Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.06.2014, Az. 4 StR 171/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 4853

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 171/14

vom
17. Juni
2014
in der Strafsache
gegen

wegen Körperverletzung u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 17.
Juni
2014
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 7.
Januar 2014 mit den [X.] aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurück-verwiesen.
2.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte wegen nicht ausschließba-rer Schuldunfähigkeit bei Begehung der Taten freigesprochen und seine Unter-bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§
63 StGB). Hier-gegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Jedoch können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu
den
Anlasstaten
bestehen
bleiben (§
353 Abs.
2 StPO).
1
-
3
-
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatri-schen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
I.
1.
Nach den Feststellungen kam es in einem Zeitraum von vier Jahren bis zum Tattag, dem 6.
Januar 2013, zwischen dem u.a. wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung, begangen im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, vorbestraften Angeklagten und der Geschädigten, seiner Wohnungsnachbarin in einem Zweifamilienhaus in [X.]

, regelmä-
ßig zu Spannungen. Am Tattag schlug er der Geschädigten im Treppenhaus zunächst zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht, brachte sie danach durch einen Stoß mit seinen Händen so zu Fall, dass sie die Treppe zunächst bis zur Hälfte und dann

infolge erneuten Schubsens und Schlagens

die restlichen Stufen der Treppe hinunterfiel, wo sie vor ihrer Wohnungstür liegen blieb. Dort versetzte ihr der Angeklagte noch einen Fußtritt gegen die Rippen. Die Ge-schädigte erlitt durch den Vorfall eine Teilruptur des vorderen Kreuzbandes an ihrem rechten Knie sowie multiple Prellungen. Beim Einschreiten der daraufhin herbeigerufenen Polizeibeamten schlug der Angeklagte mehrfach um sich und versuchte, sich aus den Haltegriffen der Beamten zu befreien. Zum Tatzeitpunkt betrug seine Blutalkoholkonzentration 1,2

2.
Das [X.] hat sich hinsichtlich der Beurteilung der
Schuldfähig-keit des Angeklagten dem psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen. Dieser hat nach Auswertung der Akten und Anwesenheit in der Hauptverhand-lung, jedoch

mangels Einwilligung

ohne Exploration
des Angeklagten, aus-weislich der Urteilsgründe im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
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4
-
4
-
Der ursprünglich intelligent

Angeklagte habe um das [X.]
einen Leistungsknick

erlebte-Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie ausgegangen. Die häufigen Umzüge seien aus medizinischer Sicht als paranoide
Symptomatik gedeutet worden; der Angeklagte habe dadurch versucht, sich den wahnhaft empfunde-nen negativen Einflüssen seiner Nachbarn zu entziehen. Er leide gegenwärtig unter einer zunehmenden Unfähigkeit zur Fortsetzung seiner Ausbildung; die auftretendeä--Exazerbationen. Es

das Verhalten des Angeklagten gegenüber der Geschädigten aus einer krankheitsbedingten paranoiden Symp-tomatik resultiere; jedenfalls
sei es [X.] Symptomatik erklärbar. Für ein anderes Eingangsmerkmal des §
20 StGB hätten sich keine Hinweise ergeben; eine isolierte Alkoholproblematik liege beim Angeklagten nicht vor.
Seine Einsichts-

e-bung sei nicht sicher festzustellen, zumal beim Angeklagten statt eines Wahns

II.
Mit diesen Ausführungen werden die Voraussetzungen einer Unterbrin-gung nach §
63 StGB nicht rechtsfehlerfrei belegt.
5
6
-
5
-
1.
Wenn sich der Tatrichter

wie hier

darauf beschränkt, sich der Beur-teilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen
wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 2.
Oktober 2007

3
StR
412/07, NStZ-RR 2008,
39 mwN). Dies gilt auch in Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie; denn die [X.] einer solchen Erkrankung
führt für sich genommen noch nicht zur Fest-stellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 24.
April 2012

