Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.06.2012, Az. III R 86/09

3. Senat | REWIS RS 2012, 5180

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Gegenstand

Hinzurechnung einer ausländischen Familienleistung - Änderungsbescheid im Revisionsverfahren


Leitsatz

1. Ein in Deutschland lebender und Unterhalt zahlender Vater kann bei seiner Veranlagung zur Einkommensteuer (1998 bis 2000) den verdoppelten Kinder- und den verdoppelten Betreuungsfreibetrag abziehen, wenn die in Norwegen lebende Mutter dort für das gemeinsame Kind Kindergeld erhält und die sog. Günstigerprüfung ergibt, dass das Kindergeld die gebotene steuerliche Freistellung des Kindesexistenzminimums nicht in vollem Umfang bewirkt .  

2. In diesem Fall ist das norwegische Kindergeld bei der Einkommensteuerveranlagung des Vaters der Einkommensteuer hinzuzurechnen. Dies gilt unabhängig davon, ob das in Norwegen gezahlte Kindergeld die Höhe der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht des Vaters gemindert hat .

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die in den [X.]treitjahren 1998 bis 2000 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger hat aus einer früheren Beziehung zu einer anderen Frau einen --in den [X.]treitjahren [X.] ([X.]), der bei der Mutter in [X.] lebt. Für sein nichteheliches Kind leistete der Kläger Unterhalt nach [X.] Recht. Die Mutter bezog [X.] Kindergeld. Bei der Bemessung der Unterhaltshöhe blieb das Kindergeld unberücksichtigt, insbesondere stand dem Kläger nach [X.] Recht kein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch zu. Denn eine dem früheren § 1612b Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vergleichbare Vorschrift existierte im [X.] Recht nicht.

2

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) berücksichtigte [X.] in den streitigen Einkommensteuerfestsetzungen dergestalt, dass er einen Kinderfreibetrag mit den verdoppelten Beträgen des § 32 Abs. 6 [X.]atz 1 des Einkommensteuergesetzes in den in den [X.]treitjahren geltenden Fassungen (E[X.]tG) vom Einkommen abzog. Das [X.] ging hierbei davon aus, dass der Freibetrag günstiger sei als das [X.] Kindergeld. Die Beträge verdoppelte es im Hinblick auf die fehlende unbeschränkte Einkommensteuerpflicht der Kindsmutter. Die tarifliche Einkommensteuer erhöhte es schließlich im Hinblick auf das in [X.] bezogene Kindergeld. Den Hinzurechnungsbetrag setzte es in Höhe der in [X.] geltenden Kindergeldsätze an.

3

Während die Kläger mit ihrem Begehren, ihnen den Kinderfreibetrag zu gewähren, ohne zugleich die Einkommensteuer um das Kindergeld zu erhöhen, im Einspruchsverfahren nicht durchdrangen, konnten sie im finanzgerichtlichen Verfahren einen Teilerfolg erzielen. Das Finanzgericht ([X.]) sah in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1381 veröffentlichten Urteil zwar nur die Voraussetzungen für den Ansatz des einfachen Kinderfreibetrags als erfüllt an, erhöhte die tarifliche Einkommensteuer allerdings nicht um das Kindergeld.

4

Mit seiner Revision rügt das [X.] eine Verletzung von § 31 E[X.]tG und von § 32 Abs. 6 E[X.]tG. Die letztgenannte Vorschrift sehe in ihrem [X.]atz 3 Nr. 1 vor, dass die verdoppelten Beträge für das sächliche Existenzminimum und für den Betreuungsbedarf anzusetzen seien, wenn ein Elternteil nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sei. Auf die Mutter des [X.] treffe dies zu. Dass zwischen der Klägerin und dem [X.] kein Kindschaftsverhältnis bestehe, sei entgegen der Auffassung des [X.] nicht rechtserheblich. Mit der unterbliebenen Erhöhung der Einkommensteuer sei das [X.] von der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) abgewichen. Nach dieser Rechtsprechung sei weder die Tatsache, dass der Kläger [X.] oder [X.] Kindergeld nicht erhalten habe, noch das Fehlen eines zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs nach dem Muster des § 1612b BGB geeignet, die vom [X.] unterlassene Erhöhung der Einkommensteuer zu rechtfertigen.

5

Das [X.] beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Die Kläger haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision ist begründet.

8

1. Auf die Revision ist das Urteil des [X.] bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da die Einkommensteuerbescheide für die [X.]treitjahre, über deren Rechtmäßigkeit das [X.] entschieden hat, während des Revisionsverfahrens mit Bescheiden vom 27. Dezember 2011 geändert wurden und diese Änderungsbescheide nach § 68 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zum Gegenstand des Verfahrens geworden sind (vgl. dazu [X.]-Urteil vom 29. März 2007 IV R 72/02, [X.], 514, [X.], 420, m.w.N.).

9

Das vorinstanzliche Urteil ist somit gegenstandslos geworden; die vom [X.] getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind hierdurch jedoch nicht weggefallen ([X.]-Urteil in [X.], 514, [X.], 420).

