Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.07.2022, Az. 1 StR 134/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 5788

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Gegenstand

Umsatzsteuerhinterziehung durch Falschangaben über Erwerber in anderen europäischen Mitgliedstaaten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. August 2021

a) im Fall 12 der Urteilsgründe,

b) im Strafausspruch in den [X.], 7 und 8 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch

mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zu den Eingangsrechnungen bleiben aber aufrechterhalten.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Hiervon gelten vier Monate Freiheitsstrafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt. Gegen seine Verurteilung richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. a) Nach den Feststellungen des [X.]s war der Angeklagte im Tatzeitraum von September 2011 bis Oktober 2012 Alleingesellschafter und Geschäftsführer der in B.    ansässigen [X.] Dieses Unternehmen handelte mit Fernsehern. Abweichend von diesen tatsächlichen Lieferbeziehungen wurde ein groß angelegtes Netz von Scheinrechnungsschreibern und -empfängern im Inland und im Ausland installiert, um auf diese Weise Zugang zu günstigerer Ware zu erhalten. Das vom Angeklagten geführte Unternehmen war als sogenannter „buffer“ in dieses System eingebunden. Im vorgenannten Tatzeitraum machte der Angeklagte gegenüber den zuständigen Finanzbehörden unrichtige und unvollständige Angaben zur Höhe der zu zahlenden Umsatzsteuer in den jeweiligen monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen.

3

Dabei erklärte der Angeklagte in den jeweiligen [X.] im Tatzeitraum in den [X.] bis 11 und 13 der Urteilsgründe einerseits Vorsteuern aus Scheinrechnungen verschiedener nicht am Markt aktiver Unternehmen im Inland. Andererseits lagen den [X.] in den [X.] bis 12 der Urteilsgründe daneben auch Angaben zu Lieferungen an Scheinfirmen innerhalb der [X.] zu Grunde, die unter missbräuchlicher Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach § 6a UStG als umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen angemeldet wurden. Im Fall 12 der Urteilsgründe machte der Angeklagte sogar ausschließlich solche Steuerbefreiungen für Ausgangslieferungen geltend. Insgesamt errechnete sich durch alle [X.] eine verkürzte Umsatzsteuer von 2.269.158,04 Euro.

4

b) Das [X.] hat sich davon überzeugt, dass der Angeklagte die Einbindung seines Unternehmens in ein Umsatzsteuerkarussell sowohl bei dem Abschluss der [X.] sowie beim Empfang und der Ausgabe der jeweiligen Rechnungen als auch bei der Veranlassung der unrichtigen Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen billigend in Kauf nahm. Im Rahmen der Strafzumessung geht das [X.] hinsichtlich des zu berücksichtigenden [X.] nicht vom vollen [X.], sondern von einem „deliktischen Schaden“ ([X.] f.) in Höhe von 1.527.517,17 Euro aus, den es dadurch errechnet hat, dass mit Blick auf die Summe der Eingangsrechnungen und die Summe der Ausgangsrechnungen der GmbH in den jeweiligen Zeiträumen für die Anmeldung der Umsatzsteuer dem Angeklagten nur die jeweils höhere Hinterziehungssumme zur Last gelegt wird.

5

2. Die Revision ist teilweise begründet.

6

a) Die Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 74 Abs. 1 Satz 1 StPO im Blick auf die Zurückweisung des (zweiten) Ablehnungsgesuchs des Angeklagten gegen den durch das Gericht hinzugezogenen Sachverständigen ist aus den zutreffenden Erwägungen des [X.]s in seinem Ablehnungsbeschluss vom 13. August 2021 jedenfalls unbegründet.

7

b) Das Urteil hält einer sachlich-rechtlichen Überprüfung im Fall 12 der Urteilsgründe und darüber hinaus teilweise in der Strafzumessung nicht stand:

