Bundesarbeitsgericht, Vorlagebeschluss vom 14.12.2023, Az. 6 AZR 157/22 (B)

6. Senat | REWIS RS 2023, 8562

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Gegenstand

Massenentlassung - Sanktion für Fehler im Anzeigeverfahren


Leitsatz

Der Sechste Senat beabsichtigt, seine Rechtsprechung, dass eine Kündigung als Rechtsgeschäft gegen ein gesetzliches Verbot iSd. § 134 BGB verstößt und die Kündigung deshalb unwirksam ist, wenn bei ihrer Erklärung keine wirksame Anzeige nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG vorliegt, aufzugeben. Die hierin liegende entscheidungserhebliche Abweichung zur Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts seit dessen Urteil vom 22. November 2012 (- 2 AZR 371/11 - BAGE 144, 47) erfordert die Anfrage nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält.

Tenor

I. An den [X.] des [X.] wird gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG folgende Anfrage gerichtet:

Wird an der seit dem Urteil vom 22. November 2012 (- 2 [X.] -) vertretenen Rechtsauffassung festgehalten, dass eine Kündigung als Rechtsgeschäft gegen ein gesetzliches Verbot iSd. § 134 BGB verstößt und die Kündigung deshalb unwirksam ist, wenn bei ihrer Erklärung keine wirksame Anzeige nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG vorliegt?

[X.] Das Verfahren wird ausgesetzt.

Gründe

A. Sachverhalt

1

Die Parteien streiten noch darüber, ob eine betriebsbedingte Kündigung nichtig ist, weil der [X.] die erforderliche [X.] nicht erstattet hat.

2

Der Kläger war seit 1994 bei der [X.] (im Folgenden Schuldnerin) tätig, bei der kein Betriebsrat gebildet war. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 1. Dezember 2020 das Insolvenzverfahren eröffnet und der [X.] zum Insolvenzverwalter bestellt. Zwischen dem 12. November 2020 und dem 29. Dezember 2020 beendete dieser durch Kündigungen oder den Abschluss von Aufhebungsverträgen sämtliche im Oktober 2020 noch bestehenden 22 Arbeitsverhältnisse der Schuldnerin. Das Arbeitsverhältnis des [X.] kündigte der [X.] mit einem am 8. Dezember 2020 zugegangenen Schreiben vom 2. Dezember 2020 zum 31. März 2021. Im 30-Tage-Zeitraum hatte er dabei mehr als fünf Arbeitnehmer entlassen. Eine [X.] nach § 17 Abs. 1 [X.] hatte er zuvor nicht erstattet. Das Arbeitsverhältnis des [X.] ist aufgrund einer späteren Kündigung zum 31. Juli 2021 beendet worden.

3

Mit seiner fristgerecht erhobenen Kündigungsschutzklage macht der Kläger - soweit im gegenwärtigen Zeitpunkt noch relevant - geltend, die Kündigung vom 2. Dezember 2020 sei nichtig, weil es an der zuvor erforderlichen [X.] durch den [X.]n fehle.

4

Der Kläger hat bislang beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 2. Dezember 2020 beendet worden ist, sondern fortbesteht;

        

2.    

den [X.]n zu verurteilen, ihn als Maschinenschlossermonteur/Servicetechniker bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.

5

Der [X.] hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags die Auffassung vertreten, die Schuldnerin habe im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung nur noch 19 Arbeitnehmer beschäftigt, sodass der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 [X.] nicht überschritten worden sei und er keine [X.] habe erstatten müssen.

6

Der Senat hat mit Beschluss vom 11. Mai 2023 erkannt, dass der Betrieb der Schuldnerin im Zeitpunkt der Entlassung „in der Regel“ noch mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigte und der [X.] de[X.]alb eine [X.] hätte erstatten müssen, bevor er die streitbefangene Kündigung erklärte. Wegen der Entscheidung über die Sanktion gegen die von ihm festgestellte Verletzung der Verpflichtung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] hat er das Verfahren bis zur am 13. Juli 2023 ergangenen Entscheidung des Gericht[X.]ofs der [X.] im Vorabentscheidungsverfahren - [X.]/22 - ausgesetzt.

B. Begründung

7

Der [X.] hat, wie der erkennende Senat bereits festgestellt hat, gegen seine aus § 17 Abs. 1 [X.] folgende Verpflichtung verstoßen, eine [X.] zu erstatten. Nach Auffassung des [X.] ist die Sanktion für diesen Fehler ebenso wie für alle anderen denkbaren Fehler des Arbeitgebers im Anzeigeverfahren nicht die Nichtigkeit der Kündigung nach § 134 BGB. Die für derartige Fehler gebotene Sanktion muss vielmehr vom Gesetzgeber bestimmt werden. Der Senat sieht sich an einer solchen Entscheidung jedoch durch die Entscheidung des [X.] des [X.] zur Nichtigkeitsfolge von Fehlern im Anzeigeverfahren ([X.] 22. November 2012 - 2 [X.] - [X.]E 144, 47) gehindert.

[X.] Anzeigeverfahren

8

1. § 17 [X.] setzt die für die Mitgliedstaaten durch die [X.] 98/59/[X.] (im Folgenden [X.]) begründeten Verpflichtungen in das [X.] Recht um ([X.] 27. Januar 2022 - 6 [X.] (A) - Rn. 14; 21. März 2012 - 6 [X.] - Rn. 21; [X.]. 8/1041 S. 4; [X.]. 13/668 S. 8 f.). Weder die [X.] noch §§ 17 ff. [X.] enthalten jedoch ausdrückliche Sanktionsregelungen für Fehler im Massenentlassungsverfahren. Der Vorschlag der Kommission, in die [X.] die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aufzunehmen, bei Verstößen gegen die Richtlinienvorgaben „Massenentlassungen für null und nichtig“ zu erklären (Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 75/129/[X.] zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen vom 13. November 1991 S. 6, [X.]. [X.] Nr. C 310 vom 30. November 1991 S. 5), wurde vom Unionsgesetzgeber nicht aufgegriffen. Er hat lediglich den Mitgliedstaaten auferlegt dafür zu sorgen, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß der Richtlinie zur Verfügung stehen (Art. 6 der [X.]).

