Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.11.2012, Az. X ZR 14/12

X. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1552

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 14/12
Verkündet am:

13. November 2012

Wermes

Justizamtsinspektor

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
-
2
-
Der X. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 2012 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr.
Meier-Beck, die Richterin [X.] und [X.], Dr.
Grabinski und Hoffmann
für
Recht erkannt:
Die Revision gegen das am 5.
Januar 2012 verkündete Urteil der 24.
Zivilkammer des [X.] wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger begehren jeweils eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600

gemäß § 7 Abs. 1 Buchst. [X.] ([X.]) Nr. 261/2004 des [X.] und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs-
und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr.
295/2001, [X.]. Nr. L 46 S. 1 (nachfolgend: Fluggastrechteverordnung

[X.]), pauschalen Schadenersatz von jeweils 20

Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Die Kläger buchten bei der [X.], einem Luftverkehrsunternehmen mit Sitz im Sultanat [X.], einen Flug von [X.] nach [X.] über [X.] und zurück. Der Hinflug von [X.] nach [X.] mit der Flugnummer

erfolgte planmäßig. In [X.] traten die Kläger den
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Anschlussflug mit der Flugnummer

nach [X.] an, der jedoch
erst

rund 8
Stunden später als vorgesehen
startete, so dass die Fluggäste etwa
8
Stunden später als geplant in [X.] eintrafen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Berufungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klage sei entgegen der Auffassung des Amtsgerichts zulässig. Die internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichtsbarkeit ergebe sich aus §
29 ZPO. Erfüllungsort im Sinne dieser Vorschrift für die geltend gemachten [X.] nach der Fluggastrechteverordnung sei nach dem Rechtsgedanken des Art.
5 Nr.
1 Buchst. b zweiter Spiegelstrich der Verordnung ([X.]) Nr.
44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil

und Handelssachen vom 22.
Dezember 2000 ([X.]. [X.] 2001 Nr. L
12
S.
1) (nachfolgend: [X.]) auch der vereinbarte [X.] in [X.]. Dies gelte, auch wenn die Verspätung sich nicht am vertragsgemäßen [X.], sondern erst im Rahmen eines Anschlussflugs an einem anderen Ort ereignet habe.
Allerdings sei der Anspruch nicht begründet, da die Fluggastrechtever-ordnung auf
die vorliegende Fallkonstellation nicht anwendbar sei. Die Kläger hätten den verspäteten Flug in [X.] und damit nicht auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedsstaats der [X.] angetreten. Auf den origi-nären vertragsgemäßen [X.] in [X.] könne nicht abgestellt 3
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werden, da die Kläger den Flug von [X.] nach [X.] mit einem anderen Flugzeug und unter anderer Flugnummer als den Flug von [X.] nach [X.] hätten antreten sollen und es sich damit um zwei separate
Flüge im Sinne der Fluggastrechteverordnung gehandelt habe. Dass beide Flüge ge-meinsam gebucht und jeweils von der [X.] durchgeführt worden seien, sei nicht von Bedeutung. Auch ein Anspruch gegen die [X.] auf Zahlung von jeweils 20

nd fiktiven Schadenersatz für nicht gewährte Betreu-ungsleistungen bestehe mangels Anspruchsgrundlage nicht.
II.
Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
1.
Die auch vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfende interna-tionale Zuständigkeit der [X.] Gerichte ist mit dem Berufungsgericht zu bejahen. Sie ergibt sich in entsprechender Anwendung des § 39 ZPO jedenfalls daraus, dass die [X.] in der mündlichen Verhandlung die erhobene Rüge mangelnder internationaler Zuständigkeit ausdrücklich nicht aufrechterhalten und die Sachentscheidung des Berufungsgerichts verteidigt hat.
2.
Das Berufungsgericht hat den Klägern zu Recht einen [X.] nach Art.
7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c [X.] wegen der Ver-spätung des Flugs von [X.] nach [X.] versagt.
a)
Ein Ausgleichsanspruch nach dieser Vorschrift steht den Fluggästen eines Flugs zu, wenn in einer anderen Vorschrift der Verordnung auf Art. 7 [X.] genommen wird (Art. 7 Abs. 1 Satz 1). Art 5 Abs. 1 Buchst. c Fluggast-rechteVO bestimmt insoweit, dass das ausführende Luftverkehrsunternehmen bei Annullierung eines Fluges den betroffenen Fluggästen grundsätzlich eine Ausgleichsleistung nach Art. 7 schuldet. Eine entsprechende Ausgleichsleistung ist nach der Rechtsprechung des [X.]s der [X.] ([X.], Urteil vom 19.
November 2009

