Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.11.2010, Az. II ZB 7/09

II. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 1191

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS [X.]/09 vom 22. November 2010 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja [X.] § 13 Abs. 1; Richtlinie 2003/6/[X.]. 1 Abs. 1; Richtlinie 2003/124/[X.]. 1 Abs. 1 und 2 Dem [X.] werden folgende Fragen vorgelegt: a) Ist bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem über mehrere Zwischenschrit-te ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis [X.] werden soll, für die Anwendung von Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6/[X.], Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/[X.] nur darauf abzustellen, ob dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis als präzise Information nach diesen [X.] anzusehen ist, und demgemäß zu prüfen, ob man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis eintreten wird, oder können bei ei-nem solchen zeitlich gestreckten Vorgang auch Zwischenschritte, die bereits exis-tieren oder eingetreten sind und die mit der Verwirklichung des künftigen [X.] oder Ereignisses verknüpft sind, präzise Informationen im Sinn der ge-nannten [X.] sein? b) Verlangt hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinn von Artikel 1 Abs. 1 der [X.] 2003/124/[X.] eine Wahrscheinlichkeitsbeurteilung mit überwiegender oder hoher Wahrscheinlichkeit, oder ist unter Umständen, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von ihrer zukünftigen Existenz, oder Ereignissen, die mit hin-reichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten werden, zu verstehen, dass das Maß der Wahrscheinlichkeit vom Ausmaß der Auswirkungen auf den Emit-tenten abhängt und es bei hoher Eignung zur Kursbeeinflussung genügt, wenn der Eintritt des künftigen Umstands oder Ereignisses offen, aber nicht unwahr-scheinlich ist? [X.], Beschluss vom 22. November 2010 - [X.]/09 - [X.] - 2 - Der I[X.] Zivilsenat des [X.] hat am 22. November 2010 durch den Vorsitzenden [X.] und die Richterin [X.] sowie [X.], [X.] und [X.] beschlossen: [X.] Das Verfahren wird ausgesetzt. I[X.] Dem [X.] werden gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 AEUV folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2003/6/[X.] des [X.] und des Rates vom 28. Januar 2003 über [X.] und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) ([X.] [X.] vom 12. April 2003 S. 16) und der Richtlinie 2003/124/[X.] der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6/[X.] ([X.] L 339 vom 24. Dezember 2003 S. 70) vorgelegt: 1. Ist bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem über mehrere Zwischenschritte ein bestimmter Umstand verwirk-licht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, für die Anwendung von Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6/[X.], Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/[X.] nur darauf abzustellen, ob dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis als präzise Information nach diesen [X.]nbestimmungen anzusehen ist, und demgemäß zu [X.], ob man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis eintreten wird, oder können bei einem [X.] zeitlich gestreckten Vorgang auch Zwischenschritte, - 3 - die bereits existieren oder eingetreten sind und die mit der Verwirklichung des künftigen Umstands oder Ereignisses verknüpft sind, präzise Informationen im Sinn der genannten [X.] sein? 2. Verlangt hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinn von [X.] 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/[X.] eine Wahrschein-lichkeitsbeurteilung mit überwiegender oder hoher Wahr-scheinlichkeit, oder ist unter Umständen, bei denen mit hin-reichender Wahrscheinlichkeit von ihrer zukünftigen Exis-tenz, oder Ereignissen, die mit hinreichender Wahrschein-lichkeit in Zukunft eintreten werden, zu verstehen, dass das Maß der Wahrscheinlichkeit vom Ausmaß der Auswirkungen auf den Emittenten abhängt und es bei hoher Eignung zur Kursbeeinflussung genügt, wenn der Eintritt des künftigen Umstands oder Ereignisses offen, aber nicht unwahrschein-lich ist? Gründe: [X.] Der [X.] verlangt von der [X.] Schadensersatz wegen verspäteter Ad-hoc-Mitteilung über das vorzeitige Ausscheiden ihres Vorstandsvorsitzenden Prof. S. 1 Nach der Hauptversammlung der [X.] vom 6. April 2005 trug sich Prof. [X.]zunehmend mit dem Gedanken, vor Ablauf seiner bis 2008 reichenden Bestellung als Vorstandsvorsitzender auszuscheiden. Seine [X.] - 4 - frau, die als Führungskraft sein Büro betreute, weihte er in diese Überlegungen ein. Am 17. Mai 2005 erörterte er seine Absicht mit dem [X.] [X.]. Am 1. Juni 2005 wurden die Aufsichtsratsmitglieder [X.]und [X.]über die Pläne informiert, spätestens am 15. Juni 2005 setzte Prof. [X.] das Vorstandsmitglied Dr. Z. , der sein Nachfolger als Vor-standsvorsitzender werden sollte, in Kenntnis. Am 6. Juli 2005 wurde die [X.]informiert, ab dem 10. Juli 2005 arbeiteten der Kommunika-tionschef S. , Frau S.

