Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.05.2006, Az. 3 StR 111/06

3. Strafsenat | REWIS RS 2006, 3641

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.] vom 9. Mai 2006 in dem Sicherungsverfahren gegen - 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 9. Mai 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 28. Dezember 2005 aufgehoben. Der Antrag der Staatsanwaltschaft, den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, wird [X.]. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Beschuldigten trägt die Staatskasse. Gründe: Das [X.] hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des [X.] in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen vom Beschuldigten eingelegte Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft, gegen den Beschuldigten (erneut) die Unterbringung nach § 63 StGB auszusprechen. Mit Recht macht die Revision geltend, dass die angefochtene Entscheidung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren ist. 1 1. Der Beschuldigte leidet bereits seit längerer Zeit an einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Nachdem er zunächst zwischen [X.] und April 1990 wegen unterschiedlicher Delikte zu Jugendstrafen, Geldstrafen und Freiheitsstrafen verurteilt worden war, sprach ihn das [X.] - 3 - richt [X.] mit Urteil vom 4. März 1993 vom Vorwurf des räuberischen Dieb-stahls in Tateinheit mit Körperverletzung, des Diebstahls und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte wegen Schuldunfähigkeit frei und ordnete seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der Beschuldigte [X.] den Filialleiter eines Supermarkts niedergeschlagen, nachdem dieser ihn nach einem Ladendiebstahl gestellt hatte, der Beschuldigte hatte später einen weiteren Ladendiebstahl begangen und war letztlich gegen zwei Polizeibeamte tätlich geworden, als diese versuchten, ihn aufgrund eines nach Landesrecht erlassenen Unterbringungsbefehls festzunehmen. Außerdem hatte der Be-schuldigte mehrfach Mitbewohner angegriffen, mit denen zusammen er in einer städtischen Notunterkunft untergebracht war. Darüber hinaus war er gegen den Lebensgefährten seiner Mutter tätlich geworden und hatte auf einen Pkw-Fahrer und dessen [X.] eingeschlagen, nachdem diese aus dem Fahrzeug ausgestiegen waren, weil der Angeklagte mit der Hand auf das Dach des Pkws geschlagen hatte. Mit am 7. Juni 1996 rechtskräftig gewordenem Beschluss setzte eine Strafvollstreckungskammer des [X.]s Düsseldorf die weitere Vollstre-ckung der Unterbringung für vier Jahre zur Bewährung aus. Dabei wies sie den Beschuldigten unter anderem an, sich in ambulante psychiatrische Behandlung zu begeben und entsprechend den Anordnungen des Arztes seine Erkrankung medikamentös behandeln zu lassen. Nach seiner Entlassung aus dem [X.] gelang es dem Beschuldigten nicht, zu einer strukturierten Lebens-führung zu finden. Zur Aufnahme einer Arbeitstätigkeit kam es nicht, der [X.] zu seinem Bewährungshelfer blieb oberflächlich, die zur Behandlung seiner Psychose notwendige regelmäßige Verabreichung von Depotspritzen ließ er teilweise nur mit erheblicher Verspätung vornehmen. Nach seinen Angaben kam es mehrmals jährlich zu akuten psychotischen Erlebnissen, bei denen er sich von "[X.]" überwacht fühlte oder Stimmen hörte, die ihm 3 - 4 - Befehle erteilten und ihn unter anderem mehrfach aufforderten, sich oder [X.] zu töten. Im Februar 2000 sprach der Angeklagte grundlos in einem Omnibus mit den Worten "[X.], was soll das?" einen 18jährigen Schüler an und packte ihn gleichzeitig an der Schulter, als dieser zusammen mit seiner Schwester aus dem Fahrzeug aussteigen wollte. Als der Schüler sich umdrehte, dem [X.] bedeutete, dass er ihn nicht kenne und ihn, da dieser nicht von ihm [X.], schließlich aufforderte "abzuhauen", schlug ihm der Beschuldigte [X.] kräftig mit der Faust ins Gesicht. Der Schüler stürzte hierdurch aus dem Omnibus. Als ihm seine Schwester zur Hilfe eilte, trat der Beschuldigte auf [X.] ein und versetzte sodann ihrem Bruder weitere Faustschläge, bevor er schließlich weg lief. Sein Verhalten erklärte der Beschuldigte damit, dass er von dem Schüler und dessen Schwester provoziert worden sei. Diese hätten sich ihm gegenüber gesetzt und ihm bewusst ins Gesicht geschaut. Der Schüler [X.] ihn außerdem mehrfach absichtlich "laftenisch" berührt und gegen die Brust geschubst, ohne dass es jedoch zu einem direkten Körperkontakt gekommen sei. Deswegen sei er - der Beschuldigte - wütend geworden. 