Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.09.2010, Az. 2 AZR 88/09

2. Senat | REWIS RS 2010, 2783

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Gegenstand

Krankheitsbedingte Kündigung - Betriebliches Eingliederungsmanagement


Leitsatz

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX ist bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch dann durchzuführen, wenn keine betriebliche Interessenvertretung iSv. § 93 SGB IX gebildet ist.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2008 - 14 Sa 1428/08 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die [X.]irksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.

2

Der 1971 geborene Kläger ist gelernter Anlagenmechaniker der Fachrichtung Versorgungstechnik. Er war bei der [X.]eklagten seit dem 1. September 1994 als Gasrohrnetzwerker, zuletzt in der Funktion eines Vorarbeiters, bei einer durchschnittlichen [X.]ruttomonatsvergütung in [X.]öhe von 2.500,00 Euro beschäftigt. [X.]ei dem Kläger ist durch bisher nicht bestandskräftigen [X.]escheid ein Grad der [X.]ehinderung von 20 festgestellt.

3

Die [X.]eklagte betreibt Rohrleitungs- und Anlagenbau. Sie beschäftigt etwa 200 Arbeitnehmer. Sie hat ihren Sitz in [X.] und eine Außenstelle in [X.] Der Kläger war nahezu ausschließlich in der Außenstelle eingesetzt. Die [X.]eklagte hat sieben [X.]auleitungen gebildet, darunter die [X.]auleitung „Rohrleitungsbau [X.]“, zu welcher der Kläger und der weitere Vorarbeiter [X.] gehörten. Ein [X.]etriebsrat ist nicht gewählt.

4

Der Kläger erkrankte am 25. September 2006 arbeitsunfähig. Er leidet unter [X.]irbelsäulenschäden. Am 16. März 2007 bot er der [X.]eklagten die [X.]iederaufnahme der Arbeit an. Dabei wies er darauf hin, dass ihm seit Januar 2007 eine Rehabilitationsmaßnahme in Aussicht gestellt worden sei. Die [X.]eklagte hatte gegen einen weiteren Einsatz des [X.] [X.]edenken und vereinbarte einen Untersuchungstermin mit dem zuständigen arbeitsmedizinischen Dienst. Der Kläger nahm den Termin wahr. Mit Schreiben vom 12. April 2007 schlug die Krankenkasse einen Arbeitsplatzwechsel vor. Vom 4. Juli 2007 bis 25. Juli 2007 nahm der Kläger an einer Rehabilitationsmaßnahme in einer Fachklinik teil. Mit Schreiben vom 19. September 2007 teilte die Rentenversicherung mit, es sei festgestellt worden, dass der Kläger nur noch körperlich leichte Arbeit überwiegend im [X.]echsel zwischen Sitzen und Stehen/Gehen verrichten solle und Gefährdungen durch Kälte, Nässe, Zugluft und starke Temperaturschwankungen zu vermeiden seien.

5

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2007 kündigte die [X.]eklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. März 2008. Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er könne zwar seine bisherigen Arbeiten nicht mehr verrichten, die [X.]eklagte könne ihn aber als Sicherheitsbeauftragten oder in der Materialverwaltung der Außenstelle [X.], außerdem in ihrem Materiallager in [X.] oder zur Erfüllung der verwaltungstechnischen Aufgaben aller Poliere und Vorarbeiter einsetzen. Auch ein Einsatz bei der Rohrleitungsumhüllung, bei der Arbeit an Gasleitungen mit [X.]ochdrucksystem, beim Schweißen oder im [X.]üro mit Zuarbeit für die [X.]auleiter komme in Frage. Ebenso könne sie ihm wie dem Mitarbeiter [X.] einen Schonarbeitsplatz in [X.] einrichten. Im Übrigen habe es die [X.]eklagte versäumt, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen.

6

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 15. Oktober 2007 nicht beendet worden ist.

