Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.11.2022, Az. 9 C 15/21

9. Senat | REWIS RS 2022, 9538

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Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] für das [X.] vom 8. Juni 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag für die Herstellung einer Erschließungsanlage im Stadtgebiet der Beklagten.

2

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks [X.], das rückwärtig an einen Bereich der Straße "[X.]" angrenzt, der unter der Abschnittsbezeichnung "[X.]" als selbständige Erschließungsanlage Gegenstand der streitigen Beitragserhebung ist.

3

Die "[X.]" ist ein als Sackgasse gekennzeichneter Verkehrsweg, der vom sog. "[X.]" der Straße [X.] in nördlicher Richtung abzweigt, halbkreisförmig um einen Spielplatz herumführt und in einem [X.] endet. Seine Planung beruht auf dem am 11. Mai 1973 in [X.] getretenen Bebauungsplan Nr. ...; die näheren Einzelheiten der Flächenverteilung und -gestaltung wurden in einem Gestaltungskonzept der Verwaltung vom 25. April 1978 konkretisiert, dem der (damals zuständige) Hauptausschuss des Rates im Juni 1978 zustimmte und das unter anderem im Bereich des [X.]s eine durchgehend gepflasterte Fläche vorsah.

4

Die Bauarbeiten für den Straßenbau begannen im Jahr 1978 und wurden im August 1986 mit der Anbringung der letzten Aufsatzleuchten im [X.] abgeschlossen. Im Dezember 1987 wurde ein provisorisch vorbereitetes Baumbeet in der Mitte des [X.]s mit einem Ginkgo bepflanzt, die letzte Teilzahlung der Beklagten erfolgte am 1. Juli 1989 für die Positionen "Fertigstellungspflege" und "Jahrespflege".

5

Mit Vermerk vom 30. Januar 2017 stellte die Beklagte fest, dass endgültige Erschließungsbeiträge für die Erschließungsanlage [X.] - [X.] festgesetzt werden könnten. Die bautechnische Fertigstellung sei mit Abschluss der Fertigstellungspflege 1989, die endgültige Herstellung durch Schlussvermessung der [X.] und Umschreibung im Grundbuch im November 2016 erfolgt. Auf der Grundlage dieses Vermerks wurden die Anlieger der [X.] im März 2017 zur endgültigen Beitragsfestsetzung angehört.

6

Unter dem 13. Juni 2017 vermerkte die Beklagte, dass die endgültige Beitragspflicht für die Anlage [X.] - [X.] noch nicht entstanden sei. Die bautechnische Fertigstellung im rechtlichen Sinne sei noch nicht erfolgt, weil im [X.] eine Baumscheibe angelegt worden sei, die im beschlossenen Ausbauprogramm nicht enthalten sei. Die Ausbauplanung müsse durch einen Beschluss der Bezirksvertretung entsprechend angepasst werden.

7

Mit Bescheid vom 30. Juni 2017 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von 18 136,85 € fest. Mit seiner dagegen erhobenen Klage machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass eine Beitragserhebung mehr als 30 Jahre seit der bautechnischen Fertigstellung der Anlage und dem Eintritt der [X.] ausgeschlossen sei.

8

Am 16. Januar 2018 beschloss die nunmehr zuständige Bezirksvertretung [X.], der geänderten Straßenplanung der Erschließungsanlage [X.] - [X.] zuzustimmen (sog. [X.]).

9

Mit Urteil vom 3. Dezember 2019 hob das [X.] den Vorausleistungsbescheid auf, weil eine endgültige Beitragserhebung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht mehr möglich gewesen sei.

