Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.02.2012, Az. VII R 36/11

7. Senat | REWIS RS 2012, 8780

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Gegenstand

Fortdauernder Insolvenzbeschlag für Steuererstattungsansprüche bei vorbehaltener Nachtragsverteilung - Zugehörigkeit des Anspruchs auf Erstattung von Einkommensteuer zur Insolvenzmasse - Gegenstand des Abrechnungsbescheids - Beteiligung des Insolvenzverwalters nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens am Steuererhebungsverfahren


Leitsatz

1. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstandene, aber bereits während seiner Dauer begründete Steuererstattungsansprüche des Insolvenzschuldners unterliegen weiterhin dem Insolvenzbeschlag, falls mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre Nachtragsverteilung vorbehalten worden ist.

2. Für solche dem Insolvenzbeschlag weiterhin unterliegenden Ansprüche gelten die insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbote.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war Insolvenzverwalterin in dem im November 2003 über das Vermögen des M (Schuldner) eröffneten Insolvenzverfahren. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 31. Juli 2006 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben, wobei die [X.] vor und während der Dauer des Insolvenzverfahrens begründeter Ansprüche auf Steuererstattungen vorbehalten blieb.

2

Aus der Einkommensteuerveranlagung des Schuldners für 2006 ergaben sich die Einkommen- und Kirchensteuer sowie den Solidaritätszuschlag betreffende Erstattungsbeträge, gegen die der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) durch Umbuchungsmitteilung mit gegen den Schuldner bestehenden Insolvenzforderungen aufrechnete. Die Klägerin beantragte hingegen die Zahlung von 7/12 der Erstattungsansprüche für das [X.] und die Erteilung eines Abrechnungsbescheids. Dies lehnte das [X.] mit Bescheid vom 15. Januar 2009 mit der Begründung ab, das Insolvenzgericht habe die [X.] während der Dauer des Insolvenzverfahrens begründeter [X.] nicht angeordnet und die Klägerin sei nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht mehr am Steuerfestsetzungs- bzw. Steuererhebungsverfahren beteiligt.

3

Auf die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage änderte das [X.] ([X.]) den angefochtenen Bescheid dahin, dass ein Anspruch der Klägerin auf anteilige Erstattung der Einkommensteuer 2006 festgestellt wurde. Das Urteil ist in Entscheidungen der [X.]e 2011, 1307 veröffentlicht.

4

Mit seiner Revision vertritt das [X.] weiterhin die Auffassung, die Klägerin habe keinen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis und somit keinen Anspruch auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids. Sie habe mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre Rechtsstellung als Verwalterin der Insolvenzmasse verloren. Von der mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens auf den ehemaligen Insolvenzschuldner übergegangenen Befugnis, sein Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, seien nur solche Vermögensgegenstände ausgenommen, für die das Insolvenzgericht eine [X.] anordne. Eine die [X.] 2006 des Schuldners betreffende [X.] sei jedoch nicht angeordnet worden. Der in dem Beschluss des Insolvenzgerichts vom 31. Juli 2006 nur vorbehaltenen [X.] komme nicht die Wirkung ihrer Anordnung zu.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das angefochtene Urteil entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 [X.]O).

6

1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung eines die [X.] 2006 des Schuldners betreffenden Abrechnungsbescheids.

7

Nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]) wird über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, durch Verwaltungsakt (sog. Abrechnungsbescheid) entschieden; dies gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch betrifft, der nach § 37 Abs. 1 [X.] ebenfalls ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis ist. Gegenstand des Abrechnungsbescheids ist die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens reiner Zahlungsansprüche; er entscheidet, inwieweit bestimmte Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis noch bestehen oder durch einen der in § 47 [X.] aufgeführten Erlöschenstatbestände ganz oder teilweise erloschen sind (vgl. [X.]/Rüsken, [X.], 10. Aufl., § 218 Rz 10a, 13, m.w.N.).

