Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.10.2013, Az. 3 StR 311/13

3. Strafsenat | REWIS RS 2013, 2306

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 311/13
vom
1. Oktober 2013
in dem
Sicherungsverfahren
gegen

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] -
zu 2. auf dessen Antrag -
am 1.
Oktober 2013 gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

1.
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 30.
April 2013 aufgehoben; die [X.] zum objektiven Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten.

Im Umfang
der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückver-wiesen.

2.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des [X.] in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Bean-standungen gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Entschei-dungsformel ersichtlichen Erfolg.

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1. Nach den Feststellungen des [X.] leidet der Beschuldigte seit 1984 an einer hebephrenen Psychose, die sich seither in situationsinadäqua-tem Verhalten, Verwahrlosung und Desorganisation äußerte. Er stand seit [X.] unter Betreuung, war beginnend mit [X.] 1989 im [X.] obdachlos und entwickelte eine schwere Alkoholabhängigkeit und eine konstante Inkontinenz. Mehrfach befand er sich in stationärer psychiatrischer Behandlung. Bei den Klinikaufenthalten erholte er sich jeweils schnell, um [X.] das Krankenhaus wieder zu verlassen und erneut in den [X.] und die Verwahrlosung abzugleiten. Er nächtigte, weil er wegen seiner Inkontinenz oft nicht in [X.] verbleiben
konnte, häufig in den Foyers von Geldinstituten, die er entsprechend verschmutzte. Die [X.] gegen ihn deshalb wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung geführten Ermittlungsverfahren wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Inzwischen zeigt sich bei ihm das Krankheitsbild einer langjährigen, chronifizier-ten paranoiden Schizophrenie mit illusionären Verkennungen und Wahnwahr-nehmungen, die sich zu systematisierten Wahnideen verdichtet haben und die er als beeinträchtigend erlebt. In deren [X.] steht eine imaginäre Person namens "[X.]", die ihn mit "[X.]" sowie mit [X.] und [X.] bedroht.

Seit Juni 2010 hielt sich der Beschuldigte häufig im Bereich einer [X.] auf. Da er bei schlechtem Wetter den [X.]ninnenraum verunreinigte, musste ihm von dem Gemeindepfarrer H.

Hausverbot erteilt werden, das, nachdem der Beschuldigte danach die [X.] von außen und den sie umgebenden Friedhof verschmutzt hatte, auf das gesamte [X.]ngelände ausgedehnt [X.]. Der Beschuldigte hielt sich häufig nicht daran. Pfarrer H.

sah indessen aus Mitleid von Strafanzeigen ab. Wenn der Beschuldigte auf einer Bank vor dem Friedhof saß, führte er oft mit lautstarker Stimme schreiend Selbstgesprä-2
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che, die den Pfarrer im Gemeindehaus bei der Arbeit störten. Am 16.
Juni 2012 schrie der Beschuldigte wieder herum. Als Pfarrer H.

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wie schon öfter im Verlauf der letzten Jahre -
hinausging und den Beschuldigten aufforderte, sich zu entfernen, blieb der Beschuldigte entgegen bisheriger Gewohnheit auch dann noch vor Ort, als der Pfarrer ankündigte, die Polizei zu rufen, und sich zur Verstärkung seiner Drohung mit seinem Mobiltelefon beschäftigte und vorgab, eine Nummer zu wählen. Der Beschuldigte nahm an diesem Tag in wahnhafter Realitätsverkennung an, bei Pfarrer H.

handele es sich um eine von "[X.]"
erschaffene Gummipuppe. Er fühlte sich von dieser bedroht und schlug dem Pfarrer deshalb mit einer großen, eineinhalb Liter fassenden und noch zur Hälfte mit einem Getränk gefüllten Plastikflasche kräftig auf den Kopf. Der Schlag zerstörte die Brille des Pfarrers und verursachte eine dislozierte Jochbogenfraktur, was zu einer dauerhaften, unauffälligen aber wahrnehmba-ren [X.] geführt hat.

[X.] beraten hat das [X.] angenommen, dass der Beschuldigte in psychotischer Verkennung der Realität und damit ohne Un-rechtseinsicht gehandelt habe. Da der Beschuldigte eine notwendige [X.] verweigere, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Begehung von der [X.] vergleichbaren Taten zu rechnen.

