Bundessozialgericht, Urteil vom 26.03.2021, Az. B 3 KR 14/19 R

3. Senat | REWIS RS 2021, 7402

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Krankenversicherung - Anspruch auf häusliche Krankenpflege - ambulant betreute Wohngruppe - kein Verlust des Anspruchs auf einfachste Behandlungspflege durch gemeinschaftlich mit anderen Pflegebedürftigen organisierte Versorgung mit häuslicher Pflege


Leitsatz

Versicherte verlieren ihren Anspruch auf einfachste Behandlungspflege gegen die Krankenkasse nicht dadurch, dass sie ihre Versorgung mit häuslicher Pflege gemeinschaftlich mit anderen Pflegebedürftigen organisiert haben.

Tenor

Die Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] ([X.]) in Form der Medikamentengabe in einer ambulant betreuten Wohngruppe vom 1.2. bis 31.3.2019.

2

Die 1932 geborene, seit 2000 unter Betreuung stehende und während des Revisionsverfahrens verstorbene Versicherte war bei der beklagten Krankenkasse und der [X.] versichert. Sie litt unter anderem an Demenz, essentieller Hypertonie und Diabetes mellitus mit multiplen Komplikationen sowie einem Tremor. Nach einem Pflegegutachten der Beigeladenen war sie Analphabetin und seit ihrer Geburt etwas debil.

3

Seit März 2015 lebte die Versicherte mit elf weiteren pflegebedürftigen Personen aufgrund gesonderter Mietverträge in einer anerkannten ambulant betreuten Wohngemeinschaft nach dem [X.]. Die Bewohner beauftragten gemeinschaftlich eine Person mit organisatorischen, verwaltenden, betreuenden und das Gemeinschaftsleben fördernden Aufgaben. Sie wählten zudem entsprechend ihrer Gremiumsvereinbarung ebenfalls gemeinschaftlich Dienstleister für hauswirtschaftliche Aufgaben und Leistungen der psychosozialen Betreuung und Begleitung aus. Die Betreuungsleistungen erfolgten im Rahmen einer 24-stündigen Anwesenheit eines Mitarbeiters des [X.] in der Wohngemeinschaft, wofür die Versicherte eine Betreuungspauschale von 680 Euro monatlich zu leisten hatte. Die Versicherte selbst beauftragte den Pflegedienst auch mit ihrer pflegerischen Versorgung. Von der Beigeladenen erhielt sie Sachleistungen bei häuslicher Pflege nach § 36 [X.] bis zur Höchstgrenze, zuletzt nach dem Pflegegrad 3, den Entlastungsbetrag für Pflegebedürftige in häuslicher Pflege nach § 45b [X.] sowie den [X.] nach § 38a [X.].

4

Auf eine ärztliche Folgeverordnung über [X.] in Form von täglich drei Medikamentengaben bewilligte die Beklagte für die streitige [X.] nur das Richten der Medikamente in einem Wochendispenser. Die verordneten Leistungen rechneten zur einfachsten Behandlungspflege und seien durch das in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft präsente Personal unentgeltlich zu erbringen (Bescheid vom 25.1.2019; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Die Rechnungen des durch die Versicherte mit der verordneten Medikamentengabe beauftragten [X.] für die streitige [X.] [X.] von insgesamt 633,66 Euro sind noch offen.

5

Das [X.] hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, die Versicherte von den Kosten für [X.] vom 1.2. bis 31.3.2019 [X.] von 633,66 Euro freizustellen (Urteil vom 18.6.2019). Das L[X.] hat die vom [X.] zugelassene Berufung zurückgewiesen (Urteil vom [X.]): Die Versicherte habe Anspruch auf Freistellung von den Kosten der Medikamentengabe auch in der ambulant betreuten Wohngruppe. Diese sei ein geeigneter Ort iS von § 37 Abs 2 [X.]B V und dem Freistellungsbegehren stehe kein vorrangiger gesetzlicher oder vertraglicher Anspruch auf Hilfe bei der Einnahme der Medikamente gegen in der Wohngruppe tätige Personen oder Dienste entgegen. Insbesondere seien behandlungspflegerische Maßnahmen nach § 37 [X.]B V vom Leistungsinhalt des [X.] rechtswirksam ausgeschlossen.

