Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.02.2012, Az. VI R 34/11

6. Senat | REWIS RS 2012, 9358

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Gegenstand

(Keine Veranlagung nach bestandskräftiger Ablehnung; rückwirkende Anwendung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des JStG 2007; Unvereinbarkeit von § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG a.F. mit dem GG)


Leitsatz

1. Ist bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer bestandskräftig abschlägig entschieden, kommt eine Veranlagung weder nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des JStG 2007 noch gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.d.F. des JStG 2008 in Betracht.

2. Die Änderung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durch das JStG 2007 begründet kein weiteres eigenständiges Antragsrecht des Steuerpflichtigen.

3. Kommt eine Veranlagung des Steuerpflichtigen weder nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des JStG 2007 noch gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.d.F. des JStG 2008 in Betracht, können auch Grundlagenbescheide nicht über die Änderungsnorm des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu einer solchen führen.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob für das [X.] eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen ist.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) reichte seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2001 am 3. März 2004 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) ein. Hierzu war er unter Androhung eines Zwangsgeldes aufgefordert worden. Neben positiven Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erklärte der Kläger einen Verlust aus Gewerbebetrieb aus der Beteiligung an der [X.] atypisch still in Höhe von 62.927 DM. Mit Bescheid vom 27. Januar 2004 (negativer Feststellungsbescheid 2001) lehnte das [X.] die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die [X.] atypisch still ab. Ferner lehnte das [X.] mit Bescheid vom 12. August 2004 die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung für 2001 ab, da die Voraussetzungen für die Durchführung einer Veranlagung von Amts wegen nicht gegeben seien und der Antrag auf Veranlagung nicht fristgerecht gestellt worden sei. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein und verwies auf das noch offene Verfahren hinsichtlich des negativen [X.] in Sachen [X.] atypisch still. Mit Einspruchsentscheidung vom 20. Oktober 2005 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Eine Klage wurde hiergegen nicht erhoben.

3

Am 21. Dezember 2005 erging für die [X.] atypisch still ein Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2001 (Feststellungsbescheid 2001) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, in dem ein laufender Verlust aus Gewerbebetrieb für den Kläger in Höhe von 47.327 DM festgestellt wurde. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass es sich bei der [X.] um eine [X.] i.S. des § 2b des Einkommensteuergesetzes (EStG) handle. Mit Änderungsbescheid vom 22. Mai 2006 ([X.] 2001) wurde der Vorbehalt der Nachprüfung des [X.] 2001 aufgehoben. Die Feststellung des Anteils des [X.] blieb unverändert. Die [X.] wurde nicht länger als [X.] i.S. des § 2b EStG behandelt. In der Folgezeit beantragte der Kläger wiederholt die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung für 2001 und die Berücksichtigung des gesondert festgestellten Verlustes aus Gewerbebetrieb. Dabei wurde lediglich der Antrag des [X.] vom 6. November 2006 förmlich mit Rechtsbehelfsbelehrung beschieden. Er wurde mit Schreiben vom 12. Januar 2007 abgelehnt.

4

Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das [X.] (FG) hingegen mit den in Entscheidungen der [X.]e 2011, 1706 veröffentlichten Gründen statt.

5

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

6

Das [X.] beantragt,

das Urteil des [X.] vom 5. Mai 2011  7 [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Denn das [X.] hat zu Unrecht entschieden, dass der Kläger zur Einkommensteuer zu veranlagen ist.

9

1. Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt. Der Steuerpflichtige kann die Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nur beantragen, wenn er nicht bereits nach Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 der Vorschrift von Amts wegen zu veranlagen ist (Urteil des [X.] --[X.]-- vom 22. Mai 2006 [X.], [X.], 149, [X.], 912).

a) Nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.[X.] ([X.]) 2007 ist die Amtsveranlagung nur durchzuführen, wenn, was hier nicht der Fall ist, die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, mehr als 410 € beträgt (zur früheren Rechtslage s. [X.]-Urteile vom 21. September 2006 [X.], [X.], 149, [X.], 47; VI R 52/04, [X.], 144, [X.], 45). § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des [X.] 2007 ist gemäß § 52 Abs. 55j EStG i.d.[X.] ([X.]) 2011 (früher § 52 Abs. 55j EStG i.d.F. des [X.] 2007) auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 anzuwenden.