9

De[X.]alb müssen Sanktionen für Fehler im Massenentlassungsverfahren von den Mitgliedstaaten im nationalen Recht gefunden werden. Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht müssen nach sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden (vgl. [X.] 10. November 2022 - C-385/21 - [[X.]] Rn. 34; 16. Juli 2009 - [X.]/08 - [Mono Car Styling] Rn. 34 ff.), die denjenigen entsprechen, die für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht gelten. Die Sanktion muss dabei wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein (für die [X.] [X.] 8. Juni 1994 - [X.]/92 - [Kommission/[X.]] Rn. 40; [X.] 22. November 2012 - 2 [X.] - Rn. 32, [X.]E 144, 47). Es sind also nicht nur der Äquivalenzgrundsatz und der [X.] - effet utile - ([X.] 27. Januar 2022 - 6 [X.] (A) - Rn. 18; 13. Februar 2020 - 6 [X.] - Rn. 98, [X.]E 169, 362; vgl. auch [X.] 17. März 2021 - [X.]/19 - [[X.]] Rn. 43) zu beachten. Die Sanktion muss darüber hinaus auch verhältnismäßig sein (vgl. [X.] [X.] 19. Dezember 2019 - [X.]/18 - [Bezirk[X.]auptmannschaft [X.]] Rn. 29 ff. [X.]; [X.]/[X.]/Brigola C. [X.] Grundregeln Stand Januar 2019 Rn. 314 ff.). Ob das nationale Recht diesen Anforderungen genügt, haben die nationalen Gerichte in eigener Zuständigkeit festzustellen ([X.] 29. Oktober 2009 - [X.]/08 - [[X.]] Rn. 49; 23. April 2009 - [X.]/07 bis [X.]/07 - [[X.] ua.] Rn. 163, 158 ff.). Gleiches gilt für die Frage, ob und gegebenenfalls welche Sanktionen sich dem nationalen Recht nach den dafür geltenden Regeln überhaupt entnehmen lassen.

2. [X.] [X.] nimmt seit seiner Entscheidung vom 22. November 2012 (- 2 [X.] - Rn. 31 ff., [X.]E 144, 47) an, dass § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 3 [X.] ein Verbotsgesetz iSd. § 134 BGB sei und das Fehlen einer wirksamen [X.] nach dem Grundsatz des effet utile zur Unwirksamkeit der Kündigung führe. Dem hat sich der Sechste Senat des [X.] in seinen Entscheidungen vom 13. Dezember 2012 (vgl. - 6 [X.] - Rn. 61 und - 6 [X.] - Rn. 64, 72) ohne eigenständige Begründung angeschlossen und daran in der Folgezeit ebenso wie der [X.] festgehalten ([X.] 21. März 2013 - 2 [X.] - Rn. 42 ff. [X.], [X.]E 144, 366; 20. Februar 2014 - 2 [X.] - Rn. 46 ff. [X.], [X.]E 147, 237; 13. Februar 2020 - 6 [X.] - Rn. 97 ff. [X.], [X.]E 169, 362; 14. Mai 2020 - 6 [X.] - Rn. 134 f., [X.]E 170, 244; 27. Januar 2022 - 6 [X.] (A) - Rn. 19 ff. [X.]; 19. Mai 2022 - 2 [X.] - Rn. 13).

3. § 17 [X.] verpflichtet den Arbeitgeber, ein vor der Kündigung erforderliches Massenentlassungsverfahren ordnungsgemäß durchzuführen. Nach nochmaliger Prüfung der Rechtslage ist der Sechste Senat des [X.] der Auffassung, dass Verstöße gegen die in § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] geregelte Pflicht zur ordnungsgemäßen Erstattung der Anzeige von Massenentlassungen bei der zuständigen [X.] nicht nach § 134 BGB zur Nichtigkeit der Kündigung führen. Diese Bestimmung sanktioniert Verstöße gegen die Anzeigepflicht nach ihrer Dogmatik, die in der bi[X.]erigen Rechtsprechung zu den Folgen von Pflichtverletzungen des Arbeitgebers im Anzeigeverfahren nicht hinreichend beachtet worden ist, nach Auffassung des [X.] nicht.

a) Der Anwendungsbereich des § 134 BGB ist zwar für Kündigungen nicht generell verschlossen. Rechtsgeschäft iSd. § 134 BGB kann auch die Kündigung als einseitige Willenserklärung sein ([X.] 20. März 2019 - 7 [X.] - Rn. 39, [X.]E 166, 202; 19. Dezember 2013 - 6 [X.]/12 - Rn. 14 ff., [X.]E 147, 60; [X.]/[X.] 9. Aufl. § 134 Rn. 34; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] (2021) § 134 Rn. 20).

b) Auch besteht im Massenentlassungsverfahren die für die Anwendung des § 134 BGB erforderliche rechtliche Gestaltungsmöglichkeit für den Arbeitgeber (dazu [X.]/[X.]/[X.]/[X.] (2021) § 134 Rn. 10 f.; [X.]/[X.] 9. Aufl. § 134 Rn. 9 ff.). § 17 [X.] begrenzt die Möglichkeit zur Kündigung als solche nicht, sondern lässt die unternehmerische Entscheidungsfreiheit und damit die rechtsgeschäftliche Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers unangetastet (vgl. für § 17 Abs. 2 [X.] [X.] 8. November 2022 - 6 [X.] - Rn. 47). Ebenso wenig begründet § 17 [X.] einen Formzwang für die Kündigung, wie es [X.] in § 623 BGB mit der Anordnung der Schriftform geschehen ist. § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] verpflichtet den Arbeitgeber lediglich, vor der Kündigung der Arbeitsverwaltung Informationen zukommen zu lassen, die es dieser ermöglichen sollen, innerhalb des von § 18 [X.] festgelegten Zeitraums in effizienter Weise nach Lösungen für die durch die beabsichtigten Massenentlassungen entstehenden Probleme zu suchen (vgl. [X.] 13. Juni 2019 - 6 [X.] - Rn. 31, [X.]E 167, 102; [X.]. 8/1041 S. 5).

c) § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] erfüllt jedoch nach Auffassung des [X.] bereits die Anforderungen an ein Verbotsgesetz nicht. Es fehlt insoweit an dem erforderlichen Verbotscharakter der Verpflichtungen des Arbeitgebers im Anzeigeverfahren.

aa) § 134 BGB gibt den vom Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde gelegten Prinzipien über das Verhältnis zwischen gesetzlicher und rechtsgeschäftlicher Regelung Ausdruck. Die Bestimmung soll die bezüglich der Wirksamkeit von Rechtsgeschäften eintretenden Rechtsfolgen bei Verboten regeln, die sich zu den zivilrechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen sie nicht abschließend verhalten. Sie soll solchen Verboten dadurch Wirksamkeit verschaffen, dass sie Wertungen aus anderen Rechtsgebieten in das Recht der Rechtsgeschäfte transformiert. Die Bestimmung hat insoweit ergänzenden Charakter (vgl. [X.]/[X.] 9. Aufl. § 134 Rn. 1; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] (2021) § 134 Rn. 1).

bb) Ausgehend von diesem Ziel des § 134 BGB hat ein Gesetz Verbotscharakter, wenn es entweder den Inhalt bestimmter Rechtsgeschäfte oder deren Vornahme unter bestimmten, verbotswidrigen Umständen untersagt und dieses Geschäft darum verhindern will (vgl. [X.] Juni 1966 - [X.]/64 - zu I 2 der Gründe, [X.]Z 46, 24; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] (2021) § 134 Rn. 3 ff., 49). Ob das der Fall ist, ist ausgehend vom Normzweck durch Auslegung zu ermitteln. Entscheidend ist, ob der Gesetzgeber den Inhalt des Rechtsgeschäfts im Interesse Dritter oder der Allgemeinheit missbilligt und daher seinen Bestand verhindern bzw. Rechtsgeschäften, die gesetzwidrig vorgenommen worden sind, den [X.] nehmen will (Soergel/[X.] 14. Aufl. § 134 Rn. 25 ff., 32 f.). Letzten Endes kommt es darauf an, ob der Gesetzgeber dem verbotswidrigen Rechtsgeschäft den damit bezweckten Erfolg versagen will (vgl. [X.]/[X.]/[X.]/[X.] (2021) § 134 Rn. 3, 5, 49; vgl. auch [X.]/[X.] 9. Aufl. § 134 Rn. 58 f., 66).

cc) Nach dem Willen des Gesetzgebers des Kündigungsschutzgesetzes soll die Rechtswirkung der Kündigung auch bei Verstößen gegen die Anzeigeverpflichtung des § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] nicht angetastet werden. Der rechtliche Erfolg der Kündigung soll nicht in Frage gestellt, sondern das Arbeitsverhältnis soll ungeachtet eines solchen Verstoßes zum Ablauf der Kündigungsfrist beendet werden. Den Arbeitgeber treffen im Anzeigeverfahren lediglich außerhalb des Arbeitsverhältnisses stehende, administrativ-prozedurale Verpflichtungen, die nach Auffassung des [X.] auch bei fehlerhafter Erfüllung keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Kündigung mehr haben können und sollen und darum bereits die Einordnung des § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] als Verbotsgesetz ausschließen (vgl. [X.] 2021, 49, 55 f.; [X.]. [X.] 2023, 859, 862).

(1) Das Anzeigeverfahren muss zwar noch vor dem Zugang der Kündigung mit der Erstattung der Anzeige eingeleitet werden. Es dient jedoch nicht mehr der Verhinderung der Kündigung, weil die Arbeitsverwaltung die Willensbildung des Arbeitgebers weder beeinflussen kann noch soll (vgl. [X.] 13. Juni 2019 - 6 [X.] - Rn. 28, [X.]E 167, 102). Ihr Tätigwerden knüpft vielmehr an einen solchen Willensentschluss an ([X.] 13. Februar 2020 - 6 [X.] - Rn. 71, [X.]E 169, 362; [X.]. auch Rn. 13) und setzt gerade eine wirksame Kündigung voraus. Die Anzeige soll es der Arbeitsverwaltung ermöglichen, sich auf die durch die wirksame Kündigung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern eintretende sozio-ökonomische Belastung des örtlichen Arbeitsmarkts einzustellen. Sie verfolgt damit einen lediglich arbeitsmarktpolitischen Zweck ([X.] 11. Mai 2023 - 6 [X.] - Rn. 40; [X.]. 8/1041 S. 5).