Das [X.] wies die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Beklagten mit Urteil vom 8. Juni 2021 zurück. Der Vorausleistungsbescheid, der bei seinem Erlass dem Grunde nach rechtmäßig gewesen sei, sei nachträglich rechtswidrig geworden, weil der Beitrag zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht nicht mehr habe erhoben werden können. Damit sei der Rechtfertigungsgrund für die Vorausleistung entfallen. Das [X.] Kommunalabgabengesetz verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, weil und soweit es nach dem Eintritt der [X.] eine zeitlich unbegrenzte Beitragserhebung erlaube. Die Verfassungswidrigkeit komme jedoch nicht entscheidungserheblich zum Tragen, weil jedenfalls mehr als 30 Jahre nach Eintritt der [X.] eine Erhebung von [X.] in analoger Anwendung von § 53 VwVfG [X.] in Verbindung mit dem Grundsatz von [X.] und Glauben unzulässig sei. Dies sei hier der Fall, weil die [X.] mit Abschluss der maßgeblichen Bauarbeiten Ende des Jahres 1987 eingetreten sei.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision. Während des Revisionsverfahrens trat am 1. Juni 2022 das [X.] (BauGB-AG [X.]) vom 13. April 2022 (GV. [X.]. [X.]) in [X.], das mit dem neuen § 3 "Zeitliche Obergrenze für den Vorteilsausgleich von [X.] nach BauGB" Ausschlussfristen für die Erhebung von [X.] einführte.

Die Beklagte hält die Entscheidung des [X.] weiterhin für falsch und rügt insbesondere eine Verletzung der §§ 127 ff. BauGB in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit, weil das Oberverwaltungsgericht im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung für den Eintritt der [X.] eine vollständige Umsetzung des Bauprogramms für nicht erforderlich erachtet habe. Zudem komme die angenommene Analogie zu § 53 VwVfG [X.] nicht in Betracht. Die Neuregelung des § 3 BauGB-AG [X.] habe keine Auswirkungen auf das vorliegende Verfahren. Es spreche schon einiges dafür, dass sie vorliegend nicht anwendbar sei, weil die Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich sein dürfte. Jedenfalls aber stehe sie der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids nicht entgegen. Die in § 3 Abs. 2 BauGB-AG [X.] geregelte Ausschlussfrist sei nicht einschlägig, weil die [X.] erst mit Änderung der Ausbauplanung durch den [X.] im Jahr 2018 entstanden sei. Selbst wenn die Erhebung von [X.] infolge der Einführung des § 3 BauGB-AG [X.] nicht mehr möglich sein sollte, würde dies im Übrigen aufgrund der Regelung des § 3 Abs. 5 BauGB-AG [X.] nicht zur Rechtswidrigkeit des [X.] führen.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des [X.] für das [X.] vom 8. Juni 2021 und des [X.] vom 3. Dezember 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung im Ergebnis für richtig, weil die [X.] 1987 eingetreten sei.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet.

Mit Inkrafttreten der Neuregelung in § 3 des Gesetzes zur Ausführung des [X.]augesetzbuches in [X.] ([X.]), die auch dem vorliegenden Fall zugrunde zu legen ist (1.), ist zwar der entscheidungstragenden Argumentation des [X.] zum [X.]estehen einer [X.]widrigen Regelungslücke die Grundlage entzogen worden. Das Urteil erweist sich aber dennoch im Ergebnis als richtig, weil der angefochtene [X.]escheid nunmehr wegen Eingreifens der Ausschlussfrist des § 3 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 [X.] rechtswidrig ist (2.); die Regelung über Vorausleistungen in § 3 Abs. 5 [X.] steht dem nicht entgegen (3.). Die Revision ist deshalb gemäß § 144 Abs. 4 VwGO zurückzuweisen.

1. Am 1. Juni 2022 ist das [X.] vom 13. April 2022 (GV. [X.]. [X.]) in [X.] getreten, durch das mit dem neuen § 3 [X.] eine Regelung über die "Zeitliche Obergrenze für den [X.] nach [X.]auG[X.]" eingeführt wurde. Die hier maßgeblichen [X.]estimmungen in § 3 Abs. 1 und 2 [X.] lauten (auszugsweise):

(1) Die Erhebung von [X.] nach § 127 des [X.]augesetzbuches ... durch die Gemeinden erfolgt auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes für das [X.] ... mit der Maßgabe, dass ihre Festsetzung unabhängig vom Entstehen der [X.]eitragspflicht mit Ablauf des zehnten Kalenderjahres, das auf den Eintritt der [X.] folgt, ausgeschlossen ist.

(2)

Diese Neuregelung ist auch im vorliegenden Revisionsverfahren zu berücksichtigen.

