebot mit dem niedrigsten Gesamtpreis erhalten. [X.]e waren mit der Maßgabe zugelassen, dass sie die dafür in der Leistungsbeschreibung definierten Mindestvoraussetzungen erfüllen. In dem diesbezüglichen Vordruck heißt es:

"[X.]e sind nur zu dem nachfolgend angegebenen Kriterium und nur in der aufgezeigten Weise zulässig. Alle anderen Vorgaben in den Vergabeunterlagen müssen erfüllt werden:

- Rabatte in Bezug auf eine bestimmte Vorsortierung vor Auflieferung (nicht [X.]).

- ...

In dem nachstehenden Textfeld ist ein eventueller Rabatt darzustellen und zu erläutern. Ergänzend zu den Preisangaben im Leistungsverzeichnis kann auf alle angebotenen Einzelpreise jeweils ein spezieller Rabattsatz oder ein Pauschalrabattsatz für alle Preisangaben unterbreitet werden."

3

Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben jeweils ein Haupt und ein [X.] ab. Als [X.] unterbreitete die Antragstellerin einen nach [X.] gestaffelten Rabatt für die inhaltsgleichen Sendungen unter der Voraussetzung, dass die Antragsgegnerin die auf [X.] vorbereiteten Sendungen zusätzlich auf Leitzonen oder Leitregionspaletten fertigt und aufliefert. Die Beigeladene bot als [X.] einen Rabatt für nicht inhaltsgleiche Briefsendungen bis 20g, 50g und 500g an, wenn sie in einer durch sie definierten Reihenfolge elektronisch vorsortiert, gedruckt, kuvertiert und verpackt würden.

4

Die Antragsgegnerin informierte die Antragstellerin schriftlich darüber, dass sie beabsichtige, den Auftrag der Beigeladenen zu erteilen. Auf ihr, der Antragstellerin, Angebot könne der Zuschlag nicht erteilt werden, weil die vorgelegten Referenzen unzulänglich seien und ihr Angebot sich bei einer fiktiven Wertung nicht als das wirtschaftlichste erwiesen habe. Den nach erfolgloser Rüge dagegen erhobenen Nachprüfungsantrag hat die Vergabekammer zurückgewiesen. Sie hat die Auffassung vertreten, dass das Angebot der Antragstellerin zwar nicht wegen unzulänglicher Referenzen habe ausgeschlossen werden dürfen, die Antragstellerin im Ergebnis aber nicht in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt sei, weil ihr Haupt und [X.] aus [X.] nicht für den Zuschlag in Betracht gekommen seien. Weder sei die Preiswertung intransparent noch das Angebot der [X.] gewesen. Ob es in Anbetracht des Umstands, dass die Antragsgegnerin als einziges Wertungskriterium den Preis vorgesehen habe, mit Art. 24 der Richtlinie 2004/18/[X.] (im Folgenden: [X.]) zu vereinbaren sei, [X.]e zuzulassen und zu werten, könne dahingestellt bleiben, weil die Antragsgegnerin angekündigt habe, von der Wertung der [X.]e - was ihr unbenommen sei - abzusehen und lediglich die abgegebenen Hauptangebote zu werten, und das Angebot der Antragstellerin auch insoweit nicht das wirtschaftlichste sei.

5

Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin erschien dem [X.] begründet. Es meint, Art. 24 [X.] gestatte die Zulassung von [X.]en lediglich dann, wenn der Zuschlag auf das anhand einer Mehrzahl von Wertungskriterien zu ermittelnde wirtschaftlichste Angebot erteilt werden, aber nicht, wenn, wie hier, alleiniges Zuschlagskriterium der Preis sein solle. Entgegen der Ansicht der Vergabekammer sei die Antragstellerin ungeachtet des Umstands, dass die Beigeladene auch ein günstigeres Hauptangebot abgegeben habe, in ihren Rechten verletzt. Nach ihrem nicht zu widerlegenden Vorbringen habe die Antragstellerin ihr Hauptangebot nämlich in Anbetracht des Umstands kalkuliert, auch [X.]e einreichen zu können. Entfalle diese Möglichkeit, müsse das Vergabeverfahren in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückversetzt werden, um die Abgabe von unter diesen geänderten Voraussetzungen kalkulierten Angeboten zu ermöglichen.

