Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.05.2021, Az. B 10 ÜG 23/20 B

10. Senat | REWIS RS 2021, 5736

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - überlanges Kostenfestsetzungsverfahren - Rechtsanwaltsinteresse - Möglichkeit der Geldentschädigung - Wiedergutmachung auf andere Weise - Abwägungsvorgang des Tatsachengerichts - unterschiedliche Abwägungsergebnisse der Landessozialgerichte - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Divergenz - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 26. November 2020 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3600 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Prozesskostenhilfe (PKH)-Vergütungsfestsetzungsverfahrens zum Verfahren [X.] R 1126/13 vor dem [X.]. Das [X.] hat als Entschädigungsgericht für das [X.] eine überlange Dauer festgestellt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zwar ergebe sich eine Überlänge von 36 Monaten. Hier sei jedoch ausnahmsweise die Wiedergutmachung durch die Feststellung der Überlänge des Verfahrens ausreichend. Die [X.]edeutung des [X.]s sei für den Kläger äußerst gering. Der Kläger sei als Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege und profitiere einerseits grundsätzlich von Prozessen, andererseits sei seine seelische [X.]elastung nicht mit derjenigen eines juristischen Laien vergleichbar. Eine möglicherweise wirtschaftlich schwierige Situation seiner Kanzlei sei weder ersichtlich noch substantiiert behauptet worden. Der formelhafte Verweis auf Kontokorrentkredite reiche jedenfalls nicht aus. Der ausgezahlte Vergütungsanspruch des [X.] von 119 Euro liege eher im unteren [X.]ereich. Es sei nicht zu erkennen, dass der Kläger über die Überlänge des Verfahrens hinaus ideelle Nachteile erlitten habe (Urteil vom 26.11.2020).

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger [X.]eschwerde beim [X.][X.] eingelegt. Er macht Divergenz und die grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache geltend.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Seine [X.]egründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie weder eine Divergenz oder eine grundsätzliche [X.]edeutung ordnungsgemäß dargetan hat (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G).

4

1. Divergenz iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.]G bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das [X.] tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das [X.] als Entschädigungsgericht eine höchstrichterliche Entscheidung nur unrichtig ausgelegt oder das Recht unrichtig angewandt hat, sondern erst, wenn das Entschädigungsgericht Kriterien, die ein in der Norm genanntes Gericht ([X.][X.], Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des [X.], [X.]) aufgestellt hat, widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. Das Entschädigungsgericht weicht damit nur dann iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.]G von einer Entscheidung des [X.][X.] ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der einer zu demselben Gegenstand gemachten und fortbestehenden aktuellen abstrakten Aussage des [X.][X.] entgegensteht und dem Urteil des Entschädigungsgerichts tragend zugrunde liegt. Die [X.]eschwerdebegründung muss deshalb aufzeigen, welcher abstrakte Rechtssatz in den genannten höchstrichterlichen Entscheidungen enthalten ist, und welcher in derjenigen des Entschädigungsgerichts enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht, und darlegen, dass die Entscheidung hierauf beruhen kann (stRspr; vgl z[X.] Senatsbeschluss vom 14.10.2020 - [X.] [X.] 3/20 [X.] - juris RdNr 6; [X.][X.] [X.]eschluss vom 30.3.2015 - [X.] 12 KR 102/13 [X.] - juris Rd[X.]0 mwN).

5

Diese Darlegungsanforderungen verfehlt die [X.]eschwerdebegründung.

