Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.08.2014, Az. 2 B 49/14

2. Senat | REWIS RS 2014, 3377

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Gegenstand

Ruhegehaltfähigkeit von in der DDR zurückgelegten Vordienstzeiten


Leitsatz

Der durch § 85 Abs. 12 BeamtVG angeordnete Ausschluss der Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten, die in der DDR zurückgelegt wurden, findet keine Anwendung, wenn der Beamte vor dem 22. März 2012 in den Ruhestand getreten ist.

Gründe

1

Die Beschwerde der Beklagten kann keinen Erfolg haben. Der geltend gemachte [X.] der grundsätzlichen Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.

2

Der 1945 geborene Kläger wurde nach seiner Übersiedlung aus der damaligen [X.] im Jahr 1977 zum Bundesbeamten auf Probe ernannt. Seit 1980 war er Beamter auf Lebenszeit; seit 1992 hatte er ein Amt der Besoldungsgruppe [X.] inne. Mit Wirkung vom 1. Mai 2010 trat er wegen Erreichens der gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand. Die Beklagte hat den [X.] auf 66,33 v.H. festgesetzt. Dabei erkannte sie weder die [X.]en des Medizinstudiums und der Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent an der [X.] (1964 bis 1973) noch die [X.] als politischer Häftling (1973 bis 1976) als ruhegehaltfähige Vordienstzeiten an.

3

Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, über die Anerkennung dieser [X.]en erneut zu entscheiden und gegebenenfalls einen höheren [X.] festzulegen. In dem Berufungsurteil heißt es, das Ruhegehalt des [X.] sei nach § 85 Abs. 1 [X.] festzusetzen. Danach richte sich die Ruhegehaltfähigkeit der bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegten Vordienstzeiten nach dem an diesem Tag geltenden Recht. Die damals geltenden allgemeinen Anrechnungsvorschriften seien auch für die in der [X.] zurückgelegten [X.]en maßgebend. Danach seien die Studien- und Assistentenzeiten des [X.] dem Grunde nach ruhegehaltfähig; ihre Anerkennung stehe im Ermessen der Beklagten. Die Berücksichtigung der Haftzeit sei gesetzlich vorgegeben.

4

Die Regelung des § 12b Abs. 1 [X.], die die Ruhegehaltfähigkeit von in der [X.] zurückgelegten [X.]en ausschließe, sofern hierfür Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bestünden, sei im Fall des [X.] nicht anwendbar. Sie gehöre nicht zu dem am 31. Dezember 1991 geltenden Recht, weil sie erst am 1. Oktober 1994 in [X.] getreten sei. Der Gesetzgeber habe die Anwendung des § 12b [X.] für die Bemessung des Ruhegehalts nach § 85 Abs. 1 [X.] erst durch § 85 Abs. 12 [X.] angeordnet, der am 22. März 2012 in [X.] getreten sei. Diese Regelung gelte jedoch nicht rückwirkend für die Bemessung des Ruhegehalts der zu diesem [X.]punkt bereits vorhandenen Ruhestandsbeamten wie dem Kläger.

5

Die Beklagte hält die Frage rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, ob § 12b Abs. 1 [X.] die Ruhegehaltfähigkeit von in der [X.] zurückgelegten [X.]en auch in denjenigen Fällen ausschließt, in denen das Ruhegehalt nach § 85 Abs. 1 [X.] zu bemessen ist.

6

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, wenn der Beschwerdeführer eine Rechtsfrage aufwirft, die sowohl im konkreten Fall entscheidungserheblich als auch allgemein klärungsbedürftig ist (stRspr; vgl. Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Ein solcher Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eindeutig beantwortet werden kann (stRspr; vgl. Beschluss vom 24. Januar 2011 - BVerwG 2 [X.].11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4).

7

So liegt der Fall hier. Die von der Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage kann aufgrund der Rechtsprechung des [X.] ohne weiteres beantwortet werden. Auf dieser Grundlage hat bereits das Oberverwaltungsgericht die in der Beschwerdebegründung wiederholten Argumente der Beklagten zutreffend abgehandelt.

8

Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass das Ruhegehalt des [X.], der am 31. Dezember 1991 bereits Beamter war und seitdem bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand ununterbrochen in einem Beamtenverhältnis gestanden hat, aufgrund der Vergleichsberechnungen nach § 85 Abs. 4 [X.] nach Absatz 1 dieser Vorschrift festzusetzen ist. Nach Satz 1 des § 85 Abs. 1 [X.] bleibt der am 31. Dezember 1991 bereits erreichte [X.] gewahrt. Nach § 85 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 [X.] richtet sich die Berechnung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit und des [X.]es nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht. Die Sätze 3 bis 5 des § 85 Abs. 1 [X.] regeln die Berechnung des [X.]es für die ab dem 1. Januar 1992 zurückgelegten Dienstzeiten, wobei eine Steigerung von 1 v.H. für jedes Jahr vorgesehen ist.