Rechtsänderungen, die nach Erlass der [X.]erufungsentscheidung eintreten, sind im Revisionsverfahren dann beachtlich, wenn das [X.]erufungsgericht, entschiede es jetzt anstelle des [X.], sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. nur [X.]VerwG, Urteil vom 28. Juli 2016 - 7 C 7.14 - [X.] 451.91 Europ. [X.] Rn. 14 m. w. N.). Ob das der Fall ist, bestimmt sich unabhängig von der prozessualen Konstellation und der gewählten Klageart nach dem materiellen Recht. Dabei sind maßgeblich für die Entscheidung eines Gerichts diejenigen Rechtsvorschriften, die im Zeitpunkt der Entscheidung für die [X.]eurteilung des Klagebegehrens Geltung beanspruchen (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 3. November 1994 - 3 C 17.92 - [X.]VerwGE 97, 79 <81 f.> und vom 13. Mai 2009 - 9 C 7.08 - [X.] 401.61 Zweitwohnungssteuer Nr. 28 Rn. 19). Dies ist bei der vorliegend einschlägigen Ausschlussfrist des § 3 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 [X.] der Fall.

Die Fristenregelung in § 3 Abs. 2 [X.] findet ausdrücklich Anwendung auf noch nicht bestandskräftige [X.]bescheide (Satz 1) und erfasst [X.]n, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits bestehen (Satz 2). Die damit verbundene Rückwirkung entspricht dem erklärten Willen des Gesetzgebers. Dieser wollte der Rechtsprechung des [X.] Rechnung tragen und den im [X.]eschluss vom 3. November 2021 - 1 [X.]vL 1/19 - ([X.] 159, 183) formulierten Anforderungen entsprechen, indem für das [X.] rückwirkend eine [X.]gemäße Rechtslage für alle noch nicht bestandskräftigen Entscheidungen hergestellt werden sollte (vgl. [X.]. 17/16553 S. 2, 9).

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 3 Abs. 2 [X.] bestehen vor diesem Hintergrund nicht, die Rückwirkung der Regelung ist vielmehr [X.]rechtlich geboten (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 3. November 2021 - 1 [X.]vL 1/19 - [X.] 159, 183 Rn. 92). Auch die Länge der Frist von 20 Jahren begegnet keinen [X.]edenken. Anknüpfungspunkt für den [X.]eginn dieser Frist ist, wie sich aus der Zusammenschau mit Absatz 1 ergibt, der Eintritt der [X.], so dass die Vorschrift entgegen den von der [X.]eklagten geäußerten [X.]edenken auch hinreichend bestimmt ist.

2. Die Entscheidung des [X.] erweist sich im Ergebnis als richtig, weil der angefochtene [X.]escheid auch unter Zugrundelegung des § 3 [X.] rechtswidrig ist. Denn die Erhebung von [X.] ist nach § 3 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 [X.] ausgeschlossen. Die Annahme des [X.], dass die maßgebliche [X.] Ende des Jahres 1987 eingetreten ist (a), ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden (b). Die zwanzigjährige Ausschlussfrist war daher bei Erlass des streitgegenständlichen [X.]escheids am 30. Juni 2017 abgelaufen (c).

a) Mit der Neuregelung des § 3 [X.] hat der für die Festsetzung der Ausschlussfrist zuständige Landesgesetzgeber in [X.] jedenfalls für das [X.] die nach dem Gebot der [X.]elastungsklarheit und -vorhersehbarkeit [X.]rechtlich gebotene zeitliche [X.]egrenzung für die Erhebung vorteilsausgleichender kommunaler Abgaben geschaffen (vgl. dazu grundlegend [X.], [X.]eschluss vom 5. März 2013 - 1 [X.]vR 2457/08 - [X.] 133, 143). [X.] ist hier § 3 Abs. 2 [X.], der in Anknüpfung an den Eintritt der [X.] für "Altfälle", in denen bei Inkrafttreten der Regelung am 1. Juni 2022 [X.]bescheide noch nicht bestandskräftig waren (Satz 1) oder die [X.] bereits bestand (Satz 2), eine Frist von 20 Jahren nach Eintritt der [X.] bestimmt, nach deren Ablauf die Festsetzung von [X.] ausgeschlossen ist. Die Voraussetzungen dieser Regelung liegen vor, weil nach den zugrunde zu legenden Feststellungen des [X.] die [X.] Ende 1987 eingetreten ist und die zwanzigjährige Ausschlussfrist daher bei [X.] im Jahr 2017 abgelaufen war.