7

Die [X.]eklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, eine anderweitige [X.]eschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bestehe nicht. Sie verfüge über keine freien Arbeitsplätze, die eine der Qualifikation, den Fähigkeiten und den gesundheitlichen Einschränkungen des [X.] entsprechende Tätigkeit zuließen. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement ([X.]EM) habe sie mangels [X.]estehens einer betrieblichen Interessenvertretung iSv. § 93 SG[X.] IX nicht durchführen müssen. Die dem Mitarbeiter [X.] übertragenen Aufgaben könnten vom Kläger mangels ausreichender Qualifikation und wegen der mit ihnen verbundenen körperlichen [X.]elastungen nicht ausgeführt werden.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat ihr stattgegeben. Mit ihrer vom [X.] zugelassenen Revision begehrt die [X.]eklagte die [X.]iederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der vom [X.] gegebenen [X.]egründung kann die Klage keinen Erfolg haben. Die [X.]eklagte hat nach Maßgabe von § 1 Abs. 2 [X.] hinreichend substantiiert vorgetragen, weshalb eine andere [X.]eschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nicht bestanden habe ([X.]). Der [X.] kann aufgrund der bisherigen Feststellungen gleichwohl nicht abschließend beurteilen, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 [X.] ist (I[X.]).

[X.] Unter Anwendung der allgemeinen Grundsätze zur abgestuften Darlegungs- und [X.]eweislast im Rahmen von § 1 Abs. 2 Satz 4 [X.] hat die [X.]eklagte hinreichend vorgetragen, dass eine andere [X.]eschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nicht bestanden habe.

1. Die Prüfung der [X.] Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden, ist nach der Rechtsprechung des [X.]s in drei Stufen vorzunehmen. Die Kündigung ist im Falle lang anhaltender Krankheit sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 [X.]), wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt - erste Stufe -, eine darauf beruhende erhebliche [X.]eeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist - zweite Stufe - und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen [X.]eeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden [X.]elastung des Arbeitgebers führen - dritte Stufe - ([X.] 12. April 2002 - 2 [X.] - [X.] 101, 39; 29. April 1999 - 2 [X.] - [X.] 91, 271; 21. Mai 1992 - 2 [X.] - AP [X.] 1969 § 1 Krankheit Nr. 30 = EzA [X.] § 1 Krankheit Nr. 38). [X.]ei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen [X.]eeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen ([X.] 19. April 2007 - 2 [X.] § 1 [X.] 1969 Krankheit Nr. 45 = EzA § 1 [X.] Krankheit Nr. 53). Die Ungewissheit der [X.]iederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann ([X.] 12. April 2002 - 2 [X.] - aaO).

2. Eine Kündigung ist entsprechend dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie durch andere Mittel vermieden werden kann, dh., wenn sie zur [X.]eseitigung der betrieblichen [X.]eeinträchtigungen bzw. der eingetretenen Vertragsstörung nicht erforderlich ist. Dabei kommt bei einer krankheitsbedingten Kündigung nicht nur eine [X.]eiterbeschäftigung auf einem anderen, freien Arbeitsplatz in [X.]etracht. Der Arbeitgeber hat vielmehr alle gleichwertigen, [X.] Arbeitsplätze, auf denen der betroffene Arbeitnehmer unter [X.]ahrnehmung des Direktionsrechts einsetzbar wäre, in [X.]etracht zu ziehen und ggf. „freizumachen“ (vgl. [X.] 12. Juli 2007 - 2 [X.] - Rn. 29, [X.] 123, 234; 29. Januar 1997 - 2 [X.] - zu II 1 d der Gründe, [X.] 85, 107).

3. Nach § 1 Abs. 2 Satz 4 [X.] trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und [X.]eweislast für die Tatsachen, die die Kündigung bedingen. Dazu gehört auch die Darlegung des Fehlens - alternativer - [X.]eschäftigungsmöglichkeiten.

a) Der Arbeitgeber kann - außerhalb der Verpflichtung zur Durchführung eines [X.] - zunächst pauschal behaupten, es bestehe für den dauerhaft erkrankten Arbeitnehmer keine andere [X.]eschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale [X.]ehauptung umfasst den Vortrag, es bestehe keine Möglichkeit einer [X.] Anpassung des Arbeitsverhältnisses oder des Arbeitsplatzes. Der Arbeitnehmer muss sodann konkret darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine [X.]eschäftigung - an einem anderen Arbeitsplatz - vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen [X.]eeinträchtigung ausüben könne ([X.] 10. Dezember 2009 - 2 [X.]/08 - Rn. 16, AP [X.] 1969 § 1 Krankheit Nr. 48 = EzA [X.] § 1 Krankheit Nr. 56; 12. Juli 2007 - 2 [X.] - Rn. 43, [X.] 123, 234; 26. Mai 1977 - 2 [X.] - zu [X.] b der Gründe, [X.] 1972 § 102 Nr. 14 = EzA [X.] 1972 § 102 Nr. 30). Es ist dann Sache des Arbeitgebers, hierauf zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche [X.]eschäftigung nicht möglich sei (vgl. [X.] 12. Juli 2007 - 2 [X.] - Rn. 47, aaO).

