Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.06.2017, Az. EnVR 40/16

Kartellsenat | REWIS RS 2017, 9429

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Gegenstand

Berechnung des Stromnetzentgelts für eine dezentrale Einspeisung: Begriff der vorgelagerten Netzebene - Heizkraftwerk Würzburg GmbH


Leitsatz

Heizkraftwerk Würzburg GmbH

Die vorgelagerte Netzebene im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV muss nicht zwingend eine höhere Ebene sein als die Ebene des Netzes, in der die dezentrale Einspeisung erfolgt. Eine Netzebene ist vielmehr auch dann vorgelagert, wenn sie von einem anderen Netzbetreiber betrieben wird und deshalb für die Einspeisung in das nachgelagerte Netz ein Entgelt anfällt, das durch die dezentrale Einspeisung vermieden wird.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats des [X.] vom 31. August 2016 wird zurückgewiesen.

Die Bundesnetzagentur trägt die Kosten des [X.] einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 327.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Antragstellerin betreibt ein Heizkraftwerk, das an das von der Antragsgegnerin betriebene Elektrizitätsverteilernetz in der [X.] (110 Kilovolt, [X.] 3 im Sinne der Anlage 3 zur Stromnetzentgeltverordnung) angeschlossen ist. Das Netz der Antragstellerin ist in derselben [X.] an das vorgelagerte Verteilernetz der [X.] angeschlossen.

2

Seit Januar 2015 berechnet die Antragsgegnerin das nach § 18 [X.] zu zahlende Entgelt - in Übereinstimmung mit der von der [X.] vertretenen Rechtsauffassung - nach dem Preisblatt der [X.] für die [X.] Höchst-/Hochspannung ([X.] 2). Dies führt für die Antragstellerin im Vergleich zur zuvor praktizierten Abrechnung nach dem Preisblatt der [X.] für die [X.] 3 zu Mindererlösen.

3

Die Antragstellerin hat begehrt, der Antragsgegnerin im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens nach § 31 [X.] die Berechnung nach dem Preisblatt für die [X.] 3 aufzugeben. Die [X.] hat diesen Antrag zurückgewiesen.

4

Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht die ablehnende Entscheidung aufgehoben und die [X.] zur Neubescheidung verpflichtet. Dagegen wendet sich die [X.] mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, der die Antragstellerin entgegentritt.

5

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

6

1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Zu Unrecht habe die Antragsgegnerin zur Ermittlung des vermiedenen [X.] das Preisblatt für die [X.] von Höchst- zu Hochspannung zu Grunde gelegt. Der nach § 18 Abs. 1 Satz 2 [X.] maßgebliche Begriff "vorgelagerte Netz- oder [X.]" sei nicht nur spannungsbezogen, sondern daneben auch netzbetreiberbezogen auszulegen. Zwar spreche der Wortlaut eher für eine spannungsbezogene Auslegung. Er schließe es aber nicht aus, den Begriff "Netzebene" in bestimmten Situationen auch netzbetreiberbezogen zu verstehen. Für eine solche Auslegung sprächen die Begründung des [X.], die Entstehungsgeschichte der Norm, ihre Systematik und ihr Sinn und Zweck. Entgegen der Auffassung der [X.] ergebe sich aus Art. 3 GG keine abweichende Beurteilung.

8

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand. Das Beschwerdegericht ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das der Antragstellerin gemäß § 18 Abs. 1 [X.] zustehende Entgelt für dezentrale Einspeisung anhand des Preisblatts für die [X.] zu berechnen ist.

9

Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 [X.] muss das Entgelt für dezentrale Einspeisung den Netzentgelten entsprechen, die gegenüber den vorgelagerten Netz- oder [X.]n durch die jeweilige Einspeisung vermieden werden. Als vorgelagerte [X.] in diesem Sinne ist die Netz- oder [X.] des vorgelagerten Netzes anzusehen. Entgegen der Auffassung der [X.] muss dies nicht zwingend eine höhere [X.] sein als die [X.] des nachgelagerten Netzes, in das die dezentrale Einspeisung erfolgt. Eine Netzebene ist vielmehr auch dann vorgelagert, wenn sie von einem anderen Netzbetreiber betrieben wird und deshalb für die Einspeisung in das nachgelagerte Netz ein Entgelt anfällt, das durch die dezentrale Einspeisung vermieden wird.

a) Wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Wortlaut der Vorschrift nicht eindeutig.

