Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.11.2016, Az. AnwZ (Brfg) 61/15, AnwZ (B) 2/16

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2016, 3055

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Gegenstand

Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft: Ablehnung eines anwaltlichen Beisitzers wegen vorheriger Vorstandstätigkeit in einer beklagten Rechtsanwaltskammer


Tenor

Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den anwaltlichen Beisitzer Rechtsanwalt [X.]wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

1. Die Klägerin beantragt die Zulassung der [X.]erufung gegen das den Widerruf ihrer Rechtsanwaltszulassung wegen [X.] bestätigende Urteil des [X.]. Darüber hinaus wendet sie sich mit der sofortigen [X.]eschwerde zum einen gegen die vom [X.] vorgenommene Verwerfung ihres gegen die dort erkennenden [X.] gerichteten Ablehnungsgesuchs und zum anderen gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren.

2

2. Der Senat hat der Klägerin auf deren [X.]itte hin mitgeteilt, in welcher [X.]esetzung er entscheiden wird. Daraufhin hat die Klägerin zunächst den Vorsitzenden [X.] am [X.] Prof. Dr. K.   , den [X.] am [X.] Dr. R.     und die anwaltliche [X.]eisitzerin Rechtsanwältin S.     wegen [X.]esorgnis der [X.]efangenheit abgelehnt. Dieses Ablehnungsgesuch hat der Senat mit [X.]eschluss vom 20. September 2016 zurückgewiesen. Sodann hat der Senat der Klägerin auf deren weitere Anfrage hin mitgeteilt, dass der anwaltliche [X.]eisitzer Rechtsanwalt [X.]im Dezember 2003 Schatzmeister der [X.]eklagten war. Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2016 den vorbezeichneten [X.] wegen [X.]esorgnis der [X.]efangenheit abgelehnt.

II.

3

[X.] ist zulässig, aber unbegründet.

4

1. Nach der gemäß § 112e Satz 2 [X.], § 125 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1 VwGO entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines [X.]s wegen der [X.]esorgnis der [X.]efangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte [X.] ihm gegenüber eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht der ablehnenden [X.] bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des [X.]s zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 7. März 2012 - [X.] ([X.]) 13/10, juris Rn. 5; vom 10. Juni 2013 - [X.] ([X.]rfg) 24/12, NJW-RR 2013, 1211 Rn. 6; vom 30. Dezember 2013 - [X.] ([X.]rfg) 60/13, juris Rn. 4; [X.]VerfG, NJW 2012, 3228; jeweils mwN).

5

2. Nach diesen Maßstäben liegen Ablehnungsgründe hier nicht vor.

6

a) Die Klägerin meint, eine [X.]esorgnis der [X.]efangenheit des anwaltlichen [X.]eisitzers Rechtsanwalt [X.]    ergebe sich aus dessen oben genannter früherer Tätigkeit als Schatzmeister der [X.]eklagten. Aufgrund dieser - ab dem Jahr 2001 bis Anfang des Jahres 2007 ausgeübten - Tätigkeit sei ihm und ebenso dem Geschäftsführers der [X.]eklagten, Rechtsanwalt [X.]       , bekannt, dass die vom [X.] im ersten Absatz der Ziffer 2 des Tatbestands des angegriffenen Urteils getroffenen Feststellungen, wonach es erstmals [X.] zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die Klägerin wegen rückständiger [X.] (aus den Jahren 1997 bis 2000 und früher) gekommen sei, unzutreffend seien. Gleichwohl trachte die [X.]eklagte danach, diese erkennbare und "verleumderische Sachverhaltsverfälschung" durch eine wider besseres Wissen erfolgte stillschweigende Hinnahme für sich zu nutzen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Ablehnungsgesuch der Klägerin vom 6. Oktober 2016 verwiesen.

7

b) Dieses Vorbringen der Klägerin greift nicht durch. Es begründet weder einen Ausschluss des anwaltlichen [X.]eisitzers Rechtsanwalt [X.]    von der Ausübung des [X.]amtes kraft Gesetzes (§ 42 Abs. 1 Halbs. 1, § 41 ZPO) noch rechtfertigt es aus der Sicht der Klägerin bei vernünftiger Würdigung eine [X.]esorgnis der [X.]efangenheit (§ 42 Abs. 1 Halbs. 2, Abs. 2 ZPO).

8

aa) Gemäß § 41 Nr. 4 ZPO ist ein [X.] von der Ausübung des [X.]amtes kraft Gesetzes ausgeschlossen in Sachen, in denen er als Prozessbevollmächtigter oder [X.]eistand einer [X.] bestellt oder als gesetzlicher Vertreter einer [X.] aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist.

