Bundessozialgericht, Urteil vom 05.04.2012, Az. B 10 EG 6/11 R

10. Senat | REWIS RS 2012, 7433

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Elterngeld - Bemessung - selbstständige Tätigkeit vor und nach der Geburt des Kindes - Berechnung des nach der Geburt erzielten Einkommens - Nichtberücksichtigung freiwilliger Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung - Verfassungsmäßigkeit - vorläufige Leistung - Verwaltungsakt - Anfechtbarkeit


Leitsatz

Beiträge einer freiwillig versicherten Rechtsanwältin zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sind bei der Bemessung des Elterngelds nicht zu berücksichtigen, weil es sich nicht iS von § 2 Abs 8 S 1 BEEG um Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung handelt, die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleistet werden.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 17. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt höheres vorläufiges Elterngeld nach dem [X.] ([X.]) für den dritten bis zwölften Lebensmonat ihres am [X.] geborenen [X.] Die Beteiligten streiten insbesondere darüber, ob bei der Ermittlung des während der Bezugszeit erzielten Einkommens aus selbstständiger Arbeit die Beiträge abzuziehen sind, die die Klägerin zur freiwilligen Krankenversicherung und zur [X.] Pflegeversicherung gezahlt hat.

2

Die Klägerin war sowohl vor als auch nach der Geburt des Kindes als selbstständige Rechtsanwältin tätig. In ihrem Antrag auf Elterngeld vom [X.] gab sie an, nach der Geburt ab [X.] eine Teilzeittätigkeit von ca 25 Wochenstunden auszuüben. Zu ihren Einkommensverhältnissen nach der Geburt teilte sie mit, ihr Gewinn (vor Steuern) liege im 1. Quartal 2009 durchschnittlich bei 4521 [X.] im Monat; abzüglich des "Krankenkassenbeitrags" in Höhe von 667,02 [X.], eines "Rentenbeitrags" von 1074,60 [X.] und von Steuern in Höhe von ca 1150 [X.] verbleibe nach der Geburt ein (Netto-)Gewinn von etwa 1630 [X.] monatlich.

3

Die Stadtverwaltung [X.] bewilligte der Klägerin Elterngeld für den dritten bis zwölften Lebensmonat des Kindes (21.3.2009 bis 20.1.2010) vorläufig in Höhe des [X.] von monatlich 300 [X.]. Bei der Bemessung des Elterngeldes ging sie auf der Grundlage des Steuerbescheides für das [X.] von einem durchschnittlichen monatlichen Erwerbseinkommen vor der Geburt von 3451,75 [X.] aus und berücksichtigte insoweit den Höchstbetrag von 2700 [X.]. Als durchschnittliches monatliches Erwerbseinkommen nach der Geburt legte sie 2296 [X.] zugrunde. Die von der Klägerin angegebenen "Krankenkassenbeiträge" berücksichtige sie bei der Berechnung des Einkommens nach der Geburt des Kindes nicht. Da 67 % des sich danach ergebenden Differenzbetrages von 404 [X.] unter 300 [X.] lägen, stehe nur der Mindestbetrag zu (Bescheid vom 22.5.2009).

4

Mit ihrem Begehren, bei der Berechnung des Elterngeldes ihre nach der Geburt an die [X.] ([X.]) gezahlten Beiträge in Höhe von monatlich 667,02 [X.] (einschließlich Kosten der Pflegeversicherung) zu berücksichtigen und ihr dementsprechend vorläufig ein Elterngeld in Höhe von monatlich 714,63 [X.] zu zahlen, hatte die Klägerin weder im Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid des Beklagten vom [X.]) noch im anschließenden Klage- und Berufungsverfahren (Urteile des Sozialgerichts [X.] vom 26.3.2010 und des [X.] <[X.]> vom 17.2.2011) Erfolg.

