Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.08.2017, Az. 2 StR 278/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 6258

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:230817B2STR278.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 278/17

vom
23. August
2017
in dem Sicherungsverfahren
gegen

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung
des Generalbun-desanwalts
und des Beschwerdeführers
am 23.
August
2017
gemäß §
349 Abs.
4
StPO beschlossen:

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 3. März 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§
63 StGB). Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.
Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wer-tungen getroffen:
1. Bei dem 1961 geborenen Beschuldigten traten erstmals 1983 psychi-sche Auffälligkeiten im Zusammenhang mit seiner Arbeit auf. 1989 entwickelte 1
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3
-

e-schuldigte von 1989 bis 1992 in psychiatrischer Behandlung befand. Er konsu-miert illegale Betäubungsmittel, namentlich Haschisch, LSD, Heroin und [X.], und befindet sich seit 1991 im Methadon-Substitutionsprogramm.
2. [X.] ist mehrfach vorbestraft. Wegen eines bewaffneten [X.] wurde er 1987 wegen schwerer räuberischer
Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In den Jahren 1992 und 1993 wurde er wegen Trunkenheit im Verkehr zu geringfügigen Geldstrafen, zwischen 1992 und 2012 wegen vier Betäubungsmitteldelikten zu Geldstrafen zwischen 90 und 120 Tagessätzen sowie zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Dass zwischen diesen Taten und der damals bereits bestehenden psychischen Erkrankung ein Zu-sammenhang bestand, hat das [X.] nicht
festgestellt.
3. Zu den [X.] hat das [X.] Folgendes festgestellt:
a) Am 6. Juni 2016 führte der Beschuldigte eine Schreckschusswaffe, in-dem er eine zuvor

legal

erworbene Schreckschusspistole auf dem Heimweg vom Waffengeschäft in der Straßenbahn aus der Verpackung nahm und mit ihr

für andere Fahrgäste sichtbar

hantierte
(Fall 1).
b) Am 29.
Juni 2016 bedrohte der Beschuldigte ohne ersichtlichen Grund den Kunden einer neben seinem Wohnhaus gelegenen Bankfiliale mit den Wor-

er versuchte, diesen zu schlagen und mit einem Schraubendreher zu stechen. Auf die herbeigerufenen Polizeibeamten lief er mit einem Schraubendreher zu und konnte nur durch den Einsatz von [X.] überwältigt werden, wobei er während der Festnahme nach den Beamten trat. Nach scheinbarer Beruhigung versuchte er, beim Einstieg in das Polizei-4
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(Fälle 2 und 3).
c) Am 31.
Juli 2016 bedrohte der Beschuldigte seine Wohnungsnach-barn, die schon geraume Zeit in Angst vor ihm lebten, indem er im Hausflur mit erhobenem Arm auf den Nachbarn zulief. Die daraufhin herbeigerufenen Poli-zeibeamten wies der Beschuldigte auf Stimmen hin, die aus seiner Uhr dringen würden. Gegenüber dem später eintreffenden Notarzt wirkte der Beschuldigte jedoch so ruhig und orientiert, dass dieser eine Eigen-
und Fremdgefährdung ausschloss und von einer Einweisung absah. Kurze Zeit später stellte sich der Beschuldigte auf seinen Balkon und bedrohte von dort aus die beim Frühstück sitzenden Nachbarn, indem er

für diese sichtbar

ein Messer an seinem Hals ansetzte und Schnittbewegungen imitierte. Daraufhin wurde er durch erneut herbeigerufene Polizeibeamte sistiert und sodann nach §
11
Abs.
1 PsychKG [X.] kurzzeitig untergebracht. Feststellungen zu der Dauer der Unterbringung, der dort gestellten Diagnose, der Behandlung und dem Grund für die rasche Entlassung hat das [X.] nicht getroffen
(Fälle 4 und 5).
d) Am 13.
August 2016 trug der Beschuldigte die am
6.
Juni 2016 erwor-bene Schreckschusspistole aus [X.] in seine Wohnung, wobei sich im Treppenhaus des [X.]

möglicherweise versehentlich

ein Schuss löste. [X.] begab sich in seine Wohnung, wo ihn durch Nachbarn herbeigerufene Polizeibeamte überwältigen wollten. Hierbei wehrte er sich

von vier Polizeibeamten bäuchlings zu Boden gebracht

indem er mit den Füßen strampelte und die unter seinem Bauch befindliche Hand entgegen der Anweisung der Polizeibeamten nicht zur Fesselung freigab
(Fall 6).
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5
-
4. Das [X.] hat die Taten als Führen einer Waffe und Munition gemäß §
52 Abs.
3 Nr.
2 lit.
a, 3.
Var. [X.] (Fälle 1 und 6), Bedrohung und versuchte gefährliche Körperverletzung (Fall
2), Widerstand gegen Vollstre-ckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung (Fall
3) und
Be-drohung (Fälle
4 und 5) gewertet. Es hat angenommen, der Angeklagte habe bei Tatbegehung jeweils im Zustand der Schuldunfähigkeit (§
20 StGB) gehan-delt, da seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen sei. Dem [X.] folgend ist das [X.] davon ausgegangen, dass beim Angeklagten -n-den habe, die Taten aus psychotischen Erlebniswelten und paranoiden Wahn-gedanke-wesen [sei], ein Bewusstsein über das Unrecht seiner Taten zu entwickeln,

22).

