Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.02.2018, Az. VI ZR 76/17

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 14436

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:060218UVIZR76.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
VI [X.]/17
Verkündet am:

6. Februar 2018

Böhringer-Mangold

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
KUG §§ 22, 23; BGB §§ 823 Abs. 1 [X.], 1004 Abs. 1
Zur Zulässigkeit einer ohne Einwilligung erfolgten [X.] von Fotos, die ein ehemaliges St[X.]tsoberhaupt nach einem Großeinkauf auf dem Park-platz eines Supermarktes zeigen.
[X.], Urteil vom 6. Februar 2018 -
VI [X.]/17 -
O[X.]

[X.]

-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
6. Februar 2018
durch den Vorsitzenden [X.],
den Richter
[X.], die Richterinnen von [X.] und [X.] und [X.] Klein
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 15. Zivilsenats des [X.] vom 19. Januar 2017 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 28. Zivilkam-mer des [X.] vom 27. April 2016 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung einer Bildberichterstat-tung in Anspruch.
Der Kläger war vom 30. Juni 2010 bis zu seinem Rücktritt am 17.
Februar 2012 Bundespräsident
der [X.]. Im Januar 2013 wurde die Trennung von ihm und seiner Frau [X.] öffentlich. Mit [X.] vom 6. Mai 2015 bestätigte ein Rechtsanwalt des [X.] in des-sen Auftrag, dass der Kläger und seine Frau wieder zusammen lebten. [X.] 1
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und [X.] bäten nachdrücklich darum, die ihrer Familie zustehende Privatsphäre zu respektieren. Sollte die Privatsphäre der Familie -
etwa durch Nachstellungen von Fotografen -
verletzt werden, seien die Anwälte beauftragt, mit allen rechtlichen Mitteln vorzugehen.
Die Beklagte verlegte
u.a. die Illustrierten [X.] und [X.]. Am 13. Mai 2015 veröffentlichte die Beklagte in der Wochenzeitschrift [X.] unter der Überschrift "[X.]"
u.a. zwei Fotos, von denen das eine den Kläger und seine Ehefrau gemeinsam an ihrem Auto
(im Folgenden: [X.]), das andere den Kläger beim Schieben eines vollen Einkaufswagens zeigt. In dem Begleittext zu den Bildern heißt es
u.a.: "it seiner Frau zusammen für die Familie einzukaufen. Letzten Samstag schob der CDU-Politiker [X.], 55, einen vollbepackten Einkaufswagen aus einem Su-permarkt ()
Am Auto wartete schon seine Frau ()
Knapp zwölf Monate nach seinem Rücktritt als Bundespräsident ()
hatte sich das P[X.]r getrennt ()
Erst vor wenigen Wochen wurde die Scheidung ()
eingereicht ()
Nun wohnen sie wieder zusammen mit den zwei Söhnen ()

[X.] Anwalt
(...)."

Am 20. Mai 2015 berichtete die Beklagte in der Wochenzeitschrift [X.] unter der Überschrift "Nach der Versöhnung -
[X.] -
Wer [X.], der schiebt"
ausführlicher über den Supermarkteinkauf und bebilderte den Artikel u.a. mit einem nahezu identischen Foto des [X.] beim Schieben des Einkaufswagens
(im Folgenden: [X.]).
In dem Artikel heißt es u.a.: "Mineralwasser, ein [X.], Salat, Schokoküsse und vieles mehr 5) den Einkaufszettel abgearbeitet und alles aus dem Supermarkt ()
besorgt, was Ehefrau [X.] (41) ihm wohl vorher aufge-schrieben hat. Seit der überraschenden Versöhnung der beiden vor wenigen Tagen ([X.] berichtete) gilt anscheinend: Der ehemalige
Bundespräsi-3
4
-