6

Die Beklagte rügt mit ihrer vom L[X.] zugelassenen Revision die Verletzung von § 37 Abs 2 [X.]B V. Ein Anspruch zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung habe nicht bestanden. Die Maßstäbe des B[X.] für [X.] in Einrichtungen der Eingliederungshilfe, nach denen diese zur Erbringung einfachster Maßnahmen der Behandlungspflege selbst verpflichtet seien, würden auch für neue Wohnformen wie ambulant betreute Wohngruppen gelten, die - wie hier - einem stationären Setting mit Rundumversorgung entsprächen. Hierzu stehe die Auffassung des L[X.] von einem rechtswirksamen Ausschluss behandlungspflegerischer Maßnahmen vom Leistungsinhalt des [X.] in Widerspruch.

7

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 20. August 2019 und des [X.] vom 18. Juni 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Prozessbevollmächtigte der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Die Beigeladene stellt keinen Antrag und schließt sich den Ausführungen der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der [X.] ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das [X.] entschieden, dass die Versicherte von der [X.] in der ambulant betreuten Wohngruppe Leistungen für eine dreimal tägliche Medikamentengabe selbst als einfachste Maßnahme der [X.] beanspruchen konnte und von den Kosten dieser Versorgung freizustellen war.

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die vorinstanzlichen Urteile, durch die die Beklagte zur Leistung verurteilt worden ist und deren Aufhebung sie begehrt, sowie der Bescheid der [X.] vom 25.1.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.], durch die sie die vom 1.2. bis 31.3.2019 begehrten Leistungen der Medikamentengabe abgelehnt hatte. Gegen diese Bescheide wandte sich die verstorbene Versicherte zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG), gerichtet auf Änderung der angefochtenen Bescheide, weil die Beklagte durch diese für die streitige [X.] statt der beantragten Medikamentengabe das Richten von Medikamenten in einem Wochendispenser bewilligt hatte. Auf die Freistellung von darüber hinausgehenden Kosten für die erbrachte Medikamentengabe haben die Beteiligten den Streitgegenstand im Revisionsverfahren übereinstimmend begrenzt.

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Durch den Tod der Versicherten im Revisionsverfahren ist eine Unterbrechung des Verfahrens nicht eingetreten, da sie durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 246 Abs 1 Halbsatz 1 ZPO). Rechtsnachfolger der Versicherten sind zwar derzeit nicht bekannt und noch zu ermitteln. Indes kann der Rechtsstreit durch den Prozessbevollmächtigten auch für die unbekannten Rechtsnachfolger fortgeführt werden (vgl [X.] vom 23.7.2014 - B 8 [X.] 14/13 R - [X.], 210 = [X.]-3500 § 28 [X.], Rd[X.]0; [X.] vom 12.5.2017 - B 8 [X.] 14/16 R - [X.], 171 = [X.]-3500 § 66 [X.], Rd[X.]2; [X.] vom [X.] [X.] 4/16 R - [X.]-3500 § 17 [X.] Rd[X.]3). Eine Rechtsnachfolge in den Anspruch auf Kostenfreistellung kommt nach §§ 58, 59 SGB I iVm § 1922 Abs 1, § 2039 BGB auch in Betracht ([X.] vom 24.9.2002 - B 3 KR 15/02 R - [X.] 3-2500 § 33 [X.]; [X.] vom [X.] - B 3 KR 24/05 R - [X.]-2500 § 13 [X.]0 Rd[X.]3 ff; [X.] vom 30.11.2017 - B 3 KR 11/16 R - [X.]-2500 § 37 [X.]5 Rd[X.]2).

3. Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Freistellung von Kosten für [X.] ist vorliegend § 37 Abs 4 Alt 1 [X.] (hier § 37 [X.] idF des [X.] - [X.] vom 11.12.2018, [X.]). Danach sind den Versicherten die Kosten für [X.] in angemessener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse [X.] für die [X.] stellen kann. Dies setzt voraus, dass der Versicherte einen Antrag auf die Sachleistung an die Krankenkasse gerichtet und diese einen Anspruch auf [X.] grundsätzlich anerkannt hat. Sind die weiteren Voraussetzungen des § 37 Abs 4 Alt 1 [X.] erfüllt, wandelt sich der die [X.] betreffende Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch um. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 37 Abs 4 Alt 1 [X.] einschließlich der Angemessenheit der entstandenen Kosten hat das [X.] - vorbehaltlich des Bestehens eines Sachleistungsanspruchs - zutreffend auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen bejaht.