und Frau [X.]an einer Pressemitteilung, einem externen Statement und einem Brief an die Mitarbeiter der [X.]. Am 13. Juli 2005 wurde zu einer Aufsichtsratssitzung auf den 28. Juli 2005 eingeladen. Die Einladung enthielt ebenso wie die Einberufung des [X.] auf den 27. Juli 2005 keinen Hinweis auf einen möglichen Wechsel in der Person des Vorstandsvorsitzenden. Am 18. Juli 2005 verständigten sich Prof. S.

und der Aufsichtsratsvorsitzende [X.] darauf, in der Aufsichtsratssitzung vom 28. Juli 2005 das vorzeitige [X.] von Prof. S. zum Ende des Jahres und die Bestimmung von [X.]zum Nachfolger vorzuschlagen. Am 25. Juli 2005 erörterte Prof. [X.] mit dem Aufsichtsratsmitglied und Vorsitzenden des Konzern- und Gesamtbetriebsrats [X.]. den Wechsel. Ob [X.]. bereits am 11. Juli 2005 telefonisch über den beabsichtigten Wechsel informiert wurde, ist streitig. [X.]. besprach die Personalfrage mit den übrigen Arbeitnehmervertretern, führte Gespräche mit [X.]

und kündigte am 27. Juli 2005 Prof. [X.] an, dass die Arbeitnehmerbank für den Wechsel stimmen [X.]. 3 - 5 - 4 Am 27. Juli 2005 wurden die beiden weiteren Mitglieder des Präsidial-ausschusses Dr. [X.]. und [X.]

informiert, bevor um 17.00 Uhr die Sitzung des [X.] begann. Der Präsidialausschuss beschloss, dem Aufsichtsrat am Folgetag vorzuschlagen, dem vorzeitigen Ausscheiden von Prof. [X.]
zum Jahresende und der Bestellung von [X.] zu seinem Nachfolger zuzustimmen. Prof. S.

informierte um 18.30 Uhr das Vorstandsmitglied Dr. C. , das in der Öffentlichkeit als möglicher Nachfolger des Vorstandsvorsitzenden gegolten hatte, und um 19.00 Uhr die beiden weite-ren Vorstandsmitglieder [X.]und U.

