Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.05.2017, Az. XII ZB 18/17

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 10789

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[X.]:[X.]:BGH:2017:170517BXIIZB18.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 18/17
vom
17.
Mai 2017
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 34 Abs. 3, 68 Abs. 3 Satz 2, 276, 278 Abs. 1 Satz 1 und 2
a)
Das Beschwerdegericht darf im Verfahren zur Anordnung oder Verlängerung der Betreuung nicht von der Anhörung des Betroffenen absehen, wenn das Amtsgericht auf eine Anhörung des Betroffenen verzichtet hat, weil dieser schon im Vorfeld des [X.] mitgeteilt hatte, er wolle in Ruhe gelassen
werden (Abgrenzung zu Senatsbeschluss vom 11.
Mai 2016

XII
ZB
363/15

FamRZ 2016, 1350).
b)
Sieht das Gericht im Betreuungsverfahren in berechtigter Weise von der [X.] schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den anwaltlich nicht vertretenen
Betroffenen ab, muss ein Verfahrenspfleger bestellt, diesem
das Gutachten übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (im [X.] an Senatsbeschlüsse vom 8.
Juni 2011

XII
ZB
43/11

FamRZ
2011, 1289 und vom 22.
Februar 2017

XII
ZB
341/16

juris).
BGH, Beschluss vom 17. Mai 2017 -
XII ZB 18/17 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am
17.
Mai 2017
durch den Vorsitzenden
[X.] Dose und die [X.] Dr.
Klinkhammer, Schilling, Dr.
Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der
Betroffenen wird der Beschluss der
2.
Zivilkammer des [X.]s [X.]
vom 8.
Dezember
2016
aufgehoben.
Die Sache
wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.
Wert: 5.000

Gründe:
I.
Für die im Jahre 1959
geborene Betroffene ist auf Antrag ihres Ehe-manns ein Betreuungsverfahren eingeleitet worden. Das Amtsgericht hat das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt, der eine bipolare affektive Stö-rung diagnostiziert und die Einrichtung einer Betreuung für erforderlich gehalten hat. Von der Bekanntgabe
dieses Gutachtens an die Betroffene hat das Amts-gericht auf Empfehlung des Sachverständigen abgesehen
und einen Anhö-rungstermin bestimmt. Nachdem die Betroffene dem Amtsgericht mitgeteilt hat-te, sie wolle in Ruhe gelassen werden, sonst werde sie eine Anzeige wegen Mobbings erstatten, hat das Amtsgericht ohne Anhörung einen Berufsbetreuer 1
-
3
-
für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung und Ver-mögenssorge
bestellt und für die Vermögenssorge einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Die Beschwerde der Betroffenen hat das [X.] ohne weitere Ermittlungen zurückgewiesen. Hiergegen
richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, bei der
Betroffenen lägen nach dem Sachverständigengutachten
die medizini-schen Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung vor. Der Einwilli-gungsvorbehalt sei geboten. Von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen werde abgesehen, obwohl sie erstinstanzlich nicht angehört worden sei. Denn dies habe allein darauf
beruht, dass sie jegliche Kommunikation verweigert und sogar mit einer Strafanzeige gedroht habe.
[X.] ein Betroffener beim erstinstanzlichen Anhörungstermin die Kommunikation mit dem [X.], ergebe sich allein hieraus keine Verpflichtung des [X.] zur erneuten Anhörung.
2. Das hält rechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das [X.] die Be-troffene nicht angehört hat.
aa) Gemäß §
278 Abs.
1 Satz
1 und 2 FamFG hat das Gericht den Be-troffenen vor der (erstmaligen) Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich einen persönli-chen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung 2
3
4
5
6
-
4
-
besteht nach §
68 Abs.
3 Satz
1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdever-fahren. Allerdings darf das Beschwerdegericht nach §
68 Abs.
3 Satz
2 FamFG von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten [X.] vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Diese Voraussetzungen liegen hier schon [X.] nicht vor, weil
das Amtsgericht die Betroffene nicht angehört hat.
Die vom [X.] für das Absehen von der Anhörung gegebene Be-gründung ist rechtsfehlerhaft. Zwar ist das Beschwerdegericht nicht gehalten, den Betroffenen erneut anzuhören, wenn er sich im Rahmen der erstinstanzli-chen Anhörung geweigert hat, mit dem [X.] zu kommunizieren, und zu er-warten steht, er werde auch in einer erneuten Anhörung nicht mitwirken (vgl.
Senatsbeschluss vom 11.
Mai 2016