2. Die nicht spruchreife [X.]ache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 [X.]atz 1 Nr. 2 [X.]O).

Für den nichtehelichen [X.] des [X.] waren der verdoppelte Kinderfreibetrag und --im [X.]treitjahr 2000-- der verdoppelte [X.] vom Einkommen abzuziehen. Die tarifliche Einkommensteuer war um die [X.] Familienleistung zu erhöhen. Da bislang nicht ermittelt wurde, in welcher Höhe der Kindsmutter [X.]s Kindergeld zugeflossen ist, wird das [X.] die erforderlichen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

a) Nach § 31 [X.]atz 4 E[X.]tG sind bei der Veranlagung zur Einkommensteuer der Kinderfreibetrag --in den [X.] 1998 und [X.] oder die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 E[X.]tG --im Veranlagungszeitraum 2000-- abzuziehen, wenn die gebotene steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes durch das Kindergeld nicht in vollem Umfang bewirkt wird. In diesen Fällen sind das Kindergeld oder vergleichbare Leistungen nach § 36 Abs. 2 E[X.]tG zu verrechnen, auch soweit sie dem [X.]teuerpflichtigen im Wege eines zivilrechtlichen Ausgleichs zustehen (§ 31 [X.]atz 5 E[X.]tG). Wird nach ausländischem Recht ein höheres Kindergeld als nach § 66 E[X.]tG gezahlt, so beschränkt sich die Verrechnung auf die Höhe des inländischen Kindergeldes (§ 31 [X.]atz 6 E[X.]tG). In den [X.] 1998 und 1999 sah § 32 E[X.]tG in seinem Abs. 6 [X.]atz 1 vor, dass für jedes zu berücksichtigende Kind des [X.]teuerpflichtigen ein Kinderfreibetrag von 288 DM für jeden Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen vorgelegen haben, bei der Veranlagung zur Einkommensteuer abgezogen wird. Bei zusammen veranlagten Ehegatten ist dieser Betrag zu verdoppeln, wenn das Kind zu beiden Ehegatten in einem Kindschaftsverhältnis steht (§ 32 Abs. 6 [X.]atz 2 E[X.]tG). Der verdoppelte Betrag wird auch abgezogen, wenn der andere Elternteil verstorben oder nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist (§ 32 Abs. 6 [X.]atz 3 Nr. 1 E[X.]tG). Die im Veranlagungszeitraum 2000 geltende Fassung des § 32 E[X.]tG traf in Abs. 6 [X.]atz 4 eine dementsprechende Regelung.

Wurde das Einkommen in den Fällen des § 31 E[X.]tG um den Kinderfreibetrag --beziehungsweise im Veranlagungszeitraum 2000 um einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 E[X.]tG-- vermindert, so wird gemäß § 36 Abs. 2 [X.]atz 1 E[X.]tG im entsprechenden Umfang das gezahlte Kindergeld der Einkommensteuer hinzugerechnet.

b) Diesen gesetzlichen Vorgaben entspricht das angegriffene Urteil bereits deshalb nicht, weil das [X.] lediglich den einfachen Kinderfreibetrag beim Kläger in Ansatz gebracht hat. Da die Mutter des Kindes nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war, stand dem Kläger der verdoppelte Kinderfreibetrag und --bezogen auf das [X.]treitjahr 2000-- auch der verdoppelte [X.] zu. Der im Gesetz verwandte Begriff "zustehen" ist hierbei im [X.]inne von "ist zu gewähren" zu verstehen; ein Wahlrecht besteht im Hinblick auf den Ansatz der verdoppelten Beträge also nicht ([X.] vom 27. Februar 2006 III B 26/05, [X.], 1089). Dass die Klägerin nicht in einem Kindschaftsverhältnis zu [X.] stand, ist entgegen der Auffassung des [X.] rechtlich unerheblich.

c) Für die gemäß § 31 [X.]atz 4 E[X.]tG durchzuführende Vergleichsrechnung (sog. Günstigerprüfung) ist demnach dem verdoppelten Freibetrag die in [X.] an die Kindsmutter gezahlte Familienleistung in voller Höhe gegenüberzustellen. Denn der Umfang des Freibetrags ist maßgeblich für die Beantwortung der Frage, in welcher Höhe das Kindergeld bei der Günstigerprüfung anzusetzen ist ([X.]-Urteil vom 13. August 2002 VIII R 53/01, [X.], 206, B[X.]tBl II 2002, 867; vgl. auch Kanzler in [X.]/[X.]/[X.], § 31 E[X.]tG Rz 33 und 35). Dass die [X.]n Leistungen i.[X.]. des § 65 E[X.]tG dem [X.] Kindergeld vergleichbar sind, hat das [X.] zutreffend festgestellt (vgl. [X.]chreiben des [X.] vom 26. Juni 2000 [X.]t I 4 -[X.] 2473- 11/1999, B[X.]tBl I 2000, 1128). Die Tatsache, dass die [X.] Familienleistung nicht an den Kläger gezahlt wurde, ist unerheblich. Denn für die Günstigerprüfung kommt es nur darauf an, dass eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung für das betreffende Kind erbracht wurde, unabhängig davon, wer der Empfänger der Leistung ist ([X.]-Urteil in [X.], 206, B[X.]tBl II 2002, 867). Angesichts des sehr hohen zu versteuernden Einkommens der Kläger wird die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes offenkundig, wie vom [X.] zutreffend bemerkt, durch den Kinderfreibetrag und --im [X.]treitjahr 2000-- zusätzlich durch den [X.] bewirkt.