4 Wegen dieser - vom Beschuldigten aufgrund eines akuten psychotischen Schubs im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen - Tat ordnete das Land-gericht [X.] mit Urteil vom 17. Mai 2001 erneut dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Diese wurde zunächst in den [X.] vollzogen. Weil der Beschuldigte dort "im Rahmen eines aggressiven Durchbruchs gegen Mitarbeiter tätlich geworden war" und jederzeit wieder mit derartigen fremdaggressiven Durchbrüchen gerechnet wer-den musste, wurde der Beschuldigte in die [X.] verlegt und dort in einer besonders gesicherten Station behandelt. Der Be-schuldigte lehnte auch hier die Therapie ab, zeigte sich sozial unverträglich so-5 - 5 - wie aggressiv, beschimpfte Mitarbeiter lauthals und drohte ihnen Gewalt an, so dass er mehrfach von der [X.] abgesondert werden musste. Am 9. Mai 2004 kam es zu der Tat, die Anlass zu diesem Sicherungsver-fahren gab. Der Beschuldigte fühlte sich aufgrund seiner psychischen Erkran-kung von dem Krankenpfleger [X.]provoziert. Er bildete sich ein, dieser [X.] ihn "augenscheinlich" oder "pantomimisch" am Gesäß berührt, beschimpfte ihn deswegen als Dreckschwein, schüttete ihm Kaffee entgegen, schlug ihn mit den Fäusten zu Boden und trat sodann mit den Füßen auf ihn ein. Der [X.] musste vier Tage stationär behandelt werden und war acht Wochen dienstunfähig. Aufgrund dieses Vorfalls wurde der Beschuldigte in das [X.] in [X.] verlegt. 6 Am 25. August 2004 beschloss das [X.] Kleve, am 20. Juli 2005 das [X.] Paderborn - jeweils Strafvollstreckungskammer - gemäß § 67 e StGB die Fortdauer der mit Urteil des [X.]s [X.] vom 17. Mai 2001 angeordneten Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Kran-kenhaus. Diese Entscheidungen stützen sich unter anderem auf die [X.] vom 9. Mai 2004, die auch in den durch die [X.] einge-holten Prognosegutachten von den gehörten Sachverständigen als ein Beleg für die ungünstige Sozialprognose des Beschuldigten herangezogen worden war. 7 2. Die Ansicht des [X.]s, bei diesem Sachverhalt sei die nochma-lige Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten nach § 63 StGB mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, obwohl sich der Beschuldigte so-wohl zum Zeitpunkt der [X.], als auch zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils bereits im Vollzug dieser Maßregel befand, hält rechtli-cher Prüfung nicht stand. 8 - 6 - a) Der Senat hat in seinem Beschluss vom 14. Juli 2005 ([X.], 472; zum Abdruck in BGHSt 50, 199 bestimmt) zwar darauf hingewiesen, dass die erneute Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiat-rischen Krankenhaus nicht deshalb von vorneherein ausgeschlossen ist, weil diese Maßregel bereits aufgrund eines in einem früheren (Sicherungs-) Verfah-ren ergangenen Urteils gegen den Beschuldigten vollzogen wird. Jedoch setzt der nochmalige [X.] voraus, dass die Anordnung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang steht. Hierbei geht es nicht um den Gesichtspunkt der Angemessenheit der Rechtsfolge, wie ihn § 62 StGB dahin umschreibt, dass der [X.] nicht außer Verhältnis zur Be-deutung der vom Beschuldigten begangenen und zu erwartenden Taten sowie dem Grad seiner Gefährlichkeit stehen darf. Maßgeblich ist vielmehr, ob die erneute Unterbringungsanordnung zur Erreichung des [X.] der [X.] ([X.]ilung) und Sicherung geeignet und erforderlich ist, weil von ihr [X.] ausgehen, die der erste [X.] nach § 63 StGB nicht zei-tigt. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn das neue Urteil erhebliche Auswirkungen auf Dauer und Ausgestaltung des [X.] haben kann und das Erkenntnisverfahren in besserer Weise als das Vollstreckungsverfah-ren dazu geeignet ist, die neue [X.] sowie die sich darin widerspiegeln-de Gefährlichkeit des Beschuldigten für alle an der Maßregelvollstreckung [X.] verbindlich festzustellen und damit Änderungen in der Ausgestaltung des Vollzugs oder die Anordnung von dessen Fortdauer zu legitimieren. 9 b) Nach diesen Maßstäben war die nochmalige Anordnung der Unter-bringung hier zur besseren Erreichung des [X.] weder geeignet noch erforderlich und deswegen unverhältnismäßig; sie durfte daher nicht ausge-sprochen werden. 