Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.10.2022, Az. AnwZ (Brfg) 19/22

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2022, 6269

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Tenor

Der Antrag des [X.] auf Zulassung der Berufung gegen das am 29. April 2022 verkündete Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes [X.] wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist seit 1983 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit [X.]escheid vom 6. Januar 2022 widerrief die [X.]eklagte die Zulassung des [X.] wegen [X.] (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.]). Die hiergegen gerichtete Klage hat der [X.] abgewiesen. Der Kläger beantragt nunmehr die Zulassung der [X.]erufung gegen das Urteil des [X.]s.

II.

2

Der Antrag ist nach § 112e Satz 2 [X.], § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Ein [X.] nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 [X.], § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

3

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser [X.] setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. nur Senat, [X.]eschluss vom 4. März 2019 - [X.] ([X.]) 47/18, juris Rn. 3). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den [X.] dann nicht aus, wenn sie nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (vgl. nur Senat, [X.]eschluss vom 7. März 2019 - [X.] ([X.]) 66/18, juris Rn. 5).

4

Entsprechende Zweifel vermag der Kläger nicht darzulegen. Das Urteil des [X.]s steht im Einklang mit der Senatsrechtsprechung.

5

a) Der Kläger wendet sich im Zulassungsantrag dagegen, dass der [X.] eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden bejaht hat, obwohl er seit 1. Januar 2021 nur noch als angestellter Anwalt bei einer Sozietät tätig ist. Seither habe es keine [X.]eanstandungen gegeben. Die Sozietät habe schriftlich die Einhaltung der Kriterien für einen Ausschluss der Gefährdung der Rechtsuchenden bestätigt und sich verpflichtet, eine Vertragsbeendigung unverzüglich der Rechtsanwaltskammer mitzuteilen.

6

b) Dieses Vorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Annahme des [X.]s, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden vorlag.

7

aa) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.] zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines [X.] folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft (vgl. nur Senat, [X.]eschluss vom 12. Dezember 2018 - [X.] ([X.]) 65/18, juris Rn. 7). Von einem solchen Ausnahmefall kann nur ausgegangen werden, wenn im Zeitpunkt des Widerrufs eine sichere Prognose dahingehend getroffen werden kann, dass sich im zu entscheidenden Einzelfall die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden (vgl. Senat, [X.]eschluss vom 18. Oktober 2010 - [X.] ([X.]) 21/10, juris Rn. 10). Die Annahme einer derartigen Sondersituation setzt mindestens voraus, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern.

8

Hierfür genügen nach der Senatsrechtsprechung Regelungen im Anstellungsvertrag allein nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass die Einhaltung der [X.]eschränkungen durch die Sozietätsmitglieder überprüft wird und effektive Kontrollmöglichkeiten bestehen, wobei es immer einer wirksamen Kontrolle und einer ausreichend engen tatsächlichen Überwachung bedarf, die gewährleistet, dass der Rechtsanwalt nicht beziehungsweise nicht unkontrolliert mit [X.]n in [X.]erührung kommt (vgl. Senat, [X.]eschlüsse vom 30. Mai 2022 - [X.] ([X.]) 43/21, juris Rn. 8; vom 5. September 2012 - [X.] ([X.]) 26/12, NJW-RR 2013, 175 Rn. 5; vom 4. April 2012 - [X.] ([X.]) 62/11, juris Rn. 6; vom 22. Juni 2011 - [X.] ([X.]) 12/11, juris Rn. 3 f.; vom 10. Mai 2010 - [X.] ([X.]) 37/09, juris Rn. 10).