4

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dent ist nun für den Großeinkauf der Familie verantwortlich
()."
In das Foto ist folgender Text eingeschoben: "beim Großeinkauf. [X.] sieht er hier aber nicht aus".
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es zu [X.], das [X.] aus der [X.]-Berichterstattung vom 13. Mai 2013 und das [X.] aus der [X.]-Berichterstattung vom 20.
Mai 2015 zu veröffentlichen. Die Berufung der Beklagten hat das Oberlan-desgericht zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat die angegriffene Bildberichterstattung nach §§
22, 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG als unzulässig erachtet. Die mangels Einwilligung des [X.] erforderliche Abwägung der verfassungsrechtlich geschützten Be-lange der Parteien führe zu der Feststellung, dass es sich im Zusammenhang mit der Wortberichterstattung nicht um Bildnisse
der Zeitgeschichte (§ 23 Abs.
1 Nr. 1 KUG) handele, jedenfalls aber berechtigte Interessen des [X.] verletzt seien (§ 23 Abs. 2 KUG).
Zwar zeigten die Fotos den Kläger in einer Alltagssituation im öffentli-chen Raum und seien als solche nicht abträglich. Zugleich habe der Kläger in der Vergangenheit sein Ehe-
und Familienleben in die Öffentlichkeit getragen und sich insoweit selbst geöffnet ("mediale Inszenierung"). Auch nach seinem Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten habe der Kläger sein Privatleben nicht situationsübergreifend und konsistent verschlossen. Es bestehe ein erheb-5
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-

liches öffentliches Interesse am Leben des -
weiter politisch und gesellschaftlich engagierten -
[X.]. Zugleich könne den Artikeln nicht jedes Berichterstat-tungsinteresse abgesprochen werden. In den Artikeln werde über die [X.] im Beziehungsleben des [X.] und seiner Ehefrau berichtet. Die streitgegen-ständlichen Bilder hätten eine gewisse Belegfunktion diesbezüglich und bezüg-lich der vom Kläger nunmehr wahrgenommenen familiären Pflichten ([X.]). Schließlich stünden die Artikel in zeitlichem Zu-sammenhang mit der vom Rechtsanwalt des [X.] veröffentlichten Presseer-klärung.
Trotz alledem überwögen letztlich die Interessen des [X.].
Die Fotos seien der Privatsphäre des [X.] zuzuordnen.
Sie beträfen einen völlig be-langlosen Vorgang; der Berichterstattung fehle jeder
Bezug zur politischen Tä-tigkeit des [X.]. Es gehe ausschließlich um das Privatleben des [X.] und dessen Beziehung zu seiner Ehefrau. Das Interesse hieran könne auch durch Beifügung von genehmigten oder genehmigungsfrei verwendbaren Fotos be-friedigt werden. Gerade der Neuanfang vormals getrennt lebender Eheleute sei oftmals schwierig und werde durch die "Blicke der Öffentlichkeit"
zusätzlich er-schwert. Die frühere Zusammenarbeit des [X.] und seiner Ehefrau mit der Presse sei allein kein Grund, ihm jeden Schutz vor einer [X.] von Fotos zu nehmen.

II.
Diese
Beurteilung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die in besonderer Weise herausgehobene Stellung des [X.] als ehemaliges St[X.]tsoberhaupt, den Kontext der beanstandeten Bild-berichterstattung
sowie
das Ausmaß der vom Kläger in der Vergangenheit prak-8
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6