9

(1) Diese Voraussetzungen sind hier bereits deshalb nicht erfüllt, weil der abgelehnte [X.] als Schatzmeister der [X.]eklagten nicht deren gesetzlicher Vertreter im Sinne dieser Vorschrift gewesen ist. [X.]ei einer Körperschaft öffentlichen Rechts wie der beklagten Rechtsanwaltskammer (§ 62 Abs. 1 [X.]) bestimmt sich die gesetzliche Vertretung nach den jeweils maßgeblichen Organisationsnormen ([X.]/[X.], 5. Aufl., § 52 Rn. 30; [X.]/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 51 Rn. 5; Musielak/[X.], ZPO, 13. Aufl., § 51 Rn. 7; [X.] in [X.]/[X.], ZPO, 37. Aufl., § 51 Rn. 7; jeweils mwN), hier mithin nach der [X.]undesrechtsanwaltsordnung ([X.]). Nach § 80 Abs. 1 [X.] wird die Rechtsanwaltskammer durch ihren Präsidenten gerichtlich und außergerichtlich vertreten (vgl. hierzu [X.] in [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., § 80 Rn. 1 f.; [X.] in Henssler/Prütting, [X.], 4. Aufl., § 80 Rn. 1; [X.] in [X.]/Wolf/Göcken, Anwaltliches [X.]erufsrecht, 2. Aufl., § 80 [X.] Rn. 3). Aufgabe des Schatzmeisters hingegen ist gemäß § 83 [X.] die Verwaltung des Vermögens der Rechtsanwaltskammer - einschließlich der Überwachung des Eingangs der [X.] - nach den Weisungen des Präsidiums (vgl. hierzu [X.] in Henssler/Prütting, aaO, § 83 Rn. 1; [X.] in [X.]/[X.], aaO, § 83 Rn. 1 f.). Der Schatzmeister der Rechtsanwaltskammer ist auch nicht etwa deshalb als deren gesetzlicher Vertreter im Sinne des § 41 Nr. 4 ZPO anzusehen, weil das Gesetz ihm die Aufgabe der (eigenständigen) [X.]eitreibung rückständiger [X.]eiträge auf Grund einer von ihm selbst ausgestellten, mit der [X.]escheinigung der Vollstreckbarkeit versehenen Zahlungsaufforderung zuweist (§ 84 Abs. 1 [X.]).

(2) Einem Ausschluss des Rechtsanwalts Dr. L.    von der Ausübung des [X.]amtes kraft Gesetzes steht zudem entgegen, dass das [X.] der "Sache" im Sinne des § 41 Nr. 4 ZPO zumindest eine Identität des Streitgegenstandes erfordert (vgl. [X.]AG, [X.], 1180 Rn. 15; [X.], [X.]eschluss vom 22. Juli 2014 - 20 Z[X.] 14.339, juris Rn. 3; [X.]/[X.], aaO, § 41 Rn. 20; Musielak/Voit/[X.], aaO, § 41 Rn. 11; vgl. auch [X.]SGE 78, 175, 179; 82, 150, 152; jeweils mwN). Daran fehlt es hier. Die von der Klägerin in ihrem Ablehnungsgesuch angeführten, viele Jahre zurückliegenden Vorgänge betreffen einen anderen Streitgegenstand als der im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Widerruf der Rechtsanwaltszulassung der Klägerin wegen [X.] (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.]), der sich auf im Jahr 2014 erfolgte Eintragungen der Klägerin im Schuldnerverzeichnis und auf weitere in jüngerer Zeit erfolgte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die Klägerin stützt.

bb) Die frühere Tätigkeit des abgelehnten [X.]s als Schatzmeister der [X.]eklagten vermag der Klägerin bei vernünftiger Würdigung aller Umstände auch keinen Anlass zu geben, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung dieses [X.]s zu zweifeln (§ 42 Abs. 1 Halbs. 2, Abs. 2 ZPO).

(1) Eine [X.] des abgelehnten [X.]s mit früheren Verfahren der Prozessparteien ist - von den in § 41 Nr. 4 bis 6 ZPO aufgeführten, hier nicht gegebenen, Ausnahmen abgesehen - als solche regelmäßig nicht geeignet, die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 18. Juni 2008 - [X.] ([X.]) 4/07, juris Rn. 7; vom 20. Januar 2014 - [X.] ([X.]rfg) 51/12, juris Rn. 9; [X.]GH, [X.]eschlüsse vom 8. Mai 2014 - 1 StR 726/13, NJW 2014, 2372 Rn. 12; vom 18. Dezember 2014 - IX Z[X.] 65/13, NJW-RR 2015, 444 Rn. 12; vom 12. April 2016 - [X.], juris Rn. 8; [X.]AG, [X.], 879, [X.]/[X.], aaO, § 42 Rn. 20 ff.; [X.]/Vollkommer, aaO, § 42 Rn. 15; jeweils mwN). Derartige Umstände zeigt die Klägerin weder auf noch sind diese sonst ersichtlich.

