Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.09.2008, Az. 2 StR 305/08

2. Strafsenat | REWIS RS 2008, 2143

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 [X.]/08 vom 3. September 2008 in der Strafsache gegen 1. [X.]wegen Totschlags u.a. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 3. September 2008, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am [X.] Dr. [X.], [X.] am [X.] [X.], Prof. Dr. [X.], [X.]in am [X.] Roggenbuck, [X.] am [X.] [X.], Oberstaatsanwältin beim [X.] als Vertreterin der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger der Angeklagten [X.], Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 25. Januar 2008 mit den [X.] aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Schwurgerichtskam-mer des [X.] zurückverwiesen. 2. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil werden als unbegründet verworfen. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat die Angeklagte [X.]wegen Totschlags in Tateinheit mit Misshandlung Schutzbefohlener zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren, den Angeklagten [X.]
wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. [X.] gestützte Revision der [X.] - 4 - waltschaft führt zur Aufhebung des Urteils; die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet. [X.] Sachverhalt. 2 Nach den Feststellungen des [X.]s unterließ es die Angeklagte [X.] ab November/Dezember 2006, ihre am 14. Januar 2006 gebore-ne Tochter Ja. ausreichend zu versorgen. Ab Ende Januar 2007 ver-nachlässigte sie die Versorgung grob, fütterte das Kind nicht mehr ausreichend und säuberte und pflegte es immer weniger. Die Angeklagte erkannte den [X.] schlechten Zustand des Kleinkinds und nahm die ihr bewusste Mög-lichkeit eines Todeseintritts billigend in Kauf. Das Kind verstarb am 24. März 2007 durch Verhungern und Verdursten. 3 Der Angeklagte [X.]kümmerte sich, obwohl ihm der schlechte Gesundheitszustand des Kindes und dessen mangelnde Versorgung durch sei-ne Ehefrau bekannt waren, nicht um eine Verbesserung der Versorgung. Dabei nahm er eine Verschlechterung des körperlichen Zustands seiner Tochter billi-gend in Kauf. Mit der Möglichkeit ihres Todes rechnete er nicht; dieser Ausgang wäre für ihn jedoch vorhersehbar und vermeidbar gewesen. 4 Im Einzelnen hat das [X.] unter anderem Folgendes festgestellt: 5 Die Angeklagten bewohnten seit Beginn ihrer Beziehung im Jahr 2004 ein sanierungsbedürftiges ländliches Anwesen, das der Angeklagte im Jahr 2000 gekauft hatte. Es war teilweise saniert; in der Folgezeit beschäftigte sich der Angeklagte mehrere Jahre lang mit Sanierungsmaßnahmen namentlich im Erdgeschoss des Hauses, ohne dass wesentliche Fortschritte erzielt wurden und ein Ende der Arbeiten absehbar war. Auch in den von den Angeklagten bewohnten Räumen wurden daher jahrelang Baumaterialien und Maschinen 6 - 5 - gela[X.]. Außerdem brachte der Angeklagte etwa 30 Aquarien mit Fischen in das Haus und hielt mehrere Hunde. Seine gesamte Freizeit verwendete er für die Pflege der Tiere und für die von ihm betriebenen Baumaßnahmen. Die Angeklagte [X.], die eine von Passivität, geringer Lebens-tüchtigkeit, Abhängigkeit und pessimistischer Grundhaltung geprägte Persön-lichkeit aufweist, verbrachte vor der Geburt der gemeinsamen Tochter Ja.

ihre [X.] meist passiv mit Schlafen, Fernsehen und geringfügigen Hausarbei-ten. [X.] war sie nicht; die Haushaltsführung überforderte sie. Die Schwangerschaft mit ihrer Tochter Ja.

realisierte die Angeklagte erst im vierten Schwangerschaftsmonat; sie verheimlichte sie jedoch bis zur Geburt am 14. Januar 2006 vor dem Angeklagten und ihrer Familie. Zu dem Kind hatte sie eine distanzierte, wenig gefühlsmäßige Beziehung; der Angeklagte [X.]