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tizierten Selbstöffnung
nicht hinreichend berücksichtigt und deshalb rechtsfeh-lerhaft dem Persönlichkeitsrecht des [X.] den Vorrang vor der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Pressefreiheit der Beklagten eingeräumt.
1. Die Zulässigkeit von [X.] ist nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden [X.]s nach dem abgestuften Schutzkon-zept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen (grundlegend [X.]surteil vom 6.
März 2007 -
VI [X.], [X.]Z 171, 275 Rn. 9 ff.; vgl. hiernach etwa [X.]surteile vom 10. März 2009 -
VI [X.], [X.]Z 180, 114 Rn. 9; vom 18. Oktober 2011 -
VI [X.], [X.], 116 Rn. 8 f.; vom 22. November 2011 -
VI ZR 26/11, [X.], 192 Rn. 23 f.; vom 28. Mai 2013 -
VI [X.], VersR
2013, 1178 Rn.
10; vom 21.
April 2015 -
VI ZR
245/14, VersR
2015, 898 Rn.
14;
jeweils mwN), das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. [X.] 120, 180, 210) als auch mit der Rechtsprechung des [X.] im Einklang steht (vgl. [X.],
NJW 2012, 1053 Rn. 114 ff.). Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Die [X.] des Bildes einer Person begründet grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts ([X.],
NJW 2011, 740 Rn. 52 mwN). Die nicht von der Einwilligung des Abgebildeten gedeckte Verbreitung seines Bildes ist nur zulässig, wenn dieses Bild dem Bereich der Zeitgeschichte oder einem der weiteren Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 KUG positiv zuzuordnen ist und berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Dabei ist schon bei der Beurteilung, ob ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 2
Abs.
1 i.V.m. Art. 1
Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 [X.] einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art.
10 [X.] andererseits vorzunehmen ([X.]surteile vom 27.
September 2016 -
VI [X.], [X.], 804 Rn. 5; vom 21.
April 2015 -
VI [X.], 10
-