von dem beabsichtigten [X.]. Um 19.30 Uhr fand ein Abendessen der Anteilseignervertreter unter den Aufsichtsratsmitgliedern statt, bei dem die Empfehlung des Präsidialausschus-ses Gesprächsthema war. Am 28. Juli 2005 beschloss der Aufsichtsrat der [X.] gegen 9.50 Uhr, dass Prof. [X.] zum Jahresende aus dem Amt ausscheiden und [X.] neuer Vorstandsvorsitzender werden sollte. Eine entsprechende Ad-hoc-Mitteilung sandte die [X.] an die Geschäftsführungen der Börsen und der [X.] ([X.]) vorab um 10.02 Uhr, um 10.32 Uhr wurde die Ad-hoc-Mitteilung in der Meldungsda-tenbank der [X.] veröffentlicht. Der an diesem Tag bereits nach der [X.] der Ergebnisse des zweiten Quartals 2005 angestiegene Kurswert der Aktien der [X.] stieg nach der Mitteilung über den Wechsel im Amt des Vorstandsvorsitzenden deut-lich an. 5 Mehrere Anleger, die Aktien der [X.] vor diesem [X.]punkt verkauft hatten, haben wie der [X.] [X.]age gegen die [X.] erhoben, mit der sie Schadensersatz wegen der ihrer Ansicht nach verspäteten 6 - 6 - Ad-hoc-Mitteilung verlangen. Das [X.] hat das [X.] um die Entscheidung zu mehreren, für die Verfahren entschei-dungserheblichen Feststellungen nach § 4 [X.] gebeten. Das [X.] hat mit Musterentscheid vom 15. Februar 2007 festgestellt, dass eine [X.] im Sinne des § 37b Abs. 1 [X.] erst am 28. Juli 2005 um ca. 9.50 Uhr entstanden sei und dass die [X.] diese unver-züglich veröffentlicht habe. Der [X.] hat diesen Musterentscheid mit Beschluss vom 25. Februar 2008 ([X.], [X.], 639) aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen. Am 22. April 2009 hat das Oberlan-desgericht Stuttgart einen Musterentscheid mit folgendem Inhalt erlassen: 1. Es wird festgestellt, dass in der [X.] vom 17. Mai 2005 bis zur Beschlussfassung des Aufsichtsrats der [X.] am 28. Juli 2005 keine [X.] des Inhalts entstanden ist, dass Prof. [X.] gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden die einseitige Amtsniederlegung erklärt hat, 2. Es wird festgestellt, dass am 27. Juli 2005 nach 17.00 Uhr mit der Beschlussfassung des [X.] des Aufsichts-rats der [X.] eine [X.] entstanden ist, dass der Aufsichtsrat in seiner Sitzung am 28. Juli 2005 über den Vorschlag des [X.] beschließen wird, der vor-zeitigen Aufhebung der Bestellung von Prof. [X.]zum [X.] zum 31. Dezember 2005 zuzustimmen, 3. Es wird festgestellt, dass die [X.] von der Pflicht zur unverzüglichen [X.] dieser Information nicht bis zur Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat am 28. Juli 2005 gem. § 15 Abs. 3 [X.] befreit war. a) Die [X.] wäre von der Pflicht zur Veröffentli-chung bis zur Entscheidung des Aufsichtsrats am 28. Juli 2005 nach § 15 Abs. 3 [X.] bei Vorliegen der dort geregelten Voraussetzungen kraft Gesetzes und - 7 - unabhängig von einer bewussten Entscheidung über diesen Aufschub befreit gewesen. b) Es wäre für den berechtigten Aufschub nicht darauf an-gekommen, ob die Gründe für diese Befreiung an die [X.] ([X.]) mitgeteilt worden sind. c) Die Voraussetzungen für den Aufschub waren nur teil-weise gegeben. [X.]) Der Schutz der berechtigten Interessen der [X.] erforderte den Aufschub der [X.]. bb) Eine Irreführung der Öffentlichkeit durch den Aufschub war nicht zu besorgen. [X.]) Die Vertraulichkeit der [X.] war nicht gewährleistet, weil die [X.] ein Aufsichtsratsmitglied nicht ausreichend über die insiderrechtlichen Pflichten und Sanktionen aufgeklärt hat. 4. Es wird festgestellt, dass die [X.] auch bei [X.] einer bewussten Entscheidung über den Aufschub nach § 15 Abs. 3 [X.] und trotz der fehlenden Belehrung des [X.]smitglieds nicht nach § 37b [X.] auf Schadensersatz wegen Unterlassens einer unverzüglichen [X.] der unter 2 genannten [X.]en haftet, weil sie sich dar-auf berufen kann, dass der geltend gemachte Schaden gleicher-maßen eingetreten wäre, wenn sie eine bewusste Entscheidung über den Aufschub getroffen sowie das mit den [X.] hin-reichend vertraute Aufsichtsratsmitglied noch einmal belehrt und damit rechtmäßig gehandelt hätte. Dagegen hat der [X.] Musterrechtsbeschwerde eingelegt, der zwölf weitere [X.]äger beigetreten sind. 7 - 8 - 8 I[X.] Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: 9 Es lasse sich nicht feststellen, dass am 17. Mai 2005 oder später eine [X.] entstanden sei, Prof. S.