, der von der Geburt überrascht wurde, freute sich dagegen und bemühte sich in den ersten Lebenswochen des Kindes auch um eine Beteiligung an [X.] Versorgung. Er renovierte das Obergeschoss des Hauses, in dem sich das gemeinsame Schlafzimmer der Angeklagten sowie das Kinderzimmer befan-den; dort waren auch mehrere Aquarien mit Fischen aufgestellt. Nach kurzer [X.] überließ der Angeklagte aber die Versorgung des Kindes ebenso wie die Haushaltsführung wieder vollständig der Angeklagten. Er kümmerte sich nicht darum und kontrollierte die Angeklagte auch nicht, machte ihr aber laufend [X.] wegen ihrer Lethargie und mangelhaften Haushaltsführung. 7 Die Angeklagte war mit der Haushaltsführung und der Versorgung des Kindes überfordert. Trotz durchschnittlicher Intelligenz und psychischer Ge-sundheit und ständiger Vorhaltungen des Angeklagten gelang es ihr nicht, eine zunehmende Verwahrlosung des Haushalts zu vermeiden; insbesondere sam-melte sich in den Räumen des Erdgeschosses eine große Menge Müll an. In den teilweise noch unverputzten Räumen waren überdies Baumaterialien gela-8 - 6 - [X.]; dort hielten sich auch die Hunde der Angeklagten auf; der Angeklagte stellte immer noch weitere Aquarien auf. Die Tiere wurden von beiden Ange-klagten durchweg gut versorgt. In den ersten Lebensmonaten des Kindes kümmerte sich die Angeklagte um ihre Tochter. Ab November/Dezember 2006 versorgte sie das Kind nicht mehr ausreichend. Im Dezember 2006 heirateten die Angeklagten. Ab Anfang Februar vernachlässigte die Angeklagte die Versorgung des Kindes gravierend, fütterte es nicht mehr ausreichend und säuberte und pflegte es nicht angemes-sen. Wenn das Kind im Obergeschoss schrie, schaltete sie das [X.] ab; überwiegend saß sie im Erdgeschoss vor dem Fernseher oder schlief. In der Beziehung zwischen den Angeklagten traten Probleme auf; der Haushalt ver-wahrloste zusehends. Am 22. Februar 2007 wurde eine erneute - ungewollte - Schwangerschaft festgestellt. 9 Das Kind wurde in den letzten sechs Wochen vor seinem Tod nicht mehr gebadet; die Windeln wurden kaum noch gewechselt, so dass sich eine groß-flächige ausgeprägte [X.] entwickelte. 10 Bis zum 4. März 2007 sahen Familienangehörige oder Freunde der [X.] das Kind noch gelegentlich. Am 4. März 2007 hatte es offenkundig Gewicht verloren, war krank und schwach, konnte aber noch herumkrabbeln und brabbeln. Die Angeklagte behauptete auf Nachfrage wahrheitswidrig, sie habe eine ärztliche Behandlung des Kindes veranlasst; Hilfsangebote von [X.] lehnte sie ab. 11 In der Folgezeit verhinderte die Angeklagte, dass Dritte das Kind sahen oder das Obergeschoss des Hauses aufsuchten. Sie tat dies, weil sie den ihr bekannten Zustand des Kindes verbergen wollte und das Eingreifen des [X.] befürchtete. Sie erkannte, dass die Mangelversorgung des Kindes zu 12 - 7 - dessen Tod führen konnte, nahm dies aber billigend in Kauf, um den [X.] der Versorgung nicht mehr nachkommen zu müssen. Ihrem Ehemann erklärte sie wahrheitswidrig, mit dem Kind sei alles in Ordnung; hiermit gab er sich zufrieden. Den genauen [X.]punkt, ab welchem die Angeklagte den als möglich erkannten Tod ihrer Tochter billigte, vermochte das [X.] nicht festzustellen. Der Angeklagte [X.] sah das Kind nach den Feststellungen zu-letzt am 11. März 2007. Zu diesem [X.]punkt zeigte es ausgeprägte äußere Merkmale der Unterernährung und Mangelversorgung, die der Angeklagte auch bemerkte. Obwohl er wusste, dass seine Ehefrau sich nicht ausreichend um das Kind kümmerte, unternahm er weiterhin nichts. Er wusste, dass allein sein Eingreifen dem Kind hätte helfen können; auf einen glücklichen Ausgang und eine Gesundung des Kindes ohne seine Hilfe hoffte er nicht. Das Obergeschoss des Hauses suchte er nicht mehr auf; er hielt sich ausschließlich noch im [X.] auf, wo er - trotz zunehmender Vermüllung und Verwahrlosung - auch schlief. Den Tod des Kindes hielt er nach den Feststellungen des [X.]s weder für möglich noch billigte er ihn. 13 Das Kind verstarb am 24. März 2007 in Folge [X.] und [X.]