(2) Aus dieser Gesetzeskonzeption folgt zugleich, dass die [X.] nach dem unzweideutigen, nicht auslegungsfähigen Willen jedenfalls des nationalen Gesetzgebers nicht dem Schutz des einzelnen von einer Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmers dient. Sie ersetzt nicht die individuellen Vermittlungsbemühungen und bereitet sie nicht einmal konkret vor. Sie ist lediglich eine „Vorfeldmaßnahme“ ([X.]/[X.] 59 S. 81, 102). Insoweit hat sie zwar mittelbar auch individualschützende Wirkung ([X.] 13. Februar 2020 - 6 [X.] - Rn. 103, [X.]E 169, 362). Diese Wirkung ist aber lediglich Reflex und nicht Zweck des [X.] ([X.] SPA 2023, 93; [X.] 25/2013 [X.]. 2 unter [X.] 3; [X.] 2019, 291, 292). Die Vermittlung der einzelnen von der Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer ist unabhängig vom Anzeigeverfahren von der [X.] durchzuführen. Beide Verfahren verlaufen in unterschiedlichen Strukturen und können zu unterschiedlichen Zeitpunkten enden.

d) Selbst wenn § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] als Verbotsgesetz eingeordnet werden könnte, ist der Sechste Senat der Auffassung, dass § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] nach seinem Zweck nicht die Nichtigkeit der unter Verletzung der den Arbeitgeber im Anzeigeverfahren treffenden Pflichten erfolgten Kündigungen fordert. Dieser Zweck steht im Gegenteil der Nichtigkeitsanordnung des § 134 BGB entgegen.

aa) § 134 BGB enthält hinsichtlich der Sanktionsfolge bei Verstößen gegen [X.] nur eine Auslegungsregel. De[X.]alb ist jeweils zu prüfen, ob das Verbotsgesetz nach seinem Zweck dagegen erfolgte Verstöße ausnahmslos durch eine Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts sanktionieren will oder ob es insoweit nicht die Nichtigkeit fordert, sondern eine andere Sanktion genügen lässt (vgl. [X.]/13 - Rn. 14; 4. April 1966 - [X.] - zu 4 der Gründe, [X.]Z 45, 322; vgl. für Dauerschuldverhältnisse [X.] 7. Dezember 2010 - [X.]/08 - Rn. 57; [X.] Die gesamten Materialien zum [X.] 969; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] (2021) § 134 Rn. 88; [X.]/[X.] 9. Aufl. § 134 Rn. 177).

bb) § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] will weder die Kündigungsmöglichkeit als solche noch die Entscheidung des Arbeitgebers, wie viele Arbeitnehmer er zu welchem Zeitpunkt entlässt, beeinflussen oder gar anzeigepflichtige Kündigungen untersagen. Diese Bestimmung betrifft vielmehr, wie ausgeführt, nur die auf das Arbeitsförderungsrecht bezogenen Pflichten des Arbeitgebers, nicht aber dessen arbeitsrechtlichen [X.]. Es handelt sich um eine Vorschrift mit reiner Ordnungsfunktion, die die Kündigung als Rechtsgeschäft als unbedenklich ansieht und nur in deren Vorfeld Verfahrenspflichten arbeitsmarktpolitischer Art begründet. Darum gebietet sie nach Auffassung des [X.] als Sanktion für Verstöße gegen die darin geregelten Pflichten nicht die Nichtigkeit der von diesem [X.] gar nicht berührten Kündigung als solcher, sondern nur eine arbeitsförderungsrechtliche Sanktion (vgl. zu Ordnungsvorschriften [X.] 9. Juli 1986 - 5 [X.] - zu III 1 der Gründe; [X.] 30. April 1992 - III ZR 151/91 - zu II 3 a der Gründe, [X.]Z 118, 142; 27. September 1989 - [X.]/89 - zu II 2 c der Gründe, [X.]Z 108, 364; [X.] BGB/[X.] § 134 Stand 1. November 2023 Rn. 13; Soergel/[X.] 14. Aufl. § 134 Rn. 39; [X.]/[X.] 9. Aufl. § 134 Rn. 58 f.; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] (2021) § 134 Rn. 109 f.). Die bi[X.]er vom [X.] als Sanktion angenommene Nichtigkeit der Kündigung führt dagegen unter [X.] der Konzeption des § 17 [X.] zu einem Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers. Ein solcher Eingriff geht über das hinaus, was zur Durchsetzung des Ziels des [X.], die sozio-ökonomischen Auswirkungen von Massenentlassungen zu mildern, erforderlich ist. Darum ist für die arbeitsrechtliche Sanktion der Nichtigkeit der unter Verstoß gegen die zum Arbeitsförderungsrecht gehörenden Pflichten aus § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] (vgl. für § 17 Abs. 3 Satz 5 [X.] [X.] 19. Mai 2022 - 2 [X.] - Rn. 17) erklärten Kündigung nach Auffassung des [X.] entgegen seiner bi[X.]erigen Überzeugung kein Raum.

4. Die Nichtigkeit der Kündigung als Folge von Verstößen gegen die den Arbeitgeber nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] treffenden Pflichten lässt sich nach Auffassung des [X.] auch nicht aus § 18 Abs. 1 [X.] entnehmen. Zwar werden danach Entlassungen vor Ablauf der Sperrfrist nur mit Zustimmung der Arbeitsverwaltung „wirksam“. Darin liegt jedoch kein behördliches Genehmigungserfordernis.

a) Ordnet der Gesetzgeber die Genehmigungsbedürftigkeit eines einseitigen Rechtsgeschäfts an, dann ist die Genehmigung gesetzliche Wirksamkeitsvoraussetzung. Ohne den „Dispens“ vom bestehenden Verbot ist das Rechtsgeschäft nicht erlaubt und grundsätzlich nichtig, wenn es gleichwohl vorgenommen wird. Der Rückgriff auf § 134 BGB ist für diese Rechtsfolge nicht erforderlich (vgl. [X.] 28. Oktober 1953 - VI ZR 217/52 - zu IV 1 der Gründe, [X.]Z 11, 27; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] (2021) § 134 Rn. 195; [X.]/[X.] 9. Aufl. § 134 Rn. 14; Soergel/[X.] 14. Aufl. § 134 Rn. 79; [X.] BGB/[X.] § 134 Stand 1. November 2023 Rn. 14).

