Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.03.2010, Az. IX ZB 94/07

9. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 8536

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Gegenstand

Vollstreckung ausländischer Urteile: Berücksichtigung der Aufhebung der Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat im Beschwerdeverfahren der Vollstreckbarerklärung


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des [X.] vom 24. April 2007 wie folgt geändert: Der Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] vom 30. März 2006 wird insgesamt aufgehoben.

Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Urteils des [X.] ([X.]) vom 2. Mai 2005 wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens aller Instanzen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 18.437,57 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin (im Folgenden auch: Gläubigerin) erhob im Jahr 1998 in [X.] Zahlungsklage gegen die Antragsgegnerin (im Folgenden auch: Schuldnerin). Mit einem am 6. September 2005 für vollstreckbar erklärten, nicht rechtskräftigen Urteil vom 2. Mai 2005 verurteilte der [X.] die Schuldnerin zur Zahlung von 18.437,75 € zuzüglich Kosten. Auf Antrag der Gläubigerin hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des [X.] dieses Urteil mit [X.]uss vom 30. März 2006 für vollstreckbar erklärt. Hiergegen hat die Schuldnerin Beschwerde eingelegt. Auf Beschwerde der Schuldnerin setzte die [X.] am 29. Mai 2006/5. Juli 2006 die Vollstreckung des angefochtenen Urteils des [X.] aus (Art. 283 c.p.c.). Termin zur Verhandlung über die Berufung der Schuldnerin vor der [X.] ist auf den 9. November 2011 bestimmt. Zwischenzeitlich war auf Antrag der Gläubigerin durch das [X.] eine Kontenpfändung ausgebracht worden (§ 720a ZPO).

2

Mit [X.]uss vom 24. April 2007 hat das Beschwerdegericht die Entscheidung des [X.] vom 30. März 2006 geändert und das Urteil des [X.] für die [X.] bis zum 28. Mai 2006 zur Vollstreckung zugelassen. Danach sei das Urteil wegen der Aussetzung der Vollstreckung oder Aufhebung der Vollstreckbarkeit in [X.] nicht mehr vollstreckbar. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

3

Das gemäß § 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist zulässig, weil die Frage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), ob ein nicht rechtskräftiges ausländisches Urteil, dessen Vollstreckbarkeit im [X.] ausgesetzt oder aufgehoben worden ist, für einen begrenzten [X.]raum für vollstreckbar erklärt werden kann. Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 15 Abs. 2 und 3, § 16 [X.].

III.

4

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der [X.]uss des [X.] ist insgesamt aufzuheben. Eine zeitlich begrenzte Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen sieht das Gesetz nicht vor.

5

1. Auf das Verfahren findet die Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 ([X.]) gemäß Art. 66 Abs. 2 Buchst. a, Art. 76 [X.] Anwendung.

6

2. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, es sei zu beachten, dass das Urteil des [X.] in [X.] bis zum 28. Mai 2006 vollstreckbar gewesen sei. Zum [X.]punkt des Erlasses der Entscheidung des [X.] hätten die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung vorgelegen. Die Entscheidung der [X.] habe die Vollstreckbarkeit in [X.] nicht rückwirkend beseitigt, sondern nur die Weiterführung der begonnenen Vollstreckung verhindert. Dies ergebe sich aus einer Auskunft des [X.]. Die Entscheidung habe eine der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung nach [X.] Recht vergleichbare Wirkung. Bereits getroffene [X.] blieben danach bestehen. Um die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen, sei die [X.] dahin auszulegen, dass gerichtliche Entscheidungen - soweit sie anzuerkennen seien - mit der Wirkung in den [X.] zu übernehmen seien, die sie auch im [X.] hätten. [X.] dort eine die Zwangsvollstreckung lediglich vorläufig beschränkende Entscheidung, seien im [X.] zuvor bereits ausgebrachte Vollstreckungsmaßnahmen aufrecht zu erhalten. Dies müsse auch im Hinblick auf die schon erfolgte Kontenpfändung gelten.

7

3. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

8

a) Mit der Aufhebung oder Aussetzung der Vollstreckbarkeit im [X.] fehlt eine nach der [X.] anzuerkennende Entscheidung (Art. 38 Abs. 1 [X.]). Auch für eine bloße Sicherungsvollstreckung ist Voraussetzung, dass im [X.] eine vollstreckbare Entscheidung vorliegt. Ob die dortige Entscheidung für einen begrenzten [X.]raum vollstreckbar war und ob eine Aufhebung der Vollstreckbarkeit dort ex nunc oder ex tunc wirkt, ist unerheblich. Entfällt während des Beschwerdeverfahrens die Vollstreckbarkeit der Entscheidung, so ist dies - wie auch sonst im Vollstreckbarerklärungsverfahren (vgl. [X.], 310, 316 Rn. 15; [X.], [X.]. v. 30. April 1980 - [X.], [X.], 2022) - uneingeschränkt zu berücksichtigen. Die Frage, ob aus der Entscheidung im [X.] für einen begrenzten [X.]raum hätte vollstreckt werden können, hat hiermit nichts zu tun. Ein "Gleichlauf" der vorläufigen Vollstreckbarkeit im [X.] und im Inland, wie ihn sich das Beschwerdegericht vorstellt, kommt wegen des Wegfalls der Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung nicht in Frage.

9

b) Diese Sichtweise gebietet auch § 27 [X.]. Nach dieser Vorschrift kann der Schuldner die Aufhebung oder Änderung der Zulassung der Vollstreckung in einem besonderen Verfahren geltend machen, wenn der Titel in dem Staat, in dem er errichtet worden ist, aufgehoben oder geändert wird. Hieraus folgt, dass sogar die nachträgliche Aufhebung der Vollstreckbarkeit im [X.] zu beachten ist und bereits erfolgte Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben sind (§ 27 Abs. 5 [X.]). Wenn für die [X.] nach Beendigung des [X.] ein Rechtsbehelf zur Verfügung steht, mit dem nachträgliche Veränderungen der Vollstreckbarkeit im [X.] zu berücksichtigen sind, muss dies erst recht für die Änderung der Vollstreckbarkeit während des laufenden [X.] gelten. Sicherungsmaßnahmen sind nach Art. 47 Abs. 3 [X.] ausdrücklich auf die [X.] bis zum Erlass der Entscheidung des [X.] beschränkt. Bestätigt das Beschwerdegericht die Vollstreckbarerklärung nicht, dürfen auch keine vorläufigen Sicherungsmaßnahmen mehr aufrechterhalten werden. Die Vollstreckbarkeit entfällt in vollem Umfang.

IV.

Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis. Nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif. Das Rechtsbeschwerdegericht hat deshalb in der Sache selbst zu entscheiden, § 17 Abs. 2 [X.], § 577 Abs. 5 ZPO.

Ganter                          Raebel                              Kayser

                  Pape                              Grupp

Meta

IX ZB 94/07

11.03.2010

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Dresden, 24. April 2007, Az: 3 W 594/06, Beschluss

§ 27 AVAG, Art 38 Abs 1 EGV 44/2001

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.03.2010, Az. IX ZB 94/07 (REWIS RS 2010, 8536)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8536

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

XII ZB 234/15

IX ZB 94/07

IX ZB 86/18

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