Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.02.2000, Az. 2 StR 582/99

2. Strafsenat | REWIS RS 2000, 3115

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[X.] DES VOLKESURTEIL2 StR 582/99vom16. Februar 2000in der [X.] versuchten Totschlags u.a.- 2 -Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 16. [X.], an der teilgenommen haben:Vizepräsident des BundesgerichtshofesDr. [X.]als Vorsitzender,die [X.] am [X.],[X.],die [X.]in am [X.]. [X.],[X.] am [X.]als beisitzende [X.],[X.]als Vertreter der [X.],Rechtsanwalt als Verteidiger,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 22. Juni 1999 mit den [X.] aufgehoben.Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurge-richt zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.Von Rechts wegenGründe:[X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung und wegen versuchten Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe vonzwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich diezum Nachteil des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, mitder die Verletzung materiellen Rechtes gerügt wird. Das Rechtsmittel hat [X.].[X.] Am 30. September 1998 befanden sich der Angeklagte, sein [X.] und das spätere [X.] in einer Gaststätte. M. und [X.] hatten eine [X.]. Der erboste [X.] verließ das Lokal, drohte aber wiederzukom-men. Er holte ein großes Brotmesser und lauerte M. auf. Als der [X.] 4 -und M. das Lokal verließen und sich gerade getrennt hatten, sprang [X.] brachte dem überraschten M. mit dem Messer am Kopf eine lange Schnitt-verletzung bei. M. schrie um Hilfe und rannte in Todesangst davon; [X.]. Der Angeklagte folgte den beiden, um seinem Freund zu helfen. [X.] die Verfolgung M.‚s und wandte sich, das Messer in der Hand haltend,nunmehr angriffsbereit dem Angeklagten zu. Dieser prallte in vollem Lauf auf [X.]und riß ihn zu Boden, wobei diesem das Messer aus der Hand fiel. Es kam zueinem Kampf am Boden, wobei es dem Angeklagten gelang, in den Besitz [X.] zu kommen, mit dem er nun auf seinen Gegner einstach. Die [X.] der Stich- und Schnittverletzungen ließ sich nicht sicher feststellen. [X.] ging deshalb zugunsten des Angeklagten davon aus, daß er [X.] an Arm und Hand als erstes die drei tiefen Stichverletzun-gen an der Rückseite des rechten Oberschenkels zufügte, unter denen sich diespäter zum Tode führende Schlagaderverletzung befand. Während dieserPhase des Kampfes mußte der Angeklagte sich noch gegen den [X.] wehren und damit rechnen, daß dieser die Absicht hatte, ihm [X.] wieder zu entwinden und es dann gegen ihn (den Angeklagten) zurichten. Das änderte sich, nachdem der Angeklagte die ersten Stiche gesetzthatte. Infolge der ihm zugefügten schweren Verletzung schwand die [X.] und es gelang dem Angeklagten, seinen Gegner mit dem Rücken aufden Boden zu fixieren und sich - das Gesicht in Richtung von dessen Füßen,den Rücken zu [X.] - auf seinen Brustkorb zu setzen oder zu knien. [X.] der Angeklagte erkannte, daß er seinen Angreifer überwältigt hatte [X.] diesem, seit er schwerverletzt auf dem Rücken lag, keine Gefahr mehrbefürchten mußte, stach er wuchtig mindestens viermal weiter mit dem Messerauf [X.] ein, gezielt in den Bereich der Beine, wobei er [X.] nicht töten, [X.] verletzen wollte. Er nahm bewußt davon Abstand, [X.] in den [X.] 5 -Bauchbereich zu stechen, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. M., der [X.] weitergelaufen war, kam zurück und sah [X.] reglos