Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.06.2016, Az. 1 StR 201/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 9831

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2016:160616B1STR201.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
StR 201/16
vom
16. Juni 2016
in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung
des Beschwerde-führers und des Generalbundesanwalts

zu Ziffer 3. auf dessen Antrag

am 16.
Juni 2016
gemäß §
349 Abs.
2 und 4
StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. Januar 2016 im Rechtsfolgen-
und im Adhäsionsausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf-gehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die in den [X.] entstandenen Kosten, an eine andere Jugendkammer des [X.]s zurückverwiesen.
3.
Das weitergehende Rechtsmittel wird verworfen.

Gründe:
In einem ersten Urteil hatte das [X.] den Angeklagten am 23.
März 2015 wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tatein-heit mit Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hatte es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet und eine Adhäsionsentscheidung zugunsten der Nebenklägerin getroffen. Der [X.] hob dieses Urteil im Verfahren 1
StR 362/15 am 16.
September 2015 mit den Feststellungen insgesamt auf. Da der Schuldspruch wegen Verstoßes ge-1
-
3
-
gen Weisungen während der Führungsaufsicht nicht von den Feststellungen getragen wurde, konnte angesichts der vom [X.] angenommenen Tat-einheit auch die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes keinen Bestand haben.
Nach Zurückverweisung der Sache an das [X.] und anschlie-ßender Beschränkung des Verfahrens gemäß §
154a Abs.
2 StPO wurde der Angeklagte nunmehr wegen
schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Daneben hat das [X.] die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwah-rung angeordnet und ihn in einer Adhäsionsentscheidung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 2.500 Euro an die Nebenklägerin verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Im September oder Oktober 2013 besuchte die damals vierjährige [X.] A.

den zur Tatzeit 75 Jahre alten Angeklagten, den Nachbarn ihrer Großmutter, in dessen Wohnanwesen. Das Mädchen traf den Angeklagten auf der Toilette an, deren Tür offen stand. Der Angeklagte stand mit nach unten gezogener Hose in der Toilette. Obwohl er die Nebenklä-gerin bemerkt hatte, unterließ er es bewusst, seine Hose oder Unterhose wie-der nach oben zu ziehen. Er ging an dem Kind vorbei und begab sich in sein Wohnzimmer. Hierdurch wollte er erreichen, dass es zu Berührungen seines 2
3
4
-
4
-
Penis durch die Nebenklägerin kommt. Wie vom Angeklagten beabsichtigt, folg-te ihm
die Nebenklägerin in das Wohnzimmer, berührte sodann seinen nackten Penis und streichelte diesen, was der Angeklagte

seiner vorgefassten Absicht entsprechend

auch zuließ. Nach einigen Sekunden beendete er die Situation jedoch wieder und schickte die Vierjährige nach [X.]. Infolge des sexuellen Übergriffs veränderte sich das Verhalten der Nebenklägerin, die zuvor ein for-sches, sehr fröhliches, offenes, aufgeschlossenes und mitteilungsfreudiges Kind war, dahingehend, dass sie merklich ängstlicher, weinerlicher, zurückhal-tender und [X.] wurde.
2. Der Angeklagte wurde seit dem [X.] mehrfach bestraft. Zuletzt wurde er im Oktober 2006 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 20 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf
Jahren verur-teilt. Zuvor war er im März 1996 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.
3. Das [X.] hat das Verhalten des Angeklagten im Hinblick auf seine einschlägige Vorverurteilung im [X.] als schweren sexuellen Miss-brauch eines Kindes (§
176a Abs.
1 und Abs.
6 Satz 1 i.V.m. § 176 Abs.
1 StGB) gewertet. Es ist zudem davon überzeugt, dass der Angeklagte infolge eines Hangs zu erheblichen Straftaten, namentlich zu schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, für die Allgemeinheit gefährlich ist.