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-

VersR
2015, 898 Rn. 14; vom 19. Juni 2007 -
VI [X.], [X.], 1135 Rn. 17).
2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der
Kläger in die [X.] der
Fotos nicht eingewilligt (§ 22 Satz 1 KUG). Die beanstan-deten
Aufnahmen dienen
jedoch der Bebilderung einer Berichterstattung über ein Ereignis der Zeitgeschichte und sind
damit selbst Bildnisse
aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG).
a) Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Der Begriff des Zeitgeschehens darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den [X.] der Öffentlichkeit umfasst er nicht nur Vorgänge von histo-risch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein das Geschehen
der Zeit, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Er wird mithin vom Interesse der Öffentlichkeit bestimmt.
Es gehört zum [X.] der Presse-
und Meinungsfreiheit, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht (vgl. [X.]sur-teile vom 22. November 2011 -
VI ZR 26/11,
[X.], 192
Rn. 19; vom 26.
Oktober 2010 -
VI [X.], [X.]Z 187, 200 Rn. 20; vom 10. März 2009 -
VI [X.], [X.]Z 180, 114 Rn. 11; vom 1. Juli 2008 -
VI [X.], VersR
2008, 1411 Rn.
14; [X.] 120, 180, 197; [X.] 101, 361, 389; je-weils mwN). Auch unterhaltende Beiträge, etwa über das Privat-
und Alltagsle-ben prominenter Personen, nehmen grundsätzlich an diesem Schutz teil (vgl. [X.]surteile vom 22. November 2011 -
VI ZR 26/11, [X.], 192
Rn. 19; vom 26. Oktober 2010 -
VI [X.], [X.]Z 187, 200
Rn. 20; vom 10. März 2009 -
VI [X.], [X.]Z 180, 114 Rn. 11; vom 14.
Oktober 2008 -
VI ZR 11
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272/06, [X.], 78 Rn. 14; vom 9. Dezember 2003 -
VI [X.], NJW
2004, 762, 764; [X.] 120, 180, 197, 205; 101, 361, 389 ff.), ohne dass dieser von der Eigenart oder dem Niveau des jeweiligen Beitrags oder des Presseerzeugnisses abhängt (vgl. [X.]surteile
vom 28. Mai 2013 -
VI [X.], [X.], 2890 Rn. 17; vom 10.
März 2009 -
VI [X.], [X.]Z
180, 114
Rn. 11, 14; vom 6. März 2007 -
VI [X.], [X.]Z 171, 275 Rn. 32; jeweils
mwN). Gerade prominente Personen können der Allgemeinheit Möglichkeiten der Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen bieten sowie Leit-bild-
und Kontrastfunktionen erfüllen. Auch Aspekte aus ihrem Privatleben wie beispielsweise die Normalität ihres Alltagslebens können der Meinungsbildung zu Fragen von allgemeinem Interesse dienen ([X.]surteile vom 2. Mai 2017 -
VI [X.], [X.], 310 Rn.
24; vom 10. März 2009 -
VI [X.], [X.]Z
180, 114 Rn. 11; vom 28.
Oktober 2008 -
VI [X.], [X.]Z 178, 213 Rn. 13; [X.], [X.], 1376 Rn. 15; [X.] 120, 180, 204; [X.] 101, 361, 390).
Im Rahmen einer zulässigen Berichterstattung steht es den Medien demnach grundsätzlich frei, Textberichte durch Bilder zu illustrieren ([X.]sur-teil vom 28.
Oktober 2008 -
VI [X.], [X.]Z 178, 213 Rn. 15). Es
ist Sache der Medien, über Art und Weise der Berichterstattung und ihre Aufmachung zu entscheiden. Sie haben das Recht, Art und Ausrichtung, Inhalt und Form eines Publikationsorgans frei zu bestimmen ([X.]surteil vom 28. Mai 2013 -
VI [X.], [X.], 2890
Rn. 15 und 17; [X.] 101, 361, 389). Eine Bedürf-nisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt. [X.] nehmen am verfassungsrechtlichen Schutz des Berichts teil, dessen Bebilde-rung sie dienen ([X.]surteil vom 28.
Oktober
2008 -
VI [X.], [X.]Z
178, 213 Rn. 15; [X.] 120, 180, 196).
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b) Ein Informationsinteresse besteht jedoch nicht schrankenlos, vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt
([X.]surteile vom 27. September 2016 -
VI [X.], [X.], 804 Rn.
7; vom 11. Juni 2013 -
VI
ZR 209/12, [X.], 1272 Rn. 9; vom 22. November 2011 -
VI ZR 26/11, [X.], 192 Rn. 24; jeweils mwN).
Nicht alles, wofür sich Menschen aus Langeweile, Neugier und Sensationslust interessieren, rechtfertigt dessen visuelle [X.] in der breiten Medienöffentlichkeit. Wo konkret die Grenze für das berech-tigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der aktuellen Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls entscheiden ([X.]surteil vom 28. Oktober 2008 -
VI [X.], [X.]Z 178, 213 Rn. 14).
c) Es bedarf mithin einer abwägenden Berücksichtigung der kollidieren-den Rechtspositionen
(vgl. [X.]surteile vom 13. April 2010 -
VI [X.], [X.], 259 Rn.
14; vom 1. Juli 2008 -
VI [X.], AfP
2008, 507
Rn. 20;
[X.] 120, 180, 205). Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen
([X.]surteil vom 27. September 2016 -
VI [X.], [X.], 804 Rn. 8).