. Es war zu diesem [X.]punkt extrem abgema[X.], zeigte ein "Greisenge-sicht" und bestand nur noch aus Haut und Knochen. Die Angeklagte presste am Todestag zweimal Babynahrung in den Magen des Kindes, das zu diesem [X.]-punkt bereits [X.] war und keine Nahrung mehr aufnehmen und verdauen konnte. Schließlich brachte sie das Kind gemeinsam mit einem Freund zu einer Ärztin, die den Tod feststellte. Der Angeklagte wurde vom Tod seines Kindes später informiert. Über den Tod zeigte er sich überrascht; fragte aber zu keinem [X.]punkt nach der Todesursache. 14 - 8 - Das [X.] vermochte nicht genau festzustellen, von welchem [X.]-punkt an das verhungernde und verdurstende Kind keine Schmerzen mehr ver-spürte. Nach den Feststellungen trat ein Zustand einer nicht mehr umkehrbaren Schädigung, von welchem an der Tod nicht mehr hätte abgewendet werden können, möglicherweise bereits am 10. März 2007 ein, bevor der Angeklagte [X.] das Kind am 11. März 2007 zum [X.] sah. Bei sofortiger Hilfe und intensivmedizinischer Versorgung hätte das Leben aber jedenfalls um Tage oder Wochen verlän[X.] werden können. 15 I[X.] Revision der Staatsanwaltschaft.16 [X.] gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom [X.] vertreten wird, ist in vollem Umfang begründet. 17 1. Die Beweiswürdigung, aufgrund derer das [X.] die [X.] eines [X.] gemäß § 211 Abs. 2 StGB durch die Angeklagte [X.]verneint hat, hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Wie die Revision zutreffend rügt, sind die Schlussfolgerungen des Tatrichters teilweise mit den tatsächlichen Feststellungen nicht, jedenfalls nicht ohne nähere Begründung vereinbar; teilweise weisen schon die Feststellungen Lücken auf, die auszufül-len hier geboten gewesen wäre. 18 a) Das Mordmerkmal der Grausamkeit hat das [X.] unter aus-drücklicher Bezugnahme auf das Urteil des 5. Strafsenats vom 13. März 2007 - 5 [X.] ([X.], 402) in objektiver Hinsicht mit der Begründung ver-neint, es könne nicht festgestellt werden, dass das Tatopfer die von dem Tatbe-stand vorausgesetzten besonderen Schmerzen und Qualen während eines vom Tötungsvorsatz umfassten Handelns - hier: Unterlassens - der Angeklagten er-litten hat. Weder sei feststellbar, wann die durch die Mangelversorgung verur-sachten starken Schmerzen des Kindes aufgetreten seien, noch sei der [X.]-19 - 9 - punkt festzustellen, von dem an die Angeklagte den Tod des Kindes billigte ([X.]). In subjektiver Hinsicht habe es der Angeklagten an einer gefühllosen und [X.] Gesinnung gefehlt. Sie habe dem Kind nämlich "durchaus mütterliche Gefühle entgegengebracht"; dass sie sich sporadisch um das Kind kümmerte und ihm etwas zu essen gab, zeige, dass die Angeklagte dem Kind "helfen, nicht aber seine Qualen verlängern wollte" ([X.]). Diese Würdi-gung ist schon mit der Feststellung kaum vereinbar, dass die Angeklagte mit - bedingtem - Tötungsvorsatz handelte ([X.]). Es ist in den Urteilsgründen nicht nachvollziehbar dargelegt, welchem Ziel nach Auffassung des [X.]s das angebliche Bemühen der Angeklagten dienen sollte, dem augen-scheinlich [X.] und verdurstenden Kind zu "helfen", wenn sie zugleich den Tod des [X.] billigend in Kauf nahm. Auch die Erwägung, die Angeklagte habe gegenüber dem Tatopfer mütterliche Gefühle gehabt, findet in den Feststellungen jedenfalls für den [X.]raum ab Februar 2007 keine ausrei-chende Grundlage. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, das gravie-rende Leiden und die als "grausam" zu kennzeichnenden Schmerzen, die das Kind jedenfalls über einen längeren [X.]raum erlitten haben muss, könnten der Angeklagten entgangen sein. Dies würde gleichermaßen gelten, wenn die [X.] zu diesem [X.]punkt (noch) keinen Tötungsvorsatz gehabt hätte. Denn auch eine Körperverletzung und Misshandlung Schutzbefohlener zum Nachteil des eigenen Kindes in Kenntnis des Umstands, dass dieses dadurch extreme Schmerzen erleidet, zeigt weder —mütterliche Gefühlefi noch ein Bemühen, dem Tatopfer zu —helfenfi. Daran ändert sich entgegen der Ansicht des [X.]s nicht schon dadurch etwas, dass die Angeklagte das Kind noch sporadisch füt-terte