aa) Das Oberverwaltungsgericht hat zur [X.]estimmung der [X.] zunächst auf die einschlägige Rechtsprechung des [X.] zurückgegriffen. Danach kommt es im [X.] für das Entstehen der für die zeitliche [X.]egrenzung der [X.]eitragserhebung relevanten [X.] maßgeblich auf die tatsächliche - bautechnische - Durchführung der jeweiligen Erschließungsmaßnahme an, nicht jedoch darauf, ob darüber hinaus auch die weiteren, für den [X.]etroffenen nicht erkennbaren rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen [X.]eitragspflicht - etwa die Widmung der Straße oder die Wirksamkeit der [X.]eitragssatzung - vorliegen. [X.]eurteilungsmaßstab dafür ist die konkrete Planung der Gemeinde für die jeweilige Anlage. Entscheidend ist, ob die Anlage sowohl im räumlichen Umfang als auch in der bautechnischen Ausführung nur provisorisch her- oder schon endgültig technisch fertiggestellt ist, d. h. dem gemeindlichen [X.]auprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht (vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 6. September 2018 - 9 C 5.17 - [X.]VerwGE 163, 58 Rn. 55 und vom 12. Dezember 2019 - 9 [X.] 53.18 - juris Rn. 7).

Diesen Maßstab hat das Oberverwaltungsgericht auch im vorliegenden Fall zugrunde gelegt, aber eine Ausnahme vom Erfordernis der vollständigen Erfüllung des [X.] unter dem Gesichtspunkt des Gebots der [X.]elastungsklarheit und -vorhersehbarkeit für geboten erachtet. Danach sei es unter dem [X.]lickwinkel der Erkennbarkeit ausreichend, wenn die unmittelbar in der [X.]satzung definierten Herstellungsmerkmale erfüllt seien, eine zweckentsprechende Anlagennutzung möglich sei, die Anlage aus Sicht eines objektiven [X.]etrachters endgültig fertiggestellt erscheine und ein solcher nur durch das Studium des unveröffentlichten [X.]auprogramms von der mangelnden Umsetzung Kenntnis erlangen könnte. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das [X.]erufungsgericht im Streitfall bejaht.

bb) Diese Ausführungen beziehen sich zwar nicht unmittelbar auf die Auslegung und Anwendung des - zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht geltenden - § 3 [X.]. Der Sache nach geht es aber um die [X.]estimmung der [X.], die im Hinblick auf das Gebot der [X.]elastungsklarheit und -vorhersehbarkeit maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die [X.]estimmung einer zeitlichen Höchstfrist für die Erhebung von [X.] ist. Dies entspricht gerade der Funktion, die auch der [X.] im Anwendungsbereich des § 3 Abs. 1 und 2 [X.] nach dem Willen des Gesetzgebers zukommt. Dementsprechend hat das Oberverwaltungsgericht mittlerweile klargestellt, dass sein im vorliegenden Fall entwickeltes Verständnis vom [X.]egriff der [X.] auch im Rahmen von § 3 Abs. 2 [X.] gilt und die Abweichung von der vollständigen Erfüllung des [X.] den "Sonderfall geringfügiger Abweichungen vom [X.]auprogramm" betrifft ([X.], Urteil vom 14. September 2022 - 15 A 2834/17 - juris Rn. 65 f.).

Einen derartigen "Sonderfall" hat das Oberverwaltungsgericht hier angenommen und auf dieser Grundlage den Eintritt der [X.] im Jahr 1987 festgestellt, weil das gemeindliche [X.]auprogramm zwar bis zum Anpassungsbeschluss im Januar 2018 wegen der abweichenden Gestaltung des [X.] nicht vollständig verwirklicht und diese Planung auch nicht wirksam aufgegeben worden sei, aber die oben genannten Voraussetzungen für eine geringfügige Abweichung vorlägen.

b) Die Annahme des [X.], dass die [X.] trotz der Abweichung vom gemeindlichen [X.] bereits Ende 1987 eingetreten ist, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

aa) Der [X.]egriff der [X.] als Ausgangspunkt für die [X.]erechnung der landesrechtlichen Ausschlussfrist nach § 3 Abs. 1 und 2 [X.] ist im Gesetz nicht definiert; die Auslegung und Anwendung dieser landesrechtlichen Regelung obliegt grundsätzlich dem Oberverwaltungsgericht. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob die Anforderungen, die sich aus dem [X.]undes([X.])recht ergeben, beachtet worden sind. Maßstab ist hier insbesondere das Verfassungsgebot der [X.]elastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, dem die landesgesetzliche Regelung gerade Rechnung tragen soll.