Die Begriffe "Netzebene" und "[X.]" knüpfen allerdings an bestimmte Spannungsbereiche und damit an technische Sachverhalte an. Netzebenen sind nach § 2 Nr. 10 [X.] die Bereiche von Elektrizitätsversorgungsnetzen, in welchen elektrische Energie in Höchst-, Hoch-, Mittel- oder Niederspannung übertragen oder verteilt wird. [X.]n sind nach § 2 Nr. 12 [X.] sinngemäß die Bereiche, in denen die Spannung zwischen zwei benachbarten Netzebenen umgewandelt wird.

Daraus ist jedoch nicht eindeutig zu entnehmen, worauf sich der Begriff "vorgelagert" bezieht. Die an technischen Gegebenheiten orientierte Definition in § 2 Nr. 10 [X.] mag zwar nahelegen, dass nur höhere Netz- oder [X.]n als vorgelagert angesehen werden können. Der Wortlaut lässt indes auch das Verständnis zu, dass als Vergleichsobjekt das nachgelagerte Netz anzusehen ist, in das die dezentrale Einspeisung erfolgt - unabhängig davon, ob dieses Netz zu einer anderen [X.] gehört als das vorgelagerte Netz.

b) Die Systematik der Stromnetzentgeltverordnung führt ebenfalls nicht zu einem eindeutigen Ergebnis.

Für eine nicht allein an der Spannungsebene orientierte Auslegung spricht allerdings, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, der auch von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogene Umstand, dass eine Kostenwälzung auf das nachgelagerte Netz gemäß § 14 [X.] auch dann stattfindet, wenn das vorgelagerte Netz auf derselben Netzebene betrieben wird. Hieraus ergeben sich indes keine zwingenden Schlussfolgerungen. Der Betreiber des nachgelagerten Netzes hätte die auf seine Entnahme entfallenden Kosten nämlich auch dann zu tragen, wenn er als Weiterverteiler im Sinne von § 14 Abs. 1 [X.] zu qualifizieren wäre.

Aus demselben Grund ermöglicht der Umstand, dass es im vorgelagerten Netz eine Entnahmestelle im Sinne von § 2 Nr. 6 [X.] geben muss, aus der Energie in das nachgelagerte Netz eingespeist wird, ebenfalls keine eindeutige Schlussfolgerung. § 2 Nr. 6 [X.] sieht eine Entnahme nicht nur durch Letztverbraucher und nachgelagerte Netz- oder [X.]n vor, sondern auch durch Weiterverteiler.

c)Aus der Entstehungsgeschichte von § 18 [X.] ergeben sich ebenfalls keine eindeutigen Hinweise.

Hierbei kann offen bleiben, ob und in welchem Umfang der Verordnungsgeber die Regelung aus der Verbändevereinbarung II plus aufgreifen wollte. Nach den Feststellungen des [X.] knüpfte auch diese Vereinbarung an die Einsparung von Netzentgelten in vorgelagerten Netzebenen an und warf mithin vergleichbare Auslegungsfragen auf. Selbst wenn der Verordnungsgeber diese Regelung hätte unverändert übernehmen wollen, stellte sich die für die Entscheidung des Streitfalls relevante Frage mithin in gleicher Weise.

Der in der Anlage der Verbändevereinbarung enthaltenen Definition des Begriffs "Netzbereich" kommt ebenfalls keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Die Stromnetzentgeltverordnung verwendet diesen Begriff nicht. Sie enthält auch keine Definition des in § 2 Nr. 10 und 12 [X.] verwendeten Begriffs "Bereich". Angesichts dessen kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass der Verordnungsgeber die früher geltende Regelung in jeder Hinsicht unverändert übernehmen wollte.

d) Dass der Begriff "vorgelagerte Netzebene" nicht allein anhand der eingesetzten Spannung zu bestimmen ist, ergibt sich, wie das Beschwerdegericht zu Recht entschieden hat, aus dem Sinn und Zweck von § 18 Abs. 1 [X.].

aa) § 18 Abs. 1 [X.] dient dem Zweck, dem Betreiber einer dezentralen Erzeugungsanlage die Vorteile zukommen zu lassen, die der Netzbetreiber infolge der dezentralen Einspeisung durch Vermeidung von Entgelten für die Nutzung vorgelagerter Netze erzielt.

In der Begründung des [X.] wird ausgeführt, die dezentrale Einspeisung elektrischer Energie verursache unmittelbar eine Reduzierung der Entnahme aus der vorgelagerten Netz- oder [X.]. Dies habe kurzfristig zur Folge, dass aus Sicht des Netzbetreibers, in dessen Netz- oder [X.] dezentral eingespeist werde, der von ihm zu tragende Anteil der Kosten des vorgelagerten Netzes sinke, der von den übrigen entnehmenden [X.] zu tragende Anteil hingegen steige. Mittel- bis langfristig könne die dezentrale Einspeisung tendenziell zu einer Reduzierung der erforderlichen Netzausbaumaßnahmen in den vorgelagerten Netzebenen und damit zu geringeren Gesamtnetzkosten führen. Zur Abgeltung dieses Beitrags zur Netzkostenverminderung werde Betreibern von dezentral einspeisenden Erzeugungsanlagen ein Entgelt gezahlt ([X.]. 245/05 S. 39).