6

Der Kläger trägt vor, das Entschädigungsgericht weiche von dem Urteil des [X.][X.] vom 12.2.2015 ("[X.] EG 11/13 R" ) ab. Danach sei in die Abwägung einzustellen, ob der Entschädigungskläger weitergehende immaterielle Schäden erlitten habe oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstelle. Dies habe das Entschädigungsgericht verkannt. Die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die [X.]edeutung der [X.] für den Kläger äußerst gering sei, sei rechtswidrig falsch. Denn es liege gerade kein Einzelfall vor. Vielmehr sei durch die schleppende Festsetzungspraxis des Ausgangsgerichts eine Vielzahl von Verzögerungsrügen erhoben worden, weil das [X.] auf eine Vielzahl von Vergütungsanträgen nicht reagiert und keine Kosten festgesetzt habe. Die Umsatzausfälle habe er mit teuren Kontokorrentkrediten überbrücken müssen. Aufgrund der Summierung der Verfahren gehe es um mehrere tausend Euro [X.], die nicht rechtzeitig erfolgt und deshalb für jeden Rechtsanwalt und seinen [X.] existenzbedrohend sei. Die bloße Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen gewesen sei, reiche als Wiedergutmachung der Verzögerung nicht aus.

7

Unabhängig davon, ob der Kläger mit dieser [X.]eschwerdebegründung überhaupt einen Rechtssatz aus der von ihm in [X.]ezug genommenen Entscheidung des [X.][X.] hinreichend klar und bestimmt wiedergegeben hat, versäumt er es bereits, einen abstrakten Rechtssatz des Entschädigungsgerichts herauszuarbeiten, mit dem es sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des [X.][X.] gesetzt hätte. Unerheblich ist dabei nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]G, wenn das Entschädigungsgericht mit seiner Entscheidung, dass hier als Wiedergutmachung die Feststellung der Überlänge ausreichend ist, von den vom Kläger zitierten Entscheidungen des [X.] Mecklenburg-Vorpommern, des [X.] [X.]aden-Württemberg und des [X.] abgewichen sein sollte. Aber selbst wenn das Entschädigungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz in der Rechtsprechung des [X.][X.] missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet haben sollte, kann daraus noch nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufstellen wollen. Die [X.]ezeichnung einer Abweichung setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das Entschädigungsgericht die Rechtsprechung des [X.][X.] in der angefochtenen Entscheidung in Frage und ihr deshalb einen eigenen Rechtssatz entgegenstellen wollte. Dies ist aber nicht schon dann der Fall, wenn es die Rechtsprechung des [X.][X.] in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (stRspr; z[X.] Senatsbeschluss vom [X.] - [X.] [X.] 16/19 [X.] - juris RdNr 7 mwN). Nach den Ausführungen in der [X.]eschwerdebegründung hat das Entschädigungsgericht im Rahmen seiner tatrichterlichen Prüfung festgestellt, dass nach den Umständen seines Einzelfalls für den Kläger eine Wiedergutmachung auf andere Weise durch die Feststellung der Überlänge des Verfahrens ausreichend ist. [X.]ezüglich der diesbezüglich zu beachtenden Maßstäbe hat sich das Entschädigungsgericht ausdrücklich auf das Senatsurteil vom 12.12.2019 ([X.] [X.] 3/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.]) gestützt. Die von dem Kläger behauptete Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung des Entschädigungsgerichts aufgrund einer (vermeintlichen) Nichtbeachtung von Rechtsprechung des [X.][X.] unter fehlerhafter Anwendung dortiger Maßstäbe und eine (vermeintliche) fehlerhafte Rechtsanwendung bei der Abwägung, ob im vorliegenden Fall eine Wiedergutmachung durch die Feststellung der Überlänge ausreichend ist, reichen nicht für eine Zulassung der Revision wegen Divergenz aus (vgl stRspr; z[X.] Senatsbeschluss vom [X.], aaO; Senatsbeschluss vom 18.9.2018 - [X.] [X.] 9/18 [X.] - juris Rd[X.]2).

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2. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche [X.]edeutung iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.]G, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der [X.]eschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter [X.]erücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein [X.]eschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte [X.]reitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl Senatsbeschluss vom 29.10.2018 - [X.] [X.] 6/18 [X.] - juris RdNr 4 mwN).

