Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2009, Az. 5 StR 532/08

5. Strafsenat | REWIS RS 2009, 4844

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5 [X.][X.] DES VOLKES URTEIL vom 26. Februar 2009 in der Strafsache gegen wegen Aussetzung

- 2 - Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 26. Febru-ar 2009, an der teilgenommen haben: Vorsitzender [X.] Basdorf, [X.] [X.], [X.] [X.], [X.] [X.], [X.] Prof. Dr. König als beisitzende [X.], Oberstaatsanwalt beim [X.]als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, - 3 - für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 3. Juli 2008 mit den [X.] aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurge-richtskammer des [X.] zurückverwiesen. [X.] Von Rechts wegen [X.]
G r ü n d e 1 Das [X.] hat die Angeklagte wegen Aussetzung zu einer Frei-heitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und sie aus tatsäch-lichen Gründen vom Vorwurf des Mordes und der Misshandlung Schutzbe-fohlener freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwalt-schaft mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt und sich im Wesentlichen dagegen wendet, dass die Angeklagte nicht wegen Aussetzung mit Todesfolge und Misshandlung Schutzbefohlener verurteilt wurde. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel hat Erfolg. 1. Das [X.] hat hierzu folgende Feststellungen getroffen: 2 Die Angeklagte lebte mit ihren Söhnen, dem zweijährigen [X.]und dem vierjährigen [X.], zusammen. [X.] war ein gesundes, kräftiges und altersgerecht entwickeltes Kind. Nach dem 14. Dezember 2007 war er jedoch kränklich, blass und hatte keinen Appetit mehr. Die Angeklagte bemerkte, 3 - 4 - dass er innerhalb weniger Tage an Gewicht verlor. Am 19. und [X.] 2007 versuchte er noch erfolglos, die ihm von der Angeklagten angebo-tene Trinkflasche zu halten. Am 21. Dezember 2007 versuchte er dies nicht mehr. Er aß an dem Tag auch nichts. Die Angeklagte plante, am [X.] 2007 ihren weit entfernt wohnenden neuen Freund zu besuchen. [X.], für [X.] eine Betreuung zu finden, scheiterten. So entschloss sie sich, [X.] allein in der Wohnung zu lassen, während sie [X.] mitnahm. Bevor sie gegen 4.15 Uhr am Abreisetag die Wohnung verließ, legte sie [X.]

in sein Gitterbett, welches er nicht verlassen konnte. Die Angeklagte legte neben das Kind eine [X.] mit 280 Milliliter Flüssigkeit und einige Butterkekse. 4 Die Angeklagte, die ursprünglich am 23. Dezember 2007 wieder nach [X.] fahren wollte, entschloss sich dann jedoch, noch einen Tag länger bei ihrem Freund zu bleiben. Diesem spiegelte sie vor, dass die [X.] betreuen-de Freundin noch einen Tag länger auf ihn aufpassen würde. Sie kehrte erst am 24. Dezember 2007 gegen 23.00 Uhr in ihre Wohnung zurück. Dort be-merkte sie, dass die Kekse und die entleerte Trinkflasche, deren Inhalt mög-licherweise verschüttet worden war, neben dem Bett lagen. Sie —sah, dass es [X.] sehr schlecht gingfi ([X.]). In den nächsten Stunden aß er nichts und trank kaum noch. Die Angeklagte holte keinen Arzt, da sie —fürchtete, dass dieser das Jugendamt verständigt hätte. Sie dachte, sie könne [X.] allein gesund pflegenfi ([X.]). Am Nachmittag des 26. Dezember 2007 starb [X.] infolge Nahrungs- und Flüssigkeitsmangels. Das Kind [X.] wies zum Todeszeitpunkt ein deutliches Untergewicht auf. —Am Abreisetag der Angeklagten, am 21.12.2007, hätte [X.] bei inten-siv-medizinischer Behandlung noch gerettet werden könnenfi ([X.]). Für den [X.]punkt der Rückkehr der Angeklagten konnte dies nicht sicher [X.] werden. 5 - 5 - 2. Das [X.] hat den objektiven Tatbestand der Aussetzung gemäß § 221 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 StGB im Ergebnis zutreffend (vgl. BGHSt 21, 44) bejaht und einen —Aussetzungsvorsatzfi ([X.]) ange-nommen. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es hingegen abgelehnt, da die Angeklagte aufgrund ihrer Borderline-Persönlichkeitsstörung die mit dem Verlassen des Kindes verbundene Todesgefahr nicht habe erkennen können ([X.]). Aus diesem Grund scheide ein Misshandlungsvorsatz ebenso aus wie die Annahme, der Tod des Kindes sei durch die Angeklagte zumin-dest fahrlässig (§ 18 StGB) herbeigeführt worden und die Voraussetzungen des § 221 Abs. 3 StGB seien erfüllt. 6 3. Die rechtliche Würdigung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Sie beruht mit den ihr zugrunde gelegten Feststellungen auf grundlegend widersprüchlichen Überlegungen. 7 8 Es ist nicht nachvollziehbar, wieso die Angeklagte einerseits hinsicht-lich der Tatbestandsmerkmale des § 221 Abs. 1 StGB vorsätzlich handelte, andererseits aber nicht in der Lage gewesen sein soll, die durch das [X.] hervorgerufene Todesgefahr für das Kind im Sinne des § 221 Abs. 3 StGB zu erkennen. Denn der von der [X.] angenommene Vorsatz der Aussetzung setzt das Bewusstsein der Angeklagten voraus, ihr Verhalten werde zu einer bedrohlichen Verschlechterung der Lage des Hilfsbedürftigen führen (vgl. hierzu [X.], 501; 2008, 395, 396). War die [X.] zu einer solchen Bewusstseinsbildung fähig, erschließt sich nicht, dass für sie der mögliche Tod des ohnehin deutlich geschwächten Kindes, welches nicht mehr ohne fremde Hilfe Flüssigkeit zu sich nehmen konnte, nicht erkennbar war. Dies gilt zumal, da das [X.] selbst zu dem Schluss kommt, dass der Angeklagten —grundsätzlich [X.] war, dass —nur ein paar Kekse und etwas zu trinken für [X.] zu wenig warfi ([X.]). Ebenso wenig ist die Annahme nachzuvollziehen, die Voraussetzungen des § 225 Abs. 1 Nr. 1 dritte Variante, Abs. 3 Nr. 1 erste Alternative StGB lägen - 6 - nicht vor. Sie liegen vielmehr neben § 221 Abs. 1 StGB hier ganz offensicht-lich auf der Hand. Die Ausführungen des [X.]s, die Todesfolge sei für die Ange-klagte aufgrund ihrer [X.] nicht vorhersehbar gewesen, da ihr eine —rationale Entscheidung nicht mehr möglichfi ([X.]) gewesen sei, wecken durchgreifende Bedenken, weil in rechtsfehlerhafter Weise Aspekte der Schuld-, insbesondere der Steuerungsfähigkeit, mit solchen des subjekti-ven Tatbestands vermengt worden sein könnten. Sie stehen zudem in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis zu Einzelfeststellungen über [X.] und Verhaltensweisen der Angeklagten. 9 10 So hat die Angeklagte nach den Feststellungen den vor ihrer Abreise bereits eingetretenen Gewichtsverlust des Kindes genauso erkannt wie den Umstand, dass es die Flasche nicht mehr halten konnte. Zudem war sie nach ihrer Einlassung [X.] wenn auch nicht ausschließbar erst zu einem [X.]punkt, als der Tod des Kindes nicht mehr abzuwenden war [X.] nicht nur in der Lage zu erkennen, dass es [X.] sehr schlecht gehe, sondern auch, dass er einen Arzt brauche. Vor dem Hintergrund der angenommenen verzerrten [X.] erklärt sich auch nicht, dass die Angeklagte eine tatsächlich nicht gewährleistete Betreuung ihres Kindes vorgespiegelt hat, um die [X.] vor Dritten zu rechtfertigen. Auch aus dem im Übri-gen festgestellten Verhalten der Angeklagten sind keine Anhaltspunkte für eine nicht der Realität entsprechende Wahrnehmung erkennbar. So hat sie sich nach ihrer Einlassung dazu entschlossen, [X.]