Über den ausdrücklich geregelten Kostenerstattungsanspruch hinaus ist § 37 Abs 4 Alt 1 [X.] auch auf Fälle der - wie hier - Kostenfreistellung anzuwenden (vgl zur Ergänzung eines Erstattungs- durch einen Freistellungsanspruch [X.] vom 18.6.2020 - B 3 KR 14/18 R - vorgesehen für [X.] = [X.]-2500 § 13 [X.], Rd[X.] 25).

4. Der [X.] nach § 37 Abs 4 Alt 1 [X.] reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch und setzt voraus, dass die selbstbeschaffte [X.] zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat (vgl [X.] vom 30.11.2017 - B 3 KR 11/16 R - [X.]-2500 § 37 [X.]5 Rd[X.]5). Rechtsgrundlage für den Sachleistungsanspruch ist hier § 37 Abs 2 Satz 1 [X.]. Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als [X.] Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist ([X.]). Nach § 37 Abs 3 [X.] besteht der Anspruch auf [X.] nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. Nach § 37 Abs 6 [X.] legt der [X.] in Richtlinien nach § 92 [X.] ua fest, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach § 37 Abs 2 [X.] auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können (hier [X.]-RL idF vom 17.9.2009, geändert am [X.], BAnz [X.], und am [X.], BAnz [X.] 21.2.2019 B2).

Diese Regelungen für den Anspruch auf [X.] hat der Senat dahin konkretisiert, dass der Anspruch zunächst an allen geeigneten Orten besteht, an denen sich der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält, wenn die Leistung aus [X.] Gründen während des Aufenthalts an diesem Ort notwendig ist. Einschränkungen in Bezug auf den Aufenthaltsort ergeben sich aus der Geeignetheit der räumlichen Verhältnisse und für die [X.] des Aufenthalts in Einrichtungen nur dann, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht ([X.] vom 30.11.2017 - B 3 KR 11/16 R - [X.]-2500 § 37 [X.]5 Rd[X.] 25; zuletzt [X.] vom [X.] KR 4/19 R - juris Rd[X.]9).

5. Hiernach lebte die Versicherte in der streitigen [X.] an einem für die Leistung von [X.] nach § 37 Abs 2 Satz 1 [X.] geeigneten Ort. Nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG), die dieses auch rechtlich zutreffend gewürdigt hat, lebte die Versicherte in einer ambulant betreuten Wohngruppe nach § 38a [X.] (zu den rechtlichen Maßstäben hierfür [X.] vom 10.9.2020 - B 3 P 1/20 R - [X.]-3300 § 38a [X.]; [X.] vom 10.9.2020 - B 3 P 2/19 R - [X.]-3300 § 38a [X.]; [X.] vom 10.9.2020 - B 3 P 3/19 R - [X.]-3300 § 38a [X.]). Sie hatte in dieser - was hier zu Recht allein im Streit steht - keinen von der Erteilung entsprechender Einzelaufträge unabhängigen vertraglichen Anspruch auf die Erbringung von Medikamentengabe als einfachster Behandlungspflege durch in der Wohngruppe tätige Personen oder Dienste (dazu 6.). Dies steht mit den gesetzlichen Bestimmungen im Einklang (dazu 7.). Eine Umgehung der Abgrenzung von ambulanter und stationärer pflegerischer Versorgung liegt hierin nicht (dazu 8.).

6. Einen vertraglichen Anspruch hat das [X.] frei von [X.] ausgeschlossen, weil weder der Mietvertrag noch die Verträge der Bewohner untereinander (Gremiumsvereinbarung) oder mit von ihnen beauftragten Personen und Diensten ([X.], Betreuungsvertrag, [X.]) der Versicherten Anspruch darauf vermittelten, durch eine der in der Wohngruppe anwesenden oder für deren Mitglieder tätigen Personen oder Dienste dreimal täglich die notwendige Hilfe bei der Einnahme ihrer Medikamente zu erhalten, ohne dass es dazu eines gesonderten Auftrags durch sie selbst an einen Dienstleister bedurft hätte.

