Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.12.2018, Az. 4 StR 443/18

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 930

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Gegenstand

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Feststellung der Schuldunfähigkeit wegen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis unter Verwertung eines psychiatrischen Gutachtens aus einem früheren Strafverfahren


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Mai 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte, der an einer hebephrenen Schizophrenie leidet, dem elf Jahre alten Geschädigten, der auf seinem Fahrrad an dem Angeklagten vorbeifahren wollte, unvermittelt einen Stoß mit den Händen, wodurch der Geschädigte von seinem Fahrrad stürzte und gegen einen Zaun prallte. Dabei ging es dem Angeklagten – wie bereits mehrfach zuvor in der Vergangenheit – darum, sich in den Besitz des Fahrrades zu bringen. Nachdem der Geschädigte infolge des [X.] über das Fahrrad verloren hatte, nahm der Angeklagte es – wie von vornherein beabsichtigt – an sich und flüchtete. Der Geschädigte trug durch den Sturz eine Schwellung an der [X.] davon und litt an Kopfschmerzen und Schwindel.

3

Die [X.] ist davon ausgegangen, dass die Fähigkeit des Angeklagten entsprechend der vorhandenen Unrechtseinsicht zu handeln, bei Begehung der Tat krankheitsbedingt aufgehoben war. Sie hat dies – den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen folgend – damit begründet, dass der Angeklagte, den die Zeugen „etwas wirr“ erlebt hätten, seine Handlungen nicht richtig willensmäßig habe steuern können.

II.

4

1. Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus kann nicht bestehen bleiben, weil die vom [X.] vorgenommene Schuldfähigkeitsbeurteilung durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.

5

a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht.

6

Die Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 [X.], [X.], 588; vom 23. August 2012 – 1 [X.], [X.], 98; vom 24. April 2012 – 5 [X.], [X.], 239; vom 29. Mai 2012 – 2 [X.], [X.], 306, 307).

7

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Weder die im [X.] an die Ausführungen des Sachverständigen vorgenommene Wertung der [X.], der Angeklagte habe im Tatzeitpunkt seine Handlungen nicht richtig willensmäßig steuern können, noch das von nicht näher bezeichneten Zeugen als „etwas wirr“ erlebte Verhalten des Angeklagten werden in den Urteilsgründen durch Tatsachen belegt und für das Revisionsgericht nachvollziehbar ausgeführt. Einen Schub der schizophrenen Erkrankung hat das [X.] für den Tatzeitpunkt nicht festgestellt. Ob die ab 2012 beim Angeklagten zu beobachtenden Symptome wie Denk- und Antriebsstörungen sowie eine sich in Grimassierungen und ballistischen Bewegungen zeigende affektive Störung auch bei der Tat vorlagen und sich auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation auswirkten, lassen die [X.] offen. Soweit die [X.] als Ergebnis eines in einem früheren Strafverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachtens mitteilt, dass beim Angeklagten eine schwere Störung der affektiven und impulsiven Kontrolle mit fremdaggressiven Verhaltensweisen gegeben sei, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht wiedergegeben, so dass eine Überprüfung nicht möglich ist (vgl. [X.], Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12). Die Urteilsgründe befassen sich weder mit den tatsächlichen Umständen, die im damaligen Verfahren zu Freisprüchen unter anderem von Vorwürfen der Körperverletzung und der versuchten gefährlichen Körperverletzung wegen Schuldunfähigkeit führten, noch mit den Sachverhalten, die den jeweiligen Tatvorwürfen zugrunde lagen. Vor dem Hintergrund des Umstands, dass der Angeklagte, der in der Vergangenheit seinen Lebensunterhalt durch die Reparatur und Weiterveräußerung von Fahrrädern bestritt, sich Fahrräder in einer Vielzahl von Fällen durch Diebstähle beschaffte, hätte sich der Tatrichter schließlich mit einem möglichen normalpsychologisch erklärbaren Beweggrund für die Raubtat zum Nachteil des Geschädigten auseinandersetzen müssen.

8

2. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 [X.] ist auch der Freispruch des Angeklagten aufzuheben (vgl. [X.], Beschlüsse vom 5. August 2014 – 3 StR 271/14, [X.]R [X.] § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1; vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13 Rn. 18, insoweit in NStZ 2014, 36 nicht abgedruckt; vom 12. Oktober 2016 – 4 [X.] aaO).

9

Entgegen dem Antrag des [X.] lässt der Senat die tatsächlichen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen nicht bestehen. Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird bei seiner Überzeugungsbildung zur Täterschaft des Angeklagten den beschränkten Beweiswert eines wiederholten Wiedererkennens (vgl. [X.], [X.], 26. Aufl., § 261 Rn. 82; [X.] in MK-[X.], § 261 Rn. 262 jeweils mwN) in den Blick zu nehmen haben. Hierzu besteht Veranlassung, weil der Geschädigte den Angeklagten vor der polizeilichen [X.] zunächst auf einer von seiner Mutter gefertigten, nur den Angeklagten zeigenden Videoaufnahme als Täter wiedererkannte. Auch dem sicheren Wiedererkennen durch den Zeugen S.     in der Hauptverhandlung ging eine [X.] voraus, bei welcher der Zeuge den Angeklagten „ziemlich sicher“ als die nach der Tat mit dem Fahrrad angetroffene Person identifizierte.

Zudem werden die Einzelheiten der Durchführung der [X.]n eingehender als bisher geschehen in den Urteilsgründen darzustellen sein (vgl. [X.] aaO Rn. 259 ff.).

Sost-Scheible     

      

Roggenbuck     

      

Cierniak

      

Bender     

      

Feilcke     

      

Meta

4 StR 443/18

04.12.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bochum, 18. Mai 2018, Az: 2 KLs 21/17

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.12.2018, Az. 4 StR 443/18 (REWIS RS 2018, 930)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 930

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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