Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.10.2011, Az. 4 StR 455/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 2053

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 455/11

vom
25. Oktober
2011
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

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Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 25. Oktober
2011
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten A.

wird das Ur-teil des [X.] vom 10. März 2011, soweit es ihn betrifft,
im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit seiner hierge-gen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und ma-teriellen Rechts. Das Rechtsmittel führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1.
Der Schuldspruch weist im Ergebnis keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
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Das [X.] ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte einer gefährlichen Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB (gemeinschaftlich mit einem anderen Beteiligten begangen) schuldig ist. Dage-gen
wird seine Annahme, dass der Angeklagte auch eine gefährliche Körper-verletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangen hat, von den Feststellungen nicht getragen.
a)
Eine Körperverletzung mittels
einer das Leben gefährdenden [X.] liegt vor, wenn das als Körperverletzung zu beurteilende Verhalten nach den konkreten Umständen des Einzelfalls generell geeignet war, das Leben des Opfers zu gefährden. Nicht erforderlich ist es, dass das Opfer auch tatsächlich in Lebensgefahr geraten ist ([X.],
Urteil vom 25. Februar 2010

4 [X.], [X.], 176; Urteil vom 4. September 1996

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StR 320/96, [X.], 67 m.w.N.).
Nach den Feststellungen zwang der Angeklagte an einem September-abend den mit Jeans, Pullover und Schuhen bekleideten 21jährigen Geschädig-ten in die [X.] zu steigen und sich stromabwärts treiben zu lassen. Der Ge-schädigte war ein guter Schwimmer, ortskundig und trotz der vorhandenen Dunkelheit räumlich orientiert. Nach etwa 700 m vermochte er an einem [X.] aus dem Wasser zu steigen und zeitnah ärztliche Hilfe zu erlangen. Er erlitt eine leichte Unterkühlung (Untertemperatur von einem Grad Celsius) und wurde über Nacht im Krankenhaus mit vorgewärmten Infusionen versorgt. Die [X.] hatte zum fraglichen Zeitpunkt eine Temperatur von 15 Grad Celsius, ei-nen Pegelstand von 92 cm über Pegel

was Niedrigwasser entspricht

und eine Fließgeschwindigkeit von 0,81 m/s. [X.] gab es in dem betref-fenden Flussabschnitt nicht.
Zur Wassertiefe und zum Schiffsverkehr hat das [X.] keine Feststellungen getroffen.
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Daraus ergibt sich nicht, dass der von dem Angeklagten erzwungene und auf
Grund der eingetretenen Unterkühlung als Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) zu beurteilende Aufenthalt des Geschädigten in der [X.] unter [X.] erfolgt ist, die dessen Leben zumindest abstrakt in Gefahr gebracht ha-ben. Das Wasser war mit 15 Grad Celsius noch nicht so kalt, dass eine tödliche Unterkühlung zu befürchten war (vgl. [X.], NStZ 1983, 414). Auch Umstände, die geeignet waren, den Geschädigten in die Gefahr des Ertrinkens zu bringen, sind nicht festgestellt. In dem gleichmäßig und eher langsam [X.] Wasser war eine körperliche Überforderung des Geschädigten nicht
zu befürchten. Allein aus dem Umstand, dass der Geschädigte beim Schwimmen wegen der mit Wasser vollgesogenen Kleidung [X.] als erwartet aufwen-den musste, kann noch keine abstrakte Lebensgefährdung abgeleitet werden. Als sich der Geschädigte ins Wasser sinken ließ und zu schwimmen begann, konnte er noch gefahrlos stehen. Panikreaktionen oder ein Orientierungsverlust waren mit Rücksicht auf die Ortskunde des Geschädigten und sein beherrsch-tes Reagieren offenkundig nicht zu befürchten. Andere in der konkreten Situati-on angelegte, aber letztlich nicht wirksam gewordene Gefahrenquellen (vgl. RG Urteil vom 8. April 1884

II. [X.], [X.] 6, 282) sind nicht
erkennbar.
b) Der Bestand des Schuldspruchs wird durch die rechtsfehlerhafte Be-jahung einer
gefährlichen Körperverletzung mittels einer das Leben gefährden-den Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht in Frage gestellt. Der auf-gezeigte Rechtsfehler betrifft nur den Schuldumfang und damit den Straf-ausspruch (vgl. [X.],
Urteil vom 5. Mai 1999

