Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.12.2011, Az. II R 52/09

2. Senat | REWIS RS 2011, 530

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nachforderungsbescheid gegen einen Versicherer - Beginn der Festsetzungsfrist - Hemmung der Verjährung


Leitsatz

NV: Mit einem Nachforderungsbescheid gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 AO gegen den Versicherer wegen Versicherungsteuer macht die Finanzbehörde materiell-rechtlich einen Haftungsanspruch geltend. Wegen der Akzessorietät des Haftungsanspruchs ist der Erlass eines Nachforderungsbescheids nur rechtmäßig, wenn die Steuerschuld, für die der Versicherer als Entrichtungsschuldner haftet, entstanden ist und noch besteht.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Versicherungsgesellschaft, vertreibt [X.]. Am 15. Februar 2001 gab sie eine Versicherungsteueranmeldung für Januar 2001 ab. Darin behandelte sie die [X.], die auf die in den [X.]n enthaltenen Krankenversicherungen entfielen, als steuerfrei nach § 4 Nr. 5 des Versicherungsteuergesetzes in der hier maßgebenden Fassung ([X.]).

2

Im Rahmen einer am 17. Mai 2005 begonnenen Außenprüfung für den Zeitraum 2001 bis 2004 vertrat das damals zuständige Finanzamt ([X.]) die Auffassung, die in den Versicherungsprämien enthaltenen Entgelte für die Krankenversicherung seien nicht nach § 4 Nr. 5 [X.] von der Besteuerung ausgenommen. Denn bei einem Reiseversicherungspaket handele es sich um ein jeweils einheitliches Versicherungsverhältnis. Am 25. Juli 2007 erließ das [X.] gegenüber der Klägerin für Januar 2001 einen Versicherungsteuerbescheid, in dem es die für [X.] gezahlten Versicherungsprämien insgesamt als steuerpflichtig beurteilte.

3

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) war der Auffassung, das [X.] habe zu Recht die Versicherungsteuer für Januar 2001 mit Nachforderungsbescheid gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung ([X.]) geltend gemacht. Erforderlich hierfür sei, dass der Tatbestand der Haftungsnorm, hier des § 7 Abs. 1 [X.], erfüllt sei. Diese Voraussetzung liege im Streitfall vor. Das [X.] sei auch nicht aufgrund Festsetzungsverjährung am Erlass des Nachforderungsbescheids gehindert gewesen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 184 veröffentlicht.

4

Aufgrund der Änderung des § 7a [X.] durch Art. 10 Nr. 3 des Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform vom 10. August 2009 ([X.], 2702) ist der Beklagte und Revisionsbeklagte (das [X.]) für die Versicherungsteuer zuständig geworden und damit zum 1. Juli 2010 ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel eingetreten.

5

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O), § 167 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 155 Abs. 1 [X.] und § 4 Nr. 5 [X.]. Das [X.] habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt. Denn es habe nicht den Inhalt des im finanzgerichtlichen Verfahren eingereichten Produktbuchs berücksichtigt. Ferner seien die Voraussetzungen für den Erlass eines Nachforderungsbescheids gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht erfüllt. Der Nachforderung stehe § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 [X.] entgegen, weil die Steuerschuld der Versicherungsnehmer festsetzungsverjährt gewesen sei. Zu Unrecht habe das [X.] schließlich die für [X.] gezahlten Prämien auch insoweit der Versicherungsteuer unterworfen, als sie auf Krankenversicherungen entfielen.

6

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Versicherungsteuerbescheid vom 25. Juli 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2008 dahingehend zu ändern, dass die Versicherungsteuer für Januar 2001 auf 164.348,69 € herabgesetzt wird.

7

Das BZSt beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

8

Das [X.] hat mit [X.] vom 18. November 2010 den Beitritt zum Verfahren nach § 122 Abs. 2 [X.]O erklärt.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung sowie zur Festsetzung der Versicherungsteuer für Januar 2001 auf 164.348,69 € (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O).

1. Entgegen der Ansicht des [X.] war bei Ergehen des [X.] vom 25. Juli 2007 für die Versicherungsteuer für Januar 2001 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten.

a) Ist eine Steuer aufgrund gesetzlicher Verpflichtung anzumelden (§ 150 Abs. 1 Satz 3 [X.]), so ist gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 [X.] eine Festsetzung der Steuer nach § 155 [X.] nur erforderlich, wenn die Festsetzung zu einer abweichenden Steuer führt oder der Steuer- oder [X.] die Steueranmeldung nicht abgibt.

§ 167 Abs. 1 Satz 1 [X.] begründet in der Auslegung durch die Rechtsprechung ein Wahlrecht für die Finanzbehörde, den [X.] entweder durch Haftungsbescheid oder durch Steuerbescheid in Anspruch zu nehmen, wenn dieser seine Anmeldepflicht nicht erfüllt hat (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 18. März 2009 [X.]/08, [X.], 1237, m.w.N.). Der Erlass eines [X.] ändert allerdings nichts daran, dass durch diesen materiell-rechtlich ein Haftungsanspruch geltend gemacht wird. Die Steuerfestsetzung nach § 167 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 155 [X.] erfasst damit denjenigen, der die Steuer als Entrichtungssteuerschuldner nicht angemeldet hat, gerade in seiner Funktion als [X.] (vgl. [X.] in [X.], 1237, m.w.N.).