b) Massenentlassungen stehen - im Unterschied etwa zu Kündigungen von Schwerbehinderten oder Schwangeren - ungeachtet der missverständlichen Formulierung in § 18 Abs. 1 [X.] nicht unter einem staatlichen Genehmigungsvorbehalt. Das Anzeigeverfahren regelt nicht das „Ob“, sondern nur das „Wie“ von Kündigungen. Es verlangt nur die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens, nicht aber die Einholung einer Genehmigung der Kündigung durch die [X.]. Der Sperrzeitbescheid ist keine Freigabeerklärung für Kündigungen, die zu diesem Zeitpunkt im Übrigen schon längst erfolgt sein müssen. Die Arbeitsverwaltung entscheidet darum mit dem Sperrzeitbescheid weder darüber, ob Kündigungen, die unter § 17 [X.] fallen, unter dem Gesichtspunkt des [X.] wirksam sind (so aber Moll [X.]. AP [X.] 1969 § 17 Nr. 40 unter II 2 a), noch bestätigt sie damit die Wirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (so aber [X.] 2021, 49, 57). Sie entscheidet lediglich über die Dauer der Sperrfrist, nicht aber über die Wirksamkeit der [X.] und damit erst recht nicht über die Wirksamkeit der Kündigung (vgl. [X.] 28. Juni 2012 - 6 [X.] - Rn. 73, 75, [X.]E 142, 202).

5. Nach Auffassung des [X.] ist auch eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 18 [X.] dahin, dass die Kündigung nichtig ist, wenn keine ordnungsgemäße [X.] erfolgt ist (in diesem Sinn aber wohl [X.] 2021, 49, 56 f.), weder geboten noch möglich.

a) Die [X.] gebietet zum Ersten, wie ausgeführt (Rn. 8), die Sanktionsfolge der Nichtigkeit der unter Verstoß gegen die Verfahrensregelungen des § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] erfolgten Kündigungen gerade nicht.

b) Zum [X.] sieht zwar auch Art. 4 Abs. 1 der [X.] vor, dass die beabsichtigten Massenentlassungen frühestens 30 Tage nach Eingang der [X.] „wirksam“ werden können. Es ist jedoch offenkundig im Sinn eines acte éclairé, dass Art. 4 Abs. 1 der [X.] in keinem Fall eine Sanktion entnommen werden kann. Von einer Sanktion sieht die [X.] nach ihrer Entstehungsgeschichte gerade ab. Diese soll allein durch die Mitgliedstaaten geschaffen werden.

c) Zum [X.] - und aus Sicht des [X.] entscheidend - verstößt die Nichtigkeit der Kündigung als Rechtsfolge von Fehlern im Anzeigeverfahren unabhängig davon, ob dies die einzige im nationalen Recht dem Grundsatz des effet utile genügende Sanktion ist, gegen den von den Mitgliedstaaten bei der Festsetzung von Sanktionen ebenfalls zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Darum kann nach Auffassung des [X.] auch keiner anderen Norm des [X.]n Rechts im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung die Sanktionsfolge „Nichtigkeit der Kündigung“ entnommen werden. Das Verhältnismäßigkeitserfordernis haben allerdings weder der Sechste noch der [X.] des [X.] in ihrer bi[X.]erigen Rechtsprechung hinreichend beachtet, sondern ihr Augenmerk ausschließlich auf das Gebot des effet utile gelegt.

aa) Zwar ist das Gebot der Verhältnismäßigkeit für die Festsetzung von Sanktionen durch die Mitgliedstaaten in der [X.], anders als [X.] in Art. 12 Abs. 6 und Art. 20 der Richtlinie 2014/67/[X.] ([X.]. [X.] L 159 vom 28. Mai 2014 S. 11), nicht ausdrücklich verankert (zum Gebot der Verhältnismäßigkeit der Sanktion für Verstöße gegen die Richtlinie bereits vor Inkrafttreten der [X.] [X.] 8. Juni 1994 - [X.]/92 - [Kommission/[X.]] Rn. 40). Gleichwohl gilt dieser allgemeine, in Art. 52 Abs. 1 Satz 2 [X.] niedergelegte Grundsatz auch bei der Anwendung der [X.] und bei der Ermittlung der bei Verstößen gegen die sich daraus ergebenden Pflichten festzusetzenden Sanktionen (vgl. für die durch Art. 49 und Art. 63 A[X.]V gewährleistete Niederlassungsfreiheit [X.] 21. Dezember 2016 - [X.]/15 - [[X.]] Rn. 70; [X.]/[X.] 59 S. 81, 83 ff.). Das folgt aus Art. 51 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Die Mitgliedstaaten sind bei der [X.] an die [X.] gebunden ([X.] 17. April 2018 - [X.]/16 - [Egenberger] Rn. 49). Darum haben auch die Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Auslegung und Anwendung von Unions- und nationalem Recht, das der Umsetzung von Unionsrecht dient, die [X.] zu beachten (für die Anwendung einer VO [X.] 25. Mai 2016 - [X.]/14 - [[X.]] Rn. 44), und zwar auch dann, wenn bei der Umsetzung Ermessen besteht ([X.] 9. März 2017 - C-406/15 - [[X.]] Rn. 51 f.; [X.]/[X.] 2022, 273, 277). Das gilt auch bei der Festsetzung von Sanktionen für Verstöße gegen die Pflichten im Massenentlassungsverfahren. Damit wird eine aus dem Unionsrecht resultierende Verpflichtung erfüllt, was den Anwendungsbereich der [X.] und damit ihres Art. 52 Abs. 1 Satz 2 eröffnet (vgl. [X.] 19. November 2019 - [X.]/17 ua. - [TSN] Rn. 50 ff.; [X.]/Rüth aaO).

bb) Die vom [X.]n Gesetzgeber bzw. wegen dessen Untätigkeit von den Arbeitsgerichten festzulegenden Sanktionen für Fehler des Arbeitgebers im Massenentlassungsverfahren müssen demnach zur Erreichung der mit der Umsetzungsnorm verfolgten Ziele geeignet und erforderlich sein und dürfen zu diesen nicht außer Verhältnis stehen. Nicht erforderlich ist eine Sanktion, wenn ihre Härte nicht mehr der Schwere des zu ahnenden Verstoßes entspricht (vgl. [X.] 19. Dezember 2019 - [X.]/18 - [Bezirk[X.]auptmannschaft [X.]] Rn. 30 ff.; 12. September 2019 - [X.]/18 ua. - [[X.]] Rn. 39 [X.]).

cc) Nach Ansicht des [X.] ist die Nichtigkeit der Kündigung schon keine geeignete Sanktion für Verstöße gegen die Pflichten des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.], weil diese Sanktion den mit der Pflicht zur Erstattung einer [X.] verfolgten Zweck nicht fördern kann. Sie vermischt die [X.] und die arbeitsförderungsrechtlich-arbeitsmarktpolitische Ebene.