lege sein Amt unabhängig von der Zustimmung des Aufsichtsrats einseitig zum Jahresende 2005 nieder. Erst mit der Beschlussfassung des [X.] am 27. Juli 2005 nach 17.00 Uhr sei eine [X.] des Inhalts entstanden, dass der [X.] auf seiner Sitzung am folgenden Tag über den Vorschlag des Präsidi-alausschusses entscheiden werde. Die Absicht oder Überlegung des [X.], vorzeitig, aber im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat aus dem Amt auszuscheiden, könne kursrelevant sein. Für solche zukunftsbezoge-nen Umstände als [X.] komme es aber darauf an, ob die [X.] oder des Vorhabens hinreichend wahrscheinlich sei. Einzelne Zwischenschritte als [X.]en anzusehen sei überflüssig, weil es auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts des künftigen [X.] Ereignisses ankomme. Wenn man jeden eingetretenen [X.] im Fall seiner Kursrelevanz als [X.] ansehen wolle, führe das zu denselben Ergebnissen, weil solche Umstände aus der Sicht eines ver-ständigen Anlegers nur kursrelevant sein könnten, wenn das künftige Ereignis hinreichend wahrscheinlich eintreten werde. Die Zustimmung des Aufsichtsrats zum vorzeitigen Rücktritt von Prof. [X.] , die der maßgebende kursrelevante künftige Umstand sei, sei vor der Verabschiedung des [X.] durch den [X.] am 27. Juli 2005 nach 17.00 Uhr nicht hinreichend wahrscheinlich ge-wesen. Aus der Sicht eines verständigen Anlegers sei sie hinreichend wahr-scheinlich, wenn eine Vorabstimmung erfolgt sei. Erst mit der einstimmigen [X.] - 9 - stimmung im paritätisch besetzten Präsidialausschuss sei erkennbar gewesen, dass der Vorschlag, dem Rücktritt von Prof. S.

zuzustimmen und [X.]zu seinem Nachfolger zu bestimmen, gleichermaßen bei [X.] wie [X.] Rückhalt gefunden habe. Außerdem habe erst damit festgestanden, dass der Aufsichtsratsvorsitzende [X.]die [X.] auf die Tagesordnung des Aufsichtsrats setzen würde. Die Voraussetzungen für einen Aufschub der [X.] der In-sider-Information bis zum folgenden Tag hätten zwar nicht vorgelegen, weil das Aufsichtsratsmitglied [X.].

nicht über seine insiderrechtlichen Pflichten und Sanktionen belehrt gewesen sei und so die formalen Anforderungen zur Ge-währleistung der Vertraulichkeit nicht gewahrt gewesen seien. Der von den [X.]ä-gern behauptete Schaden wäre aber auch eingetreten, wenn der Zeuge [X.].

belehrt gewesen wäre und sich die [X.] bewusst für einen [X.] entschieden hätte. 11 II[X.] Die Entscheidung über die Musterrechtsbeschwerde hängt von der Auslegung von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6/[X.], Art. 1 Abs. 1 der [X.] 2003/124/[X.] ab. 12 1. Nach nationalem [X.] Recht ist ein Emittent von Finanzinstru-menten, die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen sind, einem Dritten unter bestimmten weiteren Voraussetzungen zum Ersatz des durch die Unterlassung entstandenen Schadens verpflichtet, wenn er es unterlässt, un-verzüglich eine [X.] zu veröffentlichen (§ 37b Abs. 1 [X.]). Nach § 15 Abs. 1 [X.] muss ein Inlandsemittent [X.]en, die ihn unmittelbar betreffen, unverzüglich veröffentlichen. § 13 Abs. 1 Satz 1 [X.] definiert eine [X.] als eine konkrete Information über nicht 13 - 10 - öffentlich bekannte Umstände, die sich auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren - das sind u.a. Finanzinstrumente, die an einer inländischen Börse zum Handel zugelassen sind - oder auf die Insiderpapiere selbst bezie-hen und die geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den [X.] oder Marktpreis der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen. Eine solche Eignung ist gegeben, wenn ein verständiger Anleger die Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde (§ 13 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Als Umstände nach § 13 Abs. 1 Satz 1 [X.] gelten auch solche, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft eintreten werden (§ 13 Abs. 1 Satz 3 [X.]). § 13 Abs. 1 [X.] beruht auf Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/[X.] und auf Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/124/[X.], die deshalb bei der Auslegung der nationalen Vorschrift zu berücksichtigen sind. 2. Die Entscheidung über die Musterrechtsbeschwerde hängt davon ab, ob bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem über mehrere [X.]e ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis her-beigeführt werden soll, für die Anwendung von Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6/[X.], Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/[X.] nur darauf abzustellen ist, ob dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis als präzise Informati-on nach diesen [X.] anzusehen ist, und demgemäß zu prüfen ist, ob man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis eintreten wird, oder ob bei einem solchen zeitlich gestreckten Vorgang auch Zwischenschritte, die bereits existieren oder eingetreten sind und die mit der Verwirklichung des künf-tigen Umstands oder Ereignisses verknüpft sind, präzise Informationen im Sinn der genannten [X.] sein können. 14 - 11 - 15 a) Die Musterrechtsbeschwerde hat Erfolg, wenn auch die bereits reali-sierten Zwischenschritte eines zeitlich gestreckten Vorgangs auf ihre Kursrele-vanz zu untersuchen sind. Das [X.] hat zur Kursrelevanz der Zwischenschritte - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - keine Fest-stellungen getroffen. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass eine [X.] im Sinn von § 13 Abs. 1 Satz 1 [X.] (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/[X.]) im Hinblick auf den künftigen Umstand, dass mit dem [X.] das Ausscheiden von Prof. S.

