Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.05.2011, Az. 1 ABR 121/09

1. Senat | REWIS RS 2011, 6594

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Gegenstand

Unterlassungsanspruch - Mitbestimmung bei der Einführung von Ethikrichtlinien - Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des [X.] vom 16. Juli 2009 - 18 [X.] wie folgt neu gefasst:

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des [X.] vom 16. Januar 2009 - 31 [X.] - wird unter Abweisung des in der Anhörung vom 16. Juli 2009 gestellten [X.] zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die [X.]eteiligten streiten über einen Unterlassungsanspruch des [X.]etriebsrats hinsichtlich der Anwendung von Ethikrichtlinien.

2

Die Arbeitgeberin ([X.]eteiligte zu 2) gehört zur [X.] und ist über die Muttergesellschaft, die [X.] mbH mit der Konzernmutter, der [X.] verbunden, die ihren Sitz in [X.] hat. Der [X.]eteiligte zu 1 ist der im [X.]etrieb der Arbeitgeberin in [X.] gebildete [X.]etriebsrat, [X.]eteiligter zu 3 ist der Konzernbetriebsrat.

3

Die [X.] gibt den anderen Konzernunternehmen die sog. [X.] Grundsätze der Unternehmensethik vor. Im Juli 2008 übersandte die Arbeitgeberin diese an ihre Mitarbeiter und bat sie um [X.]estätigung des Erhalts sowie deren Kenntnisnahme und Verwirklichung. Im Dezember 2008 verschickte sie eine inhaltlich abgeänderte Version dieser Grundsätze. Vor deren Versendung an die Mitarbeiter hatte die Arbeitgeberin weder den [X.]etriebsrat noch den bei der Muttergesellschaft gebildeten Konzernbetriebsrat beteiligt.

4

Der [X.]etriebsrat hat geltend gemacht, ihm stehe gegen die Arbeitgeberin ein eigenständiger Anspruch auf Unterlassung der Anwendung der Ethikrichtlinien unabhängig davon zu, ob er oder der Konzernbetriebsrat Träger des Mitbestimmungsrechts sei.

5

Der [X.]etriebsrat hat beantragt,

        

1.    

der Arbeitgeberin zu untersagen, die [X.] Grundsätze Unternehmensethik als verbindlich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im [X.]etrieb anzuwenden, solange der [X.]etriebsrat der Anwendung keine Zustimmung erteilt hat oder seine Zustimmung durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist;

        

2.    

hilfsweise

                 

der Arbeitgeberin zu untersagen, die [X.] Grundsätze Unternehmensethik als verbindlich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im [X.]etrieb anzuwenden, solange der Konzernbetriebsrat der Anwendung keine Zustimmung erteilt hat oder seine Zustimmung durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist;

        

3.    

für den Fall des Verstoßes hiergegen der Arbeitgeberin die Festsetzung eines Ordnungsgeldes bis zu 10.000,00 Euro anzudrohen.

6

Die Arbeitgeberin hat Antragsabweisung beantragt.

7

Das Arbeitsgericht hat den - im ersten Rechtszug allein gestellten - Hauptantrag abgewiesen. Das [X.] hat unter Zurückweisung der [X.]eschwerde im Übrigen dem im zweiten Rechtszug gestellten Hilfsantrag teilweise entsprochen und der Arbeitgeberin die Anwendung einzelner, näher bezeichneter Regelungen aus den Grundsätzen Unternehmensethik unter Androhung eines Ordnungsgeldes untersagt, solange die Zustimmung des [X.] nicht erteilt oder durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.

8

Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, soweit diese nicht bereits durch Zurückweisung der [X.]eschwerde in Rechtskraft erwachsen ist.

9

[X.]. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Der [X.]etriebsrat hat gegen die Arbeitgeberin keinen Anspruch darauf, dass dieser die Anwendung der [X.] Grundsätze Unternehmensethik untersagt wird, solange der Konzernbetriebsrat dem nicht zugestimmt hat oder dessen Zustimmung durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.