Zur Frage, ob die rückwirkende Anwendung der Neuregelung verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt ([X.]/[X.], EStG, 30. Aufl., § 46 Rz 12, m.w.N.), muss der [X.] nicht Stellung beziehen. Denn einer Veranlagung von Amts wegen steht nach Auffassung des [X.]s bereits der bestandskräftige Bescheid des [X.] vom 12. August 2004 entgegen, mit dem das [X.] die Durchführung einer Veranlagung abgelehnt hat.

b) Gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.[X.] wird eine Veranlagung durchgeführt, wenn sie beantragt wird. Der Antrag ist gemäß Satz 2 der Regelung bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden 2. Kalenderjahres zu stellen. Zwar ist § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG wegen der sogenannten Zweijahresfrist nach Auffassung des [X.]s mit dem Grundgesetz unvereinbar. Wegen der Bestandskraft des erwähnten Bescheids vom 12. August 2004 kann der Kläger daraus nach Auffassung des [X.]s jedoch keine Rechte herleiten.

c) Eine Veranlagung kommt auch nicht gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.d.F. des [X.] 2008 in Betracht.

Zwar hat danach der Steuerpflichtige in den Fällen, in denen die Voraussetzungen der Pflichtveranlagung nicht vorliegen, einen Anspruch auf Veranlagung ohne Beachtung einer Antragsfrist. Die Neuregelung ist jedoch gemäß § 52 Abs. 55j Satz 4 EStG i.d.F. des [X.] 2011 (früher § 52 Abs. 55j Satz 2 i.d.F. des [X.] 2008) erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden und in Fällen, in denen am 28. Dezember 2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden ist (s. dazu [X.]surteile vom 15. Januar 2009 [X.], [X.], 755; vom 12. November 2009 VI R 1/09, [X.], 97, [X.], 406).

Im Streitfall hatte das [X.] indessen über den Antrag vom 3. März 2004 vor dem genannten Stichtag bestandskräftig entschieden. Darin unterscheidet sich der Streitfall von dem Sachverhalt, der dem Urteil in [X.], 97, [X.], 406 zugrunde liegt. Der erneuten Antragstellung u.a. vom 6. November 2006 kommt deshalb keine Bedeutung zu. Sie kann weder den Mangel, dass am 28. Dezember 2007 ein bestandskräftiger Bescheid vorlag, heilen ([X.]-Urteil vom 14. April 2011 [X.]/10, [X.], 1504) noch hat der Kläger damit ein eigenständiges Antragsrecht für das Streitjahr 2001 ausgeübt. Denn ein solches ist entgegen der Auffassung des [X.] durch die Rechtsänderung im [X.] 2007 (Wechsel von Pflicht- zur Antragsveranlagung) nicht entstanden. Das [X.] berücksichtigt bei seiner Auslegung des § 52 Abs. 55j Satz 4 EStG i.d.F. des [X.] 2011 nicht, dass der Gesetzgeber dem Kläger mit der Neufassung des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG keinen zuvor bestehenden Anspruch auf Veranlagung für das [X.] entzogen hat. Diesen Anspruch hat der Kläger vielmehr verloren, weil der (nach der Rechtsprechung des [X.] aus dem [X.]) fehlerhafte Ablehnungsbescheid vom 12. August 2004 in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung nicht beklagt, sondern bestandskräftig geworden ist. Weder dem Wortlaut der Anwendungsregelung noch dem Willen des Gesetzgebers ist jedoch zu entnehmen, dass der Gesetzgeber in diesen "abgeschlossenen" Fällen den Steuerpflichtigen mit § 52 Abs. 55j Satz 4 EStG i.d.F. des [X.] 2011 ein nochmaliges Antragsrecht auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG eröffnen wollte. Der [X.] geht vielmehr davon aus, dass der Gesetzgeber mit der genannten Überleitungsvorschrift lediglich alle noch offenen --zahlenmäßig offenbar nur [X.] Fälle einer umfassenden Erledigung zuführen wollte ([X.]-Urteil in [X.], 755; BTDrucks 16/7036, 18 f.).

2. Schließlich ist eine Veranlagung auch nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] durchzuführen. Zwar ist danach ein Steuerbescheid zu erlassen, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Nach der Rechtsprechung des [X.] soll aber der Erlass eines Feststellungsbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] nicht zu einer Veranlagung von Amts wegen führen und die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids keine Ausweitung der in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG spezialgesetzlich geregelten Veranlagungstatbestände des EStG zur Folge haben ([X.]-Urteile in [X.], 1504, und in [X.], 149, [X.], 912, m.w.N.).

Meta

VI R 34/11

09.02.2012

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 5. Mai 2011, Az: 7 K 601/09, Urteil

§ 46 Abs 2 Nr 8 EStG 2002 vom 20.12.2007, § 52 Abs 55j EStG 2009 vom 01.11.2011, § 46 Abs 2 Nr 1 EStG 2002 vom 13.12.2006, § 175 Abs 1 S 1 Nr 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 09.02.2012, Az. VI R 34/11 (REWIS RS 2012, 9358)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9358

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Keine Anlaufhemmung bei Antragsveranlagung


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Wird zitiert von

M 10 K 14.1401

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