Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.11.2019, Az. 1 StR 247/19

1. Strafsenat | REWIS RS 2019, 1571

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Gegenstand

Umsatzsteuerhinterziehung: Strafzumessungskriterien bei Beteiligung an Umsatzsteuerhinterziehungssystemen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 29. November 2018 im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen 15 bis 29 der Urteilsgründe sowie im [X.] aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben bestehen.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

[X.]

2

Das [X.] hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

Der Angeklagte baute ab dem [X.] - möglicherweise unter Mitwirkung weiterer Personen - ein aus verschiedenen Firmen bestehendes System auf, dessen Zweck die Hinterziehung von Umsatzsteuern war. Im Zentrum des „Umsatzsteuerbetrugssystems" im Tatzeitraum von Januar 2012 bis Dezember 2016 standen die [X.] (im Folgenden: [X.]  ) und die [X.] (im Folgenden: [X.]  ), die beide zumindest zeitweise auch eine unternehmerische Tätigkeit im IT-Bereich ausübten. An beiden Firmen hielt der Angeklagte - hinsichtlich der [X.]über eine weitere von ihm vertretene Gesellschaft - Geschäftsanteile und nahm auf sie als faktischer Geschäftsführer unmittelbaren Einfluss. Bei der [X.]   war er zudem im Tatzeitraum überwiegend auch eingetragener Geschäftsführer.

4

An dem „Umsatzsteuerbetrugssystem“ waren sog. „Lieferantenfirmen“ aus dem Inland und [X.] Ausland beteiligt, über die der Angeklagte ebenfalls zumindest die faktische Kontrolle ausübte. Für diese wurden in Geldnot befindliche Personen - überwiegend aus [X.] und [X.] - angeworben, entweder Firmen neu zu gründen und anzumelden oder bestehende Gesellschaften aufzukaufen und weiterzuführen. Diesen Personen war dabei jeweils bewusst, dass es sich um illegale Geschäfte handeln könnte. Eine unternehmerische Tätigkeit entfalteten diese Gesellschaften beziehungsweise Einzelunternehmen jeweils nicht. Unter ihrem Namen wurden auf Veranlassung des Angeklagten lediglich Scheinrechnungen ausgestellt; den darin dokumentierten Geschäftsvorgängen lagen entweder keine Warenlieferungen zu Grunde oder die Warenlieferungen waren zuvor über Scheinfirmen ohne Belastung mit Umsatzsteuer beschafft worden und wurden sodann weiter fakturiert. Schließlich bediente sich der Angeklagte mehrerer Gesellschaften mit Sitz im [X.] Ausland, um steuerfreie Ausfuhrlieferungen gegenüber dem Finanzamt vorzutäuschen.

5

Das „Umsatzsteuerbetrugssystem“ basierte darauf, dass die [X.]   und die [X.]auf Veranlassung des Angeklagten jeweils Eingangsrechnungen der „Lieferantenfirmen“ in ihren Buchhaltungen ablegten, obwohl der Angeklagte wusste, dass diese die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt nicht ordnungsgemäß erklärt beziehungsweise die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer ihrerseits wiederum durch Vorsteuern aus Scheinrechnungen ihrer „Lieferanten“ kompensiert hatten. Gleichwohl machte der Angeklagte selbst oder die von ihm eingesetzten Scheingeschäftsführer auf seine Veranlassung die Vorsteuer aus den Eingangsrechnungen gegenüber dem Finanzamt im vorgenannten Tatzeitraum zu Unrecht geltend. Auch die [X.]   selbst wurde - neben dem regulären Geschäftsbetrieb - eingesetzt, um Umsatzsteuern zugunsten der [X.]zu hinterziehen.

6

Gegenüber der [X.]   wiesen zwölf Scheinfirmen Umsatzsteuer in Scheinrechnungen aus. Dadurch verkürzte der Angeklagte im Rahmen der abgegebenen [X.] 2012 bis 2015 sowie der Voranmeldungen im Jahr 2016 Umsatzsteuern durch [X.] von Vorsteuern aus fingierten Eingangsrechnungen (Fälle 1 bis 14 der Urteilsgründe). Das [X.] geht insofern von einer Steuerhinterziehung in Höhe von insgesamt 2.264.730,98 Euro aus.

7

Gegenüber der [X.]wiesen sechs Scheinfirmen sowie die [X.]   Umsatzsteuer in Scheinrechnungen aus; der auf die [X.]   entfallende Anteil belief sich dabei auf 2.479.590,97 Euro. Dadurch verkürzte der Angeklagte im Rahmen der abgegebenen [X.] 2013 bis 2015 sowie der Voranmeldungen im Jahr 2016 Umsatzsteuern (Fälle 15 bis 29 der Urteilsgründe); die [X.] aus den Scheinrechnungen der [X.]   flossen in sämtliche verfahrensrelevanten [X.] beziehungsweise Voranmeldungen im Wege des Vorsteuerabzugs ein. Das [X.] geht insofern von einem Steuerverkürzungsbetrag von insgesamt 4.124.997,82 Euro aus.

I[X.]