Dass das [X.] bei seiner Auslegung der von ihm festgestellten von der Versicherten geschlossenen Verträge und insbesondere des [X.] revisionsrechtlich zu beachtende Grenzen der Vertragsauslegung verkannt haben könnte, macht die Beklagte nicht geltend. Die revisionsgerichtliche Überprüfung der Würdigung sogenannter nicht typischer Verträge durch das [X.] ist darauf beschränkt, ob dieses Gericht Bundesrecht (§ 162 SGG) verletzt hat, also insbesondere die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) nicht beachtet oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl näher zu den Maßstäben [X.] vom 5.3.2014 - B 12 KR 22/12 R - [X.]-2500 § 229 [X.]7 Rd[X.] 25; [X.] vom 25.10.2016 - B 1 KR 6/16 R - [X.]-2500 § 109 [X.]9 Rd[X.]9 f). Das ist vorliegend nicht ersichtlich (vgl zur Beanstandung einer Vertragsauslegung [X.] vom 28.5.2003 - B 3 KR 32/02 R - [X.]-2500 § 37 [X.] 2).

Ein Anspruch lässt sich insbesondere nicht den Bestimmungen des vom [X.] festgestellten und ausgelegten [X.] der Versicherten mit dem gemeinschaftlich von den Bewohnern ausgewählten Pflegedienst entnehmen, bei dem es sich nicht um einen typischen Formularvertrag handelt. Nach der Würdigung des [X.] sieht der Vertrag zwar die ständige Anwesenheit eines Mitarbeiters des [X.] in der Wohngruppe vor, beschränkt den Leistungsumfang indes auf Leistungen der psycho[X.] Betreuung und Begleitung nach dem [X.] gegen eine monatliche Betreuungspauschale von 680 Euro und schließt die Erbringung von Leistungen der [X.] nach dem [X.] vom Leistungsumfang aus.

Nach den Feststellungen des [X.] sind Ansprüche auf [X.]-Leistungen ersichtlich nicht Regelungsgegenstand des Mietvertrags der Versicherten. Von vornherein nicht richten können sich solche Ansprüche gegen die von den Bewohnern gemeinschaftlich beauftragte Person nach § 38a Abs 1 Satz 1 [X.] [X.], die gesetzlich vorgegeben nur mit Tätigkeiten unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung beauftragt werden darf. Der [X.] beinhaltet nach seinem festgestellten Inhalt nur Leistungen der ambulanten Pflege nach §§ 36, 38 [X.].

7. Gesetzliche Grenzen der möglichen Gestaltung des [X.] in ambulant betreuten Wohngruppen verletzen diese Verträge nicht. Versicherte verlieren ihren Anspruch auf einfachste Behandlungspflege gegen die Krankenkasse nicht dadurch, dass sie ihre Versorgung mit häuslicher Pflege gemeinschaftlich mit anderen Pflegebedürftigen organisiert haben.

a) Auf die Erbringung einfachster Behandlungspflege besteht in einer ambulant betreuten Wohngruppe (§ 38a [X.]) kein Anspruch aufgrund gesetzlicher Bestimmungen gegen in ihr tätige Personen oder Dienste. Weder die Regelungen des [X.] zur Erbringung von [X.] noch die des [X.] zur Erbringung von Leistungen bei häuslicher Pflege und zur gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung in einer ambulant betreuten Wohngruppe sehen vor, dass in einer Wohngruppe nach dem [X.] der Anspruch auf [X.] nach dem [X.] ausgeschlossen oder auch nur beschränkt ist.

Nach der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und [X.] Pflegeversicherung bei ambulanter pflegerischer Versorgung können Versicherte vielmehr Leistungen der Behandlungspflege als [X.] einschließlich der einfachsten Maßnahmen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung auch dann beanspruchen, wenn sie zugleich ambulante Pflegeleistungen im Rahmen der [X.] Pflegeversicherung beziehen. Das hat der Gesetzgeber bei Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zum 1.1.2017 durch die Neufassung von § 13 Abs 2 [X.] ausdrücklich bekräftigt (Art 2 [X.] des [X.] - [X.] vom 21.12.2015, [X.] 2424). Danach bleiben die Leistungen nach dem [X.] einschließlich der Leistungen der [X.] nach § 37 [X.] unberührt und es gilt dies auch für krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, soweit diese im Rahmen der [X.] nach § 37 [X.] zu leisten sind. Zu einem Zusammentreffen von Leistungen der Krankenkasse zur Behandlungspflege nach § 37 Abs 2 Satz 1 [X.] mit Leistungen der Pflegekasse bei häuslicher Pflege kann es danach regelhaft nicht kommen; diese Leistungen sind grundsätzlich nicht deckungsgleich (vgl zum Verhältnis von [X.] nach § 37 Abs 2 Satz 1 [X.] zur häuslichen Pflegehilfe nach § 36 [X.] Kruse in LPK-[X.], 5. Aufl 2018, § 13 Rd[X.]2; [X.] in jurisPK-[X.], 2. Aufl 2017, § 13 Rd[X.], 86, 92, Stand 27.7.2020; [X.] in [X.]/Schütze, [X.], 5. Aufl 2018, § 13 Rd[X.] 8, dort auch Rd[X.]a zur Sonderlage der Intensivpflege mwN zur Rechtsprechung des Senats).