[X.]) Im Rahmen der Abwägung ist von maßgeblicher Bedeutung, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse [X.] und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen oder ob sie lediglich die Neugier der Leser nach privaten Angelegenheiten prominenter Personen befriedigen (vgl. [X.]surteile
vom 22. November 2011 -
VI ZR 26/11, VersR
2012, 192
Rn. 25; vom 10.
März 2009 -
VI
[X.], [X.]Z
180, 114 Rn. 12; vom 14. Oktober 2008 -
VI [X.],
[X.], 78
Rn. 15;
[X.] 15
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101, 361, 391; [X.] 120, 180, 205; [X.], NJW 2012, 1053 Rn. 108 ff.; 1058 Rn. 89 ff.). Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den [X.] der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen umso schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist ([X.]surteile vom 26. Oktober 2010 -
VI [X.], [X.]Z 187, 200 Rn. 10; vom 6.
März 2007 -
VI [X.], [X.]Z 171, 275 Rn.
20).
Der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung ist im Gesamtkontext, in den das [X.] gestellt ist, zu ermitteln, insbesondere unter Be-rücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung. Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der [X.] und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Be-troffene erfasst und wie er dargestellt wird ([X.]surteil vom 27. September 2016
-
VI [X.], [X.], 804 Rn. 8; vgl. [X.]surteile vom 28. Mai 2013 -
VI [X.], [X.], 1178 Rn. 13; vom 22. November 2011 -
VI
ZR 26/11, [X.], 192 Rn. 26).
bb) Bei der Prüfung der Frage,
ob und in welchem Ausmaß die Bericht-erstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leistet und welcher Informationswert ihr damit beizumessen ist, ist von erheblicher Bedeutung, [X.] Rolle dem Betroffenen in der Öffentlichkeit zukommt. Der [X.] unterscheidet zwischen Politikern ("politicians/ personnes politiques"), sonstigen im öffentlichen Leben oder im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehenden Personen ("public figures/personnes publiques") und Privatpersonen ("ordinary person/[X.]"), wobei einer [X.] über letztere engere Grenzen als in Bezug auf den Kreis sonstiger 18
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Personen des öffentlichen Lebens gezogen seien und der Schutz der Politiker am schwächsten sei (vgl. [X.], NJW 2015, 1501 Rn.
54; [X.], Urteil vom 30. März 2010, [X.]. 20928/05, BeckRS 2012, 18730 Rn.
55). Er erkennt ein gesteigertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinsichtlich politischer Akteure an, wobei nicht nur die Amtsführung, sondern unter beson-deren Umständen im Hinblick auf die Rolle der Presse als "Wachhund der Öf-fentlichkeit"
auch Aspekte des Privatlebens betroffen sein können (vgl. [X.], NJW 2012, 1053 Rn. 110; NJW 2010, 751 Rn. 44 ff.; NJW 2004, 2647 Rn. 63).
Auch der [X.] hat für Personen des politischen Lebens ein gesteigertes [X.] des Publikums unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle stets als legitim anerkannt, weshalb eine [X.] über die Normalität ihres Alltagslebens oder über Umstände der priva-ten Lebensführung durch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerecht-fertigt sein kann (vgl. [X.]surteil vom 24. Juni 2008 -
VI [X.], [X.]Z 177, 119 Rn. 17 unter Verweis auf [X.] 101, 361, 390).
[X.]) Stets abwägungsrelevant ist die Intensität des Eingriffs in das allge-meine Persönlichkeitsrecht (vgl. [X.] 120, 180, 209).
d) Nach diesen Grundsätzen ist der vorliegende Eingriff in das [X.] Persönlichkeitsrecht des [X.] in seiner Ausprägung als Recht am eige-nen
Bild durch das
Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt.
[X.]) Der Kläger war von Juni 2010 bis Februar 2012 Bundespräsident und damit St[X.]tsoberhaupt der [X.]
(zur Stellung des [X.] als St[X.]tsoberhaupt und
den damit verbundenen verfassungs-rechtlichen Befugnissen im Überblick statt [X.], in: [X.]/[X.], GG, [X.]. 54 Januar 2009, Art. 54 Rn. 2
ff.). Als Inhaber des höchsten St[X.]tsamtes
war er in besonders herausgehobener Weise politische Person im Sinne der 20
21
22
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-