und ihm gelegentlich einmal die Füße eincremte. [X.] begegnet auch die Würdigung des [X.]s, es lasse sich ein [X.]raum, in welchem das Tatopfer (bereits oder noch) besonders quälende Schmerzen erlitten habe und der zugleich vom [X.] - 10 - vorsatz der Angeklagten umfasst sei, nicht feststellen. Diese Ansicht schöpft, wie auch der [X.] zutreffend hervorgehoben hat, die [X.] zu den konkreten [X.] nicht aus, sondern weicht zu früh in die Annahme der Nicht-Feststellbarkeit aus. Der Tatrichter hat sich insoweit ersicht-lich an der Entscheidung BGH [X.], 402 ("Fall [X.]") orientiert, hierbei aber übersehen, dass beide Sachverhalte insoweit nicht ohne Weiteres gleich-zusetzen sind. In jenem Fall zog sich die gravierende Mangelernährung des durch Unterlassen getöteten Kindes über mehrere Jahre, in der lebensbedrohli-chen Phase noch über mehrere Monate hin. Die Tathandlung der Angeklagten bestand nicht in der Verweigerung von Nahrung, sondern im Unterlassen der Hilfeleistung für das bereits sechs Jahre alte Kind. Ein Flüssigkeitsmangel war in jenem Fall nicht festgestellt worden (vgl. BGH [X.], 402 Rdn. 14 f.); ein Tod durch Verdursten lag daher nicht vor. Unter diesen Umständen konnte nicht festgestellt werden, dass das bereits über Monate ausgezehrte und völlig entkräftete Tatopfer zu einem [X.]punkt, in welchem Tötungsvorsatz vorlag, noch unter Hungergefühlen litt ([X.]. 15). Dies ist mit dem hier vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Eine gravierende Mangelversorgung von Ja. ist jedenfalls nicht für einen [X.]-raum vor Mitte Januar 2007 festgestellt (vgl. [X.] f.). Eine [X.] war für Dritte erstmals am 28. Februar 2007 erkennbar; am 4. März 2007 war das Kind dann abgema[X.], krank und [X.] ([X.]). [X.] ab 10. März 2007 wäre das Kind möglicherweise nicht mehr zu retten gewesen ([X.]). 21 Hieraus ergibt sich, dass die gravierende, letztlich zum Tod des [X.] am 24. März 2007 führende Mangelversorgung sich nur über einen [X.]raum von wenigen Wochen erstreckte (vgl. [X.] f.). Noch am 4. März 2007 war das Kind nach den Feststellungen zwar "schmaler geworden" und erkennbar 22 - 11 - krank, aber keinesfalls apathisch. Es war "quengelig, lachte auch, trank prob-lemlos Saft aus einer Flasche und krabbelte umher" ([X.]). Der Zustand völliger Entkräftung und Apathie, in dem das Kind die starken Schmerzen und Qualen des [X.] und Verdurstens letztlich nicht mehr empfand, trat somit nicht im Ergebnis eines langdauernden Prozesses der Mangelversor-gung, sondern innerhalb eines relativ kurzen [X.]raums ein ([X.]). [X.] dieser [X.] wurden die Windeln des Kindes kaum noch gewechselt, die schwere und sehr schmerzhafte [X.] nicht behandelt. Die Ange-klagte gab ihrem Kind immer weniger Nahrung und Flüssigkeit und stellte schließlich fest, "dass die Kleine aufgrund der Entkräftung nicht mehr trinken konnte" ([X.]). Sie badete das Kind nicht mehr, weil es so abgema[X.] war ([X.]). Zugleich stellte sie das sog. [X.] ab, um das "Gebrüll" des Kindes nicht hören zu müssen, und "ließ niemanden mehr zu dem inzwischen todkranken Mädchen" ([X.]). Im Hinblick auf diese Feststellungen ist die Würdigung des Tatrichters, es lasse sich nicht feststellen, ab welchem [X.]-punkt die Angeklagte Tötungsvorsatz gehabt und ob zu diesem [X.]punkt das Kind noch gelitten habe und dies von der Angeklagten auch wahrgenommen worden sei, nicht hinreichend begründet. Dies lag hier vielmehr nach den Um-ständen so nahe, dass es für die gegenteilige Annahme des [X.]s gra-vierender tatsächlicher Anhaltspunkte bedurft hätte. Solche sind nach den bis-herigen Feststellungen nicht ersichtlich. b) Auch das Mordmerkmal der [X.] ist vom [X.] mit nicht rechtsfehlerfreien Erwägungen verneint worden; auch insoweit begeg-net die Beweiswürdigung durchgreifenden Bedenken. Das [X.] führt als gegen eine [X.] der Angeklagten sprechende Umstände an, dass sie "den Tod des Kindes offenbarte", indem sie es zu der Ärztin brachte, und dass sie zuvor nichts Wesentliches am Leichnam oder im Haushalt verän-derte ([X.] f.). Diese Würdigung wird den festgestellten konkreten [X.] - 12 - ständen einschließlich der Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten nicht ge-recht. So bleibt offen, welche andere Möglichkeit außer der Offenbarung des Kindstods die Angeklagte konkret gehabt hätte. Unklar ist auch, welche Verän-derungen am Leichnam oder im Haushalt hätten vorgenommen werden [X.], die angesichts des offenkundigen Zustands der Leiche eine gegen den Vorsatz sprechende Indizwirkung zugunsten der Angeklagten hätten haben [X.]