Diese Ausführungen beziehen sich zwar überwiegend auf Netz- und [X.]n. Die wesentlichen Effekte, die den Verordnungsgeber zu der Regelung bewogen haben, - ein geringerer Anteil des Netzbetreibers an den Kosten des vorgelagerten Netzes und eine tendenziell geringere Belastung des vorgelagerten Netzes - treten grundsätzlich aber auch dann ein, wenn der [X.] an das vorgelagerte Netz auf derselben [X.] erfolgt.

bb) Der von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Frage, ob dezentrale Einspeisung mittel- oder langfristig tatsächlich zu einer Kostensenkung führt, kommt vor diesem Hintergrund keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Die Rechtsbeschwerde sieht die Gefahr, dass die Betreiber vorgelagerter Netze zu einer Reduzierung von Ausbaumaßnahmen nicht in der Lage sein werden, weil sie Vorsorge für einen Ausfall der dezentralen Erzeugungsanlagen treffen müssen. Diese Gefahr besteht indes ebenfalls grundsätzlich unabhängig davon, ob das vorgelagerte Netz zu derselben oder zu einer höheren [X.] gehört. Sie kann es deshalb nicht rechtfertigen, bei der Bemessung des Entgelts zwischen diesen beiden Konstellationen zu differenzieren.

e) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine abweichende Beurteilung nicht aus Gründen der Gleichbehandlung geboten.

Die in § 18 Abs. 1 [X.] vorgegebene Berechnungsweise hat allerdings zur Folge, dass die Höhe des Entgelts von den individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Netzes abhängt. Dies ist indes schon deshalb sachgerecht, weil die Netzkosten generell durch Besonderheiten des jeweiligen Netzes geprägt sind. Angesichts dessen fließt einem Anlagenbetreiber, dessen Einspeisung in besonders hohem Umfang zur Vermeidung von Netzentgelten führt, entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kein ungerechtfertigter Vorteil zu. Es entspricht vielmehr dem Zweck von § 18 Abs. 1 [X.] und der vom Verordnungsgeber vorgegebenen Berechnungsweise, wenn die erzielten Einsparungen nicht der Gesamtheit der Netzbetreiber zukommen, sondern dem Anlagenbetreiber, auf dessen Einspeisung sie beruhen.

Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob das Entgelt für dezentrale Einspeisung in bestimmten Konstellationen sogar höher sein kann als die vermiedenen Entgelte für die Nutzung vorgelagerter Netz- oder [X.]n, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Selbst wenn sie zu bejahen wäre, ergäbe sich daraus für die hier zu beurteilende Konstellation nicht, dass das Entgelt für die Einspeisung geringer sein muss als die vermiedenen Netzentgelte.

f) Die von der [X.] in der mündlichen Verhandlung aufgeworfene Frage, ob die vorgelagerte Netz- oder [X.] im Zusammenhang mit der Festlegung von Entgelten für singulär genutzte Betriebsmittel gemäß § 19 Abs. 3 Satz 4 [X.] zwingend eine höhere [X.] sein muss als die [X.], zu der die singulär genutzten Betriebsmittel gehören, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung.

Aus dem oben aufgezeigten Zweck des § 18 Abs. 1 Satz 2 [X.] ergibt sich, dass die vorgelagerte Netzebene im Sinne dieser Vorschrift nicht zwingend eine höhere [X.] sein muss. Dies schließt nicht aus, dass die entsprechende Frage im Zusammenhang mit § 19 Abs. 3 Satz 4 [X.] aufgrund einer möglicherweise abweichenden Zielsetzung dieser Vorschrift anders zu entscheiden ist. Wenn § 19 Abs. 3 Satz 4 [X.] einem anderen Zweck dient, können aus der Auslegung dieser Vorschrift aber auch keine Rückschlüsse für die Auslegung von § 18 Abs. 1 Satz 2 [X.] gezogen werden.

3. [X.] beruht auf § 90 Satz 2 [X.], die Festsetzung des [X.] auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO.

[X.]     

       

Raum     

       

[X.]

       

Grüneberg     

       

Bacher     

       

Meta

EnVR 40/16

20.06.2017

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 31. August 2016, Az: VI-3 Kart 116/15 (V), Beschluss

§ 18 Abs 1 S 2 StromNEV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.06.2017, Az. EnVR 40/16 (REWIS RS 2017, 9429)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9429

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