o.g. Rechtsprechung des [X.], wes-halb das öffentliche Interesse an seiner Person in besonderer Weise als grund-sätzlich gerechtfertigt anzusehen
ist (vgl. [X.]surteil vom 24. Juni 2008 -
VI
[X.], [X.]Z 177, 119 Rn.
15).
Die politische Bedeutung des [X.] und die Berechtigung des öffentli-chen Interesses an seiner Person endeten auch nicht mit dem Rücktritt des [X.] vom Amt des Bundespräsidenten im Februar 2012; die besondere Be-deutung des Amtes wirkt vielmehr nach. Es besteht ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit, darüber informiert zu werden, wie ein hochrangiger Politiker sein Leben nach dem Abschied aus der aktiven Politik gestaltet. Ein Politiker ist daher auch nach seinem Ausscheiden aus der Politik nicht wie jedwede Privat-person zu behandeln, sondern bleibt -
jedenfalls für eine Übergangszeit -
trotz des [X.] politische Person
in o.g. Sinne, die Leitbild-
oder Kontrast-funktion erfüllen kann und deren Verhalten weiterhin Gegenstand öffentlicher Diskussionen sein darf (vgl. [X.]surteile vom 19. Mai 2009 -
VI [X.], [X.], 1241 Rn. 14
f.; vom 24. Juni 2008 -
VI [X.], [X.]Z 177, 119 Rn. 21).
Dies gilt in besonderer Weise für einen ehemaligen Bundespräsiden-ten, dessen
politisches und gesellschaftliches Engagement regelmäßig nicht mit dem Ausscheiden aus dem Amt
endet.
So liegt der Fall auch hier. Der Kläger selbst weist -
allgemeinbekannt -
auf seiner Website auf seine vielfältigen öf-fentlichen Verpflichtungen als "Altbundespräsident"
bis hin zur Vertretung [X.] bei auswärtigen Veranstaltungen hin (http://christian-wulff.de/was-macht-eigentlich-ein-altbundespraesident/, zuletzt abgerufen am 6.
Februar
2018). Die fortdauernd
große
politische Bedeutung des [X.]
wird gespiegelt durch die besondere Form seiner nachamtlichen Versorgung. Dies gilt für die lebenslange Alimentierung durch Zahlung eines Ehrensoldes in voller Höhe der Amtsbezüge (§ 1 [X.]), mehr noch aber für die zeitlich unbegrenzte Übernahme von Repräsentationskosten
durch die Bereitstellung 23
-

13

-

von Sach-
und Personalmitteln für einen Dienstwagen mit Fahrer und ein aus-gestattetes
Büro mit Schreibkraft und Referenten (vgl. BT-Drs.
17/13660 S.
16
f.
-
Bericht des Petitionsausschusses; heute im [X.] [hib] 311/2017 vom 17. Mai 2017, [X.] des Bundespräsidenten
-
Beschlussempfeh-lung des Petitionsausschusses; zu Umfang,
Art und Begründung der nachamtli-chen Versorgung des Bundespräsidenten im [X.], [X.], 2014, S.
16
ff.; zum Rücktritt des [X.] im Besonderen Pieper, in: [X.], Stand 1.
Juni 2017, Art. 54 Rn. 31.1 ff., jeweils
mwN).
bb) Die
-
nicht angegriffene -
jeweils zugehörige Textberichterstattung leistet einen Beitrag zu einer Diskussion allgemeinen Interesses. Sie nimmt die Versöhnung des [X.] mit
seiner Ehefrau in Bezug und macht deren eheliche Rollenverteilung zu ihrem Gegenstand. Angesichts der politischen Bedeutung der vom Kläger ausgeübten St[X.]tsämter sowie der im
Verlauf seiner politischen Karriere und darüber hinaus von ihm und seiner Frau immer wieder gewährten tiefen Einblicke in ihr
Eheleben -
das Berufungsgericht spricht insofern [X.] von "medialer Inszenierung"
-
hatte die Versöhnung des Ehep[X.]res Nach-richten-
und Informationswert und war damit unter Berücksichtigung des weiten, die Reichweite der Pressefreiheit angemessen berücksichtigenden Begriffsver-ständnisses ein zeitgeschichtliches Ereignis.
Der Kläger selbst hat diesem Nachrichten-
und Informationswert mit Pressemitteilung vom 6. Mai 2015 Rech-nung getragen.
Der Bezug hierzu ist offensichtlich für den
Text des -
nur eine Woche später und damit in der nächsten Ausgabe erschienenen
-
[X.]-Artikels
vom 13. Mai 2015. Die Beklagte zitiert hierin aus der Pressemitteilung des Rechtsanwalts
des [X.] und rekapituliert knapp, jedoch ernsthaft und [X.] den Verlauf der
Beziehung des [X.] zu seiner Ehefrau. Aber auch 24
25
-