b) Diese Verteilung der Darlegungs- und [X.]eweislast für das [X.]estehen einer alternativen [X.]eschäftigungsmöglichkeit gilt auch dann, wenn - wie im Streitfall vom [X.] angenommen - der Arbeitnehmer keinen oder nur einen oberflächlichen Einblick in die organisatorischen Arbeitsabläufe in anderen betrieblichen [X.]ereichen hat. Dem Grundsatz, dass einer [X.] nicht ein ihr unmöglicher Grad an Konkretisierung ihres Vortrags abverlangt werden darf, ist dadurch Rechnung getragen, dass der Arbeitnehmer lediglich konkret darlegen muss, wie er sich die anderweitige [X.]eschäftigung vorstellt; von ihm wird nicht verlangt, dass er dazu ganz bestimmte Arbeitsplätze im [X.]etrieb oder Unternehmen benennt ([X.] 10. Dezember 2009 - 2 [X.]/08 - Rn. 16, AP [X.] 1969 § 1 Krankheit Nr. 48 = EzA [X.] § 1 Krankheit Nr. 56; 12. Juli 2007 - 2 [X.] - Rn. 43, [X.] 123, 234; 26. Mai 1977 - 2 [X.] - zu [X.] b der Gründe, [X.] 1972 § 102 Nr. 14 = EzA [X.] 1972 § 102 Nr. 30). Aus dem Sachvortrag des Arbeitnehmers muss sich allerdings ergeben, dass er die seinen Vorstellungen entsprechende Tätigkeit trotz seiner gesundheitlichen [X.]eeinträchtigung ausüben kann ([X.] 26. Mai 1977 - 2 [X.] - zu [X.] b der Gründe, aaO).

4. Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die [X.]eklagte ihrer Darlegungslast genügt.

a) Die [X.]eklagte hat zunächst vorgetragen, es bestehe keine andere Möglichkeit, den Kläger leidensgerecht zu beschäftigen.

b) Daraufhin hat der Kläger vorgetragen, er sei als Vorarbeiter mit der Funktion eines Poliers weiterhin in der Lage, die für den entsprechenden Mitarbeiterkreis anfallenden verwaltungstechnischen Aufgaben zu erfüllen. So könne er Aufmaße erstellen, [X.]auzeichnungen fertigen, [X.]austellen einrichten und leiten. Ferner könne er als zweiter „hauptamtlicher“ Sicherheitsbeauftragter beschäftigt werden, die Materialverwaltung in der Außenstelle in [X.] übernehmen oder als [X.], Gerätewart oder Lagermeister in dem Material- und [X.] der [X.]eklagten in [X.] tätig sein. Außerdem sei er - unter Vermeidung von körperlichen [X.]elastungen - in der Lage, Rohrleitungen zu umhüllen, mit [X.]ochdrucksystem an Gasleitungen zu arbeiten oder zu schweißen. Er könne sich auch eine [X.]ürotätigkeit mit Zuarbeit für die [X.]auleiter vorstellen. Schließlich könne ihm die [X.]eklagte einen dem des Mitarbeiters [X.] entsprechenden Schonarbeitsplatz in [X.] einrichten.

c) [X.]ierauf hat die [X.]eklagte erwidert und dargelegt, warum eine solche [X.]eschäftigung nicht möglich sei.

aa) Die Übernahme der verwaltungstechnischen Aufgaben sämtlicher Vorarbeiter und Poliere erfordere die Übertragung von [X.]auleitertätigkeiten, was einer [X.]eförderung gleichkomme. Dies ist ein erheblicher Einwand. Der Kläger kann eine [X.]eförderung nicht verlangen. Im Rahmen des allgemeinen Kündigungsschutzes ist der Arbeitgeber regelmäßig nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer zur Vermeidung einer [X.]eendigungskündigung eine [X.]eförderungsstelle anzubieten ([X.] 23. Februar 2010 - 2 [X.] - Rn. 40; 21. September 2000 - 2 [X.] - zu [X.] 2 d cc der Gründe, [X.] 95, 350).

