Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.09.2012, Az. XI R 40/11

11. Senat | REWIS RS 2012, 3232

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Gegenstand

Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unterlassener anwaltlicher Prüfung der Rechtsmittelbegründungsfrist - Fristbeginn an einem Sonntag, Sonnabend oder allgemeinen Feiertag - Zwischenurteil über Zulässigkeit der Revision


Leitsatz

NV: Ist davon auszugehen, dass der Prozessbevollmächtigte die Richtigkeit des durch den Eingangsstempel beurkundeten Zustellungsdatums nicht eigenständig geprüft hat, weil der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk nicht angeheftet, sondern entsorgt worden war, und er auf den verspäteten Eingang der Revisionsbegründung erst durch einen Hinweis des Senatsvorsitzenden aufmerksam geworden ist, kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden .

Tatbestand

1

I. Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage des [X.] und Revisionsklägers (Kläger) wegen Kindergeld ab, ohne die Revision zuzulassen. Das Urteil des [X.] ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 670 veröffentlicht.

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] hatte Erfolg. Der vormals zuständige III. Senat des [X.] ([X.]) ließ mit Beschluss vom 15. Dezember 2011 III B 142/10 die Revision zu. Der Beschluss wurde mit Schreiben des [X.] vom 27. Dezember 2011 abgesandt und den Prozessbevollmächtigten des [X.] am 31. Dezember 2011 zugestellt.

3

Mit [X.] vom 2. Februar 2012 ging beim [X.] am selben Tag die Revisionsbegründung ein.

4

Der Senatsvorsitzende des nunmehr zuständigen [X.]. Senats des [X.] machte den Kläger mit Schreiben vom 13. Februar 2012 darauf aufmerksam, dass die Frist zur Begründung der Revision nach § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) am 31. Januar 2012 abgelaufen war und wies auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 [X.]O hin.

5

Hierauf beantragte der Kläger mit Schreiben vom 16. Februar 2012, ihm für die am 31. Januar 2012 abgelaufene [X.] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und über den Wiedereinsetzungsantrag durch Zwischenurteil zu entscheiden.

6

Zur Begründung des [X.] beruft sich der Kläger auf ein Büroversehen seiner Prozessbevollmächtigten. Die für die Notierung und Überwachung der Fristen zuständige, dazu regelmäßig belehrte sowie wiederholt ohne Beanstandung kontrollierte, ihre langjährige Tätigkeit zuverlässig und gewissenhaft ausübende Bürovorsteherin, habe bei der Entgegennahme der am 2. Januar 2012 dem Kanzleibriefkasten entnommenen Post übersehen, dass das Schreiben des [X.] vom 27. Dezember 2011 mit dem Beschluss vom 15. Dezember 2011 bereits am 31. Dezember 2011, einem [X.], durch Einwurf förmlich zugestellt worden sei.

7

Dem Schreiben vom 16. Februar 2012 war zur Glaubhaftmachung des anwaltlich versicherten Sachvortrags eine eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten vom 15. Februar 2012 sowie je eine anwaltlich beglaubigte Ablichtung des betreffenden Fristenkalender-Ausschnitts und der zugestellten Ausfertigung des [X.]-Beschlusses vom 15. Dezember 2011 III B 142/10 mit [X.] vom 2. Januar 2012 und handschriftlicher Fristnotiz "02.02.12" beigefügt.

8

Die Rechtsanwaltsfachangestellte erklärte in der eidesstattlichen Versicherung vom 15. Februar 2012, dass am Vormittag des 2. Januar 2012 der Briefkasten von einer Auszubildenden geleert und die Post mit dem Schreiben des [X.] vom 27. Dezember 2011 ihr übergeben worden sei. Vermutlich habe sich auf dem Briefumschlag ein entsprechender Vermerk über die bereits am 31. Dezember 2012 erfolgte Zustellung befunden, der jedoch von ihr übersehen worden sei. Der Briefumschlag sei daher dem Schreiben vom 27. Dezember 2011 nicht angeheftet, sondern von ihr entsorgt worden. Sie habe auf dem Schreiben vom 27. Dezember 2011 ihren [X.] mit Datum 2. Januar 2012 angebracht und sei davon ausgegangen, dass die Zustellung an diesem Tag erfolgt sei, sodass sie das Ende der einmonatigen [X.] auf den 2. Februar 2012 notiert habe.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO).