. Überdies lässt die Würdigung erhebliche Umstände, die für eine Verde-ckungsabsicht sprachen, außer Betracht; die erforderliche sorgfältige Gesamt-würdigung fehlt. So hat das [X.] ausdrücklich festgestellt, "weil die [X.] merkte, wie lebensbedrohlich sich der Zustand des Kindes verschlech-terte", und weil sie die Einschaltung des [X.] fürchtete, habe sie [X.] mehr zu dem Kind gelassen ([X.]). Sie gab auf Nachfragen wahr-heitswidrig an, das Kind sei in ärztlicher Behandlung, um entsprechende [X.] und ein Eingreifen Dritter zu verhindern. Sie behauptete, das Kind habe eine schwere Durchfallerkrankung; unmittelbar vor seinem Tod presste sie eine größere Menge Flüssigkeit in den Magen des sterbenden Kindes. All dies konn-te ersichtlich für eine Absicht der Angeklagten sprechen, die vorangehende Misshandlung Schutzbefohlener durch den Tod des [X.] zu verdecken; es hätte daher genauer erörtert werden müssen. Dass die Angeklagte nach den Feststellungen auch aus anderen Motiven gehandelt hat, würde der Annahme von [X.] nicht von vornherein entgegenstehen; erforderlich ge-wesen wäre eine nähere Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des bedingten Tötungsvorsatzes (vgl. dazu [X.] StGB 55. Aufl. § 211 Rdn. 79; [X.] § 211 Rdn. 191 ff.; jeweils m.w.N.). 24 c) Zutreffend hat der [X.] auch darauf hingewiesen, dass die Erwägungen, mit denen das [X.] das Mordmerkmal sonstiger 25 - 13 - niedriger Beweggründe ausgeschlossen hat, rechtlicher Prüfung nicht standhal-ten. Das [X.] hat hierzu "Auslöser" der Tat in der Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten angeführt: erwähnt sind unter anderem Passivität, Sorglosig-keit, Verantwortungslosigkeit, Interesselosigkeit, der Wunsch nach Nichtstun sowie Überforderung durch den Haushalt ([X.]). Diese als "Motivbündel" bezeichneten "Auslöser" stehen nach Ansicht des [X.]s nicht auf tiefster sittlicher Stufe, zumal sie speziellen Mordmerkmalen nicht nahe stehen (ebd.). Diese Bewertung vermischt unzutreffend "Auslöser" und Tatmotive. Die geschilderten Persönlichkeitsmerkmale der Angeklagten können nicht unmittel-bar Motiven für die Tat gleichgesetzt werden; Merkmale wie "Verantwortungslo-sigkeit" oder allgemeine Bedürfnislagen wie der "Wunsch nach Nichtstun" ste-hen der Annahme sittlich niedriger Beweggründe nicht ohne Weiteres entge-gen, sondern können gerade auch deren Hintergrund darstellen. Das [X.] hätte sich daher nicht mit den genannten allgemeinen Charakterisierungen begnügen dürfen, welche die Tat eher als schicksalhafte Auswirkung einer all-gemeinen Lebensuntüchtigkeit der Angeklagten erscheinen lassen, sondern hätte sich um die Feststellung konkreter Tatmotive bemühen müssen. Soweit festgestellt ist, die Angeklagte habe den Tod des Kindes gebilligt, "um den An-forderungen, die das Kind an sie stellte, nicht mehr nachkommen zu müssen" ([X.]), hätte der Tatrichter eine Einordnung dieser Motivation in die zum Mordmerkmal sonstiger niedriger Beweggründe entwickelten Maßstäbe und Fallgruppen vornehmen müssen; eine Verweisung auf die Persönlichkeitsstruk-tur der - psychisch gesunden - Angeklagten reichte insoweit nicht. 26 Zutreffend hat der [X.] überdies darauf hingewiesen, dass es Anhaltspunkte dafür gab, die Angeklagte habe sich im Zusammenhang mit Enttäuschungen in ihrer Ehe von dem Kind abgewandt und dieses [X.] lassen, um ihrem "Wunsch nach Nichtstun" und ihrer Enttäuschung über 27 - 14 - die Abwendung ihres Ehemannes Ausdruck zu verleihen. Der neue Tatrichter wird die konkrete Motivlage der Angeklagten sorgfältiger als bisher geschehen zu prüfen haben. 