(1) Das [X.] Kündigungsschutzrecht sanktioniert grundsätzlich nur Fehler, die bei ihrer Erfüllung die konkret erklärte Kündigung hätten verhindern sollen und können. Das gilt insbesondere für sozialwidrige Kündigungen und für den besonderen Kündigungsschutz. Darum sind [X.] Kündigungen wirksam, wenn zwar Fehler bei der [X.] erfolgt sind, sich diese aber auf das Ergebnis der Auswahl nicht ausgewirkt haben, der Auswahlfehler also nicht kausal geworden ist (st. Rspr., zuletzt [X.] 8. Dezember 2022 - 6 [X.] - Rn. 71). Ebenso wenig sind [X.] Kündigungen unwirksam, wenn das nach § 167 Abs. 2 SGB IX erforderliche betriebliche Eingliederungsmanagement nicht durchgeführt worden ist, aber der Arbeitgeber darlegen kann, dass dieses Verfahren objektiv nutzlos gewesen wäre (vgl. [X.] 15. Dezember 2022 - 2 [X.] - Rn. 20).

Die Pflichten, die den Arbeitgeber im Anzeigeverfahren gegenüber der Arbeitsverwaltung treffen, sind nicht darauf zugeschnitten, die Kündigungen noch zu verhindern. Sie sollen vielmehr gerade die durch die beabsichtigten (wirksamen) Kündigungen - unausweichlich - eintretenden sozio-ökonomischen Auswirkungen für den lokalen Arbeitsmarkt mildern ([X.]. Rn. 18). Dieses arbeitsmarktpolitische Ziel wird jedoch durch die Sanktion der Nichtigkeit der Kündigungen nicht gefördert. Der Arbeitgeber ist nach Erkennen des Fehlers lediglich gezwungen, die zur Umsetzung seiner unternehmerischen Entscheidung erforderlichen Kündigungen erneut zu erklären. Die Belastung für den örtlichen Arbeitsmarkt wird dadurch nicht geringer, sondern tritt lediglich verzögert ein.

(2) Zudem ist die Sanktion der Nichtigkeit der Kündigung bei Fehlern des Arbeitgebers im inhaltlich zum Arbeitsförderungsrecht und damit zum Sozialrecht gehörenden Anzeigeverfahren schon de[X.]alb ungeeignet, weil sie auf [X.] ansetzt. Darin liegt ein [X.]. Geeignet können nach Auffassung des [X.] nur Sanktionen sein, die dem Arbeitsförderungsrecht zugeordnet werden können.

dd) Allerdings wäre selbst bei einer angenommenen Geeignetheit die Nichtigkeit der Kündigung als Sanktion für Fehler im Anzeigeverfahren nach Ansicht des [X.] nicht angemessen und damit nicht verhältnismäßig im engeren Sinn. Die durch diese Sanktion eintretende Belastung steht nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis zu den dadurch eintretenden Vorteilen für die Durchsetzung des arbeitsmarktpolitischen Ziels der den Arbeitgeber in diesem Stadium des Massenentlassungsverfahrens treffenden Pflichten.

(1) Die von der Rechtsprechung entwickelte Sanktion der Nichtigkeit der Kündigung greift entgegen der Konzeption des § 17 [X.] ([X.]. Rn. 13) und der [X.] ([X.] 21. Dezember 2016 - [X.]/15 - [[X.]] Rn. 31) tiefgreifend in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit ein. Dem Arbeitgeber wird damit letztlich untersagt, die beabsichtigten Kündigungen zum gewünschten Zeitpunkt umzusetzen, obwohl das gerade nicht das Ziel der ihn im Anzeigeverfahren treffenden Pflichten ist. Damit werden Fehler im Anzeigeverfahren strenger bestraft als andere Fehler im [X.]n Kündigungsschutzrecht.

(2) Demgegenüber wird durch die Nichtigkeit von Kündigungen, die unter Verletzung der Pflichten aus § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] erfolgen, zwar die durch Massenentlassungen eintretende Belastung des örtlichen Arbeitsmarkts aufgehoben. Dies führt jedoch in der Regel nur zu einer Verzögerung dieser Belastung, weil der Arbeitgeber gezwungen ist, die zur Umsetzung seiner unternehmerischen Entscheidung erforderlichen Kündigungen zu wiederholen ([X.]. Rn. 34).