2. Während die Verfahrensrügen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschuldigten aufzeigen, hält die Anordnung der Unterbringung in einem psy-chiatrischen Krankenhaus sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende [X.], die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen 4
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darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei fest-steht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.]en aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höhe-ren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforder-liche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Per-sönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen Anlass-tat(en) zu entwickeln (st.
Rspr.;
vgl. [X.], Beschluss vom 5.
Juni 2013 -
2 StR 94/13 mwN). Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzun-gen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den [X.] so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.

b) Während die psychische Erkrankung des Beschuldigten sowie dessen hierauf beruhende Schuldunfähigkeit bei der Tatbegehung ausreichend [X.] und in der Beweiswürdigung belegt sind, fehlt es an einer ausreichenden Darlegung einer zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten.

Das [X.] hat sich dem gehörten [X.]en angeschlos-sen. Dieser hat aus einer Beurteilung in Anlehnung an das Verfahren [X.] (historical clinical risk management -
zu Einzelheiten vgl. [X.], Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose in [X.] u.a.: Handbuch der Forensi-schen Psychiatrie, [X.], S.
1, 30 f.) das Risiko gewalttätigen Verhaltens des Beschuldigten als deutlich erhöht bezeichnet. Der von dem Beschuldigten [X.] (25 von 40 Punkten) liege deutlich oberhalb der [X.] für zivilpsychiatrische Patienten und innerhalb der Mittelwertbereiche für 7
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forensisch-psychiatrische Patienten. Es sei deshalb mit hoher Wahrscheinlich-keit mit der [X.] vergleichbaren Taten zu rechnen (UA S.
14). Diese [X.] lassen besorgen, dass das [X.] bei der Prognose zukünfti-gen Verhaltens einseitig das Ergebnis des vom [X.]en genutzten statistischen Prognoseinstruments in den Blick genommen und dabei außer [X.] gelassen hat, dass solche Instrumente zwar Anhaltspunkte über die Aus-prägung eines strukturellen [X.] liefern, indes nicht in der Lage sind, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (vgl. [X.], Beschluss vom 30.
März 2010 -
3 [X.], [X.], 203, 204; Urteil vom 11.
Mai 2010 -
1 [X.], [X.], 504, 506; Beschluss vom 22.
Juli 2010 -
3 [X.], StraFo 2011, 62; Beschluss vom 24.
April 2013 -
5 [X.] -
juris). Eine solche Einzelbetrachtung muss sich auch mit dem Umstand auseinander-setzen, dass der Beschuldigte -
jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen -
trotz einer bereits seit fast 30 Jahren bestehenden Erkrankung erstmals mit einer in den Bereich der mittleren Kriminalität fallenden Straftat in Erscheinung getreten ist. Zwar teilt das Urteil mit, der [X.] des [X.] weise seit 1991 insgesamt 78 Eintragungen
zu
Ermittlungsverfah-ren auf, die wegen Schuldunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt worden sind; es ist indes nicht festgestellt, welche Taten des Beschuldigten den [X.] zugrunde lagen, insbesondere ob sich darunter solche von gewisser Er-heblichkeit befanden. Angesichts der an anderer Stelle im Urteil getroffenen Feststellung über 11 Ermittlungsverfahren wegen der Übernachtungen in den Räumen von Kreditinstituten allein
in den Jahren 2011/2012 (UA S.
5) liegt es nahe, dass es sich auch bei den anderen Verfahren um solche wegen Delikten
minderer Intensität gehandelt hat. Wenn aber nach jahrzehntelanger Erkran-kung eine vereinzelte Tat der gefährlichen Körperverletzung zum Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB genommen wird, bedarf es eingehenderer Darlegungen, warum der Beschuldigte jetzt seine paranoiden Ängste erstmals -
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auf diese Weise ausagiert hat und unter welchen Umständen zukünftig von ihm welche Taten zu erwarten sind.

Im Hinblick auf die Verbesserung der Lebenssituation, die der Beschul-digte im Rahmen seiner vorläufigen Unterbringung in der Klinik für forensische Psychiatrie des [X.] Klinikums E.

nach den Feststellungen des Landge-richts derzeit erlebt (UA S.
7 und 15), bemerkt der [X.] ergänzend: Auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen [X.] durch eine längerfristige Behandlung in einem forensisch-psychiatrischen Krankenhaus gebessert werden könnte, denn nur die Belange der öffentlichen Sicherheit -
nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten -
können es rechtfertigen, einen Menschen auf unbestimmte Zeit [X.] Freiheitsentziehung zu unterwerfen (vgl. LK/Schöch, StGB, 12.
Aufl., §
63 Rn.
1 mwN).

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c) Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb aufrechterhalten bleiben.

[X.]Pfister

Ri[X.] [X.] befindet sich im

Urlaub und ist daher gehindert

zu unterschreiben.

[X.]

Gericke Spaniol
10

Meta

3 StR 311/13

01.10.2013

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.10.2013, Az. 3 StR 311/13 (REWIS RS 2013, 2306)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2306

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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