I. An dem [X.]eschlussverfahren ist gem. § 83 Abs. 3 ArbGG neben dem [X.]etriebsrat und der Arbeitgeberin auch der Konzernbetriebsrat beteiligt. Dieser ist in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen, weil dessen [X.] Unterlassungsanspruch für den vom antragstellenden [X.]etriebsrat repräsentierten [X.]etrieb in Frage steht. Demzufolge war auch die Muttergesellschaft, die [X.] mbH, zu beteiligen. Hingegen bedurfte es keiner [X.]eteiligung der im Unternehmen bestehenden weiteren [X.]etriebsräte oder des [X.]. Die Entscheidung über die Anträge des [X.]etriebsrats berührt deren betriebsverfassungsrechtliche Rechtsstellung nicht unmittelbar.

II. Der [X.]etriebsrat hat seinen Hilfsantrag im zweiten Rechtszug im Wege einer zulässigen Antragserweiterung in das Verfahren eingeführt. Die Zulässigkeit einer Antragserweiterung im [X.]eschwerdeverfahren bestimmt sich nach § 81 Abs. 3 ArbGG iVm. § 533 ZPO ([X.]AG 9. November 2010 - 1 A[X.]R 76/09 - Rn. 16). Sie setzt damit voraus, dass die anderen [X.]eteiligten der Antragsänderung zustimmen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Die Arbeitgeberin hat zwar der Antragserweiterung widersprochen, das [X.] hat jedoch über den Hilfsantrag entschieden und damit zugleich über die Sachdienlichkeit der Antragserweiterung. Daran ist der Senat gemäß § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2, § 81 Abs. 3 Satz 3 ArbGG gebunden ([X.]AG 22. März 2000 - 7 A[X.]R 34/98 - Rn. 14, [X.]AGE 94, 144).

III. Der [X.]etriebsrat ist [X.]. Er macht geltend, selbst Träger des streitbefangenen Unterlassungsanspruchs zu sein ([X.]AG 18. Mai 2010 - 1 A[X.]R 6/09 - Rn. 14, EzA [X.]etrVG 2001 § 77 Nr. 30). Ob der Anspruch tatsächlich besteht, ist eine Frage der [X.]egründetheit des Antrags.

IV. Der in der Rechtsbeschwerde allein noch anhängige Hilfsantrag des [X.]etriebsrats ist zulässig, bedarf aber der Auslegung.

1. Die vom [X.]etriebsrat beantragte Untersagung der Anwendung der Grundsätze Unternehmensethik betrifft deren Fassung vom Dezember 2008. Nur darauf hat auch das [X.] in seiner Entscheidung abgestellt. Gegen diese Auslegung sind von den [X.]eteiligten keine Verfahrensrügen erhoben worden. Gegenstand des Antrags sind die [X.] in ihrer Gesamtheit und nicht die einzelnen darin enthaltenen Regelungsgegenstände. Nachdem das [X.] allerdings eine Einzelprüfung vorgenommen und dem Hilfsantrag nur hinsichtlich eines Teils der darin enthaltenen Regelungen entsprochen hat, führt dies im Rechtsbeschwerdeverfahren dazu, dass sich der noch anhängige Hilfsantrag nur noch auf die Gesamtheit der Regelungsgegenstände bezieht, hinsichtlich derer die im zweiten Rechtszug gestellten Anträge noch nicht rechtskräftig abgewiesen worden sind.

2. Soweit der [X.]etriebsrat die Untersagung der „Anwendung“ der Grundsätze der Unternehmensethik begehrt, ist dies dahin zu verstehen, dass es ihm darum geht, der Arbeitgeberin generell zu untersagen, diese Grundsätze als für die im [X.]etrieb beschäftigten Arbeitnehmer verbindliche Verhaltenspflichten zu erklären. [X.]ei einem solchen Antragsverständnis sind die Anträge hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, denn der [X.]etriebsrat bestreitet von vornherein die [X.]efugnis der Arbeitgeberin, die Verbindlichkeit derartiger Grundsätze einseitig in dem [X.]etrieb anordnen zu können. Hierin sieht er ein mitbestimmungswidriges Verhalten.