5

Das [X.] hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Bei den von der Klägerin an die [X.] entrichteten Beiträgen handle es sich nicht um Pflichtbeiträge iS des § 2 Abs 8 S 1 [X.], sondern um freiwillige Beiträge. Diese würden von dieser Vorschrift nicht erfasst. Daran habe sich durch das Inkrafttreten des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 15.12.2008 ([X.] 2426) nichts geändert. Die fehlende Gleichstellung von freiwilligen Beiträgen und Pflichtbeiträgen in § 2 Abs 8 S 1 [X.] entspreche dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers. Dieser habe in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 16/2785 [X.]) festgehalten, dass Beiträge für Versicherungen und Altersvorsorge außerhalb des Systems der [X.] Pflichtversicherung nicht abzusetzen seien. Es könne deshalb auch nicht von einer unbewussten Lücke des Gesetzes ausgegangen werden. Die Ungleichbehandlung von Beiträgen zur freiwilligen Krankenversicherung und Beiträgen zur Krankenpflichtversicherung verstoße nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Die Beschränkung der Abzugsfähigkeit auf Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung halte sich im Rahmen des weiten Gestaltungsspielraums bei steuerfinanzierten Leistungen.

6

Die Klägerin hat beim [X.] (BSG) die vom [X.] zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt sinngemäß eine Verletzung von § 2 Abs 3 und 8 [X.]. Die Rechtsauffassung des [X.], wonach bei der Berechnung des nach der Geburt erzielten Einkommens die an die [X.] gezahlten Beiträge nicht zu berücksichtigen seien, könne keinen Bestand haben. Die Kosten der Krankenversicherung seien von ihr auch während des Bezuges von Elterngeld zu tragen. Dabei hänge die Höhe der Beiträge von der Höhe der [X.] ab. Werde Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze erzielt, sei der vor der Geburt gezahlte Beitrag weiter zu entrichten. Liege das Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze sei ein reduzierter Beitrag zu zahlen. Mithin seien diese Beiträge ebenso wie Pflichtbeiträge bei der Berechnung des Elterngeldes vom Einkommen abzuziehen. Anderenfalls würden Selbstständige gegenüber abhängig Beschäftigten benachteiligt. Das von ihr prognostizierte Einkommen betrage unter Berücksichtigung der an die [X.] gezahlten Beiträge in Höhe von monatlich 667,02 [X.] (inklusive Kosten zur Pflegeversicherung) netto 1633,39 [X.]. Damit ergebe sich ein vorläufiger Zahlungsanspruch auf Elterngeld in Höhe von monatlich 714,63 [X.].

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des [X.] vom 17. Februar 2011 und des Sozialgerichts [X.] vom 26. März 2010 aufzuheben, den Bescheid der Stadtverwaltung [X.] vom 22. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 18. Juni 2009 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr für den dritten bis zwölften Lebensmonat ihres [X.] (21.3.2009 bis 20.1.2010) vorläufig Elterngeld in monatlicher Höhe von 714,63 [X.] zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das Urteil des [X.] für zutreffend. Freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung seien nach § 2 Abs 8 S 1 [X.] nicht abzugsfähig. Dadurch werde der Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt, denn zwischen gesetzlich Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten bestünden deutliche Unterschiede, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigten.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat am 5.4.2012 haben die Beteiligten erklärt, sie seien sich darüber einig, dass nach den Angaben der Klägerin im Antragsformular alle Tatsachen vorgelegen hätten, die ein Anspruch der Klägerin auf Elterngeld für das erste Lebensjahr ihres am [X.] geborenen [X.] gemäß § 1 [X.] voraussetze.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.

1. Die Klägerin verfolgt im Revisionsverfahren ihr Begehren auf Zahlung eines vorläufigen Elterngeldes in Höhe von 714,63 Euro monatlich für den dritten bis zwölften Lebensmonat ihres am [X.] geborenen Kindes (21.3.2009 bis 20.1.2010) im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und [X.]) weiter.