6

So zu entscheiden, hat sich das Beschwerdegericht durch eine Entscheidung des [X.] (Beschluss vom 15. April 2011 - 1 Verg 10/10, [X.] 2011, 586) gehindert gesehen. Es hat die Sache deshalb durch Beschluss vom 2. November 2011 dem [X.] vorgelegt. Mit Blick auf den Ablauf des [X.] haben die Beteiligten das Nachprüfungsverfahren inzwischen übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

7

II. Die Vorlage ist zulässig.

8

Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB liegen nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn das vorlegende [X.] seiner Entscheidung als tragende Begründung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der sich mit einem die Entscheidung eines anderen [X.]s tragenden Rechtssatz nicht in Einklang bringen lässt (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Februar 2011 - [X.], [X.]Z 188, 200 - S-Bahn-Verkehr [X.]/[X.]). So verhält es sich hier, weil die vom vorlegenden [X.] erwogene Entscheidung mit der dem Beschluss des [X.] vom 15. April 2011 zugrundeliegenden Rechtsauffassung nicht zu vereinbaren wäre. Nachdem die Beteiligten den Nachprüfungsantrag übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist indes nur noch über die Kosten zu entscheiden.

9

III. Es entspricht der Billigkeit, die Kosten mit der Maßgabe gegeneinander aufzuheben, dass diejenigen des Verfahrens vor der Vergabekammer sowie die Gerichtskosten zur Hälfte der Antragstellerin und je zu einem Viertel der Antragsgegnerin und der Beigeladenen auferlegt werden.

1. Die Kostenentscheidung ist nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der durch das [X.] ([X.] I 2009, [X.]) erhaltenen Fassung entsprechend § 78 GWB zu treffen (vgl. § 120 Abs. 2 GWB). Auf den hierfür nach der Rechtsprechung des [X.]s in erster Linie maßgeblichen Ausgang des Verfahrens kann, wenn die Parteien das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, dann ausschlaggebend abgestellt werden, wenn dieser bei der hiernach allein angezeigten summarischen Prüfung nach dem bisherigen Sach und Streitstand mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden kann. Stellt sich der Verfahrensausgang demgegenüber als offen dar, sind im Regelfall die Gerichtskosten hälftig zu teilen und außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten (vgl. [X.], Beschluss vom 16. November 1999 - KVR 10/98, [X.]/[X.] 420 - erledigte Beschwerde). Diese Grundsätze gelten gleichermaßen, wenn - wie hier - ein vergaberechtlicher Nachprüfungsantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt wird.

2. Ob der Nachprüfungsantrag bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses begründet oder unbegründet war, kann nicht mit der gebotenen Sicherheit beurteilt werden.

a) Zu Recht hat das vorlegende [X.] allerdings angenommen, dass das Haupt und das [X.] der Beigeladenen nicht wegen einer Änderung an den Vergabeunterlagen, mangelnder Leistungsfähigkeit oder Unzulänglichkeit der vorgelegten Referenzen von der Wertung auszuschließen waren. Die diesbezüglichen Erwägungen im Vorlagebeschluss ([X.] 1 a) macht sich der [X.] zu eigen.

b) Bedenken begegnet demgegenüber die Annahme des [X.], die Vergabestelle hätte bei [X.] Verständnis der einschlägigen vergaberechtlichen Bestimmungen des nationalen Rechts [X.]e nicht zulassen dürfen, weil als einziges Wertungskriterium der Preis vorgesehen war. Das [X.] leitet diese Auffassung daraus her, dass die Erteilung des Zuschlags nach Art. 53 [X.] entweder ausschließlich nach dem Kriterium des niedrigsten Preises oder auf das gemäß verschiedener, festgelegter Kriterien (Qualität, Preis, technischer Wert, Ästhetik etc.) wirtschaftlich günstigste Angebot erfolge, während Art. 24 Abs. 1 [X.] so zu verstehen sei, dass Varianten lediglich bei Aufträgen, die nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots vergeben werden, zugelassen werden dürften, woraus sich im Umkehrschluss ergebe, dass Varianten bei Vergabe allein nach dem Kriterium des niedrigsten Preises nicht zugelassen seien.

aa) Keiner abschließenden Beurteilung bedarf in diesem Zusammenhang allerdings, ob die nach dem Konzept der Vergabeunterlagen im Streitfall ermöglichten modifizierten Angebote [X.]e im Sinne der Vergabe und Vertragsordnung für Leistungen waren, was der [X.] im Gegensatz zur Vergabekammer bejaht. Dafür spricht, dass rabattierte abweichende Vorsortierungen zwar eine Mitwirkung der Antragsgegnerin erforderten, aber nicht von dieser vorgegeben, sondern von den [X.] konzipiert wurden. Eine solche Modifikation des [X.] war jedenfalls als Variante im Sinne von Art. 24 Abs. 1 [X.] zuzulassen.

