Bundessozialgericht, Urteil vom 24.01.2023, Az. B 1 KR 6/22 R

1. Senat | REWIS RS 2023, 1391

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Gegenstand

Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - Kodierung von Prozeduren - Anknüpfen an den vom jeweiligen OPS-Kode definierten Eingriff, nicht an das mit der Behandlung verfolgte Ziel - Unterscheidung von (selbstständigen) Prozeduren und (unselbstständigen) Prozedurenkomponenten nach den Deutschen Kodierrichtlinien 2016


Leitsatz

1. Die Kodierung von Prozeduren knüpft nach den Deutschen Kodierrichtlinien an den vom jeweiligen OPS-Kode definierten Eingriff an und nicht an das mit der Behandlung verfolgte Ziel.

2. Nach den Deutschen Kodierrichtlinien für 2016 ist eine Behandlungsmaßnahme Komponente einer Prozedur und nicht eigenständig zu kodieren, wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst regelhafter Bestandteil der Prozedur ist und Sonderregelungen nicht eingreifen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 22. März 2022 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1414,71 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung.

2

Das Krankenhaus der Klägerin behandelte im Jahr 2016 einen Versicherten der beklagten Krankenkasse ([X.]) vollstationär. Zur Verbesserung der Nasenatmung begradigten die Ärzte die Nasenscheidewand (Septumplastik), entfernten einen Teil des in die Nasenhöhle ragenden Oberkieferknochens (endoskopische posteriore partielle Maxillektomie), verkleinerten beidseits die untere [X.] (Turbinoplastik der unteren [X.]n beidseits) und verlagerten diese ([X.]lateralisation beidseits). Das Krankenhaus kodierte bei der Abrechnung ua die Prozeduren [X.] ([X.] und [X.]) 5-214.6 (Plastische Korrektur des Nasenseptums mit Resektion), 5-215.2, 5-215.4 (Operationen an der unteren [X.], [X.] und Lateralisation) und 5-771.10 (Resektion eines Gesichtsschädelknochens, partielle Maxilla, ohne Rekonstruktion). Nach Einholung eines Gutachtens beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung ([X.]) verrechnete die [X.] einen Teilbetrag (1414,71 Euro) der zuvor vollständig beglichenen Vergütungsforderung mit anderen, für sich genommen unstreitigen Forderungen des Krankenhauses. Die Teilresektion des Knochens sei integraler Bestandteil des [X.] 5-214.6 und als Prozedurenkomponente nicht gesondert zu kodieren. Das [X.] hat die auf Zahlung des Differenzbetrages gerichtete Klage des Krankenhauses abgewiesen (Gerichtsbescheid vom [X.]). Das L[X.] hat die [X.]-Entscheidung aufgehoben und die [X.] zur Zahlung verurteilt: Das Krankenhaus habe für die partielle Maxillektomie [X.] 5-771.10 kodieren dürfen. Nach den ärztlichen Stellungnahmen sei die Abtragung des [X.] nicht zwingender Bestandteil der Operation an der unteren [X.]. Es handele sich daher um eine eigenständige Prozedur und nicht lediglich um die Komponente einer anderen Prozedur (Urteil vom 22.3.2022).

3

Mit ihrer Revision rügt die [X.] die Verletzung der [X.] ([X.]) [X.] und P003d sowie der [X.]-Kodes 5-214.6, 5-215.2, 5-215.4 und 5-771.10. Die partielle Knochenentfernung sei nur Teil eines Gesamteingriffs und von Anfang an als Bestandteil der durchgeführten Nasenscheidewandkorrektur geplant gewesen.

4

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des [X.]s Baden-Württemberg vom 22. März 2022 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des [X.] vom 4. Januar 2021 zurückzuweisen,

                 
        

hilfsweise,

                 
        

das Urteil des [X.]s Baden-Württemberg vom 22. März 2022 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

5

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Zu Recht hat das [X.] den Gerichtsbescheid des [X.] aufgehoben und die [X.] zur Zahlung verurteilt.

8

Die vom klagenden Krankenhaus erhobene (echte) Leistungsklage ist im hier bestehenden [X.] zulässig (vgl zB B[X.] vom 16.12.2008 - [X.] KN 1/[X.] R - B[X.]E 102, 172 = [X.]-2500 § 109 [X.], RdNr 9 mwN, [X.]) und begründet. Dem Krankenhaus steht der noch nicht beglichene unstreitige Vergütungsanspruch für andere Behandlungen zu. Er ist durch die Aufrechnung der [X.] nicht erloschen. Die beklagte [X.] zahlte die Vergütung für die hier in der Sache streitige Behandlung nicht ohne Rechtsgrund und konnte daher nicht wirksam mit einem Erstattungsanspruch gegen den mit der Klage geltend gemachten unstreitigen Vergütungsanspruch aufrechnen (vgl zu Vergütungsansprüchen bei unstrittiger Berechnungsweise B[X.] vom 26.5.2020 - [X.] KR 26/18 R - juris Rd[X.]1 mwN; zur Aufrechnung B[X.] vom 25.10.2016 - [X.] KR 9/16 R - [X.]-5562 § 11 [X.] und B[X.] vom 25.10.2016 - [X.] KR 7/16 R - [X.]-7610 § 366 [X.]).