8

Das [X.] hat dem Angeklagten das Nichterklären von Umsatzsteuer auf der Ausgangsseite zur Last gelegt, weil er die wahren Abnehmer im Inland verschwieg und Erwerber in anderen [X.] Mitgliedstaaten vortäuschte. Dies setzt aber voraus, dass der Angeklagte tatsächlich Waren im eigenen Namen an andere Abnehmer im Inland veräußerte (vgl. dazu nur [X.] in [X.], [X.], 15. Aufl., § 370 Rn. 377); dazu ist erforderlich, dass er selbst anderen die Verfügungsmacht über Waren verschaffen konnte (§ 3 Abs. 1 UStG). Dass der Angeklagte Waren in diesem Sinne umsetzte, ist weder (ausdrücklich) festgestellt noch dem Urteil in seinem Gesamtzusammenhang zu entnehmen. Es ist vielmehr naheliegend, dass die Initiatoren der [X.] den Angeklagten insoweit als Scheinlieferanten vorschoben (vgl. insbesondere [X.]). Wenn der Angeklagte insoweit keine Waren lieferte, fehlt es an einem steuerbaren Umsatz. Falschangaben über angebliche Erwerber in anderen [X.] Mitgliedstaaten wären dann bedeutungslos; denn der Angeklagte stellte keine Scheinrechnungen mit Umsatzsteuer aus und gab folglich solche auch nicht aus (vgl. § 14c Abs. 2 Satz 2 Alternative 2, § 13a Abs. 1 Nr. 4, § 13 Abs. 1 [X.] UStG; vgl. im Übrigen zu den abweichenden Konstellationen, in denen der Unternehmer die Ware tatsächlich in einen anderen Mitgliedstaat der [X.] liefert, aber den wahren Abnehmer verschweigt: [X.], Urteil vom 16. Januar 2020 – 1 StR 89/19, [X.]St 64, 252, Rn. 16-20 zu § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. a, b, [X.], Abs. 3 UStG mit weiteren umfangreichen Nachweisen). Dieser Rechtsfehler hat folgende Auswirkungen:

9

aa) Da im Fall 12 der Urteilsgründe die Verurteilung ausschließlich auf die unberechtigte Inanspruchnahme der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen gestützt ist, nicht aber auf die unberechtigte Geltendmachung von Vorsteuer, kann der Schuldspruch insoweit keinen Bestand haben.

bb) In den [X.], 7 und 8 der Urteilsgründe hat das [X.] bei der Strafzumessung wegen der aufgezeigten [X.] nicht ausschließbar einen zu hohen Schuldumfang bei der konkreten Bemessung der jeweiligen Einzelstrafen zu Grunde gelegt. Auch insoweit könnte der Angeklagte Umsatzsteuern allein durch unberechtigte Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs aus Scheinrechnungen hinterzogen haben. Das [X.] hat aber bei seiner konkreten Strafzumessung gleichwohl die höheren Beträge aus den von ihm angenommenen steuerpflichtigen [X.] berücksichtigt. Insoweit kann der Senat daher – auch im Blick auf die vom [X.] ([X.]) am jeweiligen Hinterziehungsbetrag orientierten Festsetzungen der Einzelstrafen – nicht ausschließen, dass das [X.] bei zutreffender Rechtsanwendung zu niedrigeren Einzelstrafen gelangt wäre.

cc) Die Aufhebung der Verurteilung im Fall 12 und der drei vorgenannten Einzelstrafen bedingen die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Sämtliche zugehörigen Feststellungen sind aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht hierzu widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Die Feststellungen zu den Eingangsrechnungen der GmbH können aber aufrechterhalten bleiben, da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt werden. Inwieweit die [X.] ihrerseits Lieferungen ausführte und diese gegebenenfalls steuerpflichtig waren, bedarf neuer Feststellungen.

c) Im Übrigen hat das Urteil Bestand.

aa) Soweit das [X.] den Angeklagten hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldungen in den [X.] bis 11 und 13 der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 [X.] verurteilt hat, ist der Schuldspruch frei von [X.]. Denn in diesen Fällen machte der Angeklagte jeweils die in den Scheinrechnungen der rechnungsschreibenden Firmen ausgewiesene Umsatzsteuer als abziehbare Vorsteuer geltend. Zu einem Vorsteuerabzug war der Angeklagte nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG aber nicht berechtigt. Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des [X.]s waren die jeweiligen Rechnungsschreiber keine leistenden Unternehmer (§ 2 Abs. 1 UStG), weil sie tatsächlich nicht über die Waren verfügten. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die [X.] Lieferungen von [X.] bezog, da sie diesbezüglich jedenfalls nicht über die nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug erforderlichen Rechnungen verfügte.

bb) In den [X.], 2, 4 bis 6, 9 bis 11 und 13 der Urteilsgründe hat das [X.] der Strafzumessung jeweils nur die rechtsfehlerfrei festgestellten unberechtigt abgezogenen Vorsteuerbeträge zu Grunde gelegt. Daher sind die zugehörigen Einzelstrafen vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht beeinflusst.

Jäger     

      

Fischer     

      

Bär     

      

Leplow     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 134/22

26.07.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 30. August 2021, Az: 536 KLs 4/19

§ 370 Abs 1 AO, § 3 Abs 1 UStG, § 6a Abs 1 UStG, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.07.2022, Az. 1 StR 134/22 (REWIS RS 2022, 5788)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5788

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 14/23

1 StR 22/23

Zitiert

1 StR 89/19

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