Das im Rechtsstaatsprinzip und dem Grundsatz des Vertrauensschutzes wurzelnde Gebot der [X.]elastungsklarheit und -vorhersehbarkeit soll gewährleisten, dass in Fällen, in denen die abzugeltende [X.] in tatsächlicher Hinsicht eingetreten ist, die daran anknüpfenden [X.]eitragsansprüche aber wegen des Fehlens einer sonstigen Voraussetzung nicht entstehen und deshalb auch nicht verjähren können, die Möglichkeit der [X.]eitragserhebung gleichwohl zeitlich begrenzt ist. Maßgebend ist dabei der [X.]egriff der [X.]. Dessen nähere [X.]estimmung richtet sich nach der jeweils abzugeltenden Leistung, im [X.] also nach dem durch die Erschließung vermittelten Vorteil i. S. d. §§ 127 ff. [X.]auG[X.]; Anknüpfungspunkt ist dabei ein in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossener Vorgang ([X.], [X.]eschluss vom 3. November 2021 - 1 [X.]vL 1/19 - [X.] 159, 183 Rn. 68). Die [X.] muss an rein tatsächliche, für den möglichen [X.]eitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten anknüpfen und rechtliche Voraussetzungen für das Entstehen der [X.]eitragspflicht außer [X.]etracht lassen. [X.]ei [X.]eachtung dieser Vorgaben steht den Fachgerichten im Rahmen der grundgesetzlichen [X.]indungen ein Spielraum zu, der in [X.]rechtlicher Hinsicht nur eingeschränkt überprüfbar ist ([X.], [X.]eschluss vom 3. November 2021 - 1 [X.]vL 1/19 - [X.] 159, 183 Rn. 69).

bb) Diesen Spielraum hat das Oberverwaltungsgericht hier im Ergebnis nicht überschritten.

Die oben zitierte, auch vom Oberverwaltungsgericht zugrunde gelegte Rechtsprechung des [X.], wonach es für das Entstehen der [X.] maßgeblich auf die tatsächliche bautechnische Durchführung der jeweiligen Erschließungsmaßnahme ankommt und die [X.] eingetreten ist, wenn dem gemeindlichen [X.]auprogramm und dem technischen Ausbauprogramm entsprochen wurde, ist vom [X.]undes[X.]gericht ausdrücklich gebilligt worden. Sie konkretisiert die Anforderungen an die Entstehung der erschließungsrechtlichen [X.] aus der Perspektive des Gebots der [X.]elastungsklarheit und -vorhersehbarkeit in [X.]rechtlich nicht zu beanstandender Weise ([X.], [X.]eschluss vom 3. November 2021 - 1 [X.]vL 1/19 - [X.] 159, 183 Rn. 71).

Mit dem Erfordernis der - vollständigen - Erfüllung des [X.]auprogramms greift die Rechtsprechung zur [X.]estimmung des relevanten abgeschlossenen Vorgangs auf den [X.]egriff der "endgültigen Herstellung" der Erschließungsanlage als Voraussetzung für die Entstehung der sachlichen [X.]eitragspflicht nach § 133 Abs. 2 Satz 1 [X.]auG[X.] zurück. Danach ist eine Anbaustraße erschließungsbeitragsrechtlich endgültig hergestellt, wenn sie die nach dem satzungsmäßigen [X.] (für die nicht flächenmäßigen Teileinrichtungen) und dem ergänzenden [X.]auprogramm (bezüglich der flächenmäßigen Teileinrichtungen) erforderlichen Teileinrichtungen aufweist und diese dem jeweils für sie aufgestellten technischen Ausbauprogramm entsprechen (vgl. nur [X.]VerwG, Urteil vom 10. Oktober 1995 - 8 C 13.94 - [X.]VerwGE 99, 308 <313>). Die vollständige Umsetzung des gemeindlichen [X.]auprogramms und des technischen [X.] ist eine Voraussetzung, die in tatsächlicher Hinsicht vorliegen muss, damit die Erschließungsanlage endgültig hergestellt und der durch sie vermittelte Vorteil tatsächlich vollumfänglich nutzbar ist. Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht, dass die Rechtsprechung auch den Eintritt der für die zeitliche [X.]egrenzung der [X.]eitragserhebung relevanten [X.] davon abhängig macht.

