Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.05.2017, Az. X R 4/17

10. Senat | REWIS RS 2017, 10568

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Rücknahme eines Rechtsmittels ohne Mitwirkung des Prozessvertreters


Leitsatz

NV: Die Rücknahme eines durch einen Prozessbevollmächtigten eingelegten Rechtsmittels ohne dessen Mitwirkung ist nach § 62 Abs. 4 FGO --anders als nach § 62a FGO a.F. bzw. Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG-- aufgrund des vor dem BFH bestehenden Vertretungszwangs rechtsunwirksam.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 7. Dezember 2016  14 K 14053/16 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigten, legten am 20. Januar 2017 Revision gegen den Gerichtsbescheid des Finanzgerichts ([X.]) Berlin-Brandenburg vom 7. Dezember 2016  14 K 14053/16 ein. Der Gerichtsbescheid ist am 28. Dezember 2016 den Klägern zugestellt worden. In dem Gerichtsbescheid hat das [X.] die Revision zugelassen.

2

Die Prozessbevollmächtigten kündigten die Begründung der Revision innerhalb der [X.] an.

3

Am 24. Februar 2017 beantragte der Kläger persönlich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, soweit die [X.] abgelaufen sei. Er teilte mit, die Revisionsbegründung werde bis zum 27. Februar 2017 übersandt.

4

Am 20. März 2017 beantragten die Prozessbevollmächtigten die Verlängerung der [X.] bis zum 10. April 2017. Dies lehnte die Senatsvorsitzende mit Schreiben vom 5. April 2017 ab, da der Antrag nach Ablauf der Begründungsfrist gestellt worden sei. Das Schreiben ist den Prozessbevollmächtigten am 8. April 2017 zugestellt worden.

5

Am 17. April 2017 erklärte der Kläger persönlich die Rücknahme der Revision. Dieses Schreiben ist den Prozessbevollmächtigten am 27. April 2017 zur Kenntnis übersandt worden.

Entscheidungsgründe

6

II. Die nicht wirksam zurückgenommene Revision ist unzulässig und daher gemäß § 124 Abs. 1 und § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss zu verwerfen.

7

1. Die Revision ist nicht wirksam zurückgenommen worden.

8

a) Es kann dahinstehen, ob auch die Klägerin die Rücknahme ihrer Revision erklärt hat. Im Schreiben vom 17. April 2017 gibt der Kläger zwar an, die Rücknahme für beide Kläger zu erklären. Auch unterschreibt er für beide Kläger. Allerdings hat er eine entsprechende Bevollmächtigung durch die Klägerin nicht nachgewiesen.

9

b) Wirksam ist eine Revisionsrücknahme i.S. des § 125 Abs. 1 Satz 1 FGO nur, wenn diese Erklärung vom Prozessbevollmächtigten abgegeben wird. Denn § 62 Abs. 4 Satz 1 FGO sieht vor dem [X.] ([X.]) die Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten vor. Dieser [X.] ist umfassend und besteht für alle Prozesshandlungen.

aa) Ausnahmen hiervon lässt der Wortlaut des § 62 Abs. 4 FGO nicht zu. Der [X.] schränkt den [X.] allerdings für Prozesshandlungen ein, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 17. November 2011 [X.], [X.]/NV 2012, 428: Erinnerung gegen Kostenansatz).

bb) Zwar hat der [X.] im zeitlichen Anwendungsbereich der Regelung des § 62a FGO a.F. (und entsprechend nach Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des [X.]s --[X.]EntlG--) die Rücknahme der Revision ohne Mitwirkung (vgl. nur [X.]-Urteil vom 6. April 1999 XI R 85/98, [X.]/NV 1999, 1244) und sogar gegen den Willen des Prozessbevollmächtigten ([X.]-Urteil vom 17. Februar 1981 VII R 14/80, [X.]E 132, 400,  [X.] 1981, 395) für wirksam erachtet. Für eine solche erweiterte Auslegung des § 62 Abs. 4 FGO besteht indes kein Raum.