zum Jahresende sicher war, erst entstand, als dieser [X.] hinreichend wahrschein-lich war. Die vorgelagerten Einzelstufen des Entscheidungs- und Vorberei-tungsprozesses als bereits existierende Umstände - wie etwa die Äußerung der [X.] gegenüber [X.], das Einverständnis des [X.], die Information und die Bereitschaftserklärung von [X.] - hat es nicht selbständig auf ihre Eignung zur Beeinflussung des Börsenkurses der Insiderpapiere untersucht. Es hat sie nur darauf geprüft, ob deshalb mit hinrei-chender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen war, dass der künftige Umstand eintreten werde. Dagegen ist das [X.] Frankfurt (NJW 2009, 1520, 1521) im Bußgeldverfahren davon ausgegangen, dass die Verknüpfung mehrerer eigenständiger Umstände zu einer einheitlichen Gesamtentscheidung dem Wortlaut der Vorschrift des § 13 Abs. 1 Satz 1 [X.] und den Vorgaben der Richtlinien 2003/6/[X.] sowie 2003/124/[X.] widerspreche. Daher komme es nicht darauf an, ab wann die endgültige Aufsichtsratsentscheidung getroffen worden sei. Die [X.] beginne vielmehr bereits dann, wenn der Be-reich interner Willensbildung sich zu einer konkreten Tatsache verdichtet habe und das Ergebnis dieses Willensbildungsprozesses gegenüber einem Entschei-dungsträger des Unternehmens als konkrete Tatsache objektiv nach außen zu - 12 - Tage trete (z.B. Mitteilung gegenüber einem Aufsichtsratsmitglied, das [X.] zu wollen). 16 Beide Auffassungen führen nicht etwa deshalb zum selben Ergebnis, weil - wie das [X.] Stuttgart meint - Zwischenschritte eines ge-streckten Vorgangs nur dann kursrelevant sind, wenn das künftige Ereignis, auf das sie inhaltlich gerichtet sind, hinreichend wahrscheinlich eintreten wird. Die Kursrelevanz eines bereits eingetretenen Umstandes oder Ereignisses hängt nicht stets davon ab, ob ein damit verknüpfter künftiger Umstand oder verknüpf-tes künftiges Ereignis hinreichend wahrscheinlich eintreten wird. Eine Eignung, im Fall der öffentlichen Bekanntmachung einer [X.] den [X.] erheblich zu beeinträchtigen oder spürbar zu beeinflussen (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6/[X.], Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2003/124/[X.]), ist gegeben, wenn ein verständiger Anleger die Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 [X.]) oder wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen würde (Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2003/124/[X.]). Auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts künftiger Umstände wird nicht abgestellt. Zwar mag ein verständiger Anleger im Hinblick auf künftige Ereignisse seine Anlageentscheidungen insbesondere davon ab-hängig machen, inwieweit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vom Eintritt ei-nes Ereignisses ausgegangen werden kann. Ein Anleger wird bei seiner Anla-geentscheidung aber auch in seine Überlegungen einbeziehen, dass ein [X.] mit offenem Ausgang im Gang ist. So kommt, wenn bei ei-nem Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden wie hier eher mit steigen[X.]en zu rechnen ist, selbst bei