(3) In der Gesamtschau der betroffenen Belange stehen die durch die Nichtigkeitserklärung der Kündigung bewirkten Nachteile für die betroffenen Arbeitgeber nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu den dadurch erlangten Vorteilen für das Erreichen der vom Gesetzgeber mit der Anzeigepflicht verfolgten arbeitsmarktpolitischen Ziele. Die Härte dieser Sanktion entspricht nicht mehr der Schwere des zu ahnenden Verstoßes und ist daher nach Überzeugung des [X.] unverhältnismäßig (vgl. [X.]/[X.] 59 S. 81, 96, allerdings mit abweichender Auffassung bei gänzlich unterlassener Anzeige).

ee) Diesem [X.] lässt sich nach Ansicht des [X.] nicht entgegenhalten, dass nach der bi[X.]erigen Rechtsprechung des Sechsten und des [X.] des [X.] nicht alle Verstöße gegen die Verpflichtungen aus § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] zur Nichtigkeit der Kündigung führen. Diese Rechtsprechung begründet im Gegenteil ihrerseits eine Inkohärenz der Rechtsfolge der Nichtigkeit der Kündigung bei Fehlern im Anzeigeverfahren, weil die gefundenen Differenzierungen nicht stringent sind. Nach Überzeugung des [X.] kann die erforderliche Stringenz nur dadurch gewonnen werden, dass alle denkbaren Fehler im Anzeigeverfahren nicht zur Nichtigkeit der Kündigung führen.

(1) Allerdings haben der Sechste und der [X.] ein sehr ausdifferenziertes Rechtsfolgen- und Sanktionssystem bezüglich der im Anzeigeverfahren möglichen Fehler entwickelt.

(a) Wird überhaupt keine [X.] erstattet, hat dies stets die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge ([X.] 19. Mai 2022 - 2 [X.] - Rn. 13; 20. Januar 2016 - 6 [X.] - Rn. 18, [X.]E 154, 53).

(b) Unterlaufen dem Arbeitgeber Fehler im Zusammenhang mit der sich aus § 17 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 [X.] ergebenden Einbindung des Betriebsrats in das Anzeigeverfahren, ist die Kündigung ebenfalls nichtig ([X.] 14. Mai 2020 - 6 [X.] - Rn. 135 ff., [X.]E 170, 244; 22. November 2012 - 2 [X.] - Rn. 42 ff., [X.]E 144, 47).

(c) Auch Fehler bei den [X.] iSv. § 17 Abs. 3 Satz 4 [X.] führen zur Nichtigkeit der Kündigung (zuletzt [X.] 13. Februar 2020 - 6 [X.] - Rn. 92 ff., [X.]E 169, 362).

(d) Dagegen haben Fehler bei den sog. [X.]. § 17 Abs. 3 Satz 5 [X.] keine Nichtigkeit der Kündigung zur Folge. Das gilt sowohl bei deren gänzlichem Fehlen ([X.] 19. Mai 2022 - 2 [X.] - Rn. 12 ff.; 19. Mai 2022 - 2 [X.] - Rn. 11 ff.) als auch bei inhaltlich falschen oder unzureichenden Angaben ([X.] 11. Mai 2023 - 6 [X.] - Rn. 41).

(e) Übermittelt der Arbeitgeber dem Betriebsrat entgegen § 17 Abs. 3 Satz 6 [X.] keine Abschrift der an die Agentur für Arbeit erstatteten Anzeigen, lässt das die Wirksamkeit der Kündigung unangetastet ([X.] 8. November 2022 - 6 [X.] - Rn. 79 ff.; 8. November 2022 - 6 [X.] - Rn. 74 ff.).

(f) Ungeklärt ist lediglich noch, welche Folgen der Verstoß gegen die Verpflichtung des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 3 Satz 1 [X.], der [X.] gleichzeitig mit der Anzeige eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten, hat (Vorlagebeschluss [X.] 27. Januar 2022 - 6 [X.] (A) -;[X.]. dazu die Entscheidung [X.] 13. Juli 2023 - [X.]/22 - [G GmbH]).

(2) Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Sanktionssystem fügt sich nach Auffassung des [X.] jedoch nicht stimmig in den arbeitsmarktpolitischen Zweck des [X.] (Rn. 18 f.) ein.

(a) Die unterschiedliche Behandlung von Fehlern bei den [X.] ist nach Ansicht des [X.] nicht stringent. Es erscheint nicht nachvollziehbar, warum einerseits Fehler bei den [X.] nach dem vom [X.] Senat herausgearbeiteten Willen des Gesetzgebers nicht zur Nichtigkeit der Kündigung führen, obwohl genau diese Informationen für die Vorbereitung der Arbeitsverwaltung auf die durch die geplanten Massenentlassungen auftretenden sozio-ökonomischen Belastungen des örtlichen Arbeitsmarkts von erheblicher Bedeutung sind, andererseits aber Fehler bei den [X.] stets die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge haben, obwohl jedenfalls die Angaben nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 (Gründe der Entlassung), Nr. 5 (Auswahlkriterien) und Nr. 6 (Berechnung der Abfindung) [X.] für die Aufgaben der Arbeitsverwaltung bedeutungslos sind. Auch ist es nicht plausibel, we[X.]alb für die arbeitsmarktpolitischen Zwecke des [X.] [X.] über Geschlecht, Alter und Beruf weniger relevant sein sollen als etwa die [X.] nach § 17 Abs. 3 Satz 4 [X.].

(b) Ebenso wenig ist es kohärent, dass die für die Kenntnis der Arbeitsverwaltung von der zu erwartenden sozio-ökonomischen Belastung des Arbeitsmarkts und deren Bewältigung allenfalls nachrangige unzureichende Mitteilung darüber, welche Ansicht der Betriebsrat von der Notwendigkeit der angezeigten Massenentlassungen hat, wegen der vom Sechsten und [X.] Senat vorgenommenen Einordnung des § 17 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 [X.] als Verbotsgesetz die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge hat, während die unzureichende Kenntnis der insoweit relevanten [X.] für die Wirksamkeit der Kündigung bedeutungslos ist.

I[X.] [X.]

Vorsorglich weist der Sechste Senat darauf hin, dass er ungeachtet vorstehend dargestellter Bedenken gegen das aktuelle Sanktionssystem für Fehler des Arbeitgebers im Anzeigeverfahren keinen Anlass sieht, die von der Rechtsprechung des [X.] gefundene Sanktion für Fehler im [X.] in Frage zu stellen.