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-

die Textberichterstattung
in dem [X.]-Artikel vom 20.
Mai 2015 weist einen hinreichenden aktuellen Bezug zum [X.] auf. Auch in diesem Artikel knüpft die Beklagte an die "überraschende Versöhnung der bei-den vor wenigen Tagen"
an, um diesen eher abstrakten Umstand im Folgenden für ihre Leserschaft anschaulich zu machen durch eine Erörterung der damit
verbundenen Alltagspflichten wie der
Erledigung des [X.].
Die streitgegenständlichen Fotos bebildern diese Berichterstattung
und nehmen auf diese Weise an deren [X.] teil. Sie besitzen einen eige-nen Aussagegehalt, indem sie den Kläger und seine Ehefrau gemeinsam am Auto ([X.]) und den Kläger beim Schieben eines gefüllten Einkaufswa-gens ([X.]) zeigen. Damit machen sie die praktischen Konse-quenzen der [X.] sichtbar
und dienen zugleich als deren
Be-leg. Sie sind kontextgerecht, ergänzen
und veranschaulichen
den jeweiligen Wortbeitrag. Unter diesen Umständen musste
sich die Beklagte auch nicht auf die Verwendung eines genehmigten oder genehmigungsfrei verwendbaren [X.] verweisen lassen
(vgl. hierzu [X.]surteil vom 17. Februar 2009 -
VI [X.], VersR
2009, 841 Rn. 17).
[X.]) Der Kläger hat sein Ehe-
und Familienleben in der Vergangenheit immer wieder intensiv öffentlich thematisiert und sich dadurch mit einer öffentli-chen Erörterung dieses Themas einverstanden gezeigt. Diese Selbstöffnung wirkt fort, nachdem der Kläger und seine Frau ihre Ehe auch nach dem Rücktritt des [X.] vom Amt des Bundespräsidenten nicht situationsübergreifend und konsistent verschlossen haben (vgl. [X.]surteil vom 14. Oktober 2008 -
VI [X.], [X.], 754 Rn.
23).
[X.]) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts betrifft die streitge-genständliche Bildberichterstattung den Kläger lediglich in seiner Sozialsphäre. 26
27
28
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Die Fotos sind zur Einkaufszeit auf dem Parkplatz eines Supermarktes und [X.] im öffentlichen Raum entstanden
(vgl. [X.], [X.], 1376 Rn. 19). Auch im Zusammenhang mit der zugehörigen Textberichterstattung beruhen die Beiträge ausschließlich auf Wahrnehmungen,
die typischerweise durch die Öffentlichkeit des Orts ermöglicht wurden und keine indiskrete Beobachtung im Einzelnen voraussetzen (vgl. hierzu [X.], [X.], 2194, 2195). Zwar ist Privatsphäre nicht allein räumlich zu verstehen. Privatheit und die daraus abzu-leitende berechtigte Erwartung, nicht in den Medien abgebildet zu werden, er-fordern nicht notwendig eine durch räumliche Abgeschiedenheit geprägte [X.], sondern können in Momenten der Entspannung oder des [X.] außerhalb der Einbindung in die Pflichten des Berufs und des Alltags auch außerhalb örtlicher Abgeschiedenheit entstehen (vgl. [X.]surteile vom 14. Oktober 2008 -
VI [X.], [X.], 754 Rn.
17; vom 1. Juli 2008 -
VI
[X.], [X.], 1411 Rn.
24). Die streitgegenständlichen Fotos zeigen den Kläger jedoch gerade nicht in einem Moment der Entspannung oder des [X.] außerhalb der Einbindung in die Pflichten des Alltags, sondern in Erfüllung derselben, nämlich bei Erledigung des Wocheneinkaufs.
3. Bei dieser Sachlage und der gebotenen Würdigung der Berichterstat-tung in ihrer Gesamtheit (vgl. [X.]surteil
vom 6. März 2007 -
VI [X.], [X.]Z 171, 275
Rn.
33) kommt den einer [X.] der Abbildungen entgegenstehenden berechtigten Interessen des [X.] kein überwiegendes Gewicht zu (§ 23 Abs.
2 KUG).
a) Die Fotos selbst weisen keinen eigenständigen Verletzungsgehalt auf. Die Aufnahmen würdigen den
Kläger nicht herab, sondern zeigen ihn in
unver-fänglichen
Alltagssituationen. Dies gilt ohne weiteres für das [X.], auf dem nur der Kopf des [X.] zu sehen ist, während der Rest seines Körpers vom Auto verdeckt wird. Dies gilt aber auch für das [X.], das 29
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16