offenem Ausgang als Anlageentscheidung in Betracht, Aktien jedenfalls bis zur Entscheidung zu halten. Schließlich muss ein verstän-diger Anleger die [X.] über einen bereits existierenden Zwi-- 13 - schenschritt nicht nur im Hinblick auf das inhaltlich angestrebte Ziel und damit die Wahrscheinlichkeit des angestrebten Ereignisses bei seiner [X.] bewerten. Vielmehr kann die [X.] über das [X.] Ziel auch im Hinblick auf andere Umstände von Bedeutung und damit kursre-levant sein. So kann gegebenenfalls bereits aus der Absicht des [X.], im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat aus dem Amt zu scheiden, auf seine Amtsmüdigkeit geschlossen werden und damit darauf, dass er eine bestimmte, mit ihm verknüpfte Geschäftspolitik - unabhängig von der Dauer sei-nes Verbleibs im Amt - nicht mehr fortführen will. b) Ob mit einem künftigen Umstand oder einem künftigen Ereignis [X.], bereits realisierte Zwischenschritte eigenständige präzise Informatio-nen sind oder die Verknüpfung mit künftigen Umständen oder Ereignissen die Bewertung der Zwischenschritte als kursrelevante präzise Informationen sperrt und sie nur für die Wahrscheinlichkeit, ob die künftigen Umstände oder Ereig-nisse eintreten, von Bedeutung sind, hängt von der Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/[X.], Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/124/[X.] ab. Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/[X.] definiert eine [X.] als eine nicht öffentlich bekannte präzise Information, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten von Finanzinstrumenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, [X.] dieser Finanzinstrumente oder [X.] sich darauf beziehen-der derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen. Nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/[X.] ist eine Information dann als präzise anzusehen, wenn damit eine Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits existieren oder bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten 17 - 14 - ist oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird, und die-se Information darüber hinaus spezifisch genug ist, dass sie einen Schluss auf eine mögliche Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignis-ses auf die Kurse von Finanzinstrumenten oder damit verbundenen derivativen Finanzinstrumenten zulässt. Von der Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2003/124/[X.] hängt ab, ob die oben genannte Frage dahingestellt bleiben kann, weil - wie das [X.] meint - ein Zwischenschritt nur dann zur Kurs-beeinflussung geeignet ist, wenn der angestrebte Umstand oder das [X.] Ereignis hinreichend wahrscheinlich ist. 3. Die Entscheidung über die Musterrechtsbeschwerde hängt weiter da-von ab, was unter einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/[X.] zu verstehen ist. 18 a) Das [X.] hat - entsprechend einem rechtlich nicht bin-denden Hinweis im Beschluss des Senats vom 25. Februar 2008 - seiner Ent-scheidung zugrunde gelegt, dass von dem künftigen Umstand des [X.]es, mit dem das Ausscheiden von Prof. S.

