Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.02.2014, Az. XI B 7/13

11. Senat | REWIS RS 2014, 8169

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Gegenstand

Verzicht auf mündliche Verhandlung - Verbrauch der Verzichtserklärung


Leitsatz

1. NV: Ein erklärter Verzicht auf mündliche Verhandlung wird durch eine die Sachentscheidung vorbereitende Entscheidung des Gerichts verbraucht .

2. NV: Ein Auflagenbeschluss, mit dem einem Beteiligten die Vorlage einer Urkunde aufgegeben wird und rechtliche Hinweise erteilt werden, stellt eine solche, die Prozesslage wesentlich ändernde Sachentscheidung dar .

Tatbestand

1

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) stimmte der Umsatzsteuererklärung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer AG, für den Besteuerungszeitraum 2001 (Streitjahr) nicht zu. Mit Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr vom 3. September 2008 versagte das [X.] den Abzug eines [X.] von [X.] (… €), weil die Klägerin nicht die Empfängerin der abgerechneten Leistung sei. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

2

Auf entsprechende --mit der Eingangsbestätigung der Klage beim Finanzgericht ([X.]) verbundene-- Frage erklärte die Klägerin mit Schriftsatz vom 9. November 2009 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

3

Am 27. August 2012 erließ der Berichterstatter "gemäß § 79 Finanzgerichtsordnung ([X.]O) folgende Aufklärungsanordnung :

4

Der Klägerin wird aufgegeben, die Rechnung vom 25. Januar 2001 der ... über den Bruttobetrag von [X.] im Original vorzulegen.

5

Darüber hinaus ergeht der Hinweis, dass der Vorsteuerabzug aus der vorgenannten Rechnung auch deshalb zu versagen sein könnte, weil der Leistungsgegenstand in der Rechnung nicht ausreichend beschrieben wird; eine Bezugnahme auf weitere Unterlagen fehlt."

6

Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2012 führte die Klägerin u.a. zur Beschreibung des Leistungsgegenstands in der betreffenden Rechnung aus und bat um die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung, da im Hinblick auf die bestehende Komplexität eine mündliche Verhandlung nun doch geboten sei.

7

Das [X.] wies die Klage ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 5. Dezember 2012 ab.

8

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision (§ 116 Abs. 1 [X.]O).

Entscheidungsgründe

9

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O.

1. Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, liegt vor. Das [X.] hat der Klägerin rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 [X.]O) versagt, indem es nach Ergehen der Aufklärungsanordnung (vgl. § 79 [X.]O) den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, obwohl es nicht mehr von einem wirksamen Verzicht der Klägerin auf mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 [X.]O) ausgehen durfte.

a) Der erklärte Verzicht hat sich durch den nachfolgenden [X.] des [X.] (§ 79 [X.]O) verbraucht (vgl. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 5. März 1986 I R 28/81, [X.] 1987, 651, und vom 31. August 2010 VIII R 36/08, [X.], 1, [X.], 126; [X.] vom 10. März 2011 VI B 147/10, [X.], 322, [X.], 556; Beschluss des [X.] vom 1. März 2006  7 B 90/05, juris; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 90 [X.]O Rz 58).

b) Diese einschränkende Auslegung der Verzichtserklärung und die Beschränkung ihrer Wirkung bis zur nächsten eine Sachentscheidung vorbereitenden Entscheidung des [X.] --wie hier dem [X.], mit dem der Klägerin die Vorlage einer Urkunde im Original aufgegeben und den Beteiligten rechtliche Hinweise erteilt worden [X.] ist aufgrund der besonderen Interessenlage der Beteiligten geboten (vgl. [X.]-Urteile vom 9. August 1996 VI R 37/96, [X.], 115, [X.] 1997, 77, und in [X.], 1, [X.], 126). Denn der Verzicht hat für die Beteiligten weitreichende Folgen, weil er als Prozesshandlung nach der Rechtsprechung des [X.] nicht frei widerrufbar ist, sondern nur dann, wenn sich die Prozesslage nach Abgabe der Einverständniserklärung wesentlich geändert hat (z.B. [X.]-Beschlüsse vom 22. Oktober 2003 I B 39/03, [X.] 2004, 350, und vom 17. Oktober 2011 IX B 108/11, [X.] 2012, 245, m.w.N.).

c) Da die Verzichtserklärung nach den vorstehenden Maßgaben wirkungslos geworden ist, war die Klägerin nicht nach den [X.] vertreten (§ 119 Nr. 4 [X.]O; vgl. [X.]-Beschlüsse vom 12. Januar 2007 II B 41/06, [X.] 2007, 755, und vom 8. Februar 2008 XI B 190/07, juris, m.w.N.).

2. Hiernach braucht der Senat nicht mehr auf den von der Klägerin ferner geltend gemachten Verfahrensfehler einzugehen, sie sei [X.] entzogen worden (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 119 Nr. 1 [X.]O).

3. Der Senat hält es für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O die Vorentscheidung wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O).

5. Die Übertragung der Kostentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI B 7/13

05.02.2014

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 5. Dezember 2012, Az: 3 K 3129/09, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 90 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 119 Nr 4 FGO, § 79 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.02.2014, Az. XI B 7/13 (REWIS RS 2014, 8169)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8169

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