8

Besteht Streit über die Verwirklichung bestimmter Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, besteht auch ein Anspruch auf Erteilung eines Abrechnungsbescheids, den die zuständige Finanzbehörde von Amts wegen oder auf Antrag desjenigen zu erlassen hat, der vom [X.] auf Zahlung in Anspruch genommen wird oder vom [X.] eine Erstattung begehrt ([X.] in [X.]/[X.]/ [X.], § 218 [X.] Rz 112 f.; [X.]/Rüsken, a.a.[X.], § 218 Rz 11). Im Streitfall handelt es sich bei den [X.]n 2006 des Schuldners um Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, über deren Verwirklichung Uneinigkeit zwischen der Klägerin und dem [X.] besteht. Da die Klägerin als ehemalige Insolvenzverwalterin die Zugehörigkeit dieser Ansprüche zur Insolvenzmasse im Wege der [X.] und die Zahlung des entsprechenden Betrags an die Insolvenzmasse beansprucht, weil sie --anders als das [X.]-- die Ansprüche nicht als im Wege der Aufrechnung erloschen ansieht, liegen die Voraussetzungen für den Erlass eines diese Ansprüche betreffenden Abrechnungsbescheids vor. Anders als das [X.] meint, ist die Klägerin auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens weiterhin am Steuererhebungsverfahren beteiligt, soweit die Zugehörigkeit nachträglich entstandener Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zur Insolvenzmasse im Streit ist.

9

2. Das [X.] hat auch zu Recht entschieden, dass das Recht des Schuldners, über die [X.] 2006 zu verfügen, nicht mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens auf diesen übergegangen ist, sondern die [X.]nahme insoweit fortbesteht.

a) Zur Insolvenzmasse, über die der Insolvenzschuldner gemäß § 80 der Insolvenzordnung ([X.]) kein Verwaltungs- und Verfügungsrecht hat, gehört nach § 35 Abs. 1 [X.] das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur [X.] der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats sowie des [X.] ([X.]) hinsichtlich der Zugehörigkeit von Ansprüchen zur Insolvenzmasse nicht auf den [X.]punkt der [X.] an, sondern auf den [X.]punkt, in dem nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist. Ein Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen gehört daher zur Insolvenzmasse, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor oder während des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist (Senatsurteil vom 6. Februar 1996 [X.], [X.], 547, [X.] 1996, 557; Senatsbeschlüsse vom 7. Juni 2006 [X.], [X.], 436, [X.] 2006, 641, und vom 4. September 2008 [X.], [X.], 6; [X.]-Beschluss vom 12. Januar 2006 IX ZB 239/04, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2006, 1127). Der Rechtsgrund für eine Erstattung von Einkommensteuer wird bereits mit der Leistung der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt, denn bereits in diesem [X.]punkt erlangt der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Erstattung der Vorauszahlungen unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Jahresende die geschuldete Einkommensteuer geringer ist als die Summe der Vorauszahlungen (Senatsurteil in [X.], 547, [X.] 1996, 557; Senatsbeschluss in [X.], 436, [X.] 2006, 641).

Nach diesem insolvenzrechtlichen Grundsatz wurde der Rechtsgrund für die Erstattungsansprüche 2006 des Schuldners bereits während des Insolvenzverfahrens gelegt, soweit die Erstattungsansprüche auf vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens geleisteten Vorauszahlungen --hier im Wege des [X.] vom Lohn-- beruhen.

b) Werden erst nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens Ansprüche des Schuldners ermittelt, die vor oder während des Insolvenzverfahrens in insolvenzrechtlicher Hinsicht "begründet" wurden und somit zur Insolvenzmasse gehörten, können sie Gegenstand einer [X.] gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 3 [X.] sein. Wird die [X.] angeordnet, so besteht die [X.]nahme i.S. des § 80 Abs. 1 [X.] fort mit der Folge, dass insoweit die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis weiterhin beim (früheren) Insolvenzverwalter liegt.