[X.]/07, [X.].
2009, [X.] = [X.], 43 = [X.], 93

Sturgeon/[X.]; Urteil vom 23. Oktober 2012

[X.]/10

Nelson/[X.]), der der [X.] beigetreten ist ([X.], Urteil vom 7
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5
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18.
Februar
2010

Xa [X.], [X.], 2281 = [X.], 93),
gegenüber den Fluggästen eines verspäteten Fluges zu erbringen, wenn diese infolge der Verspätung einen erheblichen Zeitverlust bei der Ankunft an ihrem letzten Zie-lort erleiden (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 [X.]).
b)
Der Begriff des Fluges ist nicht nach nationalem Luftbeförderungs-recht zu bestimmen, sondern wird von der Fluggastrechteverordnung autonom definiert.
Sie enthält allerdings keine ausdrückliche Definition, insbesondere nicht in Art. 2, der die Bedeutung verschiedener Begriffe bestimmt. Die Definition des Flugs ist daher aus Sinn und Zweck der Fluggastrechteverordnung und insbe-sondere derjenigen Vorschriften der Verordnung zu entwickeln, die sich dieses Begriffs bedienen ([X.], Urteil vom 10.
Juli 2008

[X.]/07, [X.]. 2008 I-5252 = NJW 2008, 2697 = [X.] 2008, 237
Rn. 28

Emirates/Schenkel).
Einen entscheidenden Hinweis darauf, was Flug im Sinne der [X.] ist, gibt dabei bereits Art. 3 Abs. 1 [X.], der bestimmt, dass die Verordnung für Fluggäste gilt, die auf Flughäfen auf dem Gebiet der Euro-päischen [X.] einen Flug antreten oder die

sofern das ausführende
Luftver-kehrsunternehmen
ein Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft ist

von einem Flughafen eines Drittstaates einen Flug zu einem Flughafen auf dem Gebiet der [X.] antreten. Die Verordnung bezieht sich damit auf die (Gesamt-heit der) Fluggäste eines Fluges, der von einem bestimmten Luftverkehrsunter-nehmen auf einer bestimmten Flugroute ausgeführt wird und mit dem die Flug-gäste von einem [X.] zu einem [X.] befördert werden ([X.], Urteil vom 28.
Mai 2009

Xa [X.], [X.], 2743). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den weiteren Sprachfassungen der Verordnung (so bereits [X.], Urteil vom 10.
Juli 2008

[X.]/07
Rn. 24 f.

Emirates/Schen-kel), die zwar

etwa in der [X.] oder [X.] Fassung

in Art. 3 Abs.
1 selbst den Begriff des Fluges nicht erwähnen, jedoch in Art. 3 Abs.
2 auf ihn Bezug nehmen ("the flight concerned"; "le vol concerné"). Der [X.] 11
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der [X.] hat dies dahin ausgedrückt, dass es bei einem Flug im Sinne der Verordnung im Wesentlichen um einen Luftbeförderungsvorgang handele, der in gewisser Weise eine "Einheit"
dieser Beförderung darstelle, die von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt werde, das die entsprechende Flugroute festlege ([X.], Urteil vom 10.
Juli 2008

[X.]/07 Rn. 40

Emirates/Schenkel). Eine einheitliche Buchung wirkt sich auf die Eigenstän-digkeit zweier Flüge nicht aus ([X.], Urteil vom 10.
Juli 2008

[X.]/07
Rn.
51

Emirates/Schenkel).
Den individuellen Reiseplan des einzelnen Fluggastes und den von ihm abgeschlossenen Beförderungsvertrag nimmt die Verordnung nicht in den Blick, sondern betrachtet die Fluggäste eines Flugs sozusagen als Kollektiv, dessen Mitgliedern bei einem in den Anwendungsbereich der Verordnung fallenden Flug bestimmte Rechte eingeräumt werden, die
grundsätzlich unabhängig da-von sind, ob die einzelnen Fluggäste nur diesen Flug oder auch weitere, dem betreffenden Flug vorangehende oder sich an ihn anschließende Flüge gebucht haben und von welchem Luftverkehrsunternehmen diese weiteren Flüge durch-geführt werden. Die Verordnung spricht deswegen auch regelmäßig nicht von (individuellen) Ansprüchen des einzelnen Fluggastes, sondern von Rechten der Fluggäste. Auch inhaltlich sind diese Rechte auf die Gesamtheit der Fluggäste eines Fluges, bezogen, wie etwa
Art. 5 deutlich macht, nach dem bei Annullie-rung eines Flugs gegenüber den Fluggästen dieses Flugs, d.h. denjenigen, die