5
StR
150/12, [X.], 239; vom 23.
August 2012

1
StR
389/12, [X.], 98; Beschluss vom 29.
April 2014

3
StR
171/14). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungs-möglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat ([X.], Beschluss vom 2.
Oktober 2007 aaO; Beschluss vom 29.
Mai 2012

2
StR
139/12, [X.], 306, 307). Diese Darlegungsanforderungen hat der Tatrichter auch dann zu beachten, wenn der Angeklagte

wie im vorliegenden Fall

eine [X.] abgelehnt hat ([X.], Beschluss vom 31.
Januar 1997

2
StR
668/96, [X.]R StGB §
63 Zustand
21).
2.
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Dabei kann dahinstehen, ob die im Allgemeinen verbleibende, zusam-menfassende Darlegung der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständi-gen schon nicht hinreichend deutlich macht, ob die Einschränkung der Schuld-7
8
9
-
6
-
fähigkeit auf dem für die Anordnung der Maßregel erforderlichen, länger [X.] und nicht nur vorübergehenden Defekt beruht hat (vgl. dazu [X.], [X.] vom 17.
November 1987

5
StR
575/87, [X.]R StGB §
63 Zustand
6
mwN), weil der Sachverständige
eine Chronifizierung der in Betracht gezoge-nen Erkrankung lediglich für möglich gehalten hat. Jedenfalls fehlt eine nähere Darlegung des Einflusses des diagnostizierten [X.] auf die Hand-lungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation. Die Urteils-gründe teilen auch insoweit lediglich das Ergebnis der medizinischen Diagnose des psychiatrischen Sachverständigen mit, wonach das Verhalten des Ange-klagten gegenüber der Geschädigten und den Polizeibeamten die Annahme einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie mit paranoider Symp-tomatik nahelege. Als Anknüpfungspunkte für diese Diagnose werden [X.] herangezogen, die zum einen in der früheren Krankengeschichte des [X.], wie etwa häufige Umzüge, durch die der Angeklagte versucht habe, sich wahnhaft empfundenen negativen Einflüssen seiner Nachbarn zu entziehen. Demgegenüber wird das Vorliegen eines akuten psychotischen Schubs

im Rahmen der Erörterung einer möglicherweise vollständig aufgeho-benen Schuldfähigkeit

lediglich abstrakt als Möglichkeit in Betracht gezogen und mit der Erwägung, es komme auch psychotisch bedingter Ärger ernsthaft in Betracht, wieder relativiert.
Eine situationsbezogene Erörterung der
Hand-lungsmöglichkeiten des Angeklagten unter dem Einfluss der psychischen Er-krankung zum Zeitpunkt der Taten fehlt. So wird auch nicht erkennbar erwogen, dass der Angeklagte vor den Widerstandshandlungen gegenüber den [X.] freiwillig in den Streifenwagen stieg, sich mithin situationsangepasst verhielt.
-
7
-
3.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass die vom [X.] zur
ersten
Anlasstat getroffenen Feststellungen auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in seiner Auslegung durch die neuere Rechtsprechung des [X.] (vgl. nur [X.], Beschluss vom 24.
Juli 2013

2
BvR
298/12, [X.] 2014, 31) grundsätzlich geeignet sind, die Anordnung der Maßregel zu tragen. Der neue Tatrichter wird jedoch bei der Gefährlichkeitsprognose das bislang nicht näher erläuterte spannungsgeladene Verhältnis zwischen dem Angeklagten und der in seiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnenden Geschädigten in einem Zeit-raum von vier Jahren vor der hier verfahrensgegenständlichen Tat eingehender in den Blick nehmen müssen.
Mutzbauer
Roggenbuck
Cierniak

Franke
Quentin
10

Meta

4 StR 171/14

17.06.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.06.2014, Az. 4 StR 171/14 (REWIS RS 2014, 4853)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4853

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 78/16

Zitiert

4 StR 171/14

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