2. Auch die Strafzumessung hinsichtlich der Angeklagten [X.] ist nicht rechtsfehlerfrei. Zutreffend rügt die Revision, dass die Anwendung der [X.] gemäß § 13 Abs. 2 StGB durch das [X.] nicht hin-reichend begründet ist. Die Strafzumessungserwägungen vermischen Ge-sichtspunkte der Strafrahmenbestimmung und der konkreten Strafbemessung, ohne dass hinreichend deutlich wird, ob der Tatrichter die für die Anwendung des § 13 Abs. 2 StGB geltenden Maßstäbe zutreffend erkannt hat. So ist etwa die Erwägung, der Angeklagten solle "letztlich zugute gehalten werden, dass sie die Tat lediglich durch Unterlassen begangen hat" ([X.]), im Hinblick auf die Tatsache wenig aussagekräftig, dass eine Tötung durch [X.], die gerade auch besonders gravierende schulderhöhende Momente enthalten kann, ihrer Natur nach vorwiegend Unterlassungselemente enthält; dies kann nicht von vornherein als [X.] angesehen werden. Auch dass die Angeklagte "die ihr obliegenden Mutterpflichten bei richtiger Einstellung (hätte) erfüllen können" ([X.]), ist entgegen der Ansicht des [X.]s keine aus sich heraus zur Strafrahmenmilderung geeignete Tatsache. 28 3. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist auch hinsichtlich des Ange-klagten [X.] begründet. 29 a) Zutreffend wendet sich die Revision gegen die Beweiswürdigung zur Verneinung eines Tötungsvorsatzes dieses Angeklagten. Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, er habe von dem schlechten Gesundheitszu-stand seiner Tochter gar nichts bemerkt. Dies hat das [X.] als [X.] angesehen. Gleichwohl hat es angenommen, für das Vorliegen eines [X.] - 15 - tungs-Vorsatzes "(gebe) es keine Hinweise" ([X.]). Der Angeklagte habe die mangelnde Pflege und Versorgung nicht bemerkt; die Auszehrung des [X.] habe er erst am 11. März 2007 wahrgenommen. Das Obergeschoss des Hauses und das Kinderzimmer habe er in den letzten Lebenswochen des [X.] nicht mehr aufgesucht. Es sei ihm zwar bewusst gewesen, dass nur durch sofortiges Eingreifen weiterer Schaden von dem Kind abgewendet werden konnte; aus Apathie, Prioritätensetzung für Hunde und Fische und Konflikt-scheu habe er aber jede Hilfe unterlassen ([X.]). Diese Feststellungen sind schon in sich nicht ohne Widerspruch. Das [X.] hat überdies rechtsfehlerhaft unterlassen, erhebliche Indizien, die sich aus sonstigen Feststellungen im Hinblick auf den Tatvorsatz des Angeklag-ten ergaben, in ihrer Bedeutung zutreffend einzuordnen und in die gebotene Gesamtwürdigung einzustellen. 31 Zutreffend weist die Revision auf den Umstand hin, dass der Angeklagte, der nach den Feststellungen vom Tod des Kindes am 24. März 2007 überrascht wurde, zu keinem [X.]punkt nach der Todesursache fragte ([X.], 36). Ein solches Verhalten ist mit der Annahme, der Angeklagte habe den lebensbe-drohlichen Zustand seines Kindes zuvor nicht gekannt, kaum vereinbar; es [X.] daher als gegen die Einlassung des Angeklagten sprechendes gravierendes Indiz vom Tatrichter gewürdigt werden müssen. Dasselbe gilt für die Feststel-lung, der Angeklagte habe vor dem Tod des Kindes wochenlang das Oberge-schoss des Hauses, also das Kinderzimmer und das Elternschlafzimmer, gar nicht mehr aufgesucht und daher die extreme Mangelversorgung des Kindes und die Verwahrlosung des Obergeschosses nicht bemerkt. Stattdessen habe er - ohne erkennbaren Grund - in dem vermüllten Wohnzimmer im Erdgeschoss geschlafen und sich nur noch dort und im Bereich seiner angeblichen Sanie-rungsarbeiten aufgehalten. Für diese - an sich wenig nahe liegende - Einlas-32 - 16 - sung konnte hier in der Tat sprechen, dass nach dem Tod des Kindes auch die im Obergeschoss befindlichen Aquarien in verwahrlostem Zustand mit toten und skelettierten Fischen aufgefunden wurden. Da die Versorgung der Tiere aber nach den Feststellungen des [X.]s eines der Hauptinteressen des Angeklagten war und er sich um die Hunde und Fische stets zuverlässig küm-merte, ergab sich gerade aus dem Zustand der Aquarien im Obergeschoss ein erhebliches Indiz dafür, dass der Angeklagte absichtlich die Konfrontation