9

Diese Anforderungen verfehlt die [X.]eschwerdebegründung ebenfalls. Der Kläger hat bereits keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer revisiblen Norm gestellt. Die klare Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das [X.][X.] als [X.]eschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann. Es gehört dabei nicht zu seinen Aufgaben, den Vortrag des [X.]eschwerdeführers daraufhin zu analysieren, ob sich ihm eventuell eine entsprechende Rechtsfrage entnehmen ließe (vgl stRspr; z[X.] Senatsbeschluss vom 10.9.2014 - [X.] [X.] 3/14 [X.] - juris Rd[X.]1). Allein der Hinweis, dass die Rechtsprechung der Obergerichte im tatrichterlichen [X.], ob eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs 4 Satz 1 GVG durch die gerichtliche Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer ausreichend sei, "nicht einheitlich" sei, reicht nicht. Soweit der Kläger die in diesem Rahmen vom Entschädigungsgericht vorgenommene, aus seiner Sicht fehlerhafte Gewichtung, Abwägung und Würdigung der von ihm benannten besonderen ([X.] wollte, wendet er sich gegen eine fehlerhafte Rechtsanwendung in seinem Einzelfall. Hierauf kann eine Grundsatzrüge jedoch nicht gestützt werden (vgl Senatsbeschluss vom 27.3.2020 - [X.] [X.] 17/19 [X.] - juris RdNr 9 mwN). Sofern der Kläger auf die (wirtschaftlichen) Folgen einer verzögerten [X.]earbeitung des Vergütungsanspruchs eines Rechtsanwalts durch die Staatskasse abstellt, hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 12.12.2019 ([X.] [X.] 3/19 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] RdNr 43) darauf hingewiesen, dass Rechtsanwälte ein schützenswertes Interesse an einer Kostenfestsetzung in angemessener Zeit haben, dessen Verletzung auch einen Anspruch auf Geldentschädigung begründen kann.

Der vom Kläger angeregten Verbindung nach § 113 Abs 1 [X.]G mit den Verfahren [X.] [X.] 12/20 [X.], [X.] [X.] 13/20 [X.], [X.] [X.] 16/20 [X.], [X.] [X.] 17/20 [X.], [X.] [X.] 19/20 [X.] und [X.] [X.] 21/20 [X.] war schon wegen der Verschiedenheit der den jeweiligen Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Lebenssachverhalten nicht zu entsprechen. Es genügt insoweit nicht, dass sich die Ansprüche gegen denselben [X.]eklagten richten (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 13. Aufl 2020, § 113 Rd[X.]a mwN).

3. Der Senat war nicht verpflichtet, den Kläger entsprechend seiner vorsorglichen [X.]itte in der [X.]eschwerdebegründung um einen rechtlichen Hinweis, "ob die Nichtzulassungsbeschwerde durch den Senat für zulässig erachtet" werde, vorab auf die Unzulänglichkeit seines [X.]eschwerdevortrags aufmerksam zu machen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den [X.] vor dem [X.][X.] gemäß § 73 Abs 4 [X.]G. § 106 [X.]G gilt insoweit nicht. Ein Rechtsanwalt muss in der Lage sein, ohne Hilfe durch das Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde ordnungsgemäß zu begründen (stRspr; z[X.] [X.][X.] [X.]eschluss vom [X.] - [X.] 9 V 3/19 [X.] - juris Rd[X.]4; [X.][X.] [X.]eschluss vom [X.] - [X.] 7 [X.] 60/10 [X.] - juris RdNr 7).

Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

4. Die [X.]eschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 [X.]G).

5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.]G iVm § 154 Abs 2 VwGO.

6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.]G iVm § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3, § 52 Abs 3 Satz 1, § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.

Meta

B 10 ÜG 23/20 B

19.05.2021

Bundessozialgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend SG Chemnitz, 9. Januar 2019, Az: S 39 R 1126/13, Beschluss

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 163 SGG, § 113 Abs 1 SGG, § 73a Abs 1 SGG, § 198 Abs 1 S 1 GVG, § 198 Abs 4 S 1 GVG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.05.2021, Az. B 10 ÜG 23/20 B (REWIS RS 2021, 5736)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5736

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