Mit der Anfechtungsklage greift sie die Bewilligung von vorläufigem Elterngeld in Höhe von monatlich 300 Euro an (Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.]). Der Zulässigkeit dieser Klage steht nicht entgegen, dass die vorläufige Entscheidung noch nicht durch eine endgültige ersetzt worden ist (vgl hierzu bereits [X.]-7837 § 2 [X.] Rd[X.]3; zum Verhältnis der vorläufigen zur endgültigen Entscheidung auch [X.] vom 15.12.2011 - B 10 EG 1/11 R - Rd[X.]5, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen). Die Bewilligung vorläufiger Leistungen nach § 8 Abs 3 [X.] ist ein eigenständiger Verwaltungsakt iS des § 31 S 1 [X.]B X, der gesondert mit Widerspruch und Klage angefochten werden kann (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.]/MuSchG, 8. Aufl 2008, § 8 [X.] Rd[X.]6; [X.] in [X.]/[X.], MuSchG, Stand Dezember 2011, § 8 [X.] Rd[X.]5; zur Bindungswirkung einstweiliger Verwaltungsakte allg auch [X.], 104, 109 f = [X.] 3-1300 § 32 [X.] f; [X.] 96, 119 = [X.] 4-2500 § 240 [X.], Rd[X.]2).

Mit der Leistungsklage macht die Klägerin einen Anspruch auf vorläufiges Elterngeld in Höhe von 714,63 Euro geltend. Sie begründet dieses Begehren damit, dass beim nachgeburtlichen Einkommen die von ihr an die [X.] gezahlten Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und [X.] Pflegeversicherung in Höhe von monatlich 667,02 Euro abzuziehen seien.

2. Zu Recht ist das [X.] in Übereinstimmung mit dem [X.] zu der Auffassung gelangt, dass der Klägerin im Rahmen der vorläufigen Bewilligung für den dritten bis zwölften Lebensmonat ihres am [X.] geborenen [X.] kein höheres vorläufiges Elterngeld als der vom Beklagten gezahlte Mindestbetrag von 300 Euro monatlich zusteht.

Der Anspruch der Klägerin auf vorläufiges Elterngeld für den dritten bis zwölften Lebensmonat (21.3.2009 bis 20.1.2010) ihres am [X.] geborenen Kindes richtet sich nach den am 1.1.2007 in [X.] getretenen Vorschriften des [X.] vom 5.12.2006 ([X.] 2748). Spätere Gesetzesänderungen sind hier nicht einschlägig.

a) Nach § 1 Abs 1 [X.] hat Anspruch auf Elterngeld, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] hat ([X.]), mit seinem Kind in einem Haushalt lebt ([X.]), dieses Kind selbst betreut und erzieht ([X.] 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt ([X.] 4). Dass die Klägerin diese Voraussetzungen nach ihren Angaben im Antragsformular im streitigen [X.]raum erfüllte, haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt. In ihrem Antrag vom [X.] hat die Klägerin angegeben, dass sie nach der Geburt des Kindes eine nach § 1 Abs 1 [X.] 4 und Abs 6 1. Alt [X.] elterngeldunschädliche Erwerbstätigkeit im Umfang von 25 Wochenstunden ausübt.

b) Für die Höhe des Elterngeldes ist gemäß § 2 Abs 1 S 1 [X.] das in den letzten zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit maßgebend. Es beträgt (in der Regel) 67 % dieses durchschnittlichen Einkommens, höchstens 1800 Euro monatlich.

Für Monate nach der Geburt des Kindes, in denen die berechtigte Person - wie hier - ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt, das durchschnittlich geringer ist als das durchschnittlich erzielte vorgeburtliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit, wird gemäß § 2 Abs 3 S 1 [X.] Elterngeld in Höhe von (in der Regel) 67 % des Unterschiedsbetrages zwischen dem maßgeblichen monatlichen Durchschnittseinkommen vor und nach der Geburt gezahlt, wobei nach § 2 Abs 3 [X.] [X.] als vor der Geburt durchschnittlich erzieltes monatliches Einkommen aus Erwerbstätigkeit - wie hier - höchstens der Betrag von 2700 Euro anzusetzen ist.