bb) Dem vorlegenden [X.] ist auch zuzugeben, dass das Ergebnis seiner grammatikalischen und systematischen Auslegung der herangezogenen Richtlinienbestimmungen eine praktikable und vorhersehbare Anwendung der einschlägigen Regelungen des Gemeinschaftsrechts ermöglicht. Gleichwohl erscheint fraglich, ob diesem Ergebnis unter Einbeziehung der - in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] vorrangigen - teleologischen Auslegung der Vorzug gegeben werden muss. Zweifelhaft erscheint das deshalb, weil die Anwendung des so verstandenen Gemeinschaftsrechts vergaberechtliche Restriktionen mit sich bringt, die einer kostengünstigen Beschaffung im Wettbewerb abträglich sein können, ohne dass gleich oder höher zu bewertende gegenläufige Bieterinteressen diese erforderten, wie anhand des Gegenstands des vorliegenden Vergabeverfahrens veranschaulicht werden kann. Bei der hier nachgefragten Abholung der auf eine bestimmte Art und Weise bereitgestellten (vorsortierten) Briefsendungen und ihrer Zustellung handelt es sich um in massenhafter Wiederkehr zu erbringende homogene Dienstleistungen, bei denen die von den einzelnen [X.] angebotenen Ausführungen sich dementsprechend nicht unterschieden und die vorgesehene Wertung allein anhand des Preises deshalb sachgerecht war. Zugleich erscheint es als im Interesse wirtschaftlicher Mittelverwendung berechtigtes Anliegen der Vergabestelle, den [X.] nach Maßgabe festgelegter Mindestvoraussetzungen zu gestatten, Varianten anzubieten. Diese konnten sich nach der Beschaffenheit des Vergabegegenstands im Streitfall vom Hauptangebot im Wesentlichen nur in der Abholung der Sendungen bei modifizierter Vorsortierung unterscheiden, was die Vergabebedingungen auch vorsahen. Dass das Gemeinschaftsrecht der Zulassung von Varianten dann entgegensteht, wenn das Hauptangebot allein nach dem Preis zu werten ist, insbesondere, wenn die Beschränkung auf dieses Wertungskriterium nach der Beschaffenheit des Vergabegegenstands, wie im Streitfall, sachgerecht ist, erscheint deshalb nicht zwingend. Offen erscheint ferner, ob Varianten, wenn sie unter diesen Voraussetzungen zugelassen werden, ebenfalls strikt nur unter dem Gesichtspunkt des niedrigsten Preises gewertet werden dürfen. Denn insoweit ist zu bedenken, dass die von den einzelnen [X.] angebotenen Varianten die Mindestbedingungen auf verschiedene Weise und in unterschiedlichem Maße erfüllen können. Diese Unterschiede müssten aber ausgeblendet werden, wenn in solchen Fällen gleichwohl nur der günstigste Preis entscheidend sein soll, was mit dem Gebot einer wirtschaftlichen Beschaffung schwerlich vereinbar erscheint. Ob es in solchen Fällen mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts vereinbar wäre, Hauptangebote nach dem günstigsten Preis zu werten und für die Wertung von [X.]en zusätzliche Wertungskriterien zu definieren, oder ob sich aus dem Umstand, dass für Letztere ohnehin Mindestbedingungen festgelegt werden müssen, ergibt, dass die unterschiedliche Ausgestaltung dieser Mindestbedingungen in den einzelnen angebotenen Varianten auftraggeberseitig auch ohne zusätzliche Wertungskriterien berücksichtigt werden darf, lässt sich den Regelungen des Gemeinschaftsrechts ebenfalls nicht zweifelsfrei entnehmen. Der [X.] hätte deshalb vor der Entscheidung des Streitfalls in der Hauptsache den Gerichtshof der [X.] um eine Vorabentscheidung (Art. 267 Abs. 3 AEUV) ersucht. Für die hier nur noch zu treffende Kostenentscheidung ist der Ausgang des Verfahrens demnach als offen zu betrachten. Es entspricht daher der Billigkeit, die Hälfte der Gerichtskosten der Antragstellerin aufzuerlegen und mit der anderen Hälfte die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu belasten. Eine Beteiligung der Beigeladenen an der Kostenlast erscheint billig, weil sie sich mit Anträgen am erst und zweitinstanzlichen Nachprüfungsverfahren beteiligt und als für die Zuschlagserteilung vorgesehenes Unternehmen ein erhebliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat.

[X.]                              Gröning

                      Bacher                           Deichfuß

Meta

X ZB 8/11

23.01.2013

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Düsseldorf, 2. November 2011, Az: VII-Verg 22/11, Beschluss

§ 78 GWB, § 97 Abs 5 GWB, § 97 Abs 7 GWB, § 120 Abs 2 GWB, § 124 Abs 2 S 1 GWB, Art 24 Abs 1 EGRL 18/2004, Art 53 EGRL 18/2004

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.01.2013, Az. X ZB 8/11 (REWIS RS 2013, 8787)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8787

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