wie immer ihr individueller Reiseplan aussehen mag

über eine bestätigte Bu-chung für die unter einer bestimmten Flugnummer von einem bestimmten Luft-verkehrsunternehmen auszuführende "[X.]" verfügen, Un-terstützungsleistungen nach Art. 8 und Betreuungsleistungen nach Art. 9 der Verordnung sowie Ausgleichszahlungen zu erbringen sind. Ähnliches gilt nach Art. 6 im Verspätungsfall. Die Verpflichtung zu Betreuungsleistungen nach Art.
9 knüpft daran an, dass für ein ausführendes Luftverkehrsunternehmen vernünftigerweise absehbar ist, dass sich der Abflug gegenüber der planmäßi-gen Abflugzeit erheblich verzögern wird. Sie kann nicht anders verstanden wer-14
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den als eine Verpflichtung gegenüber der Gesamtheit der von der Abflugver-spätung eines konkreten Fluges betroffenen Fluggäste. Der [X.] der [X.] hat in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass die Verordnung davon ausgehe, dass die Störungen des vorgesehenen [X.], an die die Verpflichtungen des Luftverkehrsunternehmens anknüp-fen, bei einem Flug nur einmal auftreten könnten, und die Fluggäste deshalb den ihnen gewährten Schutz nur einmal in Anspruch nehmen könnten ([X.], Urteil vom 10.
Juli 2008

[X.]/07 Rn. 36

Emirates/Schenkel); auch dazu stünde es in Widerspruch, wenn bei einer Anschlussverbindung die Verspätun-gen des
Erst-
und des Zweitfluges als zwei Verspätungen ein-
und desselben Flugs gewertet würden oder die zweite Verspätung als nicht den Abflug eines einheitlichen Flugs betreffend außer Betracht gelassen werden müsste.
Für Ausgleichszahlungen gilt nichts anderes. Der Ausgleichsanspruch knüpft ebenso wie die anderen Fluggastrechte an den Flug an, der annulliert oder verspätet durchgeführt worden ist oder auf dem Fluggästen die Beförde-rung verweigert worden ist. Lediglich bei der Höhe der [X.] die Verordnung (in pauschalierter Weise), dass die einzelnen Flug-gäste durch die Annullierung eines Fluges oder durch die Verweigerung der Beförderung in unterschiedlicher Weise betroffen sein können, je nachdem, wie sich diese Maßnahme auf die Erreichung ihres individuellen Endziels auswirkt. Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 [X.] wird deshalb bei der Ermittlung der für die Höhe der Ausgleichszahlung maßgeblichen Entfernung der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast (hier und nur hier verwendet die [X.] im erörterten Zusammenhang den Singular) infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt.
Der [X.] kann diese Auslegung seiner Entscheidung zugrunde legen, ohne eine Vorabentscheidung des [X.]s der Europäischen
[X.] einzu-holen. Der [X.] hat zwar ausdrücklich nur entschieden, dass bei einer einheitlichen Buchung eines Hin-
und [X.] zwei Flüge im Sinne der Ver-15
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8
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ordnung vorliegen. Die hierfür vom [X.] gegebene Begründung gilt [X.] gleichermaßen für eine Flugreise, die sich aus zwei unterschiedlichen Flügen im Sinne von
jeweils
von einem Luftverkehrsunternehmen unter einer bestimmten Flugnummer auf einer bestimmten Route durchgeführten [X.] zusammensetzt,
und entspricht, wie ausgeführt, dem Grundkonzept der Verordnung, zu dem die Zusammenfassung zweier oder mehrerer Flüge zu einem aus der Sicht des einzelnen Fluggastes und seiner Reiseroute definierten einzigen "Flug" in einen unheilbaren Widerspruch träte.
c)
Danach hat das
Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass den Klägern ein Ausgleichsanspruch nicht zusteht. Dem Anwendungsbereich der Verordnung unterfällt nur der Flug von [X.] nach [X.]. Er [X.] weder annulliert, noch war er verspätet oder wurde den Klägern die Beförde-rung verweigert. Auf den erheblich verspäteten
Flug von [X.] nach [X.] kann die Verordnung hingegen weder nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a noch nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b [X.] angewendet werden.
3.
Auch ein Anspruch auf
Betreuungsleistungen nach Art. 9 der [X.] bestand mithin nicht, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat.
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4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck
[X.]
[X.]

Grabinski
Hoffmann
Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 09.06.2011 -
31 [X.] (83) -

LG [X.], Entscheidung vom 05.01.2012 -
2-24 S 145/11 -

19

Meta

X ZR 14/12

13.11.2012

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.11.2012, Az. X ZR 14/12 (REWIS RS 2012, 1552)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1552

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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