Bei erziehungsbedingter Reduzierung des Einkommens aus einer Erwerbstätigkeit - etwa wie hier durch Beschränkung auf eine Teilzeittätigkeit - beträgt das Elterngeld demnach grundsätzlich 67 % des Differenzbetrages zwischen dem maßgeblichen monatlichen Durchschnittseinkommen vor und nach der Geburt (dazu [X.] in [X.]/[X.], MuSchG/[X.], 8. Aufl 2008, § 2 Rd[X.]1 ff; Fuchsloch/[X.], Leitfaden Elterngeld, 2007, Rd[X.]91 ff; [X.] in [X.]/[X.], MuSchG, Stand September 2011, § 2 [X.] Rd[X.] 36 ff). Liegt der so errechnete Betrag unter 300 Euro, besteht nach § 2 Abs 5 [X.] Anspruch auf das Mindestelterngeld von 300 Euro monatlich.

Welches Einkommen aus Erwerbstätigkeit als maßgebliches monatliches Durchschnittseinkommen vor und nach der Geburt zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus § 2 Abs 1 [X.] [X.]. Danach ist als Einkommen aus Erwerbstätigkeit "die Summe der positiven Einkünfte aus Land-und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit iS von § 2 Abs 1 S 1 [X.] bis 4 Einkommensteuergesetz (EStG) nach Maßgabe der Absätze 7 bis 9 (des § 2 [X.]) zu berücksichtigen". Mit der Wortwahl "Summe der Einkünfte" verweist § 2 Abs 1 [X.] [X.] nicht nur auf die im EStG genannten ([X.], sondern auch auf die nach steuerrechtlichen Bestimmungen ermittelten Einkünfte iS des § 2 Abs 1 und Abs 2 EStG selbst (vgl [X.]-7837 § 2 [X.] 3 Rd[X.]0 f; [X.]-7837 § 2 [X.] 7 Rd[X.]4 ff; [X.]-7837 § 2 [X.] 8 Rd[X.]3 ff). Dieser einkommensteuerrechtliche Begriff wird elterngeldrechtlich durch die Maßgaben des § 2 Abs 7 bis 9 [X.] modifiziert. Dabei wird in Anlehnung an die Kategorisierung des Steuerrechts zwischen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit als Überschusseinkünften (§ 2 Abs 7 [X.]; § 2 Abs 2 S 1 [X.], §§ 8 bis 9a, §§ 19 bis 19a, §§ 38 ff EStG) und den übrigen Erwerbseinkünften als Gewinneinkünften unterschieden 2 Abs 8 und 9 [X.]; § 2 Abs 2 S 1 [X.], §§ 4 bis 7k, §§ 13 bis 18 EStG).

Bei Selbstständigen - wie der Klägerin - ist das zu berücksichtigende Erwerbseinkommen entweder nach Maßgabe des § 2 Abs 8 [X.] oder nach Maßgabe des § 2 Abs 9 [X.] zu ermitteln. Da die aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung geschaffene Sonderregelung des § 2 Abs 9 [X.] (hierzu [X.]-7837 § 2 [X.] Rd[X.]3 ff) nur Bestimmungen für die Ermittlung des vorgeburtlichen Einkommens enthält, kann das nachgeburtliche Einkommen aus einer elterngeldunschädlichen Erwerbstätigkeit nur nach Maßgabe des § 2 Abs 8 [X.] ermittelt werden.

§ 2 Abs 8 S 1 [X.] enthält den Grundsatz, dass als Einkommen aus selbstständiger Arbeit "der um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte Gewinn zu berücksichtigen" ist. Nach § 2 Abs 8 [X.] [X.] ist Grundlage der Einkommensermittlung bei Selbstständigen der Gewinn, der sich aus einer mindestens den Anforderungen des § 4 Abs 3 EStG entsprechenden Berechnung ergibt, also der Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben. § 2 Abs 9 [X.] sieht demgegenüber vor, dass unter bestimmten Voraussetzungen abweichend von Abs 8 als vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzieltes monatliches Einkommen aus Erwerbstätigkeit der durchschnittlich monatlich erzielte Gewinn gilt, wie er sich aus dem für den letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum ergangenen Steuerbescheid ergibt.