9

Dem Krankenhaus stand für den streitigen Behandlungsfall ein Vergütungsanspruch zu (dazu 1.). Zutreffend hat das [X.] entschieden, dass das Krankenhaus für die durchgeführte Abtragung des Knochensporns am Kieferknochen (partielle Maxillektomie) [X.] 5-771.10 kodieren durfte. Die Voraussetzungen dieses Kodes sind erfüllt. Die partielle Maxillektomie wurde als eigenständige Prozedur durchgeführt, nicht lediglich als Komponente einer anderen Prozedur. Auch sonst stehen der Kodierung von [X.] 5-771.10 keine Ausschlussregelungen entgegen (dazu 2.).

1. Dem Krankenhaus stand für den streitigen Behandlungsfall ein Vergütungsanspruch nach Maßgabe der abgerechneten Fallpauschale ([X.]) gemäß § 109 Abs 4 Satz 3 [X.]B V iVm § 17b [X.], § 7 Abs 1 Satz 1, Abs 2 und § 9 Abs 1 KHEntgG zu (vgl zu den Grundvoraussetzungen des Vergütungsanspruchs zB B[X.] vom 8.11.2011 - [X.] KR 8/11 R - B[X.]E 109, 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.], 15 mwN).

Welche [X.]-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm ([X.]) basiert (vgl § 1 Abs 6 Satz 1 der [X.]; vgl für die [X.] zum rechtlichen Rahmen der Klassifikationssysteme und des Groupierungsvorgangs: B[X.] vom 19.6.2018 - [X.] KR 39/17 R - [X.]-5562 § 9 [X.] Rd[X.] und 17 mwN). Dieser [X.] greift auf Daten zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu Letzteren gehören die Fallpauschalen selbst, die von den Vertragspartnern auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den [X.] (hier Version 2016) für das G-[X.]-System‎ gemäß § 17b [X.], aber auch die Klassifikation des vom [X.] ([X.]) - bzw jetzt [X.] ([X.]) - im Auftrag des [X.] herausgegebenen [X.] (hier [X.] Version 2016).

Abrechnungsbestimmungen sind wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und allenfalls unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (vgl B[X.] vom [X.] - [X.] KR 31/21 R - [X.]-5560 § 19 [X.] Rd[X.]2 mwN).

2. Nach diesen Maßstäben kodierte das Krankenhaus zu Recht die durchgeführte partielle Maxillektomie mit [X.] 5-771.10. Bei der Maxillektomie handelte es sich um eine kodierfähige Prozedur. Im Zusammenhang mit einer Nasenscheidewandkorrektur und einer Verkleinerung der Nasenmuscheln ist sie als signifikante Prozedur gesondert zu verschlüsseln (dazu a). Sie ist keine unselbstständige Prozedurenkomponente (dazu b). Auch greifen keine sonstigen Ausschlussregelungen ein (dazu c).

a) Die Kodierung von Prozeduren knüpft nach den [X.] an den vom jeweiligen [X.]-Kode definierten Eingriff an und nicht an das mit der Behandlung insgesamt verfolgte Ziel. Es ist weder jeder einzelne Handgriff zu kodieren noch werden alle zur Erreichung des [X.] erforderlichen Maßnahmen insgesamt in einem [X.]-Kode zusammengefasst. Jeder durchgeführte Eingriff ist möglichst mit einem [X.]-Kode abzubilden (Grundsatz der monokausalen Kodierung, [X.] P003d). Es sind grundsätzlich "alle signifikanten Prozeduren" zu kodieren, soweit keine sonstigen [X.] entgegenstehen. Nicht gesondert zu kodieren sind in der Regel Komponenten einer Prozedur ([X.] P001f). Welche Behandlungsschritte Komponenten einer Prozedur sind, bestimmt sich nach den Regeln der ärztlichen Kunst für die Ausführung des jeweiligen, durch einen [X.]-Kode konkret definierten [X.]. Dies ist tatrichterlich zu ermitteln.

Die partielle Maxillektomie stellt eine signifikante Prozedur im Sinne der [X.] P001f dar und ist mit dem Kode 5-771.1** im [X.] abgebildet.

b) Die hiernach gegebene Kodierfähigkeit der partiellen Maxillektomie ist im vorliegenden [X.] nicht nach [X.] P001f ausgeschlossen.

aa) Nach den [X.] P001f ist eine Behandlungsmaßnahme Komponente einer Prozedur und nicht eigenständig zu kodieren, wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst nur regelhafter, nicht aber zwingender Bestandteil der Prozedur ist und Sonderregelungen nicht eingreifen. Das ergibt sich aus Wortlaut und Systematik der [X.] und des [X.].