1. Der Kläger hat die Revision nicht rechtzeitig begründet. Hat der [X.] --wie vorliegend-- der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, ist die Revision innerhalb von einem Monat nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu begründen (§ 116 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 1, § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO).

Im Streitfall ist diese Frist für den am [X.], dem 31. Dezember 2011 zugestellten Beschluss nach § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs am Dienstag, dem 31. Januar 2012 abgelaufen. Der erst am 2. Februar 2012 beim [X.] eingegangene Schriftsatz war mithin verspätet.

Ob der Fristbeginn auf einen Sonntag, allgemeinen Feiertag oder Samstag fällt, ist unerheblich, denn das Gesetz sieht in § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO diesen Umstand lediglich für das Ende der Frist als bedeutsam an (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 21. September 2009 I B 48-49/09, [X.]/NV 2010, 439; vom 29. April 2010 II R 56/09, [X.]/NV 2010, 1833; vom 30. November 2010 IV B 39/10, [X.]/NV 2011, 613).

2. Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte [X.] zu gewähren.

a) Die Wiedereinsetzung kommt in Betracht, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. [X.]-Beschlüsse vom 24. Juli 2002 VII B 150/02, [X.]/NV 2002, 1489; vom 25. Juni 2003 [X.] B 186/02, [X.]/NV 2003, 1589; vom 24. Januar 2005 III R 43/03, [X.]/NV 2005, 1312; vom 24. Juni 2008 [X.], [X.]/NV 2008, 1517; vom 15. Dezember 2011 II R 16/11, [X.]/NV 2012, 593, unter [X.]). Jedes Verschulden --mithin auch einfache Fahrlässigkeit-- schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 17. Februar 2010 I R 38/09, [X.]/NV 2010, 1283; in [X.]/NV 2011, 613, jeweils m.w.[X.]). Der Beteiligte muss sich gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse in [X.]/NV 2011, 613; in [X.]/NV 2012, 593, jeweils m.w.[X.]).

b) Das Versäumen der [X.] ist im Streitfall nicht entschuldbar.

aa) Zwar ist substantiiert und glaubhaft vorgetragen, dass die sorgfältig ausgewählte und geschulte sowie bisher fehlerfrei arbeitende Bürovorsteherin bei der Entgegennahme der am 2. Januar 2012 dem Kanzleibriefkasten entnommenen Post übersehen hat, dass das Schreiben des [X.] vom 27. Dezember 2011 mit dem Beschluss vom 15. Dezember 2011 bereits am [X.], dem 31. Dezember 2011 zugestellt worden war.

bb) Das rechtfertigt indes eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht. Denn es liegt ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des [X.] vor, der die Sache bearbeitet hat.

Zu dessen Aufgaben gehörte es, bei der Bearbeitung der Sache eigenständig den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist zu prüfen. Dabei darf ein Prozessbevollmächtigter sich nicht auf den Eingangsstempel seiner Kanzlei verlassen, sondern hat zu prüfen, ob das dort angegebene Datum mit dem von dem Postbediensteten auf dem Zustellungsumschlag eingetragenen Zustellungsdatum übereinstimmt (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 16. Januar 2009 VII R 31/08, [X.]/NV 2009, 951; in [X.]/NV 2011, 613, jeweils m.w.[X.]). Dieser Umschlag hätte sich in der ihm vorgelegten Handakte befinden müssen (vgl. dazu [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2009, 951). Bei der Zustellung gegen Postzustellungsurkunde ist der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk aufzubewahren und dem Prozessbevollmächtigten im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Wiedervorlage der Sache zur Prüfung der Frist mit vorzulegen (vgl. dazu [X.]-Beschlüsse vom 23. September 1987 V B 71/87, [X.]/NV 1988, 250; vom 4. Juli 2008 IV R 78/05, [X.]/NV 2008, 1860; vom 15. Juli 2009 II R 9/08, [X.]/NV 2009, 1817).