Das hat zur Folge, dass die tatbestandlichen Erfordernisse der materiell-rechtlichen Haftungsnorm zu beachten sind (vgl. BFH-Urteil vom 13. September 2000 [X.]/99, [X.], 286, [X.] 2001, 67, zu § 44 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes). Wegen der Akzessorietät des [X.] ist hierfür im Regelfall weiter erforderlich, dass auch die Steuerschuld, für die gehaftet werden soll, entstanden ist und noch besteht (vgl. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1996 [X.], [X.], 392, [X.] 1997, 171; vgl. auch [X.]/[X.], [X.], 190, 192). Ist der Steueranspruch durch Verjährung erloschen (§ 47 [X.]), kann ein Haftungsanspruch nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. [X.] vom 11. Juli 2001 [X.], [X.], 510, [X.] 2002, 267). Dementsprechend kann gegenüber dem Versicherer ein Nachforderungsbescheid nicht mehr ergehen, wenn der Steueranspruch gegenüber dem Versicherungsnehmer festsetzungsverjährt ist.

b) Im Streitfall waren am 25. Juli 2007 die Voraussetzungen für den Erlass eines [X.] gegenüber der Klägerin nicht erfüllt. Zu diesem Zeitpunkt war für die im Jahr 2001 entstandene Versicherungsteuerschuld der Versicherungsnehmer bereits Festsetzungsverjährung eingetreten.

aa) Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist Steuerschuldner der Versicherungsnehmer. Der Versicherer haftet für die Steuer (§ 7 Abs. 1 Satz 2 [X.]) und hat die Steuer für Rechnung des Versicherungsnehmers zu entrichten (§ 7 Abs. 1 Satz 3 [X.]). Nach § 8 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 [X.] hat der Versicherer innerhalb von fünfzehn Tagen nach Ablauf eines jeden [X.] eine eigenhändig unterschriebene Steuererklärung abzugeben, in der er die im [X.] entstandene Steuer selbst zu berechnen hat (Steueranmeldung), und die im [X.] entstandene Steuer zu entrichten. Ist eine Steueranmeldung einzureichen, beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] die Festsetzungsfrist grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steueranmeldung eingereicht wird. Die Abgabe der Versicherungsteueranmeldung ist auch für den Beginn der Festsetzungsfrist der Steuerschuld des Versicherungsnehmers das nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] maßgebliche Ereignis (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 2003 [X.], [X.], 1, [X.] 2003, 687; [X.] vom 10. Februar 2009 [X.]/08, nicht veröffentlicht, jeweils zur Kapitalertragsteuer).

bb) Vorliegend hat die Klägerin am 15. Februar 2001 für Januar 2001 eine Versicherungsteueranmeldung abgegeben. Die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.]) begann nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] mit Ablauf des Jahres 2001 zu laufen und endete somit mit Ablauf des Jahres 2005. Die Versicherungsteuer für Januar 2001 war daher gegenüber den Versicherungsnehmern zum Zeitpunkt des Erlasses des [X.] am 25. Juli 2007 festsetzungsverjährt. Unerheblich ist, dass vor Ablauf der Festsetzungsfrist am 17. Mai 2005 bei der Klägerin mit einer Außenprüfung begonnen worden ist. Denn der Ablauf der Festsetzungsfrist gegenüber dem Versicherungsnehmer wird durch eine Außenprüfung beim Versicherer nicht nach § 171 Abs. 4 Satz 1 [X.] gehemmt (vgl. BFH-Urteil vom 1. Dezember 1995 [X.], [X.], 312, [X.] 1996, 239, zur Lohnsteuer; vgl. allgemein hierzu [X.] in Tipke/ [X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 171 [X.] Rz 57, jeweils m.w.N.).

2. Da das [X.] eine andere Auffassung vertreten hat, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Versicherungsteuer für Januar 2001 ist dem Antrag der Klägerin entsprechend festzusetzen. Auf die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge braucht danach nicht eingegangen zu werden (BFH-Urteil vom 1. Juli 2008 II R 71/06, [X.], 63, [X.] 2008, 874, unter [X.]).

Meta

II R 52/09

13.12.2011

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend FG Hamburg, 27. August 2009, Az: 2 K 12/09, Urteil

§ 47 AO, § 150 Abs 1 S 3 AO, § 155 AO, § 167 Abs 1 S 2 AO, § 169 Abs 2 S 1 Nr 2 AO, § 170 Abs 2 S 1 Nr 1 AO, § 171 Abs 4 S 1 AO, § 7 Abs 1 VersStG, § 8 Abs 1 Nr 1 VersStG, § 8 Abs 1 Nr 2 VersStG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.12.2011, Az. II R 52/09 (REWIS RS 2011, 530)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 530

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II R 26/10 (Bundesfinanzhof)

(Versicherungsteuerrechtliche Behandlung des Krankenversicherungsanteils in Reiseversicherungspaketen - Steuerbefreiung bei mehrere Gefahren abdeckenden Versicherungen - Notwendigkeit …


II R 18/12 (Bundesfinanzhof)

Versicherungsteuerbefreiung für Sportinvaliditätsversicherung - Anforderungen an den Inhalt eines Nachforderungsbescheids über Versicherungsteuer


V R 24/20 (Bundesfinanzhof)

Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers als Steuerschuldner


II R 53/11 (Bundesfinanzhof)

Versicherungsteuerpflicht einer Garantieversicherung für Industrieanlage im Ausland - Einschränkung des Revisionsantrags gegenüber dem bisherigen Klagebegehren


II R 1/15 (Bundesfinanzhof)

Verkaufsaufschlag als Teil des Versicherungsentgelts


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.