Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.11.2012, Az. VI R 100/10

6. Senat | REWIS RS 2012, 1551

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Gegenstand

(Übertragung des Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf - Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO)


Leitsatz

1. NV: § 32 Abs. 6 Satz 7 Halbsatz 2 EStG i.d.F. der Jahre 2000 und 2001 und § 32 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 EStG i.d.F. des Jahres 2002 sind verfassungsgemäß (Anschluss an BFH-Urteile vom 18. Mai 2006 III R 71/04, BStBl II 2008, 352; vom 27. Oktober 2011 III R 42/07, BFH/NV 2012, 839).

2. NV: Ein Ereignis, das die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO rechtfertigt, kann auch vorliegen, wenn der Steuerbescheid, in dem der Vorgang mit steuerlicher Wirkung zu berücksichtigen ist, noch nicht bestandskräftig ist.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und wurden in den Streitjahren 2000 bis 2002 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Vater von zwei Kindern aus einer früheren Ehe, die bei ihrer Mutter leben. Die Klägerin ist ebenfalls Mutter von zwei Kindern aus einer früheren Ehe, die bei ihrem Vater leben. Auf Antrag der Mutter der Kinder des [X.] wurden der [X.] bzw. der Freibetrag für den [X.] ([X.]) des [X.] auf diese übertragen und blieben folglich in den Einkommensteuerbescheiden der Kläger für die Streitjahre ohne Berücksichtigung. Während des dagegen gerichteten Klageverfahrens änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2001 und 2002 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung --AO-- (2002) bzw. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. [X.] (2001) in der Weise, dass er nach entsprechender Antragstellung durch den Vater der Kinder der Klägerin den [X.] bzw. den [X.] nicht mehr bei den Klägern berücksichtigte.

2

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der die Kläger neben der Verfassungswidrigkeit des Betreuungs- und [X.]s geltend machten, für die Entziehung eines bereits berücksichtigten Freibetrags fehle es an einer verfahrensrechtlichen Grundlage, ab (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2011, 1703).

3

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

4

Sie beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre in der Weise zu ändern, dass für die Kinder der Kläger [X.] bzw. [X.] berücksichtigt werden.

5

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

7

1. Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer wird in den Streitjahren 2000 und 2001 für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Kinderfreibetrag sowie für jedes Kind, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert ist, zusätzlich ein [X.] vom Einkommen abgezogen (§ 32 Abs. 6 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- i.d.F. der Streitjahre 2000 und 2001). Im Streitjahr 2002 ist für jedes zu berücksichtigende Kind neben dem Kinderfreibetrag ein [X.] des Kindes vom Einkommen abzuziehen (§ 32 Abs. 6 Satz 1 i.d.[X.] 2002). Nach § 32 Abs. 6 Satz 7 Halbsatz 2 EStG i.d.F. der Streitjahre 2000 und 2001 wird der dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, zustehende [X.] auf Antrag auf den anderen Elternteil übertragen. Entsprechendes gilt im Streitjahr 2002 bei minderjährigen Kindern für den [X.] (§ 32 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 EStG i.d.[X.] 2002).

8

Die Voraussetzungen für die Übertragung des [X.]s (2000 und 2001) bzw. [X.]s (2002) auf die geschiedene Ehefrau des [X.] bzw. den geschiedenen Ehemann der Klägerin liegen vor, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist.

9

Nach Auffassung des [X.] ([X.]) sind § 32 Abs. 6 Satz 7 Halbsatz 2 EStG i.d.F. der Streitjahre 2000 und 2001 und § 32 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 EStG i.d.[X.] 2002 verfassungsgemäß ([X.]-Urteile vom 18. Mai 2006 III R 71/04, [X.]E 214, 120, [X.], 352; vom 27. Oktober 2011 III R 42/07, [X.]E 236, 10, [X.]/NV 2012, 839; a.[X.], [X.] 2012, 684). Der erkennende Senat schließt sich trotz der von den Klägern geltend gemachten Bedenken dieser Auffassung an. Zur Begründung wird, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die zitierten Entscheidungen Bezug genommen.

2. Soweit das [X.] in den geänderten Bescheiden für 2001 und 2002 den hälftigen [X.] bzw. [X.] für die Kinder der Klägerin nicht mehr berücksichtigt hat, begegnet dies auch verfahrensrechtlich keinen Bedenken. Das [X.] war zu der Änderung jedenfalls gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] berechtigt ([X.] [X.]/[X.]/[X.], [X.], Kommentar, § 32 Rz 912; zur Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] s. Urteil des [X.] vom 9. Mai 2007  1 K 1324/07, [X.], 1245; v. [X.] in [X.]/[X.]/ [X.] --[X.]--, § 173 [X.] Rz 100).

a) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Das spätere Ereignis muss den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt anders gestalten und sich darüber hinaus steuerrechtlich in der Weise auswirken, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, entscheidet sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht ([X.]-Urteil vom 13. September 2000 [X.], [X.]E 193, 129, [X.] 2001, 641, m.w.N.). Ein Ereignis, das die Anwendung der Vorschrift rechtfertigt, kann auch vorliegen, wenn --wie hier-- der Steuerbescheid, in dem der Vorgang mit steuerlicher Wirkung zu berücksichtigen ist, noch nicht bestandskräftig ist ([X.]-Urteile vom 30. August 2001 IV R 30/99, [X.]E 196, 507, [X.] 2002, 49; vom 19. August 2003 VIII R 67/02, [X.]E 203, 309, [X.] 2004, 107; [X.]/[X.], [X.], 11. Aufl., § 175 Rz 53; a.A. v. [X.] in [X.], § 175 [X.] Rz 325, 233, 273).

b) Im Streitfall ist, wie dargestellt, die maßgebliche materiell-rechtliche Vorschrift § 32 Abs. 6 Satz 7 Halbsatz 2 EStG i.d.[X.] 2001 bzw. § 32 Abs. 6 Satz 6 Halbsatz 2 EStG i.d.[X.] 2002. Der entsprechende Antrag auf Übertragung des [X.]s bzw. [X.]s, der bis zur Bestandskraft der Veranlagung des antragstellenden Elternteils gegenüber seinem Wohnsitz-[X.] gestellt werden kann (Grönke-Reimann in [X.]/[X.]/[X.], § 32 EStG Rz 188, 181), wirkt unmittelbar und nachträglich auf die Steuerschuld ein, weil er die Berücksichtigung des halben Freibetrags nicht mehr beim Steuerpflichtigen, sondern beim anderen Elternteil zur Folge hat.

Meta

VI R 100/10

13.11.2012

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 16. Januar 2009, Az: 13 K 299/04, Urteil

§ 32 Abs 6 S 7 Halbs 2 EStG 1997, § 32 Abs 6 S 6 Halbs 2 EStG 2002, § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.11.2012, Az. VI R 100/10 (REWIS RS 2012, 1551)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1551

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