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den Kläger in gepflegter Alltagskleidung hinter seinem Einkaufswagen und [X.] in der sympathischen Rolle
eines fürsorgenden Familienvaters zeigt.

Auch die mit dem [X.] übermittelte Information über die vom Kläger erworbenen Produkte führt nach den Umständen des Streitfalls zu keinem anderen Ergebnis. Zwar kann auch die Berichterstattung über Art und Anzahl von ihm erworbener
Alltagsprodukte die Privatsphäre eines Betroffenen berühren, was etwa für Artikel aus dem Bereich der Körper-
und [X.] keiner näheren Erläuterung bedarf.
Doch sind auf dem angegriffenen Foto keine derartigen Produkte erkennbar. Soweit sich auf dem Foto überhaupt einzelne Produkte identifizieren lassen, sind diese im Übrigen in der zugehöri-gen -
nicht angegriffenen -
Textberichterstattung ausdrücklich benannt ("[X.], [X.], Salat, Schokoküsse"), so dass der Abbildung keine zusätzliche Information zu entnehmen ist.
Soweit der Kläger auf die dem [X.] zugehörige Bildun-terschrift ("") abstellt und
darin eine ihm abträgliche Anspielung auf das gleichlautend
begin-nende Volkslied [X.] den Wagen vollgeladen /
Voll mit alten [X.]") sieht, kann dem schon deshalb keine maßgebliche Bedeutung zukommen, weil die Textberichterstattung -
und damit auch die
genannte Bildunterschrift -
vom Klä-ger nicht beanstandet wurde.
Dies gilt entsprechend für den weiteren Inhalt des
vom Kläger als gehässig empfundenen [X.]-Artikels.
b) Dies alles wird durch die zu Gunsten des [X.] zu berücksichtigen-den Umstände wie insbesondere die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Fotos nicht zufällig entstanden sind, sondern von einem "Paparazzo"
ge-schossen wurden, nicht aufgewogen. Dies gilt zumal die Fotos nach den inso-weit nicht angegriffenen weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts weder 31
32
33
-

17

-

heimlich aufgenommen noch der Kläger oder seine Frau durch die konkrete Aufnahmesituation besonders belästigt
wurden.

III.
Da keine weiteren Feststellungen mehr zu treffen sind, hat der [X.] in der Sache selbst zu entscheiden
(§ 563 Abs. 3 ZPO).
Galke
[X.]
von [X.]

Oehler
Klein

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 27.04.2016 -
28 O 379/15 -

O[X.], Entscheidung vom 19.01.2017 -
15 [X.] -

34

Meta

VI ZR 76/17

06.02.2018

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.02.2018, Az. VI ZR 76/17 (REWIS RS 2018, 14436)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 14436

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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