Zu diesem Grundsatz steht die Entscheidung des [X.] nicht im Widerspruch. Der Überlegung, dass die [X.] erst mit der vollständigen Umsetzung des gemeindlichen [X.]auprogramms eintritt, liegt die Erwartung zugrunde, dass bei etwaigen Abweichungen vom [X.]auprogramm grundsätzlich noch mit dessen zukünftiger Verwirklichung durch entsprechende Anpassung der tatsächlichen Verhältnisse an die Planung zu rechnen und der abweichende Zustand der Erschließungsanlage insoweit nur vorübergehender Natur ist. Anders liegt der Fall, wenn aufgrund des langen Zeitablaufs feststeht, dass mit einer Änderung nicht mehr gerechnet werden kann. In diesem Fall wächst die zunächst nur teilweise, unvollständig oder in anderer Weise planabweichend hergestellte Anlage in eine selbständige Erschließungsanlage hinein. In der Rechtsprechung des [X.] ist anerkannt, dass beitragsfähige Erschließungsanlage die Anlage in ihrem tatsächlich angelegten Umfang ist; maßgebend für die [X.]estimmung der Erschließungsanlage ist das durch die tatsächlichen Gegebenheiten geprägte Erscheinungsbild, nicht aber eine nur "auf dem Papier" stehende planerische Festsetzung (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 15. Februar 1991 - 8 C 56.89 - [X.]VerwGE 88, 53 <55 f.> und vom 25. Februar 1994 - 8 C 14.92 - [X.]VerwGE 95, 176 <185>). Der Umstand, dass eine Anlage über viele Jahre nicht weitergebaut wird, kann den Schluss rechtfertigen, dass die seinerzeitigen Ausbauarbeiten endgültig beendet worden sind (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 12. Mai 2016 - 9 C 11.15 - [X.]VerwGE 155, 171 Rn. 28, vom 22. November 2016 - 9 C 25.15 - [X.]VerwGE 156, 326 Rn. 26 und vom 7. März 2017 - 9 C 20.15 - [X.]VerwGE 158, 163 Rn. 14). Dass in einem solchen Fall die [X.] trotz Abweichung vom ursprünglichen [X.]auprogramm eintreten kann, hat auch das [X.]undes[X.]gericht anerkannt ([X.], [X.]eschluss vom 3. November 2021 - 1 [X.]vL 1/19 - [X.] 159, 183 Rn. 75). Maßgebend für diese Fallkonstellation ist, dass das ursprüngliche [X.]auprogramm tatsächlich aufgegeben worden ist. Der [X.]eschluss, mit dem die Planung an den vorhandenen Zustand angepasst wird, vollzieht dann nur noch zum Zweck der Abrechenbarkeit die bereits abgeschlossene tatsächliche Entwicklung nach und bildet den rechtlichen Schlusspunkt.

cc) Nach den im Revisionsverfahren zugrunde zu legenden tatsächlichen Feststellungen des [X.] liegt hier eine solche Fallgestaltung vor. Danach hat sich seit Abschluss der Pflanzarbeiten im [X.] der Ausbauzustand der Erschließungsanlage H.platz - S.straße nicht mehr verändert. Die [X.]eklagte selbst betrachtete die Erschließungsanlage viele Jahre lang als bautechnisch fertiggestellt, wobei sie den rechnungsmäßigen Abschluss der [X.] am [X.] als maßgeblichen Endpunkt der Straßenbauarbeiten ansah. In Umsetzung dieser Auffassung wurden die Anlieger im März 2017 zur endgültigen [X.]escheidfestsetzung angehört. Auch nachdem sich die [X.]eklagte der vom [X.] abweichenden Herstellung des [X.] bewusst geworden war, stand eine Veränderung des tatsächlichen Zustands der Erschließungsanlage durch nachträgliche Anpassung an das [X.] nie in Rede. Die [X.]eklagte beabsichtigte vielmehr stets nur den Erlass eines Anpassungsbeschlusses, um das [X.]auprogramm in Übereinstimmung mit dem verwirklichten Ausbauzustand zu bringen.