2 StR 58/99; [X.]/[X.], 6. Aufl.,
§ 353 Rn. 13 m.w.N.). Zwischen den Feststellungen zu der den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung tragenden [X.] nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB und den Feststellungen zu einer möglichen das Leben gefährdenden Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr.
5 StGB besteht auch kein innerer Zusammenhang, der eine nochmalige 6
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tatrichterliche Entscheidung über den Schuldspruch erforderlich machen würde. Beide Fragen betreffen voneinander abgrenzbare Ausschnitte des [X.] und können daher getrennt beantwortet werden (vgl. [X.],
Urteil vom 22. August 1995

1 StR 393/95, [X.]St 41, 222, 223 f.; [X.], StPO,
54. Aufl.,
§ 353 Rn. 7).
2.
Der aufgezeigte Rechtsfehler führt jedoch zur Aufhebung des Straf-ausspruchs. Obgleich das [X.] bei der Strafzumessung nicht ausdrück-lich zum Nachteil des Angeklagten darauf abgehoben hat, dass zwei [X.] des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht worden sind, vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die Strafe bei einem reduzierten Schuldumfang auch niedriger bemessen worden wäre. Der neue Tatrichter wird daher -
gegebenen-falls auf der Grundlage ergänzender Feststellungen -
über die Gefährlichkeit der Körperverletzung und die danach schuldangemessene Strafe neu zu befinden haben.
3.
Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Ent-ziehungsanstalt nach § 64 StGB leidet an einem durchgreifenden Rechtsfehler.
Das [X.] hat die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise dargelegt. Schließt sich der Tatrichter bei der Begründung einer Maßregelanordnung den Ausführungen des zu dieser Frage gehörten Sachverständigen ohne zusätzliche eigene Erwägun-gen an, müssen die Urteilsgründe die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. [X.], Beschluss vom 14. April 2010

5 [X.]). Hieran fehlt es.
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Die Urteilsgründe enthalten

bis auf die Erwähnung eines stationären Psychiatrieaufenthaltes im Jahre 2005, bei dem u.a. die Diagnose einer Polyto-xikomanie vom Prägnanztyp eines Abhängigkeitssyndroms gestellt wurde

keine Feststellungen zum Drogen-
und Alkoholkonsum des Angeklagten, so-dass nicht nachvollzogen werden kann, aufgrund welcher Tatsachen der Sach-verständige auf einen Hang, alkoholische Getränke und andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, geschlossen hat. Ebenso fehlt eine [X.] der tatsächlichen Anknüpfungspunkte für die Bejahung eines sympto-matischen Zusammenhangs zwischen dem Hang und der Tat; insbesondere bleibt unerörtert, ob Alkohol oder Drogen bei den zur Aburteilung gelangten früheren Straftaten des Angeklagten eine Rolle gespielt haben.
Schließlich wird auch die vom Sachverständigen angenommene Erfolgs-aussicht (§ 64 Satz 2 StGB) nicht durch Tatsachen belegt. Angesichts des Um-standes, dass sich das bei dem Angeklagten diagnostizierte [X.] ([X.] 10: [X.]) erst auf der Basis einer kombinierten Persönlichkeitsstö-rung ([X.] 10: [X.]) entwickelt hat, die durch eine latente Aggressionsbereit-schaft, psychosoziale Desintegration und eine zunehmende dissoziale Entwick-lung gekennzeichnet ist ([X.]), wären hierzu eingehende Ausführungen erfor-derlich gewesen
(vgl. [X.] in: [X.]/[X.]/Leygraf/[X.], Handbuch der Forensischen Psychiatrie Bd. 3 S. 341).
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4.
Da sich das Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, weist der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer des [X.] zurück ([X.],
Urteil vom 28. April 1988

4 StR 33/88, [X.]St 35, 267).
Ernemann Roggenbuck Cierniak

Mutzbauer Quentin

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Meta

4 StR 455/11

25.10.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.10.2011, Az. 4 StR 455/11 (REWIS RS 2011, 2053)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2053

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 455/11

4 StR 575/09

5 StR 123/10

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