zum Jahresen-de beschlossen wurde, erst mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinn des § 13 Abs. 1 Satz 3 [X.] (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/[X.]) ausgegan-gen werden konnte, wenn aus der Sicht eines verständigen Anlegers die Ent-scheidung des Aufsichtsrats vorabgestimmt sei. Eine solche Vorabstimmung hat es mit der Sitzung des [X.] am 27. Juli 2005 angenom-men. Der Senat hat im Beschluss vom 25. Februar 2008 ausgeführt, dass offen bleiben könne, ob mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 3 [X.] (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/[X.]) eine hohe oder nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gefordert werde. Zu dem einver-nehmlichen Ausscheiden war ein Beschluss des [X.] erforder-19 - 15 - lich und nach der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats durfte bereits auf den Widerspruch eines Mitglieds hin kein Beschluss zu dem in der Tagesordnung nicht angekündigten Ausscheiden von Prof. [X.]

gefasst werden. Daher sei, so der Senat, die Würdigung des [X.]s nicht zu beanstanden, dass offen gewesen sei, ob der Aufsichtsrat sofort zu einer Entscheidung im Sinn des Vorschlags zum Ausscheiden von Prof. S.

und der Bestellung von [X.] als Nachfolger kommen oder sie vertagen würde. Anders sei dies ggf. bei einer definitiven Vorabstimmung des [X.]es zu beurteilen. b) An dieser an einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung orientierten Ausle-gung, die mindestens eine überwiegende Wahrscheinlichkeit verlangt und zu-dem im Ergebnis bei Entscheidungen von mit mehreren Personen besetzten Gremien wie dem Aufsichtsrat hohe Anforderungen an die Eintrittswahrschein-lichkeit stellt, sind dem Senat aufgrund des Urteils des [X.] vom 23. Dezember 2009 in der Rechtssache [X.]/08 ([X.] NV und [X.] gegen [X.] voor het Bank-, Financie- en Assuran-tiewezen, [X.] 2010, 107) Zweifel gekommen. Danach besteht ein enger Zu-sammenhang zwischen dem Verbot von [X.]n und dem Begriff der [X.] in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/[X.] und damit mit den Vorteilen, die eine [X.] dem Insider verschafft (Rn. 50). Der Bezug des Begriffs der [X.] zu Insidergeschäften spricht dage-gen, für künftige Umstände oder Ereignisse allein auf die überwiegende Wahr-scheinlichkeit ihres Eintretens abzustellen. Auch wenn der Eintritt eines künfti-gen Ereignisses offen ist, setzt sich ein Insider unter Umständen geringeren Marktrisiken aus als ein Anleger, dem noch gar nicht bekannt ist, dass die [X.] besteht, bestimmte Umstände oder Ereignisse herbeizuführen, und dass 20 - 16 - ein Entscheidungsprozess in Gang gesetzt ist. Erst recht gilt dies, wenn er die inneren Verhältnisse des Emittenten kennt und nach dem bisher üblichen [X.] von Entscheidungsprozessen erwarten kann, dass der Umstand oder das Ereignis in Zukunft eintritt. Solche Informationen nicht schon als präzise anzu-sehen, kann dem Zweck des Insider-Handelsverbots widersprechen, zu [X.], dass aus einer Information ungerechtfertigt ein Vorteil zum Nachteil [X.], denen diese Information unbekannt ist, gezogen wird und infolgedessen die Integrität der Finanzmärkte sowie das Vertrauen der Investoren beeinträchtigt werden. Zweifel bestehen an der Auslegung, dass für eine [X.] ei-ne überwiegende Wahrscheinlichkeit des Eintritts künftiger Umstände oder ei-nes künftigen Ereignisses erforderlich ist, auch aufgrund anderer sprachlicher Fassungen von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/[X.], die den Begriff der Wahrscheinlichkeit nicht enthalten, wie in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/[X.] in der [X.] Fassung ("a set of circumstances which – may reasonably be expected to come into existence" bzw. "an [X.]") oder in der [X.] [X.] ("d™un ensemble de circonstances – dont on peut raisonnablement penser qu™il existera" bzw. "d™un événement – dont on peut raisonnablement penser qu™il se produira"). 21 c) Die Auslegung ist für die Entscheidung über die Musterrechtsbe-schwerde erheblich. Liegt eine präzise Information bereits vor, wenn der Eintritt künftiger Umstände oder Ereignisse offen ist, ohne unwahrscheinlich zu sein, war eine [X.] bereits entstanden, als Prof. [X.] den [X.]svorsitzenden [X.]

über seine Absicht informierte, zum Jahresende im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat vom Amt des Vorstandsvorsitzenden 22 - 17 - zurückzutreten, wenn außerdem festgestellt werden kann, dass ein verständiger Anleger diese Information wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlage-entscheidung genutzt hätte. Wenn für das Maß der Wahrscheinlichkeit auf das Ausmaß der Auswirkungen beim Emittenten abzustellen ist, liegt es angesichts der tatsächlich erheblichen Kursbewegungen nach Bekanntwerden des Rück-tritts von Prof. [X.] nahe, ein geringeres Maß der Wahrscheinlichkeit als die überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen zu lassen. [X.] [X.] Drescher [X.] [X.] Vorinstanz: [X.], Entscheidung vom [X.] - 20 Kap 1/08 -

Meta

II ZB 7/09

22.11.2010

Bundesgerichtshof II. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.11.2010, Az. II ZB 7/09 (REWIS RS 2010, 1191)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1191

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II ZB 7/09

XI ZR 51/10

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