9

Grundlage der Prognose, ob eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausnahmsweise ausgeschlossen werden kann, ist dabei nicht nur ein entsprechender - gegebenenfalls den einschlägigen Senatsentscheidungen nachgebildeter - Anstellungsvertrag. Vielmehr entscheidet eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände hierüber (vgl. Senat, [X.]eschlüsse vom 18. Oktober 2010 - [X.] ([X.]) 21/10, juris Rn. 10; vom 4. April 2012 - [X.] ([X.]) 62/11, juris Rn. 6 und 8; vom 18. Oktober 2004 - [X.] ([X.]) 43/03, [X.], 511).

bb) Diese Grundsätze hat der [X.] beachtet und in einer einzelfallbezogenen Gesamtwürdigung der Umstände eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nicht ausnahmsweise verneint. Die ausschließliche Tätigkeit des [X.] in einer Anwaltssozietät und die diesbezüglichen Vereinbarungen hat der [X.] hierbei berücksichtigt. Er hat im Rahmen der Gesamtwürdigung jedoch insbesondere auch darauf abgestellt, dass der Kläger seine anwaltliche Tätigkeit in der Vergangenheit nicht ohne jede [X.]eanstandung ausgeübt, sondern im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten seiner Pflicht, mit [X.] ordnungsgemäß umzugehen, nicht genügt hat (vgl. zur [X.]erücksichtigung dieses Umstands: Senat, [X.]eschlüsse vom 4. April 2012 - [X.] ([X.]) 62/11, juris Rn. 6 und 8; vom 18. Oktober 2010 - [X.] ([X.]) 21/10, juris Rn. 13). Das Vorbringen im Zulassungsantrag begründet keine ernstlichen Zweifel an dieser Würdigung des [X.]s. Denn dort wird allein darauf abgestellt, dass der Kläger ausschließlich für eine Sozietät tätig ist und diese die Einhaltung der Kriterien für einen Ausschluss der Gefährdung der Rechtsuchenden bestätigt habe. Diesen Umstand hat der [X.] jedoch berücksichtigt. Allein daraus ergibt sich indes nach obigen Grundsätzen nicht, dass eine Gefährdung der Rechtsuchenden abzulehnen ist. Mit der Gesamtwürdigung des [X.]s und den weiteren Umständen, die der [X.] in diese einbezogen hat, befasst sich der Zulassungsantrag nicht. Das Vorbringen stellt damit die Gesamtwürdigung des [X.]s und dessen Ergebnis nicht ernstlich in Frage.

cc) Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich ohnehin weder dem Anstellungsvertrag des [X.] noch der ergänzenden Erklärung der Sozietät, bei der er angestellt ist, noch dem sonstigen Vorbringen des [X.] das Vorliegen eines effektiven Schutzes der Interessen der Rechtsuchenden nach oben genannten Kriterien entnehmen lässt. Hieraus ergibt sich insbesondere nicht, dass die Tätigkeit des [X.] und die Einhaltung der vertraglichen Vereinbarungen durch andere [X.]erufsträger effektiv überwacht werden. Nicht dargelegt sind insoweit effektive und kontrollierte Abreden zum Umgang mit [X.]argeldern und Schecks. Der Hinweis darauf, dass [X.]arzahlungen in der Kanzlei äußerst selten vorkämen, nicht von Anwälten angenommen würden und von einer Angestellten bei einer [X.]arzahlung unverzüglich eine Quittung ausgestellt und dem [X.] ausgehändigt würde, genügt insoweit nicht. Denn allein die Üblichkeit in der Sozietät verhindert nicht effektiv, dass der Kläger entgegen der kanzleiinternen Übung [X.]arzahlungen annehmen könnte und somit Zugriff auf [X.] erhielte. Auch im Hinblick auf die im Zulassungsantrag nicht angegriffene Feststellung des [X.]s, dass der Kläger im Zusammenhang mit seinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten seiner Pflicht, mit [X.]ern ordnungsgemäß umzugehen, nicht genügt hat und damit - anders als in dem dem Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2004 - [X.] ([X.]) 43/03 ([X.], 511) zu Grunde liegenden Fall - nicht von einer bisher beanstandungsfreien Ausübung des anwaltlichen [X.]erufs ausgegangen werden kann, kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass der Kläger sich über etwaige interne Verpflichtungen oder Übungen zum Umgang mit [X.]arzahlungen nicht hinwegsetzen würde. Der vom Kläger betonte Umstand, dass es bisher nicht zu [X.]eanstandungen seiner Tätigkeit in der Sozietät gekommen sei, reicht zur Widerlegung der gesetzlich indizierten Gefährdung nicht aus.