und blutend am [X.] liegen. Dem Angeklagten wurde bewußt, daß er fletwas Schlimmes getanflhatte. Er sprang auf, rief zu [X.] uns [X.], und beide rannten zumPkw des Angeklagten. Der Angeklagte glaubte in diesem Augenblick nicht, daß[X.] bereits im Sterben lag, aber es war ihm klar, daß er ihn durch die heftigenStiche so schwer verletzt hatte, daß dieser ohne ärztliche Behandlung verblu-ten würde. Obwohl er nicht damit rechnete - was in Anbetracht der tiefenNachtzeit, der menschenleeren Örtlichkeit und des Regenwetters auch nichtanzunehmen war -, daß dem Verletzten rechtzeitig Hilfe zuteil werden würde,fuhr er mit M. davon. Er tat dies, weil er wegen seiner Vorstrafen befürchtete,daß die Polizei ihm nicht glauben würde, und nahm den Tod des [X.] durch [X.] dabei billigend in Kauf.[X.] wurde ins Krankenhaus eingeliefert und verstarb infolge der [X.] trat ein infolge der Durchtrennung der rechten Oberschenkel-schlagader und vielfältiger Verletzungen kleinerer Gefäße im Bereich der übri-gen Wunden, die zu einem massiven Blutverlust führten, der auch durch inten-sivärztliche Maßnahmen mit [X.] nicht mehr abzuwendenwar, so daß schließlich unter den Zeichen der allgemeinen Blutgerinnungsstö-rung und Ausprägung von Schockorganen der Tod eintratfl ([X.]/15).Das Landgericht ist davon ausgegangen, daß die tödlichen Stiche durchNotwehr gerechtfertigt waren. In den anschließenden weiteren vier Stichen hates eine gefährliche Körperverletzung gesehen. In [X.] hierzu hat esversuchten Totschlag durch Unterlassen angenommen. Der Angeklagte [X.] [X.] eine Garantenpflicht gegenüber dem Opfer- 6 -gehabt. Da die unterlassene Hilfeleistung aber - was der Angeklagte nicht [X.] können - nicht kausal für den Tod des [X.] gewesen sei, sei flnurfl [X.] versuchten Totschlags zu verurteilen.[X.] war aufzuheben. Die Feststellungen zur Todesursache sindwidersprüchlich.Die Kammer ist an mehreren Stellen des Urteils zugunsten des Ange-klagten davon ausgegangen, daß dieser flals erstes die drei tiefen Stichverlet-zungen, unter anderem die später zum Tode führende [X.]. Andererseits hat das Tatgericht festgestellt, daß der Tod infolge [X.] der rechten Oberschenkelschlagader und vielfältiger Verletzun-gen kleinerer Gefäße im Bereich der übrigen Wunden ... eingetreten ist. Er seiinfolge der flerhaltenen [X.] verstorben. Nach letzterer Feststellungwaren die weiteren Stiche mitursächlich für den Tod des Opfers. Dies läßt sichnicht damit vereinbaren, daß nur die ersten (durch Notwehr gerechtfertigten)Stiche todesursächlich waren.Eine eindeutige Feststellung der Todesursache ist für den Schuldspruchaber von entscheidender [X.] Waren nur die ersten (durch Notwehr gerechtfertigten) Stiche todes-ursächlich, wäre der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung - imHinblick auf die vier weiteren Stiche - zutreffend. Körperverletzung mit Todes-folge läge nicht vor, da durch diese Stiche der Tod nicht verursacht wurde.Durch die ersten Stiche hatte der Angeklagte bei [X.] rechtmäßig den Todherbeigeführt. Eine Verurteilung gleichwohl wegen (versuchten) Totschlags- 7 -(durch Unterlassen) käme danach nicht ohne weiteres in Betracht. Wäre [X.] sofort gestorben, läge dies auf der Hand. Die Rechtslage ändert [X.] insoweit nicht dadurch, daß der Tod mit einiger Verzögerung eintrat; denner konnte nicht abgewendet werden. Da die ersten Stiche in Notwehr erfolgten,haben sie hier zu keiner Garantenstellung des Angeklagten geführt (vgl. [X.] § 13 Abs. 1 Garantenstellung 2 = NJW 1987, 850). Denn das [X.] Garantenstellung aus vorangegangenem Verhalten setzt jedenfalls einePflichtwidrigkeit voraus (vgl. u.a. [X.], 83; vgl. auch [X.]St [X.], 115). Die Verletzung eines Angreifers in Notwehr macht daher in der [X.] den Angegriffenen nicht zum Garanten für das Leben des Angreifers (vgl.