bb) Eine [X.]eschäftigungsmöglichkeit ausschließlich als Sicherheitsbeauftragter bestehe nicht. Auch dieser Einwand ist beachtlich. Der Sicherheitsbeauftragte übt ein freiwilliges Ehrenamt aus, das neben dem eigentlichen Arbeitsverhältnis besteht (vgl. [X.]/[X.]lotzke 2. Aufl. § 208 Rn. 26).

cc) Die [X.]eklagte hat behauptet, in der Außenstelle in [X.] beschäftige sie keine Arbeitnehmer, eine [X.]eschäftigungsmöglichkeit in der Materialverwaltung in der Außenstelle bestehe daher ebenfalls nicht. Tätigkeiten als [X.], Gerätewart oder Lagermeister in dem Material- und [X.] in [X.] oder - unter Vermeidung von körperlichen [X.]elastungen - das Umhüllen von Rohrleitungen, die Arbeit an Gasleitungen mit [X.]ochdrucksystem, das Schweißen oder eine Tätigkeit im [X.]üro mit Zuarbeit für die [X.]auleiter, die der Kläger nach seinen gesundheitlichen [X.]eeinträchtigungen ausüben könne, gebe es in ihrem Unternehmen nicht.

dd) Die [X.]eklagte hat ferner vorgetragen, die dem Mitarbeiter [X.] übertragenen Arbeiten fielen nur im [X.] Raum an. Die davon abweichende Feststellung des [X.]s, auch am Stammsitz der [X.]eklagten würden [X.]ochdruck-Rohrleitungsarbeiten und [X.]ausanschluss-Versorgungsarbeiten ausgeführt, ist für den [X.] nicht bindend. Die [X.]eklagte hat sie mit einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge (§ 551 Abs. 3 Nr. 2 [X.]uchst. b ZPO) angegriffen. Die Feststellung des [X.]s verletzt den Anspruch der [X.]eklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Sie findet keine Grundlage im [X.]vorbringen. Im Übrigen hat die [X.]eklagte behauptet, der Kläger könne die dem Mitarbeiter [X.] übertragenen Tätigkeiten nach seiner Qualifikation und seinen gesundheitlichen [X.]eeinträchtigungen ohnehin nicht ausüben.

I[X.] Der [X.] kann nicht abschließend beurteilen, ob die Kündigung aus personenbedingten Gründen iSv. § 1 Abs. 2 [X.] sozial gerechtfertigt ist.

1. Das [X.] hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob eine negative Gesundheitsprognose im Zeitpunkt der Kündigung gerechtfertigt war.

2. Anhand der bisherigen Feststellungen lässt sich auch nicht beurteilen, ob die Kündigung deshalb unverhältnismäßig ist, weil die [X.]eklagte mangels Durchführung eines [X.] eine erweiterte Darlegungs- und [X.]eweislast im [X.]inblick auf andere [X.]eschäftigungsmöglichkeiten trifft.

a) Der Kläger war vor Ausspruch der Kündigung innerhalb eines Jahres länger als sechs [X.]ochen ununterbrochen krank. Damit war die [X.]eklagte gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 SG[X.] IX grundsätzlich verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement vorzunehmen. Das Erfordernis eines betrieblichen [X.] nach § 84 Abs. 2 SG[X.] IX besteht für alle Arbeitnehmer, nicht nur für behinderte Menschen ([X.] 12. Juli 2007 - 2 [X.] - Rn. 35, [X.] 123, 234).

b) Ein [X.] ist bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch dann durchzuführen, wenn keine betriebliche Interessenvertretung iSv. § 93 SG[X.] IX gebildet ist (FKS-SG[X.] IX-Feldes § 84 Rn. 41; v. [X.]oyningen-[X.]uene/[X.] [X.] 14. Aufl. § 1 Rn. 342; [X.] SG[X.] IX 4. Aufl. § 84 Rn. 84; Kossens/von der [X.]eide/[X.] SG[X.] IX 3. Aufl. § 84 Rn. 18; Trenk-[X.]interberger in [X.]K-SG[X.] IX 3. Aufl. § 84 Rn. 34; [X.] 2008, 244, 245; Zorn br 2006, 42, 43; LAG Schleswig-[X.]olstein 7. November 2005 - 4 [X.] - zu II 2 e der Gründe, br 2006, 170). Das ergibt die Auslegung von § 84 Abs. 1 SG[X.] IX. Die Durchführung eines [X.] ist weder unmöglich noch sinnlos, wenn eine betriebliche Interessenvertretung nicht besteht.