(2) Diese ergeben sich im vorliegenden Fall insbesondere nicht daraus, dass die [X.] des Rechtsanwalts [X.]    nicht als - unparteiischer - [X.], sondern aufgrund einer dienstlichen [X.]eziehung zur [X.]eklagten - als deren Schatzmeister und damit zugleich Mitglied des Präsidiums (§ 78 Abs. 2 [X.]) - erfolgt ist (vgl. zur nicht richterlichen [X.]: [X.]GH, [X.]eschlüsse vom 31. Oktober 1966 - [X.] ([X.]) 3/66, NJW 1967, 155 unter 3; vom 25. Februar 1988 - [X.], NJW-RR 1988, 766, 767; aA [X.]/[X.], aaO, § 42 Rn. 23; [X.] in [X.]/[X.], aaO, § 42 Rn. 10 [eine [X.]esorgnis der [X.]efangenheit bei einer solchen [X.] im Regelfall bejahend]; wohl auch [X.], [X.], 317).

Denn dieser Umstand rechtfertigt hier bereits deshalb keine [X.]esorgnis der [X.]efangenheit, weil sich die [X.] des abgelehnten [X.]s weder auf das anhängige Verfahren bezieht noch denselben Streitgegenstand wie dieses hat. Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um eine [X.]eurteilung der von der Klägerin in Zweifel gezogenen, viele Jahre zurückliegenden [X.]eitragsrückstände, sondern allein darum, ob sich die Klägerin zum maßgeblichen (späteren) Zeitpunkt des Widerrufs ihrer Rechtsanwaltszulassung in Vermögensverfall befunden hat und insbesondere ob ihr eine Widerlegung der mit den Eintragungen im Schuldnerverzeichnis verbundenen gesetzlichen Vermutung des [X.] (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbs. 2 [X.]) gelungen ist.

Hinzu kommt, dass die im Ablehnungsgesuch angeführte [X.] mehr als zehn Jahre zurückliegt und Rechtsanwalt [X.]    das Amt des Schatzmeisters der [X.]eklagten bereits seit Anfang des Jahres 2007, mithin seit fast zehn Jahren, nicht mehr ausübt (vgl. hierzu auch [X.]GH, [X.]eschluss vom 25. Februar 1988 - [X.], aaO).

[X.]ei vernünftiger Würdigung ist daher aus Sicht der Klägerin kein Grund für eine [X.]esorgnis ersichtlich, Rechtsanwalt [X.]    könnte den vorliegenden Fall als [X.] des erkennenden Senats nicht ausschließlich nach sachlichen Kriterien objektiv und unvoreingenommen beurteilen (vgl. [X.]GH, [X.]eschluss vom 12. April 2016 - [X.], aaO).

3. Der Senat kann über das Ablehnungsgesuch ohne dienstliche Stellungnahmen des abgelehnten [X.]s entscheiden, weil sich die geltend gemachten Ablehnungsgründe sämtlich auf aktenkundige Vorgänge beziehen. Unter solchen Umständen könnte eine dienstliche Erklärung zur Sachaufklärung nichts beitragen und ist daher entbehrlich (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 7. März 2012 - [X.] ([X.]) 13/10, aaO Rn. 19; vom 30. Dezember 2013 - [X.] ([X.]rfg) 60/13, aaO Rn. 8; jeweils mwN; [X.]/[X.], aaO, § 44 Rn. 10).

Kayser                            [X.]ünger                            Remmert

                  [X.]

Meta

AnwZ (Brfg) 61/15, AnwZ (B) 2/16

02.11.2016

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend BGH, 1. November 2016, Az: AnwZ (Brfg) 61/15, Beschluss

§ 62 Abs 1 BRAO, § 80 Abs 1 BRAO, § 83 BRAO, § 84 Abs 1 BRAO, § 54 Abs 1 VwGO, § 125 Abs 1 S 1 VwGO, § 41 ZPO, § 42 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.11.2016, Az. AnwZ (Brfg) 61/15, AnwZ (B) 2/16 (REWIS RS 2016, 3055)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3055

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1 StR 726/13

IX ZB 65/13

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