mit dem Zustand seiner Tochter vermied. Im Zusammenhang mit der Feststellung, dass ihm der bedrohliche Zustand des Kindes bewusst war ([X.]), dass er "nicht auf einen glücklichen Ausgang oder einen glücklichen Zufall (vertraute), der zur Genesung des Kindes führen würde" ([X.]), dass er von seiner [X.], wie er erkannte, "kein Eingreifen erwarten (konnte)" (ebd.), dass er wusste, dass weder ein Arzt zugezogen noch Besucher zu dem Kind gelassen wurden und dass "nur er – dem Kind zur Gesundung verhelfen (konnte)" (ebd.), findet dann aber die Annahme des [X.]s, der Angeklagte habe gleichwohl den Tod des Kindes nicht für möglich gehalten, in den bisherigen Feststellungen keine ausreichende Grundlage. Der Tatrichter ist rechtlich nicht gehalten, zugunsten des Angeklagten einen Sachverhalt zu unterstellen, für den es an hinreichenden Anhaltspunkten fehlt. Dies gilt umso mehr, wenn, wie hier, gravierende Indizien für die gegenteilige Annahme sprechen. Sollte der neue Tatrichter zur Feststellung zumindest bedingten Tötungsvorsatzes des Angeklagten gelangen, wird er auch die bei der Mitangeklagten erörterten Mordmerkmale zu prüfen haben. Auch insoweit gilt, dass die Feststellung einer allgemeinen Persönlichkeitsstruktur oder Motivationslage wie "Passivität" oder "Prioritätensetzung für Hunde und Fische" nicht geeignet ist, Feststellungen zu konkreten Handlungsmotiven zu ersetzen, und dass solche allgemeinen Hal-tungen der Annahme von Motiven, welche die Voraussetzungen eines Mord-merkmals erfüllen, nicht entgegenstehen. - 17 - b) Begründet ist die Revision hinsichtlich dieses Angeklagten auch inso-weit, als sie sich gegen die Ablehnung des Tatbestands der Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB wendet. Die Begründung, zu dem [X.]punkt, als der Angeklagte am 11. März 2007 die Schädigung des [X.] erkannte, sei der [X.] zum Tod führende - [X.] schon eingetreten gewe-sen, weil das Kind zu diesem [X.]punkt nicht mehr zu retten gewesen wäre ([X.]), lässt außer Betracht, dass der Angeklagte nach den Feststellungen [X.] von diesem [X.]punkt an wusste, dass sich der Gesundheitszustand des Kindes laufend weiter verschlechterte und dass bei pflichtgemäßem Ein-greifen des Angeklagten das Leben des Kindes in jedem Fall hätte verlän[X.] werden können. Das Unterlassen des Angeklagten stei[X.]e daher die dem Kind drohende Lebensgefahr weiter. Dies würde entgegen der Ansicht des [X.]s eine Verurteilung nach § 227 StGB tragen. 33 c) Schließlich begegnet aus denselben Gründen auch die fehlende Prü-fung eines Verbrechens nach § 221 Abs. 1 [X.] Abs. 3 StGB (vgl. [X.], 2199) durchgreifenden Bedenken. Auch der vom [X.] nicht erör-terte Tatbestand des § 225 Abs. 1 Nr. 1 und [X.], Abs. 3 Nr. 1 StGB wird vom neuen Tatrichter zu prüfen sein; der Tatbestand könnte ggf. in Tateinheit mit § 227 StGB stehen (vgl. BGHSt 41, 113). 34 4. Der Senat hat, auch im Hinblick auf die Öffentlichkeitswirksamkeit des Verfahrens, von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1, [X.]. [X.] Gebrauch gemacht, die Sache an ein anderes [X.] zurückzuverweisen. 35 - 18 - II[X.] Revisionen der [X.] 1. Die Revision der Angeklagten [X.]ist unbegründet. 37 Die Verfahrensrüge, mit welcher eine Verletzung von § 74 [X.] gerügt wird, deckt einen Rechtsfehler nicht auf. Das [X.] hat den gegen die Sachverständige [X.] gerichteten Befangenheitsantrag zu Recht zurückgewiesen. Die Sachverständige hatte im Rahmen ihres Antrags vor Erstattung ihres münd-lichen Gutachtens in der Hauptverhandlung eine Nach-Exploration der Ange-klagten beabsichtigt und hiervon den Verteidiger benachrichtigt. Es ist nicht er-sichtlich, dass sie dies in der Absicht unternahm, einseitig zu Lasten der Ange-klagten tätig zu werden. Hiergegen spricht namentlich auch die Information des Verteidigers. Ein Befangenheitsgrund lag bei verständiger Würdigung daher nicht vor. 38 Auch die Überprüfung des Urteils auf die allgemein erhobene Sachrüge ergibt keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten. 39 2. [X.] gestützte Revision des Angeklagten [X.]