aa) Der [X.]ortlaut der [X.]estimmung erlaubt kein zweifelsfreies, eindeutiges Verständnis. Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SG[X.] IX klärt der Arbeitgeber dann, wenn [X.]eschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs [X.]ochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, mit der zuständigen Interessenvertretung iSv. § 93 SG[X.] IX, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und [X.]eteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder [X.]ilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten bleiben kann. Die Klärung hat danach zwar „mit der zuständigen Interessenvertretung“ zu erfolgen. Daraus kann aber nicht zwingend geschlossen werde, eine Klärung habe gar nicht zu erfolgen, wenn eine betriebliche Interessenvertretung nicht gebildet sei. Der [X.]ortlaut lässt sich ebenso gut dahin verstehen, dass dann, wenn eine solche besteht, die Klärung mit der Interessenvertretung und den übrigen [X.]eteiligten, anderenfalls nur mit den übrigen [X.]eteiligten vorzunehmen ist.

bb) Für dieses Verständnis sprechen systematische Gesichtspunkte. Auf der Tatbestandsseite des § 84 Abs. 2 Satz 1 SG[X.] IX ist als Voraussetzung für die Verpflichtung zur Durchführung eines [X.] nur formuliert, dass ein [X.]eschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs [X.]ochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig gewesen sein muss. Davon, dass eine betriebliche Interessenvertretung bestehen müsse, ist nicht die Rede. [X.]enn der Gesetzgeber ihre Existenz als notwendige Voraussetzung für die Verpflichtung zur Vornahme eines [X.] angesehen hätte, wäre stattdessen zu erwarten gewesen, dass er das an dieser Stelle deutlich zum Ausdruck bringt. [X.]inzu kommt, dass § 84 Abs. 2 SG[X.] IX zu demjenigen [X.] des SG[X.] IX gehört, welcher sonstige Pflichten der Arbeitgeber und Rechte schwerbehinderter Menschen normiert. Die in diesem Abschnitt geregelten [X.] sind vom [X.]estehen einer betrieblichen Interessenvertretung durchweg unabhängig. Aus § 93 SG[X.] IX ergibt sich nichts anderes. Die Vorschrift bestimmt, dass [X.]etriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- und Präsidialräte die Eingliederung schwerbehinderter Menschen fördern und insbesondere darauf achten, dass die dem Arbeitgeber nach §§ 71, 72 und §§ 81 bis 84 SG[X.] IX obliegenden Verpflichtungen erfüllt werden. Diese Aufgabe besteht im [X.]inblick auf die Verpflichtungen des Arbeitgebers aus § 84 Abs. 2 SG[X.] IX in gleicher [X.]eise wie für die nach den anderen genannten Vorschriften. Der Umstand, dass die Interessenvertretungen darauf achten sollen, dass der Arbeitgeber seinen Pflichten aus § 84 Abs. 2 SG[X.] IX nachkommt, spricht dafür, dass diese Pflichten als solche gerade unabhängig von der Existenz einer Interessenvertretung bestehen.

cc) Entscheidend sprechen Sinn und Zweck des § 84 Abs. 2 SG[X.] IX für ein Verständnis der Vorschrift, demzufolge ein [X.] auch dann durchzuführen ist, wenn eine betriebliche Interessenvertretung iSv. § 93 SG[X.] IX nicht besteht. Die Durchführung eines [X.] ist auch in diesem Fall möglich und geboten ([X.] in LPK-SG[X.] IX 3. Aufl. § 84 Rn. 48).