[X.], Urt. v. 29. Juli 1970 - 2 StR 221/70, auszugsweise wiedergegeben in[X.]St 23, 327 und [X.] MDR 1971, 59; vgl. auch [X.] 1971, 716,717; insoweit auch zustimmend [X.] 1981, 473, 483). Ein [X.], daß der Angreifer flzurechnungsunfähig oder sonst schuldlos istfl (vgl.[X.]St 23, 327, 328), liegt hier nicht vor.Die weiteren - pflichtwidrigen und zur Verurteilung wegen gefährlicherKörperverletzung führenden - Stiche haben hier ebenfalls keine Garantenstel-lung begründet. [X.] begründet nur dann eine Garan-tenstellung, wenn es die nahe Gefahr des Eintritts des konkret untersuchtentatbestandsmäßigen Erfolges verursacht (vgl. u.a. [X.], 83; [X.]StV 1998, 127, 128; [X.] NJW 1992, 1246, 1247; [X.]R StGB § 27 Abs. 1Unterlassen 3).Die gefährliche Körperverletzung hat hier nicht die nahe Gefahr des To-des verursacht. Eine Körperverletzung löst nur dann eine Garantenstellungaus, wenn sie einen gefahrerhöhenden Zustand bewirkt hat. Das ist hier nichtder Fall. Bei einem - unrettbar - tödlich Verletzten kann ein die Todesgefahr- 8 -erhöhendes Tun nur darin gesehen werden, daß hierdurch der Tod beschleu-nigt werden konnte. Diese Gefahr ist im vorliegenden Fall durch die [X.], daß die weiteren Stiche für den Tod nicht einmal mitursächlich waren,das heißt diesen auch nicht beschleunigt haben, ausgeräumt. Denn sie warennicht nur nicht todesursächlich, was allein den Rückschluß nahelegt, daß [X.] diesbezügliche Gefahr nicht bestand, sondern sie konnten in der konkre-ten Situation auch keinen gefahrerhöhenden Zustand verursachen. Eine solcheGefahr ist vom Tatrichter auch nicht festgestellt worden. Er hat vielmehr [X.] des Tatbestandes der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227StGB) verneint, weil hier der Körperverletzung nicht die tatbestandsspezifischeGefahr des tödlichen Ausganges anhaftete. Er hat sogar - gestützt auf [X.] des Sachverständigen Professor B. - noch nicht einmaleine abstrakte Gefahr für das Leben des bereits tödlich Verletzten angenom-men und deshalb auch die Alternative "mittels einer das Leben gefährdendenBehandlung" (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) ausdrücklich abgelehnt ([X.] (gefährliche) Körperverletzung, die - hier fiktiv - keinerlei Gefahr fürdas Leben des Opfers bewirkt, löst keine Garantenstellung aus.Es liegt daher zum einen kein pflichtwidriges, zum anderen kein gefah-rerhöhendes vorausgehendes Tun vor; eine Garantenstellung bestand danachnicht.In Betracht kommen kann insoweit aber unterlassene Hilfeleistung(§ 323 c StGB). Dem steht nicht entgegen, daß der Tod des Opfers [X.] abgewendet werden konnte. Denn auf die Erfolgsaussichten der Hilfelei-stung kommt es grundsätzlich nicht an (vgl. u.a. [X.] NStZ 1985, 409, 410;[X.], Urt. v. 29. Juli 1970 - 2 StR 221/70, insoweit nicht in [X.]St 23, 327 ab-gedruckt). Regelmäßig schließt nur der sofortige Tod des Opfers die [X.] -lichkeit der Hilfeleistung aus (vgl. u.a. [X.], Urt. v. 19. Januar 1984 - 4 [X.]