1. Fehler im [X.] haben nach übereinstimmender Rechtsprechung von Sechstem (vgl. zuletzt [X.] 13. Juni 2019 - 6 [X.] - Rn. 39, [X.]E 167, 102) und Zweitem Senat (seit [X.] 21. März 2013 - 2 [X.] - Rn. 19 ff., [X.]E 144, 366) des [X.] die Nichtigkeit der Kündigung gemäß § 134 BGB zur Folge.

2. Diese Sanktion genügt offenkundig dem [X.] und ist nach Ansicht des [X.] vom Äquivalenzgrundsatz geboten. Das [X.] regelt ein kollektives Informationsrecht und soll es ua. dem Betriebsrat ermöglichen, dem Arbeitgeber konstruktive Vorschläge zu unterbreiten, um Massenentlassungen zu verhindern oder zu beschränken ([X.] 13. Juni 2019 - 6 [X.] - Rn. 27, [X.]E 167, 102; vgl. für die [X.] [X.] 13. Juli 2023 - [X.]/22 - [G GmbH] Rn. 37 f.; 10. September 2009 - [X.]/08 - [[X.] Keskusliitto AEK ua.] Rn. 51, 64). Im Unterschied zum Anzeigeverfahren ist also wie bei § 102 [X.] ein Einfluss des Betriebsrats auf die Willensbildung des Arbeitgebers intendiert. Hinter der in § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.] geregelten Sanktion der Unwirksamkeit der Kündigung kann daher die Sanktion für Fehler im [X.] nicht zurückbleiben. § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.] bedingt aus Sicht des [X.] einen Gleichlauf der Sanktionen. § 17 Abs. 2 [X.] ist ungeachtet seiner Verankerung im Kündigungsschutzrecht materiell betrachtet ein betriebsverfassungsrechtlich geprägtes Verfahren ([X.] 22. September 2016 - 2 [X.] - Rn. 37, [X.]E 157, 1). Zum telos betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte gehört nach allgemeinen Grundsätzen jedenfalls auch der Arbeitnehmerschutz, we[X.]alb dem [X.] ebenso wie der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 [X.] eine individualschützende Funktion zukommt (Moll/Katerndahl [X.]. AP [X.] 1969 § 17 Nr. 48 unter I 1 b [X.]; aA [X.]/[X.] 59 S. 81, 88 f.).

3. [X.] bei Fehlern im [X.] steht nach Ansicht des [X.] auch im Einklang mit dem [X.]. Sie fördert den mit dem [X.] verfolgten Zweck und steht im Einklang mit dem Grundsatz, dass zumindest potentiell für eine Auswahlentscheidung kausale Fehler bei der Durchführung individualschützender Beteiligungsverfahren vor der Kündigungsentscheidung die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge haben.

4. Aus vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass § 17 Abs. 2 [X.] im Unterschied zu § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] ein Verbotsgesetz iSd. § 134 BGB (dazu [X.]. Rn. 15 f.) ist. Kündigungen, die unter Missachtung der gesetzlich vorgesehenen Einflussnahme des Betriebsrats auf die Willensbildung des Arbeitgebers erfolgt sind, sollen nach dem Willen des Gesetzgebers offenkundig verhindert werden. Verstöße gegen § 17 Abs. 2 [X.] berühren den arbeitsrechtlichen [X.] des Arbeitgebers. Die Bestimmung hat daher auch keine bloße Ordnungsfunktion (dazu [X.]. Rn. 22). Sie fordert vielmehr mit der Nichtigkeit der Kündigung eine arbeitsrechtliche Sanktion.

II[X.] Entscheidungserheblichkeit

Der Sechste Senat des [X.] beabsichtigt aufgrund vorstehend dargestellter Erwägungen die Änderung seiner Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen von Fehlern im Anzeigeverfahren. Eine solche Änderung der Sanktionen durch die Mitgliedstaaten untersagt die [X.] nicht ([X.] 17. März 2021 - [X.]/19 - [[X.]] Rn. 44 ff.). Mit einer Entscheidung, dass das Unterlassen der [X.] nicht die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge hat, wiche der Senat jedoch entscheidungserheblich von der Entscheidung des [X.] des [X.] vom 22. November 2012 (- 2 [X.] - [X.]E 144, 47) ab, wonach es zur Unwirksamkeit der Kündigung führt, wenn bei ihrem Zugang keine wirksame [X.] vorliegt (Rn. 37, 42 ff., 48). Es bedarf daher einer Anfrage nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG beim [X.] Senat, ob dieser an der genannten Rechtsauffassung festhält. Dagegen ist eine Anfrage beim Achten Senat gemäß § 45 Abs. 3 Satz 2 ArbGG nicht erforderlich, da nach Ziff. 2.4 und Ziff. 6.2.2 des [X.] 2023 des [X.] nunmehr allein der Zweite und der Sechste Senat für Verfahren betreffend Kündigungen im Zusammenhang mit dem Übergang von Arbeits- und Berufsausbildungsverhältnissen zuständig sind.

IV. Bis zur Entscheidung des [X.] wird die Verhandlung entsprechend § 148 Abs. 1 ZPO ausgesetzt.

        

    Spelge    

        

    Volk    

        

    Wemheuer    

        

        

        

    Dr. S. Rönnau    

        

    [X.]    

                 

Meta

6 AZR 157/22 (B)

14.12.2023

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Vorlagebeschluss

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Hamburg, 20. April 2021, Az: 5 Ca 656/20, Urteil

§ 45 Abs 3 S 1 ArbGG, § 17 Abs 1 KSchG, § 17 Abs 3 KSchG, Art 6 EGRL 59/98, Art 2 Abs 3 UAbs 2 EGRL 59/98, § 134 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Vorlagebeschluss vom 14.12.2023, Az. 6 AZR 157/22 (B) (REWIS RS 2023, 8562)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8562

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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