5
6
-
5
-
II.
Die Revision führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung im Rechtsfolgen-
und Adhäsionsausspruch; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
1.
Der Schuldspruch wird von den Feststellungen getragen.
a) Zwar forderte der Angeklagte die Nebenklägerin nicht ausdrücklich dazu auf, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. Nach den [X.] führte er jedoch den Entschluss der vierjährigen Nebenklägerin, solche Handlungen vorzunehmen, durch sein Verhalten selbst herbei oder bestärkte die Nebenklägerin in ihrem Verhalten. Dies rechtfertigt die Würdigung des [X.]s, der Angeklagte habe von einem Kind sexuelle Handlungen an sich vornehmen lassen (§
176 Abs.
1 [X.]. 2 StGB).
b) Im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten wegen einschlägiger Missbrauchstaten aus dem [X.] ist auch das [X.] des §
176a Abs.
1 StGB einer Verurteilung wegen einer Straftat nach §
176 Abs.
1 StGB innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat erfüllt. Nach §
176a Abs.
6 StGB werden die Zeiten der Inhaftierung des Angeklagten seit dieser [X.] in den [X.] des §
176 Abs.
1 StGB nicht eingerechnet.
2. Demgegenüber hat der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand.
a) Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er
in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des [X.] gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, 7
8
9
10
11
12
13
-
6
-
sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisi-onsgerichts in
diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur mög-lich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn der Tatrichter gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer
Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile vom 17.
September 1980

2
StR 355/80, [X.]St 29, 319, 320; vom 7.
Februar 2012

1
StR 525/11, Rn. 17, [X.]St 57, 123, 127 und vom 12. Januar 2016

1 [X.], Rn. 12, [X.], 107, 108; jeweils mwN). Nur in diesem Rahmen kann eine "Verletzung des Gesetzes" (§ 337 Abs. 1 StPO) vorliegen. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 10. April 1987

[X.], [X.]St 34, 345, 349; Ur-teile vom 12. Januar 2005

5 [X.], [X.], 144;
vom 7. Februar 2012

1
StR 525/11, Rn. 17, [X.]St 57, 123, 127 und vom 12. Januar 2016

1
[X.], Rn. 12, [X.], 107, 108).
bb) Auch ausgehend von diesem eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab hält die Strafzumessung des [X.]s rechtlicher Nach-prüfung nicht stand.
(1) Das [X.] hat bei der Strafzumessung auch die Folgen der Tat für die Nebenklägerin berücksichtigt. Es
hat dabei zwar zugunsten des Ange-r-

37). Die vom [X.] vorge-nommenen Erwägungen lassen gleichwohl besorgen, dass das [X.] nicht nur die Folgen dieser Tat, sondern auch weiterer, nicht näher festgestellter Taten des Angeklagten gegenüber der Nebenklägerin mit einbezogen hat.

14
15
-
7
-
Nach den Feststellungen des [X.]s hat sich das Verhalten der

Weise verändert, dass diese ängstlicher, weinerlicher, zurückhalten-der und [X.] wurde

(UA S.
23). In den weiteren Urteilsgründen hat das [X.] dies dahin eingeschränkt, dass diese Veränderungen zumin-dest auch auf den verfahrensgegenständlichen Missbrauch zurückzuführen sind (UA S.
29). Auch hat das [X.] bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes berücksichtigt, die [X.] sei durch die Straf-auch

56). Im Hinblick darauf, dass das Tatgeschehen nach den Feststellungen des Land-gerichts nur einige Sekunden gedauert hat (UA S.
23), lässt hier die gleichwohl vorgenommene Berücksichtigung der [X.] der Nebenklägerin im Rahmen der Strafzumessung besorgen, dass das [X.] auch die Fol-gen aus weiteren Taten zum Nachteil der Nebenklägerin bei der Strafzumes-sung zu Lasten des Angeklagten mit berücksichtigt hat, ohne solche Taten fest-zustellen.
(2) Darüber hinaus ist zu besorgen, dass das [X.] nicht nur die Folgen solcher Taten, sondern nicht festgestellte weitere Taten zum Nachteil der Nebenklägerin selbst strafschärfend mit berücksichtigt hat. Angesichts der Höhe der für eine Tat von wenigen Sekunden verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten liegt dies schon deshalb nahe, weil das [X.] hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Tat zugunsten des Angeklag-s-fällen im untersten Bereich lag, von kurzer Dauer war und durch den Angeklag-ten selbst beendet wurde