/83, insoweit in NStZ 1984, 328 nicht abgedruckt; [X.]St 14, 213, 216; 16,200, 203). Der Tod des Opfers ist hier nicht sofort eingetreten.2. Waren die weiteren vier Stiche jedoch für den Tod des Opfers mitur-sächlich, ist die Rechtslage anders zu beurteilen.Zutreffend weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, daß dann statt ge-fährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) Körperverletzung mit Todesfolge(§ 227 StGB) anzunehmen wäre, da der Verwirklichung der [X.] tatbestandsspezifische Gefahr anhaftete, die sich im tödlichen Ausgangunmittelbar niedergeschlagen hat. Gerade die zahlreichen Verletzungen habendann zum Tod durch Verbluten geführt.Bei dieser Fallkonstellation käme weiter auch versuchter Totschlagdurch Unterlassen in Betracht.Die Garantenstellung wurde dann durch die weiteren - pflichtwidrigen -Stiche, die mitursächlich für den Tod und damit gefahrerhöhend waren, [X.]. Daß der Tod unvermeidbar war, legt, da der Angeklagte seine [X.] erkannte, eine Rettung für möglich hielt und den Tod des [X.] billigend in Kauf nahm, die Annahme eines versuchten [X.] nahe.Zwar verpflichtet das Recht auch denjenigen nicht zu [X.], deraufgrund einer Garantenstellung gehalten ist, einen bestimmten Erfolg abzu-wenden; aber nur die sicher voraussehbare Erfolglosigkeit eines Rettungsbe-mühens läßt die Handlungspflicht entfallen (vgl. u.a. [X.]R StGB § 13 Abs. 1 -Zumutbarkeit 1 = [X.], 29 = NJW 1994, [X.] 1994, 510 mit [X.].[X.]). Hier war die Erfolglosigkeit zumutbarer Hilfsmaßnahmen des [X.] -klagten (z.B. telefonische Benachrichtigung von Polizei/Notarzt) nicht sichervorauszusehen; er selbst hielt demgemäß eine Rettung auch für möglich.Das vorsätzliche Unterlassen von Hilfsmaßnahmen ist aber nur dann alsvollendete Tat strafbar, wenn festgestellt wird, daß der Angeklagte durch [X.] solcher Maßnahmen den Erfolg hätte verhindern können; denn [X.] kann das Unterlassen für den [X.] ursächlich geworden sein(vgl. u.a. [X.]R StGB § 13 Abs. 1 Brandstiftung 1; [X.] StV 1984, 247 m.w.[X.] kommt hier nur der Versuch eines Tötungsdeliktes (durch [X.]) in Betracht. Der Versuch eines unechten Unterlassungsdeliktes iststrafbar (vgl. [X.]St 38, 356, 358 m.w.N.). Ob in Fällen des Unterlassens derfluntaugliche [X.] strafbar ist, ist jedenfalls im Schrifttum für Einzelfälleumstritten (vgl. die Hinweise in [X.]St 38, 356, 359). Der [X.] hat in seinemBeschluß vom 16. Juli 1993 - 2 StR 294/93 (= [X.], 29) bereits entschie-den, daß in vergleichbaren Fällen ein strafbarer untauglicher Versuch gegebensein kann. Hieran ist [X.] Da demgemäß der Schuldspruch auf den widersprüchlichen [X.] beruht, hat der [X.] das angefochtene Urteil mit den Feststellungenaufgehoben.Nach Sachlage ist nicht auszuschließen, daß in einer neuen [X.] rechtsfehlerfrei festgestellt wird, daß auch die weiteren Stiche mitur-sächlich für den Tod des Opfers waren, zumal da es nahe liegt, daß die vierwuchtigen Stiche, die zu blutenden Verletzungen des Opfers führten, für einenTod aufgrund massiven Blutverlustes mitursächlich waren.Der [X.] vermag weiter nicht auszuschließen, daß ein neuer Tatrichterandere Feststellungen über die Reihenfolge der Stiche treffen kann. Dies wäre- 11 -für die Beurteilung der Notwehrlage von Bedeutung. Deshalb hat der [X.] [X.] insgesamt aufgehoben.[X.] Niemöller Bode [X.] Rothfuß

Meta

2 StR 582/99

16.02.2000

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.02.2000, Az. 2 StR 582/99 (REWIS RS 2000, 3115)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 3115

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