9

Der Bedeutungsgehalt des § 85 Abs. 1 [X.] ist in der Rechtsprechung des [X.] geklärt: Die Vorschrift enthält ein vollständiges Regelungsprogramm für die Festsetzung des Ruhegehalts derjenigen Beamten, die bereits am 31. Dezember 1991 und seitdem ununterbrochen bis zum Eintritt in den Ruhestand in einem Beamtenverhältnis gestanden haben. Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 [X.] ist das Ruhegehalt für die bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegten [X.]en ausschließlich nach demjenigen Recht zu bestimmen, das an diesem Tag in [X.] war. Das neue, am 1. Januar 1992 in [X.] getretene [X.] kommt für die bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegten [X.]en nicht zur Anwendung. § 85 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 [X.] gewährleisten den bis zum 31. Dezember 1991 erreichten [X.]; sie schließen für die bis dahin zurückgelegten [X.]en Einbußen aus, die sich aus der Anwendung des neuen [X.]s ergeben können (stRspr; vgl. Urteile vom 24. September 2009 - BVerwG 2 [X.] 63.08 - BVerwGE 135, 14 = [X.] 239.1 § 67 [X.] Nr. 4 und vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 2 [X.] 59.11 - BVerwGE 145, 14 = [X.] 239.1 § 85 [X.] Nr. 10 ).

Daraus folgt zum einen, dass der [X.] für die bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegten [X.]en nach der alten, bis zu diesem Tag geltenden degressiven Ruhegehaltsskala zu berechnen ist. Zum anderen ist nach der am 31. Dezember 1991 bestehenden Rechtslage zu beurteilen, ob und inwieweit [X.]en außerhalb eines Beamtenverhältnisses (Vordienstzeiten) als ruhegehaltfähig zu berücksichtigen und damit für die Berechnung des [X.]es Beamtendienstzeiten gleichzustellen sind. Daher sind die am 31. Dezember 1991 geltenden Vorschriften der §§ 8 bis 12 des Beamtenversorgungsgesetzes in der Fassung vom 12. Februar 1987 ([X.] I S. 570) maßgebend (stRspr; vgl. Urteile vom 24. September 2009 a.a.[X.] und vom 26. Januar 2012 - BVerwG 2 [X.] 49.10 - [X.] 239.1 § 67 [X.] Nr. 5 Rn. 10). Das Oberverwaltungsgericht weist zutreffend darauf hin, dass sich diese Rechtsfolgen bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des ersten Halbsatzes des § 85 Abs. 1 Satz 2 [X.] ergeben.

Nach alledem liegt auf der Hand, dass die nach dem 31. Dezember 1991 in [X.] getretenen Änderungen der Regelungen über die Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten für die bis dahin zurückgelegten [X.]en jedenfalls dann keine Bedeutung haben können, wenn sie die nach dem alten Recht vorgeschriebene oder mögliche Berücksichtigung ausschließen oder erschweren. Die Anwendung derartiger Regelungen widerspricht der Aussage des § 85 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 [X.], dass der bis zum 31. Dezember 1991 bei Anwendung des alten Rechts erreichte [X.] gewahrt bleibt. Ansonsten könnten diese Regelungen ihren Zweck nicht erfüllen, den bis zum 31. Dezember 1991 erreichten [X.] ohne Abstriche zu gewährleisten.

Etwas anderes kann allenfalls angenommen werden, wenn der Gesetzgeber nachträglich § 85 Abs. 1 [X.] ändern würde oder einer nachträglichen Rechtsänderung Geltung auch für die Berechnung des Ruhegehalts nach dieser Vorschrift beimisst. Es bedarf jedenfalls einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung, dass Änderungen der Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten, die nach dem 31. Dezember 1991 in [X.] getreten sind, auch auf die bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegten [X.]en, Anwendung finden.

Diese Voraussetzung liegt in Bezug auf den § 12b [X.] in der Fassung von Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes vom 20. September 1994 ([X.] I S. 2442) nicht vor. Der dadurch mit Wirkung vom 1. Oktober 1994 erstmals eingeführte Ausschluss der Ruhegehaltfähigkeit von Vordienstzeiten, die im Beitrittsgebiet, d.h. im Gebiet der ehemaligen [X.], zurückgelegt wurden, hat die sich aus § 85 Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.] ergebende Ruhegehaltfähigkeit der bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegten Vordienstzeiten unberührt gelassen. Um den bis dahin erreichten [X.] durch die Anwendung des § 12b [X.] abzusenken, hätte der Gesetzgeber die Geltung des § 12b [X.] auch bei Anwendung des § 85 Abs. 1 [X.] anordnen müssen; dies ist nicht geschehen.