II.
Die Maßregelanordnung nach §
63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der [X.] bei Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf die-sem Zustand beruht. Der [X.] muss, um die notwendige Gefährlich-keitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. [X.] muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infol-ge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt 10
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oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden ange-richtet wird (§
63 Satz
1 StGB). Der Tatrichter hat die der [X.] zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend [X.], dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 21.
Dezember 2016 -
1
StR 594/16,
[X.], 76; vom 12.
Oktober 2016 -
4
StR 78/16, Rn.
9; vom 15.
Januar 2015 -
4
StR 419/14, [X.], 394, 395 und vom 10.
November 2015 -
1
StR 265/15, [X.], 76
f. mwN).
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
a) Soweit das [X.] im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Angeklagte an einer paranoid-halluzinatorischen Schizo-phrenie leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs-
und Be-fundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. [X.], [X.] vom 28.
Januar 2015 -
4
StR 514/14, Rn.
7, [X.], 169; vom 16.
Januar 2013 -
4
StR 520/12, [X.], 141, 142; vom 26.
September 2012 -
4
StR 348/12, Rn.
8, [X.], 424; Senat, Beschluss vom 29.
Mai 2012 -
2
StR 139/12, [X.], 306, 307 und [X.], Beschluss vom 14.
September 2010 -
5
StR 229/10, Rn.
8; Urteil vom 21.
Januar 1997 -
1
StR 622/96, [X.]R StGB §
63 Zustand
20). Insbesondere wird nicht mitgeteilt, zu welchem Ergebnis das mehrfach in Bezug genommene, mittlerweile 25 Jahre .

b) Ein Erörterungsmangel ist auch darin zu sehen, dass das Urteil sich nicht mit der Frage auseinandersetzt, welchen Einfluss der [X.] und der Beikonsum von Drogen auf die psychische Disposition des Beschuldig-ten haben.
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14
15
-
7
-

c) Auch fehlt eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der jeweiligen Tat auf die Hand-lungsmöglichkeiten des Beschuldigten in den konkreten [X.] und [X.] auf seine Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 21.
Dezember 2016 -
1
StR 594/16, Rn.
5,
[X.], 76, 77; vom 12.
Oktober 2016 -
4
StR 78/16, Rn.
11, [X.], 74, 75; vom 17.
Juni 2014 -
4
StR 171/14, [X.], 305, 306 und vom 23.
August 2012 -
1
StR 389/12, [X.], 98
f.).
Die Einschätzung des Sachverständigen, dem das [X.] folgt, er-
e-r-nehme des [X.]s wird jedoch nicht deutlich, ob und inwieweit bei dem [X.] zu den jeweiligen Tatzeitpunkten Wahnideen vorhanden waren und wie sich diese auf die Taten ausgewirkt
haben. So hat das [X.] bezüglich der Handlungen vom 6.
Juni 2016 lediglich festgestellt, der Beschuldigte habe

dseligen Handlun-

m-men, die aber nicht imperativ seien, zeigen die Urteilsgründe nicht auf.
d) Schließlich ist auch die Gefahrenprognose nicht tragfähig begründet. Die Unterbringung als außerordentlich beschwerende Maßnahme darf nur an-16
17
18
-
8
-
geordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird (Senat, Beschluss vom 2.
September 2015 -
2
StR 239/15). Bei der insofern vorzunehmenden Gesamtwürdigung des [X.] und der Symptom-tat sind etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung ([X.], Beschluss vom 7.
Juni 2016 -
4
StR 79/16, [X.], 306, 307). Als gewichtiges Indiz ge-gen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten ist anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg
keine erheblichen Straftaten be-gangen hat (Senat, Urteil vom 10.
Dezember 2014 -
2
StR 170/14, [X.], 72, 73). Der Umstand, dass der Beschuldigte seit 1987 wegen Gewaltta-ten nicht in Erscheinung getreten ist und die letzte (ein Betäubungsmitteldelikt betreffende) Verurteilung des Angeklagten vom Juli 2012 datiert, hätte daher im Rahmen der individuellen Gefährlichkeitsprognose Berücksichtigung finden müssen.

Ri[X.] Dr. [X.] ist wegen

Urlaubs an der Unterschrift

gehindert.

[X.]Zeng

Grube

Schmidt

Meta

2 StR 278/17

23.08.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.08.2017, Az. 2 StR 278/17 (REWIS RS 2017, 6258)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 6258

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