(1) Nach der [X.]egründung des [X.] sollen durch das [X.] krankheitsbedingte Kündigungen von Arbeitnehmern verhindert werden. Durch die gemeinsame Anstrengung aller [X.]eteiligten soll ein betriebliches Eingliederungsmanagement geschaffen werden, das durch geeignete Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft sichert ([X.]T-Drucks.15/1783 S. 16). Die Gesetzesbegründung nennt die betriebliche Interessenvertretung ausdrücklich nur als eine von mehreren [X.]eteiligten, mit denen eine gemeinsame Klärung möglicher Maßnahmen erfolgen soll, um kurzfristig [X.]eschäftigungshindernisse zu überwinden und den Arbeitsplatz durch Leistungen und [X.]ilfen zu erhalten ([X.]T-Drucks.15/1783 S. 12). Durch die dem Arbeitgeber gemäß § 84 Abs. 2 SG[X.] IX auferlegten besonderen Verhaltenspflichten soll damit möglichst frühzeitig einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses eines kranken Menschen begegnet und die dauerhafte Fortsetzung der [X.]eschäftigung erreicht werden ([X.] 12. Juli 2007 - 2 [X.] - Rn. 40, [X.] 123, 234). Ziel des [X.] ist - wie das der gesetzlichen Prävention nach § 84 Abs. 1 SG[X.] IX (vgl. dazu [X.]AG 4. Oktober 2005 - 9 [X.] - [X.] 116, 121) - die frühzeitige Klärung, ob und ggf. welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu fördern. Die in § 84 Abs. 2 SG[X.] IX genannten Maßnahmen dienen damit letztlich der Vermeidung einer Kündigung und der Verhinderung von Arbeitslosigkeit erkrankter und kranker Menschen ([X.] 12. Juli 2007 - 2 [X.] - Rn. 40, aaO).

(2) Die Verwirklichung des Gesetzeszwecks setzt nicht die Existenz einer betrieblichen Interessenvertretung voraus. Das gesetzliche Ziel ist auch dann sinnvoll und erreichbar, wenn eine betriebliche Interessenvertretung iSv. § 93 SG[X.] IX nicht gebildet ist. Das Gesetz beschreibt den im [X.]ege des [X.] durchzuführenden Klärungsprozess nicht als formalisiertes Verfahren, sondern lässt den [X.]eteiligten jeden denkbaren Spielraum ([X.] 10. Dezember 2009 - 2 [X.] - Rn. 18, EzA [X.] § 1 Krankheit Nr. 57). Die betriebliche Interessenvertretung ist dabei nur eine der vom Arbeitgeber nach § 84 Abs. 2 SG[X.] IX einzubeziehenden [X.]eteiligten. [X.]eteiligte des [X.] sind außer ihr der betroffene [X.]eschäftigte, soweit erforderlich zudem der [X.]erks- oder [X.]etriebsarzt und ferner die örtlichen gemeinsamen Servicestellen und ggf. das Integrationsamt, wenn Leistungen zur Teilhabe oder begleitende [X.]ilfen im Arbeitsleben in [X.]etracht kommen. Auch und gerade dann, wenn eine betriebliche Interessenvertretung iSv. § 93 SG[X.] IX nicht gebildet ist, ist ein [X.] zum Schutz betroffener Arbeitnehmer vor einer vermeidbaren krankheitsbedingten Kündigung geboten.

c) [X.]ar danach im Streitfall ein [X.] nicht mangels [X.]estehens einer betrieblichen Interessenvertretung entbehrlich, darf die [X.]eklagte als Arbeitgeberin aus ihrer dem Gesetz widersprechenden Untätigkeit keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile ziehen können (vgl. [X.] 12. Juli 2007 - 2 [X.] - Rn. 44, [X.] 123, 234). Dieser Grundsatz führt nicht dazu, dass der [X.] über die [X.]irksamkeit der Kündigung vom 15. Oktober 2007 abschließend entscheiden könnte.

aa) § 84 Abs. 2 SG[X.] IX stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Das [X.] ist zwar selbst kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung. Mit seiner [X.]ilfe können aber solche milderen Mittel, z[X.] die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die [X.]eiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen - ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ - Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden (vgl. [X.] 10. Dezember 2009 - 2 [X.]/08 - Rn. 18, AP [X.] 1969 § 1 Krankheit Nr. 48 = EzA [X.] § 1 Krankheit Nr. 56; 23. April 2008 - 2 [X.] - Rn. 25, EzA [X.] § 1 Krankheit Nr. 55; 12. Juli 2007 - 2 [X.] - Rn. 41, [X.] 123, 234). Möglich ist, dass auch ein [X.] kein positives Ergebnis hätte erbringen können. Sofern dies der Fall ist, kann dem Arbeitgeber aus dem Unterlassen eines [X.] kein Nachteil entstehen. [X.]äre ein positives Ergebnis dagegen möglich gewesen, darf sich der Arbeitgeber nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine [X.] Arbeitsplätze, die der erkrankte Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung ausfüllen könne. Er hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer (außergerichtlich) bereits genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch die [X.]eschäftigung auf einem anderen - [X.] - Arbeitsplatz ausscheiden ([X.] 10. Dezember 2009 - 2 [X.]/08 - Rn. 19, aaO). Dies geht über die Darlegungslast des Arbeitgebers für das Nichtbestehen einer anderen [X.]eschäftigungsmöglichkeit nach allgemeinen Grundsätzen hinaus. Erst nach einem solchen Vortrag ist es Sache des Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen, wie er sich selbst eine leidensgerechte [X.]eschäftigung vorstellt.

