Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.12.2016, Az. VII R 1/15

7. Senat | REWIS RS 2016, 906

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Gegenstand

Kein Aufrechnungsverbot nach Beendigung des Insolvenzverfahrens


Leitsatz

Das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO besteht nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nicht mehr . Das FA kann gegen eine abgetretene Forderung der Insolvenzmasse unter den Voraussetzungen des § 406 BGB auch gegenüber dem neuen Gläubiger die Aufrechnung erklären .

Tenor

Auf die Revision des Finanzamts wird das Urteil des [X.] vom 2. Dezember 2014  6 K 6119/12 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Mit Beschluss vom 27. März 2006 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) meldete --nach zwischenzeitlicher Änderung der [X.] zuletzt unter dem 16. August 2008 Umsatzsteuerforderungen in Höhe von 4.892,50 € für März 2006 zur Insolvenztabelle an. Zugunsten der GmbH setzte das [X.] mit Bescheid vom 26. September 2008 gemäß § 37 Abs. 5 des Körperschaftsteuergesetzes ([X.]) ein [X.] in Höhe von 5.061 € fest. Das Guthaben sollte in zehn Raten zu je 506,10 € jeweils zum 30. September bis zum [X.] ausgezahlt werden.

2

Zur Fälligkeit des Guthabens für das Kalenderjahr 2008 am 30. September 2008 zahlte das [X.] aus dem Guthaben den anteiligen Betrag von 506,10 € dem Insolvenzverwalter der GmbH. Das restliche [X.] trat der Insolvenzverwalter der Klägerin und [X.] (Klägerin) ab. Diese übermittelte dem [X.] am 31. August 2009 eine Abtretungsanzeige auf amtlichem Vordruck. Das Guthaben für 2009 in Höhe von 506,10 € wurde der Klägerin überwiesen.

3

Mit Beschluss vom 19. Februar 2010 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit eingestellt.

4

Mit Schreiben vom 11. Juli 2011 und 11. Oktober 2011 teilte das [X.] der Klägerin mit, es habe gegen das anteilige [X.] für 2010 und 2011 mit seiner Forderung aus Umsatzsteuer 2006 gegen die GmbH aufgerechnet. Im Abrechnungsbescheid vom 8. November 2011 bestätigte das [X.] die Aufrechnung. Den Einspruch wies das [X.] zurück.

5

Das Finanzgericht ([X.]) urteilte, die [X.] zur Körperschaftsteuer 2010 und 2011 seien wegen des insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbots des § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung ([X.]) nicht durch Aufrechnung erloschen. Die insolvenzrechtlichen Aufrechnungsregeln modifizierten die allgemeinen Vorschriften der §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und insbesondere § 406 BGB mit der Folge eines Ausschlusses der Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.], wenn der Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei. Unter Hinweis auf eine Entscheidung des [X.] ([X.]) vom 18. Februar 1933 V 380/32 ([X.]Z 140, 43) und Stimmen in der Literatur urteilte das [X.], dies gelte auch nach Beendigung des Insolvenzverfahrens, wenn der Insolvenzverwalter eine Forderung des Insolvenzschuldners durch Abtretung verwertet habe. Anderenfalls sei eine --nach § 159 [X.] gebotene-- Verwertung von Forderungen faktisch ausgeschlossen und eine nicht hinnehmbare [X.] die Folge.

6

Mit seiner Revision macht das [X.] geltend, ein Aufrechnungsverbot bestehe vorliegend nicht, weil das Insolvenzverfahren zwischenzeitlich eingestellt worden sei. Eine Nachtragsverteilung sei nicht angeordnet worden.

Entscheidungsgründe

II.

7

1. Der Senat konnte in der Sache entscheiden, obwohl für die Klägerin niemand zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist ordnungsgemäß geladen und darauf hingewiesen worden, bei seinem Ausbleiben in der mündlichen Verhandlung könne auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden (§ 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

8

2. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O). Das Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 [X.]O). Das [X.] hat den Abrechnungsbescheid zu Unrecht geändert.

9

Nach Einstellung des Insolvenzverfahrens hat das [X.] wirksam gegenüber der Klägerin mit seiner Umsatzsteuerforderung aus 2006 gegen die GmbH aufgerechnet. Dadurch sind die der Klägerin abgetretenen Forderungen aus [X.] 2010 und 2011 erloschen.

a) Das [X.] des § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] gilt nur während des Insolvenzverfahrens; nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens können Insolvenzgläubiger gemäß § 201 Abs. 1 [X.] ihre Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen (Senatsbeschluss vom 4. September 2008 VII B 239/07, [X.], 6). Hiernach kann ein Gläubiger nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Aufrechnung gegen Forderungen des Schuldners erklären, die zwar während des Insolvenzverfahrens begründet, jedoch nicht ermittelt bzw. nicht beigetrieben wurden und über die der Schuldner nunmehr wieder frei verfügen kann, da sie nicht mehr der [X.]nahme (§ 80 Abs. 1 [X.]) unterliegen. Gleiches gilt nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit gemäß § 215 [X.].