10 - 7 - Die [X.] des Beschuldigten ist eingebettet in eine Vielzahl ähnlicher Vorfälle, durch die der Beschuldigte immer wieder in gleicher Weise auffällig geworden ist. Sie entspricht in ihrer krankheitsbedingten Entstehung der Tat, die bereits Anlass für die Unterbringung des Beschuldigten durch das Urteil des [X.]s [X.] vom 17. Mai 2001 war. Sie hat ihren Grund ebenfalls in einer psychotisch bedingten Situationsverkennung durch den [X.], der sich eine Provokation durch den später Geschädigten [X.], und zeigt im Vergleich zu den früheren Körperverletzungstaten keine Steige-rung der Aggressivität und damit der Gefährlichkeit des Beschuldigten auf. Der Beschuldigte war bereits aufgrund seiner früheren Gewalttätigkeiten und seiner auch während des [X.] gezeigten Aggressivität in einem beson-ders gesicherten Bereich des psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Die Tat gab erkennbar keinen Anlass, den Sicherungsaspekt der Maßregel durch eine nochmalige Anordnung noch weiter zu verstärken. 11 Eine erneute Anordnung der Unterbringung war auch nicht deswegen er-forderlich, weil das ihr zugrunde liegende Strengbeweisverfahren bessere [X.] zur Feststellung der erneuten Körperverletzungstat des Beschuldigten bot als das sich an das Urteil des [X.]s [X.] vom 17. Mai 2001 an-schließende Vollstreckungsverfahren. Die Tat war im Maßregelvollzug began-gen worden. Ihr [X.]rgang und ihre Ursachen waren durch die Bekundungen des Geschädigten sowie eines weiteren Zeugen und die Stellungnahme der [X.] Ärzte ohne Schwierigkeiten zu belegen. Sie wurden dementsprechend in den Berichten des psychiatrischen Krankenhauses tragfähig dokumentiert und bereits von den im Verfahren nach § 67 e StGB gehörten [X.] in ihren Prognosegutachten unabhängig von vorliegendem Sicherungsver-fahren in allen ihren maßgeblichen Aspekten berücksichtigt, ohne dass ihnen für die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung indessen wesentliche Be-deutung zugemessen worden wäre. Wie die - im Urteil mitgeteilten - Beschlüsse 12 - 8 - der [X.] sowie die ihnen zugrunde liegenden Gutach-ten zeigen, war maßgeblich hierfür vielmehr das durch Therapieverweigerung und krankheitsbedingte Aggressivität geprägte Gesamtverhalten des [X.] im Vollzug, von dem die [X.] lediglich eine - wenn auch für den [X.] schwer wiegende - Facette bildete. Weder die Ausgestaltung noch der weitere Vollzug der Unterbringung bedurften daher einer Legitimierung durch strengbeweisliche Feststellung der neuen Tat des Beschuldigten. Vorliegende Fallgestaltung unterscheidet sich somit deutlich von dem Sachverhalt, über den der Senat in seinem zitierten Beschluss vom 14. Juli 2005 zu befinden hatte. Dort hatte der Beschuldigte die neue Tat begangen, als er sich noch in Freiheit befand, da der Maßregelvollzug in der ersten [X.] zur Bewährung ausgesetzt worden war. Der Nachweis von Tathergang und -ursachen bedurfte daher gründlicher Beweisaufnahme. [X.] hinaus zeigte die neue [X.] (objektiv versuchter Mord) im Vergleich zu der ersten [X.] (objektiv vorsätzliche Körperverletzung) eine deutliche Steigerung der Gefährlichkeit des Beschuldigten und hatte daher nahe liegend Einfluss auf Ausgestaltung und Dauer der im [X.] bereits aufgrund des Bewährungswiderrufs hinsichtlich der ersten Maßregelanordnung vollzoge-nen Unterbringung. All dies machte die erneute Anordnung der Unterbringung erforderlich. 13 Da sich die angefochtene Entscheidung nach den Maßstäben des [X.] vom 14. Juli 2005 als unverhältnismäßig erweist und daher aufgeho-ben werden muss, braucht sich der Senat nicht näher mit der Frage zu [X.], ob dem [X.] unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit oder der [X.] auch deswegen entgegenstehen, weil er die Tat im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßnahme gegen ein Mitglied des [X.] - 9 - [X.] begangen hat (vgl. [X.], 405; 1999, 611; 2002, 590; BGHR StGB § 62 Verhältnismäßigkeit 4 und § 63 Gefährlichkeit 26). Nach den getroffenen Feststellungen ist es ausgeschlossen, dass auf-grund einer neuen Hauptverhandlung noch Umstände festgestellt werden, unter denen sich die nochmalige Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB ge-gen den Beschuldigten als verhältnismäßig erweisen könnte. Analog § 354 Abs. 1 StPO ist der entsprechende Antrag der Staatsanwaltschaft daher [X.]. [X.] von [X.] [X.]

Meta

3 StR 111/06

09.05.2006

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.05.2006, Az. 3 StR 111/06 (REWIS RS 2006, 3641)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 3641

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 329/14 (Bundesgerichtshof)

Sicherungsverfahren: Verhältnismäßigkeitsprüfung für eine wiederholte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


3 StR 329/14 (Bundesgerichtshof)


3 StR 216/05 (Bundesgerichtshof)


5 StR 243/10 (Bundesgerichtshof)

Voraussetzungen der - nochmaligen - Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


5 StR 243/10 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.