d) Die [X.] Familienleistung war gemäß § 36 Abs. 2 [X.]atz 1 E[X.]tG hinzuzurechnen. Das Gesetz verlangt die Hinzurechnung auch dann, wenn der [X.]teuerpflichtige --wie der Kläger im [X.]treitfall-- weder das Kindergeld oder die vergleichbare ausländische Leistung erhält noch einen unterhaltsrechtlichen Ausgleichsanspruch geltend machen kann, etwa weil die ausländische Rechtsordnung eine dem § 1612b Abs. 1 BGB --in der in den [X.]treitjahren geltenden [X.] vergleichbare Vorschrift nicht kennt. Dieses Gesetzesverständnis hat der [X.] in seiner Rechtsprechung für zutreffend und verfassungsrechtlich bedenkenfrei erachtet ([X.]-Urteile in [X.], 206, B[X.]tBl II 2002, 867; vom 25. März 2003 VIII R 95/02, [X.]/NV 2003, 1306). Daran ist festzuhalten. Nur auf diese Weise ist eine steuerliche Doppelberücksichtigung des Kindesexistenzminimums zu vermeiden. Bei der Prüfung, ob es zu einer von § 31 [X.]atz 5, § 36 Abs. 2 [X.]atz 1 E[X.]tG verbotenen Doppelbegünstigung kommt, ist nicht isoliert der einzelne [X.]teuerpflichtige (hier: der Kläger als barunterhaltspflichtiger Elternteil) in den Blick zu nehmen. Vielmehr soll --bezogen auf beide [X.] eine mehrfache Begünstigung für ein und dasselbe Kind durch die Freibeträge und das Kindergeld ausgeschlossen werden (vgl. [X.] vom 30. November 2004 VIII R 51/03, [X.]E 207, 471, [X.], 795; [X.]-Urteil vom 16. März 2004 VIII R 88/98, [X.]E 205, 465, B[X.]tBl II 2005, 594). Wie der [X.]treitfall beispielhaft zeigt, käme es zu einer solchen Doppelbegünstigung, wenn der eine Elternteil im Ausland Kindergeld bezöge und der im Inland wohnhafte Elternteil ohne Kindergeldhinzurechnung zusätzlich die verdoppelten --oder nach dem rechtlichen Ansatz des [X.] jedenfalls die einfachen-- Freibeträge abziehen könnte. Für eine solche Bevorzugung von Eltern, die in unterschiedlichen Ländern leben, wäre kein sachlich einleuchtender Grund ersichtlich.

e) Die Hinzurechnung des [X.]n Kindergeldes hatte in den [X.]treitjahren in Höhe der tatsächlich erfolgten Zahlungen zu erfolgen (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], Kommentar, § 31 Rz 421 [[X.]tand Mai 2008]; [X.]chreiben des [X.] vom 9. März 1998 IV B 5 -[X.] 2280- 45/98, B[X.]tBl I 1998, 347 Rz 23). Entgegen dieser rechtlichen Vorgabe hat das [X.] in den angegriffenen Bescheiden eine Hinzurechnung in Höhe der [X.] Kindergeldsätze vorgenommen. Die Höhe des [X.] Kindergeldes limitiert die Hinzurechnung der tatsächlich bezogenen ausländischen Familienleistung nach oben (§ 31 [X.]atz 6 E[X.]tG). Wird nach ausländischem Recht dagegen ein niedrigeres Kindergeld als nach § 66 E[X.]tG gezahlt, dann ist lediglich der niedrigere Zahlbetrag der tariflichen Einkommensteuer hinzuzurechnen. Das [X.] hat bislang lediglich in für den [X.]enat bindender Weise (§ 118 Abs. 2 [X.]O) festgestellt, dass in [X.] Kindergeld an die Kindsmutter gezahlt wurde. Wie hoch der Zahlbetrag genau war, wird im zweiten Rechtsgang festzustellen sein.

Meta

III R 86/09

28.06.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 14. Februar 2008, Az: 15 K 779/05, Urteil

§ 31 S 4 EStG 1997, § 31 S 5 EStG 1997, § 31 S 6 EStG 1997, § 32 Abs 6 S 4 Nr 1 EStG 1997 vom 22.12.1999, § 36 Abs 2 S 1 EStG 1997, § 68 FGO, § 127 FGO, § 1612b Abs 1 BGB, § 32 Abs 6 S 3 Nr 1 EStG 1997

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.06.2012, Az. III R 86/09 (REWIS RS 2012, 5180)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5180

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