ist gleichfalls unbegründet. Soweit die Revision beanstandet, das [X.] habe keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Angeklagte den [X.] einer Verschlechterung des Gesundheitszustands seiner Tochter billigte oder hinzunehmen bereit war, widerspricht dies den Urteilsfeststellungen. Das [X.] hat ausdrücklich und insoweit rechtsfehlerfrei festgestellt, der [X.] habe jedenfalls am 11. März 2007 eine behandlungsbedürftige Er-krankung des Kindes wahrgenommen und gewusst, dass sich dieser Zustand ohne sein Eingreifen weiter verschlechtern würde, gleichwohl aus Bequemlich-keit und Passivität aber nichts unternommen. Die Beweiswürdigung lässt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen. 40 - 19 - Auch die Einwendungen der Revision gegen die Verurteilung wegen [X.] Tötung sind offensichtlich unbegründet. 41 [X.] [X.] [X.] Roggenbuck [X.]

Meta

2 StR 305/08

03.09.2008

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.09.2008, Az. 2 StR 305/08 (REWIS RS 2008, 2143)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 2143

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 462/21 (Bundesgerichtshof)

Versuchter Verdeckungsmord: Vorliegen der "anderen" Straftat "Misshandlung Schutzbefohlener"


2 StR 464/14 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen versuchten Mordes: Voraussetzungen eines Verdeckungsmordes


2 StR 464/14 (Bundesgerichtshof)


5 StR 532/08 (Bundesgerichtshof)


5 StR 565/10 (Bundesgerichtshof)

Rücktritt vom gemeinschaftlichen Versuch des Totschlags durch Unterlassen: Sinnlose Rettungsbemühungen nach einem Todeseintritt durch ein …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.