2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche [X.]edeutung (§ 112e Satz 2 [X.] i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser [X.] ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. nur Senat, [X.]eschluss vom 5. April 2019 - [X.] ([X.]) 2/19, juris Rn. 13 mwN). Diese Voraussetzungen sind vom [X.]eschwerdeführer darzulegen. Zur schlüssigen Darlegung gehören Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage sowie zu ihrer [X.]edeutung für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen oder ihre Auswirkung auf die Allgemeinheit; begründet werden muss auch, warum ein korrigierendes Eingreifen des [X.]undesgerichtshofs erforderlich ist (vgl. nur Senat, [X.]eschlüsse vom 5. April 2019, aaO; vom 12. März 2015 - [X.] ([X.]) 82/13, juris Rn. 24; jeweils mwN).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht dargetan. Klärungsbedürftige Rechtsfragen von grundsätzlicher [X.]edeutung stellen sich im vorliegenden Verfahren nicht. Vielmehr beruht die Entscheidung auf der ständigen Rechtsprechung des Senats und einer hierauf aufbauenden einzelfallbezogenen Würdigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles. Wann von einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden auszugehen ist und unter welchen Voraussetzungen diese verneint werden kann, ist - wie oben ausgeführt - geklärt. Entgegen dem Vorbringen im Zulassungsantrags bezieht sich die bisherige Rechtsprechung nicht lediglich auf die Aufnahme einer angestellten Tätigkeit in einer [X.]. Vielmehr sind auch die Grundlagen für die [X.]erücksichtigung der Aufnahme einer Tätigkeit in einer Sozietät im Rahmen der [X.]eurteilung, ob ausnahmsweise eine Gefährdung der [X.]elange der Rechtsuchenden verneint werden kann, geklärt. Einer weiteren Grundsatzentscheidung bedarf es hierzu nicht.

Die im Zulassungsantrag aufgeworfene Frage, ob "ein in einer Sozietät angestellter Anwalt, der keinen Zugriff auf [X.]er und Konten seines Arbeitgebers hat, ebenso nicht dessen Gläubiger, bei dem die Sozietät sich verpflichtet hat, der Rechtsanwaltskammer jeden [X.]erufswechsel anzuzeigen, die Zuverlässigkeit für die Ausübung des Anwaltsberufs fehlt", begründet eine Zulassung wegen grundsätzlicher [X.]edeutung nicht. Zum einen ist hier entscheidend, ob eine Gefährdung der Rechtsuchenden ausnahmsweise auszuschließen ist, und nicht, ob dem betroffenen Anwalt die Zuverlässigkeit für die Ausübung des Anwaltsberufs fehlt, so dass schon die Erheblichkeit der vom Kläger für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfrage für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht ersichtlich ist. Selbst wenn damit gemeint sein sollte, dass grundsätzlich zu klären sei, ob unter den vom Kläger genannten Umständen eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausscheide, wäre das Vorliegen von grundsätzlicher [X.]edeutung abzulehnen. Denn dies ist nicht allgemein klärungsfähig, sondern auf Grundlage der oben genannten Grundsätze der Senatsrechtsprechung nach den konkreten Umständen des jeweiligen Falles zu beurteilen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 [X.], § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 [X.].

Grupp     

      

Liebert     

      

Ettl   

      

Kau     

      

Merk     

      

Meta

AnwZ (Brfg) 19/22

10.10.2022

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Anwaltsgerichtshof Hamm, 29. April 2022, Az: 1 AGH 3/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.10.2022, Az. AnwZ (Brfg) 19/22 (REWIS RS 2022, 6269)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6269

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