XII
ZB
363/15

FamRZ 2016, 1350 Rn.
11). Grund hierfür ist, dass der Amtsrichter sich dann einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen verschafft und seiner Amtsermittlungspflicht ge-nügt hat. So liegt
es hier jedoch
mangels durchgeführten [X.] gerade nicht.
bb) [X.] war auch nicht durch §
34 Abs.
3 FamFG gerechtfertigt. Zwar kann das Betreuungsgericht nach dieser Vorschrift, deren Anwendung auch im Rahmen von §
278 FamFG nicht ausgeschlossen ist, in bestimmten Fallkonstellationen das Verfahren ohne persönliche Anhörung des Betroffenen beenden. Da die Anhörung in [X.] aber nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern auch der Sachverhaltsaufklärung dient, darf das Betreuungsgericht grundsätzlich nur nach §
34 Abs.
3 FamFG verfahren, wenn und soweit die gemäß §
278 Abs.
5 bis 7 FamFG zu Gebote stehende Vorführung des Betroffenen unverhältnismäßig ist und zudem alle zwanglosen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, den Betroffenen anzuhören bzw. 7
8
-
5
-
sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen (Senatsbeschluss vom 12.
Oktober 2016

XII
ZB
246/16

FamRZ 2017, 142 Rn.
9
mwN).
Diesen Anforderungen genügt das Verfahren des [X.] nicht. Das [X.] hat sich nicht auf §
34 Abs.
3 FamFG gestützt. Im Übri-gen sind hier auch keine Umstände ersichtlich, die eine Unverhältnismäßigkeit der Vorführung begründen könnten (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 12.
Okto-ber 2016

XII
ZB
246/16

FamRZ 2017, 142 Rn.
12
mwN).
b) Darüber hinaus macht die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend, dass das [X.] den Anspruch der Betroffenen auf Gewährung rechtlichen [X.] verletzt hat, indem es sich auf das Sachverständigengutachten gestützt hat, ohne der Betroffenen hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Zwar kann von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gut-achtens abgesehen werden, wenn zu besorgen ist, die Bekanntgabe werde die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden. In einem solchen Fall muss jedoch dem anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt werden, diesem das Gutachten übergeben wer-den und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (Senatsbeschluss vom 8.
Juni 2011

XII
ZB
43/11

FamRZ 2011, 1289
Rn.
8 mwN; vgl. zum Unterbringungsverfah-ren Senatsbeschluss vom 22.
Februar 2017

XII
ZB
341/16

juris Rn.
11).
Diesen rechtlichen Vorgaben sind die Vorinstanzen nicht gerecht gewor-den, indem sie der Empfehlung des Sachverständigen folgend der anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen das Gutachten nicht ausgehändigt haben, ohne ihr gemäß §
276 BGB einen Verfahrenspfleger zu bestellen.

9
10
11
12
-
6
-
3. Da sich nicht ausschließen
lässt, dass das [X.] nach Anhörung der
Betroffenen sowie Bestellung und ordnungsgemäßer Beteiligung eines [X.] zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, ist der [X.] Beschluss aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverwei-sen.

Dose

Klinkhammer

Schilling

Nedden-Boeger

Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 02.11.2016 -
11 [X.]/16 -

LG [X.], Entscheidung vom 08.12.2016 -
2 T 887/16 -

13

Meta

XII ZB 18/17

17.05.2017

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.05.2017, Az. XII ZB 18/17 (REWIS RS 2017, 10789)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10789

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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