Dieselbe Rechtsfolge tritt ein, wenn im Schlusstermin die [X.] bestimmter Vermögensgegenstände vorbehalten wird. Nach allgemeiner im insolvenzrechtlichen Schrifttum vertretener Auffassung kann das Insolvenzgericht die [X.] bestimmter Gegenstände schon im Schlusstermin vorbehalten. In diesem Fall bedarf zwar die nachträgliche Verteilung dieser Gegenstände noch einer weiteren Anordnung des Insolvenzgerichts; gleichwohl besteht hinsichtlich dieser Vermögensgegenstände bereits durch den Vorbehalt ihrer [X.] der [X.] unverändert fort (MünchKomm[X.]/Hintzen, 2. Aufl., § 203 Rz 19, 20, 22, 23; [X.] in [X.], Insolvenzordnung, § 203 Rz 10, 11; [X.] in [X.], Insolvenzordnung, 4. Aufl., § 203 Rz 9; FK-[X.]/[X.], 6. Aufl., § 203 Rz 4, 14; [X.], Insolvenzrecht, Großkommentar, § 203 [X.] Rz 26; [X.] in Nerlich/ [X.], Insolvenzordnung, § 203 Rz 12; ebenso: [X.]-Beschluss vom 26. Januar 2012 IX ZB 111/10 , [X.]schrift für Wirtschaftsrecht und [X.] --ZIP-- 2012, 437; sowie zur Konkursordnung: [X.]-Urteil vom 22. Februar 1973 [X.], NJW 1973, 1198; zum [X.]: [X.]-Beschluss vom 17. Februar 2011, [X.], [X.]schrift für das gesamte Insolvenzrecht 2011, 632, [X.], 625).

Mit dem vom Insolvenzgericht im Zusammenhang mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ausgesprochenen Vorbehalt der [X.] bestimmter Vermögensgegenstände der Insolvenzmasse, die zwar bereits bekannt sind, die aber noch nicht verwertet werden können, wird erreicht, dass der Insolvenzschuldner trotz der [X.] die Verfügungsbefugnis über diese Gegenstände nicht wiedererlangt, wodurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger aus diesen Vermögensgegenständen gesichert wird. Es widerspräche diesem Sinn und Zweck einer vorbehaltenen [X.], wenn man --wie das [X.] meint-- auch in diesem Fall den [X.] von der Anordnung der [X.] durch das Insolvenzgericht abhängig machen wollte. Soweit der erkennende Senat mit Beschluss in [X.], 6, auf den das [X.] sich beruft, ausgeführt hat, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens trete die erneute [X.]nahme der [X.] unterliegender Forderungen erst mit dem Beschluss über die Anordnung der [X.] ein, lag diesem Beschluss ein Fall zugrunde, in welchem die [X.] nicht vorbehalten war.

3. Soweit danach die während der Dauer des Insolvenzverfahrens begründeten [X.] 2006 des Schuldners weiterhin dem [X.] unterliegen, gelten hinsichtlich der Frage, ob das [X.] gegen diese Ansprüche mit Insolvenzforderungen aufrechnen kann, die [X.] des § 96 [X.]. Die vom [X.] erklärte Aufrechnung gegen die Erstattungsansprüche 2006 ist daher gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] insoweit unzulässig, als diese Ansprüche während der Dauer des Insolvenzverfahrens begründet worden sind.

Das [X.] ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, die [X.] 2006 des Schuldners seien in Höhe von 7/12 durch [X.] während der Dauer des Insolvenzverfahrens begründet worden. An diese Feststellung ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O gebunden, da zulässige und begründete Revisionsgründe insoweit nicht vorgebracht sind. Somit ist --wie das [X.] zu Recht entschieden hat-- der Klägerin ein Abrechnungsbescheid zu erteilen, der noch nicht getilgte [X.] 2006 ausweist.

Meta

VII R 36/11

28.02.2012

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 16. Dezember 2010, Az: 10 K 15202/09, Urteil

§ 218 Abs 2 AO, § 35 Abs 1 InsO, § 80 Abs 1 InsO, § 96 Abs 1 Nr 1 InsO, § 203 Abs 1 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.02.2012, Az. VII R 36/11 (REWIS RS 2012, 8780)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8780

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