b) Das gilt auch, soweit in die Pflegebegutachtung seit 1.1.2017 nach § 15 Abs 2 Satz 1 iVm § 14 Abs 2 [X.] Buchst a [X.] die Bewältigung von und der selbständige Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen in Bezug ua auf Medikation eingehen sollen (sog Modul 5).

Dass in die Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit insoweit Beeinträchtigungen einfließen, deren Kompensation Leistungen der [X.] wie die Medikamentengabe dienen, lässt die gesetzliche Zuständigkeitsabgrenzung zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und [X.] Pflegeversicherung bei ambulanter pflegerischer Versorgung unberührt und führt zu keinen Leistungsverschiebungen zwischen beiden Leistungssystemen. Dies zeigt zum einen § 15 Abs 5 [X.]. Danach sind bei der Pflegebegutachtung auch solche Kriterien zu berücksichtigen, die zu einem Hilfebedarf führen, für den Leistungen des [X.] vorgesehen sind, und es gilt dies auch für krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, dh Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf aus [X.] Gründen regelmäßig und auf Dauer untrennbarer Bestandteil einer pflegerischen Maßnahme in den in § 14 Abs 2 [X.] genannten sechs Bereichen ist oder mit einer solchen notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht. Zum anderen ist es ausweislich der Gesetzesmaterialien zum [X.] Teil der gesetzlichen Regelungskonzeption, dass der Bereich Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen Kriterien erfasst, die dem Themenkreis der selbständigen Krankheitsbewältigung zuzuordnen sind, und dass es hierbei ausdrücklich nicht darum geht, den Bedarf an Maßnahmen der [X.] nach dem [X.] einzuschätzen. Insoweit gilt § 13 Abs 2 [X.], dh diese Leistungen werden auch weiterhin in der häuslichen Versorgung von der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht und in der vollstationären Versorgung nach § 43 [X.] von der [X.] Pflegeversicherung (BT-Drucks 18/5926 [X.], 114).

Dass also [X.], für die Leistungen der [X.] nach § 37 Abs 2 Satz 1 [X.] vorgesehen sind, in die Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit einfließen, führt nicht zugleich dazu, dass diese Bedarfe durch Leistungen der [X.] Pflegeversicherung zu decken sind. Die Einbeziehung dieses Aspekts in die Bewertung von Pflegebedürftigkeit berührt nicht die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Maßnahmen der [X.] und lässt den Vorrang der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 13 Abs 2 [X.] uneingeschränkt bestehen ([X.] in [X.]/Schütze, [X.], 5. Aufl 2018, § 14 Rd[X.]8 und § 15 Rd[X.]7; [X.] in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl 2018, § 36 [X.] Rd[X.]).

Das ist auch konsequent. Denn zum einen bezieht sich das Modul 5 weitgehend auf die eigenständige Durchführung und selbständige Bewältigung krankheitsbezogener Arbeit durch die Betroffenen, womit häufig ein Hilfebedarf bei der Anleitung und Motivation oder Schulung, also an unterstützenden Betreuungsleistungen, verknüpft ist (BT-Drucks 18/5926 [X.]). Solche pflegerischen Betreuungsmaßnahmen nach § 36 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 3 [X.] sind aber nicht deckungsgleich mit Maßnahmen der [X.] nach § 37 Abs 2 Satz 1 [X.], die nach der [X.]-RL erforderlich sind, wenn und weil die eigenständige Durchführung und selbständige Bewältigung krankheitsbezogener Arbeit nicht (mehr) möglich ist, und durch die nicht unterstützende Hilfe zur Selbsthilfe geleistet wird, sondern mit der die Maßnahmen und Handlungen durch einen [X.] geleistet werden.