Auf dieser Sachverhaltsgrundlage durfte das Oberverwaltungsgericht davon ausgehen, dass mit dem Abschluss der [X.]aumaßnahmen die Herstellung der Erschließungsanlage in tatsächlicher Hinsicht endgültig abgeschlossen und die [X.] eingetreten war. Dass es dabei den Abschluss der Pflanzarbeiten im [X.] am Ende des Jahres 1987 für maßgeblich erachtet hat, ist bundesrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.

c) Ausgehend von einem Eintritt der [X.] Ende 1987 ist die Ausschlussfrist des § 3 Abs. 2 [X.] mit Ablauf des zwanzigsten darauf folgenden Kalenderjahres und damit mit dem Ende des Jahres 2007 abgelaufen, so dass bei Erlass des streitgegenständlichen Vorausleistungsbescheids im Jahr 2017 die Erhebung von [X.] gemäß § 3 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 [X.] ausgeschlossen war. Dabei kann dahinstehen, ob auf [X.] § 3 Abs. 2 Satz 1 oder Satz 2 [X.] Anwendung findet.

3. Entgegen der Auffassung der [X.]eklagten steht § 3 Abs. 5 [X.] der Aufhebung des Vorausleistungsbescheids nicht entgegen. Die Vorschrift lautet:

(5)

Ungeachtet des Umstands, dass sich die [X.]estimmung ihrem unmittelbaren Aussagegehalt nach nur auf die Frage der Erstattung bereits geleisteter Vorausleistungen bezieht, kann sie mit [X.]lick auf das [X.]rechtliche Gebot der [X.]elastungsklarheit und -vorhersehbarkeit jedenfalls nicht den Erlass von [X.]n zu einem Zeitpunkt legitimieren, in dem die Ausschlussfrist des § 3 Abs. 2 [X.] bereits abgelaufen ist (vgl. [X.], [X.] 2022, 1 <5> und [X.] 2022, 101 <105 f.>; zu der als Vorbild von § 3 Abs. 5 [X.] dienenden [X.]estimmung des [X.]ayerischen Kommunalabgabengesetzes auch [X.], Urteil vom 16. November 2018 - 6 [X.]V 18.445 - juris Rn. 22 f.). Der Umstand, dass mit Ablauf der Frist die Erhebung von [X.] im Wege eines endgültigen [X.]eitragsbescheids ausgeschlossen ist, lässt sich nicht dadurch umgehen, dass stattdessen ein Vorausleistungsbescheid erlassen wird.

Ein Vorausleistungsbescheid kann nicht in einem weiteren Umfang die Erhebung von [X.] rechtfertigen, als es ein zum gleichen Zeitpunkt erlassener (endgültiger) Festsetzungsbescheid täte. Die Vorausleistung dient der Vorfinanzierung des gemeindlichen Aufwands und stellt eine vorläufige Leistung auf den Erschließungsbeitrag dar. Sie teilt das rechtliche Schicksal des eigentlichen [X.] insofern, als auch ihre Rechtsgrundlage entfällt, sobald feststeht, dass eine [X.]eitragspflicht endgültig nicht mehr entstehen kann ([X.]VerwG, Urteil vom 5. September 1975 - 4 C[X.] 75.73 - [X.] 406.11 § 133 [X.][X.]auG Nr. 55 S. 19). Kann ein [X.]eitragsbescheid aus Gründen der [X.]elastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht mehr ergehen, gibt es keine Rechtfertigung, an seiner Stelle einen Vorausleistungsbescheid zu erlassen.

4. [X.] folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

9 C 15/21

15.11.2022

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 8. Juni 2021, Az: 15 A 308/20, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.11.2022, Az. 9 C 15/21 (REWIS RS 2022, 9538)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9538

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1 BvR 2457/08

1 BvL 1/19

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