statt [X.] zu [X.] zu lassen, da der Ältere sich bemerkbar gemacht hätte, während [X.] ruhi-ger gewesen sei. Dies scheint eine am Alter der Jungen orientierte realisti-sche Einschätzung des Risikos zu offenbaren, dass das Verlassen des [X.] entdeckt werde. Dass all diese Umstände einer relevanten Verkennung der Tatsachengrundlage ebenso im Wege stehen können wie die [X.] erhaltene Einsichtsfähigkeit (vgl. hierzu [X.], 510, 511 f.), hat das [X.] nicht erkennbar bedacht. Nachvollziehbar erscheint nach - 7 - dem Zusammenhang der Feststellungen allein, dass die Angeklagte die von ihrem Verhalten ausgehende Gefahr für das Wohlergehen ihres Kindes auf-grund ihrer psychischen Störung immer wieder vorübergehend über längere [X.] verdrängen konnte. Dagegen dürfte eine durchgehende Verkennung dieser Gefahr fern liegen, was aber allein für eine Verneinung des Misshand-lungsvorsatzes, einer auf den Tod des Kindes bezogenen Fahrlässigkeit oder sogar eines Tötungsvorsatzes (vgl. hierzu die Senatsbeschlüsse vom 31. März 2004 [X.] 5 StR 351/03 sowie in [X.], 402) tragfähig sein könn-te. 4. Das Urteil kann bereits aus diesen Gründen insgesamt keinen [X.] haben. Die nunmehr zur Entscheidung berufene [X.] wird ins-besondere Gelegenheit haben, die Fragen der Todeskausalität der Untätig-keit der Angeklagten, der Vorhersehbarkeit des [X.], des Vorsat-zes hinsichtlich der Misshandlung von Schutzbefohlenen und eines Tötungs-vorsatzes [X.] unter Berücksichtigung aller maßgeblichen verschiedenen [X.]-punkte, insbesondere auch des vom [X.] nicht näher bedachten [X.]-punkts, zu dem die Angeklagte sich entschloss, noch einen Tag länger bei ihrem Freund zu bleiben [X.] erneut zu erörtern. 11 Der Senat hebt auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen auf. Sie beruhen wesentlich auf den Angaben der Angeklagten zu ihren Wahrnehmungen. Insoweit darf dem neuen Tatgericht durch eine [X.] von Feststellungen nicht die Möglichkeit genommen werden, gerade auf der Grundlage dieser Erkenntnisquelle unter Berücksichtigung 12 - 8 - der weiteren zu gewinnenden Erkenntnisse über den Zustand des Kindes umfassend einheitliche widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen. Basdorf Brause [X.] [X.] König

Meta

5 StR 532/08

26.02.2009

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.02.2009, Az. 5 StR 532/08 (REWIS RS 2009, 4844)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 4844

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