Und zum anderen: Würde die Berücksichtigung von Beeinträchtigungen im Bereich des Moduls 5 bei der Ermittlung der Pflegebedürftigkeit zum Ausschluss von [X.] nach § 37 Abs 2 Satz 1 [X.] führen, müssten die [X.] durch Pflegesachleistungen nach § 36 [X.] gedeckt werden, die indes im Unterschied zu den Leistungen nach dem [X.] gedeckelt sind, oder durch selbstbeschaffte Leistungen der Betroffenen auf eigene Kosten. Die Ausweitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs sollte indes weder mit Leistungsverschiebungen zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und der [X.] Pflegeversicherung verbunden sein (BT-Drucks 18/5926 [X.]), noch sollte diese zu einer Schlechterstellung der Betroffenen führen (BT-Drucks 18/5926 [X.], 140 f, 144).

c) Das ändert sich auch dann nicht, wenn mehrere Pflegeversicherte Leistungen der häuslichen Pflegehilfe gemeinsam in Anspruch nehmen.

Diese Möglichkeit besteht seit [X.] zunächst nach § 36 Abs 1 Satz 5 [X.] (Art 1 [X.]7 Buchst a des [X.] vom 28.5.2008, [X.] 874) und nunmehr § 36 Abs 4 Satz 4 [X.] explizit mit dem Ziel, bei ambulanter Versorgung durch das "[X.]" von Leistungsansprüchen, dh den gemeinsamen Abruf von Pflege- und Betreuungsleistungen nach dem [X.], im Interesse der Pflegebedürftigen eine wirtschaftlichere Versorgung mit diesen Leistungen zu ermöglichen (BT-Drucks 16/7439 S 38, 54 f). Im Ergebnis können hierdurch die ungedeckten Pflegekosten der Betroffenen geringer gehalten werden. Diesem Regelungsziel widerspricht es nicht, wenn Versicherte im Rahmen ihrer gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung die Inanspruchnahme gemeinsam abgerufener häuslicher Pflegehilfe vertraglich auf die Leistungszwecke des [X.] beschränken und sich hinsichtlich der Behandlungspflege - auch der einfachsten Art - gegenseitig auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche nach § 37 Abs 2 Satz 1 [X.] verweisen.

Anders ist das mit dem "[X.]" verfolgte Ziel auch nicht zu verwirklichen. Mit einer monatlichen Betreuungspauschale von 680 Euro hätte die Versicherte nicht für sich allein die ständige Anwesenheit eines Mitarbeiters des [X.] sicherstellen können, dies bedurfte der gemeinschaftlichen Organisation und gemeinsamen Inanspruchnahme der Betreuungsleistungen mit anderen Pflegebedürftigen. Dieses "[X.]" verlöre aber für die Pflegebedürftigen und den betreuenden Pflegedienst seinen Sinn, wenn dem Dienst die Erbringung auch individuell verschiedener einfachster Behandlungspflege gegenüber den einzelnen Pflegebedürftigen als Teil seiner Betreuungsaufgaben gegenüber der [X.] zugewiesen wäre, und zwar nur deshalb, weil ein Mitarbeiter ständig anwesend ist und diese Behandlungspflegemaßnahmen faktisch womöglich erbringen könnte.

d) Dem steht die Rechtsprechung des Senats zum Anspruch auf die Erbringung von einfachsten Maßnahmen der Behandlungspflege durch Einrichtungen der Eingliederungshilfe nicht entgegen.

Der Senat hat für Einrichtungen der Eingliederungshilfe nach dem [X.]I (bis 31.12.2019; seit 1.1.2020 Neuregelung in Teil 2 des [X.]) entschieden, dass diese ein geeigneter Ort für [X.]-Leistungen nach § 37 Abs 2 Satz 1 [X.] sein können, wenn die Einrichtung die Leistung nicht selbst schuldet. Einrichtungen schulden grundsätzlich selbst einfachste Maßnahmen der [X.], die für Versicherte in einem Haushalt praktisch von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen erbracht werden können (vgl § 37 Abs 3 [X.]). Diese gehören in der Regel als gesetzlicher Bestandteil der Eingliederungshilfe und aufgrund der nach den Vereinbarungen nach §§ 75 ff [X.]I vorzuhaltenden sächlichen und personellen Ausstattung zu den Maßnahmen, die von der Einrichtung der Natur der Sache nach zu erbringen sind. [X.] ist dann insoweit nicht erforderlich ([X.] vom 25.2.2015 - B 3 KR 11/14 R - [X.] 118, 122 = [X.]-2500 § 37 [X.]3).