Da im Falle der Klägerin das vor der Geburt des Kindes erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit mangels Vorliegens des maßgeblichen Steuerbescheides für das [X.] nicht ermittelt werden konnte und auch das Einkommen aus der nachgeburtlichen Nebentätigkeit der Klägerin noch nicht für den gesamten Bezugszeitraum feststand, hat die Stadtverwaltung [X.] zu Recht eine vorläufige Bewilligung des Elterngeldes auf der Grundlage des glaubhaft gemachten Einkommens vorgenommen (vgl § 8 Abs 3 [X.]). Insofern ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass dabei die entsprechend belegten Angaben der Klägerin berücksichtigt worden sind. Was die der Elterngeldberechnung zugrunde gelegten Beträge anbelangt, besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit. Als Durchschnittseinkommen vor der Geburt des Kindes hat der Beklagte ohnehin den Höchstbetrag von 2700 Euro angesetzt. Die Klägerin wendet sich nur dagegen, dass ihre Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und [X.] Pflegeversicherung für die [X.] nach der Geburt bei der Anwendung des § 2 Abs 3 [X.] unberücksichtigt geblieben sind.

Zunächst führen die streitigen Versicherungsbeiträge nicht zu einer Minderung des Gewinns der Klägerin. Beiträge zur (freiwilligen) gesetzlichen Krankenversicherung und zur [X.] Pflegeversicherung sind keine im Rahmen des § 4 Abs 3 EStG abzugsfähigen Betriebsausgaben, denn nach der Definition des § 4 Abs 4 EStG fallen darunter nur die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind. Ob Beiträge zu Versicherungen Betriebsausgaben (bzw Werbungskosten iS des § 9 Abs 1 S 1 EStG) sind, beurteilt sich nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ([X.]) nach der Art des versicherten Risikos (vgl etwa [X.]E 157, 152, 153; 167, 366, 367; 225, 119, 122). Bezieht sich die Versicherung auf ein betriebliches (bzw berufliches) Risiko, sind die Beiträge Betriebsausgaben (bzw Werbungskosten). Gefahren, die in der Person begründet sind, wie etwa das allgemeine Lebensrisiko zu erkranken oder pflegebedürftig zu werden, stellen grundsätzlich außerbetriebliche (außerberufliche) Risiken dar. Das allgemeine Risiko krankheits- oder pflegebedingt Vermögenseinbußen hinnehmen zu müssen, wird deshalb von der Rechtsprechung des [X.] (vgl [X.]E 95, 447, 448 ff; 137, 19, 21 f; 157, 152, 153; 225, 119, 123) bei wertender Betrachtung der privaten Lebensführung zugerechnet. Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung können mithin einkommensteuerrechtlich in der Regel nur als Sonderausgaben berücksichtigt werden (vgl § 10 Abs 1 [X.] 3 EStG in der im Veranlagungszeitraum 2009 geltenden Fassung).