Die erforderliche Anordnung enthält erst der am 22. März 2012 in [X.] getretene § 85 Abs. 12 [X.] in der Fassung von Art. 4 Nr. 19 des Änderungsgesetzes vom 15. März 2012 ([X.] I S. 462), der § 12b [X.] für die vorstehenden Absätze und damit auch für die Berechnung des Ruhegehalts nach § 85 Abs. 1 [X.] für anwendbar erklärt. Diese Rechtsänderung hat den durch § 85 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 [X.] gewährleisteten [X.] für die vor dem 31. Dezember 1991 in der [X.] zurückgelegten Vordienstzeiten abgesenkt. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht die Bemerkung in der Gesetzesbegründung als unzutreffend angesehen, bei § 85 Abs. 12 [X.] handele es sich in Bezug auf den Bedeutungsgehalt des § 85 Abs. 1 [X.] um eine Klarstellung (BTDrucks 17/7142 S. 34). Diese Auffassung widerspricht dem eindeutigen Wortlaut des § 85 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 [X.] und dem Zweck des § 85 Abs. 1 [X.]; sie hat im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden.

Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass das Ruhegehalt nach demjenigen Recht festzusetzen ist, das zum [X.]punkt des Eintritts in den Ruhestand gilt (stRspr; vgl. Urteile vom 25. August 2011 - BVerwG 2 [X.] 22.10 - [X.] 239.1 § 5 [X.] Nr. 20 Rn. 13 und vom 26. November 2013 - BVerwG 2 [X.] 17.12 - [X.] 239.1 § 53 [X.] Nr. 27 Rn. 7). Daraus hat es zu Recht geschlossen, dass § 85 Abs. 12 [X.] nicht nachträglich gestaltend in bereits vorhandene [X.] eingreift. Vielmehr findet die Regelung für die Berechnung des Ruhegehalts nach § 85 Abs. 1 [X.] nur Anwendung, wenn der Beamte nach ihrem Inkrafttreten am 22. März 2012 in den Ruhestand getreten ist.

Diese Rechtslage ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar; sie führt nicht zu einer ungerechtfertigten Besserstellung der Beamten mit in der [X.] zurückgelegten Vordienstzeiten gegenüber Beamten mit ruhegehaltfähigen Vordienstzeiten im Beitrittsgebiet, d.h. dem Gebiet der ehemaligen [X.], nach dem 31. Dezember 1991. Die Stichtagsregelung des § 85 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 [X.] wurde aus Gründen des Vertrauensschutzes und damit der Verhältnismäßigkeit eingeführt, um die nachteiligen Folgen der am 1. Januar 1992 in [X.] getretenen versorgungsrechtlichen Änderungen, insbesondere die Ablösung der degressiven durch eine strikt lineare Ruhegehaltsskala, auf die Zukunft zu begrenzen. Es erschließt sich nicht, warum dieser Vertrauensschutz für Beamte mit in der [X.] zurückgelegten, nach altem Recht ruhegehaltfähigen Vordienstzeiten nicht gelten sollte.

Nach alledem ist § 85 Abs. 12 [X.] im Fall des [X.] nicht anwendbar: Für die Berechnung seines Ruhegehalts ist die Rechtslage am 1. Mai 2010, dem Eintritt des [X.] in den Ruhestand, maßgebend. Zu diesem [X.]punkt war § 85 Abs. 12 [X.] noch nicht in [X.], sodass das Oberverwaltungsgericht die Ruhegehaltfähigkeit der in der [X.] zurückgelegten [X.]en des [X.] zu Recht nach den Vorschriften der §§ 8 ff. [X.] 1987 beurteilt hat.

Meta

2 B 49/14

20.08.2014

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 6. März 2014, Az: OVG 7 B 4.14, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 8 BeamtVG, § 12b BeamtVG, § 85 Abs 1 BeamtVG, § 85 Abs 2 BeamtVG, § 85 Abs 3 BeamtVG, § 85 Abs 4 BeamtVG, § 85 Abs 5 BeamtVG, § 85 Abs 6 BeamtVG, § 85 Abs 7 BeamtVG, § 85 Abs 8 BeamtVG, § 85 Abs 9 BeamtVG, § 85 Abs 10 BeamtVG, § 85 Abs 11 BeamtVG, § 85 Abs 12 BeamtVG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20.08.2014, Az. 2 B 49/14 (REWIS RS 2014, 3377)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3377

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Referenzen
Wird zitiert von

3 ZB 15.1614

3 ZB 16.868

AN 1 K 15.02574

W 1 K 13.4

3 ZB 15.855

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