bb) Die Darlegungs- und [X.]eweislast dafür, dass ein [X.] deswegen entbehrlich war, weil es wegen der gesundheitlichen [X.]eeinträchtigungen des Arbeitnehmers unter keinen Umständen ein positives Ergebnis hätte bringen können, trägt der Arbeitgeber. Die objektive Nutzlosigkeit eines [X.] führt zu einer Einschränkung der nach § 84 Abs. 2 SG[X.] IX bestehenden Pflicht des Arbeitgebers zu dessen Durchführung. Es obliegt daher dem Arbeitgeber, die tatsächlichen Umstände im Einzelnen darzulegen und zu beweisen, aufgrund derer ein [X.] wegen der gesundheitlichen [X.]eeinträchtigungen des Arbeitnehmers kein positives Ergebnis hätte erbringen können. Dazu muss er umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung und Veränderung möglich war und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können.

cc) Dazu, ob ein [X.] aufgrund der gesundheitlichen [X.]eeinträchtigungen des [X.] ohnehin keine andere [X.]eschäftigungsmöglichkeit erbracht hätte, hat die [X.]eklagte bislang nicht vorgetragen. Da das [X.] diesen Gesichtspunkt nicht als entscheidungserheblich angesehen hat, ist ihr Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben.

(1) Die [X.]eklagte hat bisher nicht hinreichend dargelegt, dass weder eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung des bisherigen Arbeitsplatzes des [X.] noch sein Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit möglich gewesen sei. Es fehlt insbesondere an hinreichend konkretem Vortrag dazu, dass auch die Schaffung eines [X.] Arbeitsplatzes durch Umstrukturierung der betrieblichen Abläufe ausgeschlossen gewesen sei. Der bloße Verweis auf betriebsablauforganisatorische Störungen im [X.]aubereich genügt hierfür nicht. [X.]as die mögliche [X.]eschäftigung des [X.] auf einem anderen Arbeitsplatz betrifft, hat die [X.]eklagte mit [X.]lick auf ihr Material- und [X.] in [X.] lediglich vorgetragen, leidensgerechte Tätigkeiten in der Materialverwaltung gebe es dort nicht und auch bei den Tätigkeiten im [X.]ereich Disposition/Lager/[X.]erkstatt handele es sich um körperlich schwere Arbeiten. [X.]elche Tätigkeiten in [X.] im Einzelnen anfallen und warum eine für den Kläger leidensgerechte Umstrukturierung der Arbeitsabläufe nicht möglich gewesen ist, lässt sich ihrem Vorbringen nicht entnehmen.

(2) Der [X.]eklagten ist durch Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben. Zwar hat sich der Kläger durchgängig auf die Erforderlichkeit eines [X.] und die daraus folgende Erweiterung der Darlegungs- und [X.]eweislast der [X.]eklagten berufen. Das [X.] hat die [X.]en aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es seiner Auffassung nach auf die Erforderlichkeit eines [X.] nicht ankomme. Es ist nicht auszuschließen, dass die [X.]eklagte im [X.]inblick hierauf von weiterem Vortrag abgesehen hat.

        

    Kreft    

        

    [X.]erger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Dr. Roeckl    

        

    [X.]aerbaum    

                 

Meta

2 AZR 88/09

30.09.2010

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Cottbus, 17. April 2008, Az: 6 Ca 2191/07, Urteil

§ 84 Abs 2 SGB 9

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.09.2010, Az. 2 AZR 88/09 (REWIS RS 2010, 2783)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2783

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 AZR 565/14 (Bundesarbeitsgericht)

Krankheitsbedingte Kündigung - betriebliches Eingliederungsmanagement


7 AZR 394/17 (Bundesarbeitsgericht)

Fluguntauglichkeit - Auflösende Bedingung - Kündigung - Betriebliches Eingliederungsmanagement


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