Die von der Klägerin an die [X.] gezahlten Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und zur [X.] Pflegeversicherung sind auch nicht nach der elterngeldrechtlichen Maßgabe des § 2 Abs 8 S 1 [X.] abzugsfähig. Der Wortlaut dieser Vorschrift ("aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung") verlangt eine Verknüpfung zwischen Beitragsleistung und Erwerbstätigkeit: Die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung müssen unmittelbar aufgrund dieser - also der vor bzw nach der Geburt des Kindes ausgeübten - Erwerbstätigkeit geleistet werden. Dazu gehören insbesondere die von selbstständig Erwerbstätigen aufgrund einer entsprechenden Versicherungspflicht gezahlten Beiträge, wie etwa die Pflichtbeiträge von versicherungspflichtigen, selbstständigen Künstlern und Publizisten zu ihrer Sozialversicherung (vgl §§ 1, 15 ff Künstlersozialversicherungsgesetz), von versicherungspflichtigen Landwirten zur Alterssicherung der Landwirte (vgl §§ 1, 70 Abs 1 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte), zur Krankenversicherung der Landwirte (vgl §§ 2, 47 Abs 1, 49 Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte) und zur gesetzlichen Unfallversicherung (vgl § 2 Abs 1 [X.], § 150 Abs 1 [X.] [X.]B VII) oder von versicherungspflichtig selbstständig Tätigen iS des § 2 [X.]B VI (zB selbstständig tätige Lehrer und Erzieher, Hebammen, Handwerker) zur gesetzlichen Rentenversicherung (vgl §§ 2, 169 [X.], 173 [X.]B VI).

Von dem Begriff der Pflichtbeiträge iS des § 2 Abs 8 S 1 [X.] werden hingegen nicht Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur [X.] Pflegeversicherung erfasst, die aufgrund einer freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden (vgl § 2 Abs 1 [X.]B IV; § 9 Abs 1 [X.]B V; § 20 Abs 3 [X.]B XI). Grund dieser Beitragsentrichtung ist nicht unmittelbar die ausgeübte Erwerbstätigkeit, sondern die freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung, und zwar unabhängig davon, ob die versicherte Person abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist. Diese freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung wird entweder durch einen freiwilligen Beitritt oder eine freiwillige Fortführung einer zuvor bestehenden, jedoch endenden Pflichtversicherung begründet (vgl § 2 Abs 1 [X.]B IV; § 9 Abs 1 [X.]B V). Dass die freiwillige Mitgliedschaft unabhängig von der ausgeübten Erwerbstätigkeit ist, zeigt sich auch an der Beitragsbemessung, die sich nach der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds richtet (vgl dazu im Einzelnen § 240 [X.]B V). Unerheblich ist es insoweit, wenn die Beiträge im Einzelfall bei einem Mitglied - mangels anderweitiger Einkünfte - allein auf der Grundlage des Erwerbseinkommens berechnet werden.

An der Unterscheidung von Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten hat entgegen der Auffassung der Klägerin auch die Einführung der allgemeinen Krankenversicherungspflicht in den Jahren 2007/2009 nichts geändert: In der gesetzlichen Krankenversicherung wurde mit Wirkung vom [X.] in § 5 Abs 1 [X.]3 [X.]B V eine Auffang-Versicherungspflicht für Personen geschaffen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben (vgl Art 1 [X.] Buchst a cc, Art 46 Abs 1 [X.] vom [X.], [X.] 378). In der privaten Krankenversicherung wurde mit Wirkung vom 1.1.2009 in § 193 Abs 3 [X.] ([X.]) ebenfalls eine Auffang-Versicherungspflicht eingeführt, insbesondere für Personen, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (freiwillig) versichert oder versicherungspflichtig sind, verbunden mit einem Kontrahierungszwang zum Basistarif (§ 193 Abs 5 [X.], vgl Art 11, 12 Abs 2 Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007, [X.] 2631; zur [X.]mäßigkeit dieser Regelungen: [X.] 123, 186, 193 ff, 235 ff = [X.] 4-2500 § 6 [X.] 8 Rd[X.]3 ff, 154 ff). Hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige sind demnach nach wie vor grundsätzlich nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig (vgl § 5 Abs 5 [X.]B V). Sie haben lediglich unter den in § 9 [X.]B V festgelegten Voraussetzungen ein Recht auf freiwillige Versicherung (Versicherungsberechtigung iS des § 2 Abs 1 [X.]B IV). Die von dieser Personengruppe gezahlten Beiträge sind mithin keine unmittelbar aufgrund der selbstständigen Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung iS des § 2 Abs 8 S 1 [X.].