Denn § 62 Abs. 4 FGO macht jedenfalls für den Fall der Rücknahme einer vom Prozessbevollmächtigten eingelegten Revision keine Ausnahme (so wohl auch [X.] in [X.]/[X.]/ [X.] --[X.]--, § 125 FGO Rz 19). Schließlich kann, soweit eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten gesetzlich vorgeschrieben ist und die Revision auch wirksam durch einen Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist, der Kläger persönlich keine wirksame Prozesserklärung mehr abgeben (ebenso Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 125 Rz 5).

Auch spricht die Gesetzesbegründung zum gleichzeitig geänderten § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung für diese wortlautgetreue Anwendung der Norm. So wollte der Gesetzgeber weitreichende Prozesserklärungen wie Erledigungserklärungen und Rechtsmittelrücknahmen entgegen der insoweit der [X.]-Rechtsprechung zu § 62a FGO a.F. bzw. Art. 1 Nr. 1 [X.]EntlG entsprechenden Rechtsprechung des [X.] ausdrücklich in den [X.] einschließen (BTDrucks 16/3655, 97). Für die entsprechenden Verfahren vor dem [X.] kann deshalb nichts anderes gelten (ebenso [X.] in Tipke/ [X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 62 FGO Rz 45; [X.] in [X.], § 62 FGO Rz 106).

c) Da eine Rücknahme der durch die Prozessbevollmächtigten wirksam erhobenen Revision durch diese bislang nicht erklärt worden ist, ist die Revision noch anhängig, so dass der Senat die Zulässigkeit der Revision zu prüfen hat.

2. Die Revision ist unzulässig, da sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils begründet worden ist.

a) Gegen den Gerichtsbescheid, in dem die Revision zugelassen worden war, kann ein Beteiligter i.S. des § 57 Nr. 1 FGO Revision einlegen. Dies ist hier für die Kläger durch die Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach der Zustellung (§ 120 Abs. 1 FGO), vorliegend am 28. Dezember 2016, geschehen. Eine Revisionsbegründung wurde im Revisionsschriftsatz vom 20. Januar 2017 ausdrücklich nur angekündigt.

b) Die Revision war nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des [X.] zu begründen, hier also bis zum 28. Februar 2017. Diese Frist kann gemäß § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden.

Ein wirksamer Verlängerungsantrag ist von den Prozessbevollmächtigten jedoch erst am 20. März 2017 und damit nach Ende der [X.] i.S. des § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO gestellt worden.

Der vom Kläger gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist unbeachtlich, da er im Verfahren vor dem [X.] nicht postulationsfähig ist. Im Übrigen erbat der Kläger lediglich eine Fristverlängerung zur Begründung der Revision bis zum 27. Februar 2017, also einen Tag vor dem Ende der [X.] nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO.

3. [X.] ergibt sich aus § 135 Abs. 2 FGO.

Meta

X R 4/17

22.05.2017

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 7. Dezember 2016, Az: 14 K 14053/16, Urteil

§ 62 Abs 4 FGO, § 124 Abs 1 FGO, § 126 Abs 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.05.2017, Az. X R 4/17 (REWIS RS 2017, 10568)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10568

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

X S 20/10 (PKH) (Bundesfinanzhof)

Kein Vertretungszwang im Prozesskostenhilfeverfahren - Verfahrensmangel bei Prozessurteil statt Sachurteil - Fehlende Beschwer bei begehrter …


XI S 18/10 (PKH) (Bundesfinanzhof)

Kein Vertretungszwang vor dem BFH im PKH-Verfahren - Entscheidung durch Prozessurteil statt durch Sachurteil


IX R 3/22 (Bundesfinanzhof)

Zur Zulässigkeit einer im Jahr 2022 von einer Steuerberatungsgesellschaft mbH per Telefax eingelegten Revision


IX R 8/17 (Bundesfinanzhof)

Gerichtsbescheid - Antrag auf mündliche Verhandlung - Wiedereinsetzung


XI R 40/11 (Bundesfinanzhof)

Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unterlassener anwaltlicher Prüfung der Rechtsmittelbegründungsfrist - Fristbeginn an …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.