V. Der in der Rechtsbeschwerde noch anhängige Hilfsantrag des [X.]etriebsrats ist unbegründet.

1. Ein Unterlassungsanspruch folgt nicht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 [X.]etrVG. Der [X.]etriebsrat ist nicht Träger des Mitbestimmungsrechts. Dieses steht vielmehr dem Konzernbetriebsrat zu. Die Grundsätze Unternehmensethik sollten im gesamten Konzern und nicht lediglich einzelne Konzernunternehmen oder [X.]etriebe eingeführt werden. Hierdurch sollte eine konzerneinheitliche „Unternehmensphilosophie“ umgesetzt werden. Damit handelt es sich gem. § 58 Abs. 1 [X.]etrVG um eine Angelegenheit, die den Konzern betrifft und nicht durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte innerhalb ihrer Unternehmen geregelt werden kann (dazu [X.]AG 22. Juli 2008 - 1 A[X.]R 40/07 - Rn. 66 f., [X.]AGE 127, 146).

2. Entgegen der Auffassung des [X.]s kann ein derartiger Anspruch nicht aus § 80 Abs. 1 [X.]etrVG hergeleitet werden. Nach dieser [X.]estimmung hat der [X.]etriebsrat darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und [X.]etriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Hieraus ergibt sich jedoch auch dann kein Unterlassungsanspruch des örtlichen [X.]etriebsrats, wenn die Einführung der konzernweit geltenden Grundsätze der Unternehmensethik gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 [X.]etrVG mitbestimmungspflichtig war und die Muttergesellschaft dieses Mitbestimmungsrecht nicht beachtet hat. Das Überwachungsrecht des [X.]etriebsrats aus § 80 Abs. 1 [X.]etrVG ist auch in diesem Fall darauf beschränkt, den mitbestimmungswidrigen Zustand beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen ( [X.]AG 18. Mai 2010 - 1 A[X.]R 6/09 - EzA [X.]etrVG 2001 § 77 Nr. 30 ). Ein Unterlassungsanspruch folgt hieraus nicht ([X.]AG 28. Mai 2002 - 1 A[X.]R 40/01 - [X.] [X.]etrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 96 = EzA [X.]etrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 65). Die abweichende Auffassung des [X.]s führt zu einer im [X.]etriebsverfassungsgesetz nicht vorgesehenen Auffangzuständigkeit eines nicht zuständigen örtlichen [X.]etriebsrats, die der gesetzlichen Zuständigkeitstrennung widerspricht. Denn der zur Sicherung der Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 [X.]etrVG entwickelte Unterlassungsanspruch ([X.]AG 3. Mai 1994 - 1 A[X.]R 24/93 - [X.]AGE 76, 364) steht nach seinem Zweck allein dem [X.]etriebsrat zu, der Träger des konkreten Mitbestimmungsrechts ist. Dies ist vorliegend - soweit ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 [X.]etrVG besteht - nicht der Antragsteller, sondern der Konzernbetriebsrat.

3. Die Ablehnung eines Unterlassungsanspruchs aus § 80 Abs. 1 [X.]etrVG führt auch nicht zu einer planwidrigen Verkürzung der Rechtsstellung des örtlichen [X.]etriebsrats. Diesem verbleibt vielmehr ein Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3 [X.]etrVG. Dessen Voraussetzungen hat das [X.] im vorliegenden Fall jedoch verneint, weil die Arbeitgeberin nicht grob gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten aus § 87 [X.]etrVG verstoßen habe. Dies ist [X.] nicht zu beanstanden, nachdem vom [X.]etriebsrat insoweit keine Gegenrügen erhoben worden sind.

        

    Schmidt    

        

    Koch    

        

    Linck    

        

        

        

    Federlin    

        

    [X.]    

                 

Meta

1 ABR 121/09

17.05.2011

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Berlin, 16. Januar 2009, Az: 31 BV 20225/08, Beschluss

§ 80 Abs 1 BetrVG, § 87 Abs 1 Nr 1 BetrVG, § 58 Abs 1 BetrVG, § 23 Abs 3 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.05.2011, Az. 1 ABR 121/09 (REWIS RS 2011, 6594)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6594

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Referenzen
Wird zitiert von

1 TaBV 2/16

1 TaBV 11/21

9 TaBV 51/14

13 Ta 267/11

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