So liegt es hier bei der von Pflegebedürftigen gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung in einer ambulant betreuten Wohngruppe (§ 38a [X.]) nach ihrer abweichenden gesetzlichen Regelungskonzeption nicht. Die Rechtsprechung des Senats zur Erbringung von einfachster Behandlungspflege durch Einrichtungen der Eingliederungshilfe ist daher nicht auf ambulant betreute Wohngruppen übertragbar.

8. Die gesetzeskonforme vertragliche Gestaltung der Leistungserbringung in der Wohngruppe der Versicherten ist im Verhältnis zur [X.] entgegen ihrem Vorbringen nicht deshalb unbeachtlich, weil die Versorgung der Pflegebedürftigen in der Wohngruppe hier ihrer Art nach als vollstationär zu qualifizieren wäre.

In vollstationären Pflegeeinrichtungen nach § 71 Abs 2 [X.] sind [X.]-Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich ausgeschlossen. Die Grenze zwischen ambulanter und stationärer Pflegeversorgung iS des [X.] verläuft für ambulant betreute Wohngruppen nach § 38a Abs 1 Satz 1 [X.] Halbsatz 1 [X.] dort, wo ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen "Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Abs 1 [X.] für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen". [X.] ist danach weniger die rechtliche und/oder personelle Gestaltung auf der Anbieterseite als der Umfang der den Pflegebedürftigen zu gewährleistenden Leistungen. Diese dürfen einem vollstationären Leistungsumfang entsprechen, aber nicht weitgehend entsprechen. Den Pflegebedürftigen müssen für ihre Ausgestaltung Wahlmöglichkeiten verblieben sein (vgl dazu [X.] vom 10.9.2020 - B 3 P 2/19 R - [X.]-3300 § 38a [X.] Rd[X.] 29; [X.] vom 10.9.2020 - B 3 P 3/19 R - [X.]-3300 § 38a [X.] Rd[X.] 25).

Dass die Versicherte auf eine iS des § 38a Abs 1 Satz 1 [X.] Halbsatz 1 [X.] weitgehend einer vollstationären pflegerischen Versorgung entsprechende Betreuung in der Wohngruppe verwiesen war und ihr Wahlmöglichkeiten nicht verblieben waren, ist nach den vom [X.] festgestellten und in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgelegten Verträgen nicht zu erkennen. Dagegen spricht zudem, dass die Versicherte in der streitigen [X.] in einer nach dem [X.] anerkannten ambulant betreuten Wohngemeinschaft lebte, in der sie Leistungen bei häuslicher Pflege einschließlich des Wohngruppenzuschlags nach § 38a [X.] von der Pflegekasse bezogen sowie Leistungen der [X.] nach § 37 Abs 2 Satz 1 [X.] von der Krankenkasse bewilligt erhalten hat, womit die Versorgung der Versicherten von der Beigeladenen wie von der [X.] implizit als ambulant qualifiziert worden ist.

9. Soweit aus Sicht von Krankenkassen und Pflegekassen durch die Erbringung von [X.]-Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung und Leistungen bei häuslicher Pflege zulasten der [X.] Pflegeversicherung gegenüber Versicherten in ambulant betreuten Wohngruppen die Gefahr von Überzahlungen der diese Leistungen erbringenden Dienste bestehen sollte, ist dieser durch die Ausgestaltung der entsprechenden Vergütungsvereinbarungen mit den ambulanten Diensten zu begegnen. Die Leistungsansprüche der Versicherten werden hiervon nicht berührt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Meta

B 3 KR 14/19 R

26.03.2021

Bundessozialgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Landshut, 18. Juni 2019, Az: S 4 KR 235/19, Urteil

§ 37 Abs 2 S 1 SGB 5, § 37 Abs 4 Alt 1 SGB 5, § 13 Abs 2 SGB 11, § 36 Abs 4 S 4 SGB 11, § 38a SGB 11

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 26.03.2021, Az. B 3 KR 14/19 R (REWIS RS 2021, 7402)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7402

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Krankenversicherung:


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