8

Das Urteil hält im Strafausspruch teilweise der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.

9

1. Das [X.] hat in Bezug auf die Fälle 15 bis 29 der Urteilsgründe bei der Strafzumessung den inneren Zusammenhang zwischen Scheinrechnungen und den aus ihnen vorgenommenen Vorsteuerabzügen rechtsfehlerhaft nicht ausreichend in den Blick genommen. Dies stellt einen [X.] im Hinblick auf den Hinterziehungsumfang dar, der zur Aufhebung der hiervon betroffenen [X.] nötigt.

a) In Bezug auf [X.] ist, wenn hinsichtlich derselben ([X.] mehrfach Umsatzsteuer hinterzogen wurde, im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass das Steueraufkommen des [X.] Fiskus nicht in der Summe der Hinterziehungen der am [X.] beteiligten Firmen, sondern nur im Umfang des jeweils höheren Hinterziehungsbetrages geschädigt wurde (st. Rspr.; vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 12. Oktober 2016 - 1 [X.] Rn. 22 mwN). Der Schaden, der sich aus den unrichtigen Erklärungen des einen Kettenglieds ergibt, setzt sich im Verhalten der nachfolgenden Glieder nur fort und vergrößert sich allenfalls ([X.], Beschluss vom 11. Dezember 2002 - 5 [X.] Rn. 3 f.; Urteil vom 11. Juli 2002 - 5 [X.] Rn. 25 ff., [X.]St 47, 343, 353 f.).

b) Demgemäß hätte die [X.] vorliegend nur den aus dem Gesamtsystem erwachsenen deliktischen Hinterziehungsbetrag berücksichtigen dürfen. Die [X.]   hatte eine Doppelfunktion inne und fungierte einerseits als „Buffer“, der unberechtigt Vorsteuern abgezogen hat, und andererseits ermöglichte sie als Rechnungsstellerin den unberechtigten Vorsteuerabzug der [X.]  . Die in den Scheinrechnungen an die [X.]ausgewiesene Umsatzsteuer wurde - zumindest teilweise - bereits durch Vorsteuern aus Scheinrechnungen der „Lieferantenfirmen“ an die [X.]   kompensiert. Insoweit findet die Hinterziehung schon im Rahmen der Strafzumessung der Taten Berücksichtigung, die der Angeklagte in seiner Funktion als (faktischer) Geschäftsführer der [X.]   begangen hat. Der durch die [X.]   verursachte Schaden hat sich mithin - soweit diese Scheinrechnungen an die [X.]ausgestellt hat - im Schaden der [X.]lediglich fortgesetzt.

c) Diesen Zusammenhang zwischen dem zweimaligen unberechtigten Vorsteuerabzug (zunächst zugunsten der [X.]   und nachfolgend zugunsten der [X.]  ) hat das [X.] bei der Strafzumessung nicht ausreichend zugunsten des Angeklagten berücksichtigt und ist in der Folge hinsichtlich der [X.] über die [X.]jeweils von einem zu hohen Schuldumfang ausgegangen. Zwar führt die [X.] unter Bezugnahme auf die insofern einschlägige Rechtsprechung des [X.] im Ansatz und mit Blick auf den Vorsatz des Angeklagten, dem Struktur und Funktionsweise des Gesamtsystems bekannt waren, zutreffend aus, dass im Rahmen der Strafzumessung (nur) der daraus insgesamt erwachsene deliktische Schaden zu berücksichtigen sei, der in dem Überschuss von gezogener Vorsteuer im Vergleich zu gezahlter Umsatzsteuer bestehe ([X.]). Diesen durch das System - per saldo - verursachten Gesamtsteuerschaden aus dem Vergleich zwischen gezahlter Umsatzsteuer und gezogener Vorsteuer hätte es jedoch in der Konsequenz konkret ermitteln und in die Strafzumessung einstellen müssen (vgl. [X.]/[X.], [X.], 189, 193; Rolletschke, [X.] 2009, 455, 456; Raum in [X.]/[X.]/ [X.], Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 5. Aufl., [X.]. 4 Rn. 163 ff., 180). Dies unterbleibt jedoch.

2. Die in den Fällen 15 bis 29 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen können daher keinen Bestand haben. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass die Festsetzung der Einzelstrafen auf diesem Rechtsfehler beruht. Die teilweise Aufhebung der [X.] entzieht auch dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.

Demgegenüber sind die dem Urteil insoweit zugrundeliegenden Feststellungen von dem aufgezeigten [X.] nicht betroffen und haben daher Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann insofern weitere, mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen.

Raum     

        

Fischer     

        

Bär     

        

Leplow     

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 247/19

14.11.2019

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Krefeld, 29. November 2018, Az: 24 KLs 1/18

§ 370 AO, § 1 UStG, §§ 1ff UStG, § 46 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.11.2019, Az. 1 StR 247/19 (REWIS RS 2019, 1571)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1571

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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27 V - 42 Js 161/00 - 3/02 (Landgericht Bonn)


Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 270/21

Zitiert

1 StR 210/16

Zitieren mit Quelle:
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