Es kann hier dahinstehen, ob der bearbeitende Rechtsanwalt eine solche eigenständige Prüfungspflicht bereits hätte erfüllen müssen, als er sein Schreiben vom 5. Januar 2012 fertigte und ihm die Handakte hierbei vorgelegen haben muss (vgl. dazu [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2009, 951, m.w.[X.]). Hätte er --gleich zu welchem Zeitpunkt-- eigenständig den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist geprüft, hätte ihm auffallen müssen, dass --wie eidesstattlich von seiner Bürovorsteherin versichert-- der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk nicht angeheftet, sondern entsorgt worden war. Er hätte durch Nachfrage bei der Geschäftsstelle des [X.] bzw. des inzwischen zuständig gewordenen [X.]. Senats des [X.] den Zeitpunkt der Zustellung des Zulassungsbeschlusses vom 15. Dezember 2011 III B 142/10 in Erfahrung bringen müssen. Nicht ausreichend ist jedenfalls die Berechnung der [X.] anhand des Eingangsstempels der Kanzlei (vgl. [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2009, 1817, m.w.[X.]).

Der Senat muss deshalb davon ausgehen, dass für das Fristversäumnis allein ursächlich war, dass der Prozessbevollmächtigte des [X.] die Richtigkeit des durch den Eingangsstempel der Kanzlei beurkundeten [X.] entgegen seiner Verpflichtung überhaupt nicht geprüft hat, und er auf den verspäteten Eingang der Revisionsbegründung erst durch den Hinweis des [X.] mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 13. Februar 2012 aufmerksam geworden ist.

3. Dem Antrag des [X.], durch Zwischenurteil über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der [X.] zu entscheiden, konnte nicht entsprochen werden.

Ist die Revision unzulässig, weil sich --wie hier-- im Fall der Versäumung der [X.] der Wiedereinsetzungsantrag als erfolglos erweist, ist die Revision gemäß § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluss zu verwerfen (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 24. Januar 2008 [X.] R 63/06, [X.]/NV 2008, 606; vom 4. März 2011 III R 44/09, [X.]/NV 2011, 997; Lange in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 97 FGO Rz 11, m.w.[X.]). Ein Zwischenurteil, wonach die Revision unzulässig ist, darf nicht ergehen (vgl. [X.] in [X.], § 126 Rz 19, m.w.[X.]; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 126 Rz 4, m.w.[X.]). Hingegen kann durch Zwischenurteil gemäß §§ 97, 121 FGO darüber entschieden werden, dass [X.] als hier-- die Revision zulässig ist (vgl. [X.]-Urteile vom 16. Dezember 1971 I R 212/71, [X.]E 104, 493, [X.] 1972, 425, unter 1.; vom 10. Juni 1999 V R 33/97, [X.]E 189, 573, [X.] 2000, 235, unter [X.]; vom 18. Mai 2006 III R 47/05, [X.]/NV 2006, 2082).

Meta

XI R 40/11

13.09.2012

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend FG Nürnberg, 8. Juli 2010, Az: 7 K 938/2009, Urteil

§ 54 FGO, § 56 Abs 1 FGO, § 56 Abs 2 FGO, § 97 FGO, § 116 Abs 7 S 2 FGO, § 120 Abs 2 S 1 FGO, § 121 FGO, § 124 FGO, § 126 Abs 1 FGO, § 155 FGO, § 85 Abs 2 ZPO, § 222 Abs 1 ZPO, § 222 Abs 2 ZPO, § 187 Abs 1 BGB, § 188 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.09.2012, Az. XI R 40/11 (REWIS RS 2012, 3232)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3232

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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