b) Der Anspruch auf Erstattung des [X.]s ist mit der Änderung des [X.] durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der [X.] und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften vom 7. Dezember 2006 ([X.], 2782) gemäß § 37 Abs. 5 Satz 2 [X.] mit Ablauf des 31. Dezember 2006 und damit nach Insolvenzeröffnung durch Beschluss vom 27. März 2006 entstanden. Im Verhältnis des [X.] zur GmbH galt zunächst während des Insolvenzverfahrens das [X.] des § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] für die in diesem Zeitraum fällig werdenden Auszahlungsbeträge des Körperschaftsteuererstattungsanspruchs gemäß § 37 Abs. 5 [X.]. Diese Beschränkung besteht nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nicht mehr.

c) Der Insolvenzverwalter hat die zukünftigen [X.] der Klägerin abgetreten, die infolgedessen Gläubigerin der [X.] geworden ist. Eine Aufrechnung gegen diese Ansprüche ist gemäß § 406 BGB zulässig, der über § 226 der Abgabenordnung auch im Abgabenrecht gilt (Senatsurteil vom 8. Juli 2004 VII R 55/03, [X.], 309, [X.], 7). Bei § 406 BGB handelt es sich um eine Schutzvorschrift zugunsten des Schuldners, die sein Vertrauen in eine gegenüber dem bisherigen Gläubiger bestehende Aufrechnungslage sowie die Aussicht auf eine künftig möglicherweise entstehende Aufrechnungslage schützt; die Rechtsstellung des Schuldners darf sich durch die Abtretung nicht verschlechtern (Senatsurteil in [X.], 309, [X.], 7). Die Rechtsstellung des Schuldners (hier des [X.]) verschlechterte sich aber, wenn aus einem ohne die Abtretung bestehenden zeitlich (auf die Dauer des Insolvenzerfahrens) begrenzten [X.] ein im Fall der Abtretung unbefristetes [X.] würde. Eine Ausnahme gemäß § 406 Halbsatz 2 BGB liegt im Streitfall nicht vor.

d) Ein zeitlich unbeschränktes [X.] im Fall einer Abtretung lässt sich weder mit den anzuwendenden Vorschriften noch mit dem Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens rechtfertigen. [X.] der Insolvenzverwalter das Verfahren beenden, aber gleichwohl künftig entstehende Forderungen zur Masse ziehen, kann er gemäß § 203 [X.] bzw. § 211 Abs. 3 [X.] die Anordnung der Nachtragsverteilung beantragen.

e) Macht er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, sondern zieht er die Verwertung der künftigen Forderungen durch Abtretung vor, sind die dahinter stehenden praktischen Erwägungen bzw. Schwierigkeiten bei der [X.] nicht geeignet, die Schuldnerschutzvorschrift des § 406 BGB zu suspendieren. Der Zessionar trägt nach § 406 BGB das Risiko einer "Belastung" der ihm abgetretenen Forderung insoweit, als gegen sie auch mit gegenüber dem Zedenten bestehenden Ansprüchen aufgerechnet werden kann. Mit dem Grundgedanken dieser Schuldnerschutzvorschrift ist es nicht vereinbar, ein [X.] in der Insolvenz über die [X.]nahme hinaus im Fall einer Abtretung zur vereinfachten [X.] anzuerkennen.

f) Etwas anderes folgt auch nicht aus § 159 [X.]. Die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Verwertung der Masse führt nicht zur Privilegierung eines Zessionars gegenüber dem Zedenten bei der [X.], wenn dadurch eine grundlegende schuldnerschützende Vorschrift weiter eingeschränkt wird, als es das Gesetz in § 96 [X.] vorsieht. Abgesehen davon kann die Verwertung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens auch nach Anordnung einer Nachtragsverteilung erfolgen.

g) Die zur Begründung der gegenteiligen Ansicht von Teilen der Literatur (Windel in Jaeger, Insolvenzordnung 2007, § 96 Rz 10; [X.]/[X.] in [X.] Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2013, § 96 Rz 2c; [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl. 2015, § 45 Rz 80f; [X.]/ Kleinmanns, Vorsicht Falle: Die Abtretung von [X.] in der Insolvenz, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2008, 609, 612; von [X.]/[X.], Verwertung des [X.]s im Insolvenzverfahren, Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht 2011, 350, 353) herangezogene Entscheidung des [X.] in [X.]Z 140, 43 führt zu keinem anderen Ergebnis. Das [X.] hatte Anlass zu prüfen, wie zu entscheiden wäre, wenn die Forderung der Insolvenzmasse dem Gemeinschuldner (= Insolvenzschuldner) zur Einziehung überlassen worden wäre, und hat insoweit zutreffend ausgeführt, das [X.] gälte dann nicht. Der Fall der Übertragung der Verfügungsbefugnis über die Forderung auf den Insolvenzschuldner unterscheidet sich aber nicht von dem Fall, in dem der Insolvenzschuldner durch Aufhebung bzw. Einstellung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen zurückerhält (§ 201 Abs. 1, § 215 Abs. 2 [X.]), weil in beiden Fällen der [X.] endet und die Aufrechnung somit zulässig ist.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VII R 1/15

13.12.2016

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 2. Dezember 2014, Az: 6 K 6119/12, Urteil

§ 96 Abs 1 Nr 1 InsO, § 406 BGB, § 37 Abs 5 KStG 2002 vom 07.12.2006, § 226 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.12.2016, Az. VII R 1/15 (REWIS RS 2016, 906)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 906

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