3. Die in § 2 Abs 8 S 1 [X.] geregelte Beschränkung der Abzugsfähigkeit von Versicherungsbeiträgen selbstständig Erwerbstätiger auf Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung, die unmittelbar aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleistet werden, verstößt nach Überzeugung des erkennenden Senats nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Soweit die Klägerin hierin eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Selbstständigen gegenüber den abhängig Beschäftigten sieht, verkennt sie, dass auch bei Erwerbstätigen, die ein Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit haben, bei der Ermittlung des für die Höhe des Elterngeld maßgeblichen Einkommens nach § 2 Abs 7 S 1 [X.] nur "die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des gesetzlichen Anteils der beschäftigten Person" abzugsfähig sind. Mit der beschränkten Abzugsfähigkeit der Beiträge zur Sozialversicherung wollte der Gesetzgeber die Einkommen der selbstständig Erwerbstätigen mit den Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit gleich behandeln (vgl BT-Drucks 16/2785 [X.]). Nur diejenigen, die unmittelbar aufgrund der Erwerbstätigkeit Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung zu zahlen haben, sollten diese bei der Ermittlung des für die Höhe des Elterngeldes maßgeblichen (Netto-)Einkommens abziehen können. Nur dann ist - so die Ausführungen in den Gesetzesmaterialien - bei der aufgrund der großen Zahl möglicher Einzelfallkonstellationen gebotenen typisierenden Betrachtung sichergestellt, dass nur solche Aufwendungen abgezogen werden, die bei einer im Bezugszeitraum des Elterngeldes unterbrochenen oder eingeschränkten Tätigkeit entfallen oder reduziert sind (vgl BT-Drucks aaO [X.]; dazu auch [X.] in [X.]/[X.], MuSchG/[X.], 8. Aufl 2008, § 2 [X.] Rd[X.] 32 f, 42 f; Fuchsloch/[X.], Leitfaden Elterngeld, 2007, Rd[X.]72, 186; [X.] in [X.], [X.]/EStG/[X.], § 2 [X.] Rd[X.]6, 28, Stand 11/09; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 2 [X.] Rd[X.] 98, 100, 109, Stand September 2011).

Auch die Gleichbehandlung von Beiträgen zur freiwilligen Krankenversicherung und zur privaten Krankenversicherung ist von [X.] wegen nicht zu beanstanden. Zwar werden erstere nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds und letztere nach dem versicherten Risiko berechnet. Diesen Unterschied musste der Gesetzgeber jedoch nicht zum Anlass für eine differenzierte Regelung nehmen. Vielmehr durfte er die Abzugsfähigkeit von Beiträgen davon abhängig machen, dass diese unmittelbar aufgrund der betreffenden Erwerbstätigkeit geleistet werden. Diese Voraussetzung erfüllen beide Arten von [X.] nicht.

4. [X.] beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 10 EG 6/11 R

05.04.2012

Bundessozialgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: EG

vorgehend SG Koblenz, 26. März 2010, Az: S 10 EG 6/09, Urteil

§ 2 Abs 1 S 1 BEEG vom 05.12.2006, § 2 Abs 1 S 2 BEEG vom 05.12.2006, § 2 Abs 3 S 1 BEEG vom 05.12.2006, § 2 Abs 7 BEEG vom 05.12.2006, § 2 Abs 8 S 1 BEEG vom 05.12.2006, § 2 Abs 8 S 2 BEEG vom 05.12.2006, § 2 Abs 9 BEEG vom 05.12.2006, § 8 Abs 3 BEEG vom 05.12.2006, § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG vom 05.12.2006, § 1 Abs 6 Alt 1 BEEG vom 05.12.2006, § 2 Abs 1 S 1 EStG, § 2 Abs 2 EStG, § 4 Abs 3 EStG, § 2 SGB 4, § 9 SGB 5, § 240 SGB 5, § 31 S 1 SGB 10, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 05.04.2012, Az. B 10 EG 6/11 R (REWIS RS 2012, 7433)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7433

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