(UA S.
37). Darüber hinaus habe der Angeklagte auch keine körperliche Gewalt oder psychischen Druck auf das geschädigte

37).
16
17
-
8
-
Auch ist der vom [X.] festgestellte Tatablauf ohne vorhergehen-de sexuelle Kontakte zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin kaum erklärbar. Es liegt fern,
dass ein vierjähriges Mädchen sonst die Absicht des Angeklagten verstanden hätte, es solle ihn am nackten Penis streicheln. [X.] zu weiteren Taten, die zu einer [X.] bei der Neben-klägerin geführt haben können, hat das [X.] gleichwohl nicht getroffen. Es hat sich lediglich auf die Wiedergabe von Zeugenaussagen beschränkt, die nahe legen, dass es weitere sexuelle Kontakte zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin gab. Dabei referiert das [X.] auch die Angabe der Nebenklägerin bei ihrer polizeilichen Vernehmung, es habe mehrere sexuelle e-klagten berührt und die Haut nach vorne und hinten geschoben habe, woraufhin der ´Wurmi´ größer geworden sei. Der Angeklagte habe auch mal selbst an sei-nem nackten ´Wurmi´ herumgespielt. Wenn sie den ´Wurmi´ des Angeklagten angefasst habe, habe sie als Belohnung auch mal Kleingeld oder Schokolade

26). Ihrer Mutter habe die Nebenklägerin erzählt, dass der

27). Da das [X.] solche Taten aber nicht festgestellt hat, durfte es weder diese Taten selbst, noch sich aus ihnen bei der Nebenklägerin ergebende psychische Folgen strafschärfend berücksichtigen.
b) Der Wegfall des Strafausspruchs führt zur Aufhebung der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in Sicherungsverwahrung. Ergänzend [X.] hierzu, dass die vom [X.] vorgenommene Gesamtwür-digung zum Vorliegen einer hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten gleichfalls rechtlicher Nachprüfung nicht standhielte. Auch insoweit wäre

wie schon bei der Strafzumessung

zu besorgen, das [X.] habe bei der Gesamtwürdigung, ob ein Hang des Angeklagten zur
Begehung erheblicher Straftaten vorliegt, weitere, aber nicht festgestellte Taten des Angeklagten zum 18
19
-
9
-
Nachteil der Nebenklägerin berücksichtigt. Die verfahrensgegenständliche Tat hat das [X.] nämlich im Vergleich zu anderen Missbrauchsfällen als im
untersten Bereich
liegend eingeordnet (UA S.
37).
3. Im Ergebnis kann auch der Adhäsionsausspruch keinen Bestand ha-ben. Denn der [X.] kann nicht ausschließen, dass sich die Rechtsfehler bei der Strafzumessung auch auf die Adhäsionsentscheidung ausgewirkt haben.

Raum Jäger Mosbacher

Fischer Bär
20

Meta

1 StR 201/16

16.06.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.06.2016, Az. 1 StR 201/16 (REWIS RS 2016, 9831)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9831

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 201/16 (Bundesgerichtshof)

Strafzumessung bei sexuellem Kindesmissbrauch: Berücksichtigung weiterer Straftaten oder deren Folgen für das Tatopfer


1 StR 362/15 (Bundesgerichtshof)

Strafbare Zuwiderhandlung eines Sexualstraftäters gegen Weisungen der Führungsaufsicht: Zuwiderhandlung gegen ein Kontaktverbot zu Kindern bei …


102 KLs 11/20 (Landgericht Köln)


1 StR 627/16 (Bundesgerichtshof)

Sexueller Missbrauch von Kindern: Ausziehen eines Kindes; Selbstvornahme einer sexuellen Handlung durch das Kind; Versuch …


1 StR 627/16 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 StR 414/15

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.