Nach dem Wortlaut der [X.] P001f wird eine Prozedur "vollständig mit all ihren Komponenten" beschrieben. Prozeduren sind nach dem Wortsinn Behandlungsverfahren, dh Verfahrensweisen, die sich jeweils aus einer Mehrzahl von Verfahrensschritten oder Verfahrenselementen zusammensetzen. Welche Schritte und Elemente dies sind, richtet sich nach den Regeln der ärztlichen Kunst. Prozedurenkomponenten sind hingegen unselbstständige Bestandteile einer Prozedur. Nach dem Wortsinn ist eine Komponente ein Bestandteil eines Ganzen. Sie kann beschrieben werden als Ausschnitt, Baustein, Bestandteil, Glied, Segment oder Teilelement der medizinischen Verfahrensweise. Die Abgrenzung erfolgt jeweils bezogen auf den medizinischen Einzelfall. Nach dem Wortlaut der [X.] P001f ist eine eingriffsverwandte diagnostische Maßnahme "ebenso" nicht gesondert zu kodieren, wenn sie "regelhaft Bestandteil" der [X.] ist. Aus dem Wort "ebenso" ergibt sich, dass dies in gleicher Weise allgemein für Prozeduren mit regelhaften Komponenten auch dann gilt, wenn die regelhaften Komponenten grundsätzlich auch als eigenständige Prozeduren kodiert werden können. Dies steht in Einklang mit der Regelung in [X.] P001f, dass individuelle Komponenten - also auch regelhafte Komponenten - einer bereits kodierten Prozedur nicht noch einmal gesondert verschlüsselt werden. Was regelhafter Bestandteil einer im [X.] benannten Prozedur ist, kann sich nur nach den Regeln der ärztlichen Kunst bestimmen, soweit [X.] und der [X.] - wie hier (dazu c) - keine ausdrücklichen Vorgaben machen.

bb) Die hier vom Krankenhaus durchgeführte partielle Maxillektomie war eine eigenständig mit [X.] 5-771.10 zu kodierende Maßnahme und nicht nur Teil einer anderen durchgeführten Prozedur. Das Krankenhaus hat dieses Behandlungsverfahren nach den nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen und daher bindenden Feststellungen des [X.] durchgeführt. Das [X.] hat weiter bindend festgestellt, dass sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst weder regelhafter Bestandteil der [X.] noch der Operationen an der unteren Nasenmuschel war.

c) Spezielle Ausschlussregelungen stehen der Kodierung nicht entgegen. Im [X.] ist die [X.] bei den Kodes 5-214.6, 5-215.2, 5-215.4 nicht als Inklusivum geregelt, ferner ist kein spezifischer Kombinationskode bestimmt. Gegen die Kodierfähigkeit sprechen auch keine abweichenden Regelungen in den Speziellen Kodierrichtlinien zu Krankheiten des Atmungssystems ([X.] 1001l).

d) Soweit der 3. Senat zu der in den Jahren 2003 und 2004 geltenden Fassung der [X.] für die Frage, ob nur ein unselbstständiger Prozedurenteil vorliegt, darauf abgestellt hat, ob eine Komponente "von Anfang an" als Bestandteil der Maßnahme vorgesehen war (vgl B[X.] vom 18.9.2008 - B 3 KR 15/07 R - [X.]-2500 § 109 [X.]1 Rd[X.]4), hält der erkennende Senat aus den vorgenannten Gründen für die hier maßgebliche Fassung der [X.] daran nicht fest.

3. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.]G iVm § 154 Abs 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.]G iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3 sowie § 47 Abs 1 Satz 1 GKG.

        

Schlegel

Estelmann

Scholz

Meta

B 1 KR 6/22 R

24.01.2023

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Karlsruhe, 4. Januar 2021, Az: S 5 KR 2440/20, Gerichtsbescheid

§ 109 Abs 4 S 3 SGB 5, § 301 Abs 2 SGB 5, § 17b KHG, § 7 Abs 1 S 1 KHEntgG, § 7 Abs 2 KHEntgG, § 9 Abs 1 KHEntgG, Nr 5-771.10 OPS 2016, Nr 5-214.6 OPS 2016, Nr 5-215.2 OPS 2016, Nr 5-215.4 OPS 2016, Nr P001f DKR 2016, Nr P003d DKR 2016, § 1 Abs 6 S 1 FPVBG 2016, Anl 1 Teil a Nr D25D FPVBG 2016, Anl 1 Teil a Nr D38Z FPVBG 2016

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 24.01.2023, Az. B 1 KR 6/22 R (REWIS RS 2023, 1391)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1391

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