Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.07.2014, Az. 4 StR 147/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 3641

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
4
StR
147/14
vom
31. Juli 2014
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.]s hat in der Sitzung vom 31.
Juli
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin
am [X.]
Sost-Scheible,

[X.]in
am [X.]
Roggenbuck,
[X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.],
[X.],

Bundesanwalt beim [X.]

als Vertreter des [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Rechtsanwältin

als Vertreterin der Nebenklägerin

T.

,

Rechtsanwältin

als Vertreterin des [X.]

L.

,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 21. November 2013 werden verworfen.
2. Die Rechtsmittelführer haben die Kosten ihrer Revisionen zu tragen. Ferner werden dem Angeklagten die durch sein Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen der [X.] auferlegt. Die Staatskasse hat auch die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursachten notwendi-gen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Frei-heitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt sowie Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Gegen das Urteil richten sich die [X.] des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge. Sie haben keinen Erfolg.

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I.

Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen fuhr der Ange-klagte am 17. Januar 2013 mit dem von ihm gesteuerten
Pkw mit mindestens 90 km/h gegen einen Baum, um sich selbst zu töten. Hierbei nahm er billigend in Kauf, dass seine Ehefrau, die neben ihm in dem Fahrzeug saß, an den Fol-gen der Kollision versterben könnte. Während der Angeklagte schwer verletzt überlebte, verstarb seine Ehefrau kurze Zeit später an den bei dem Aufprall erlittenen Verletzungen.

Das [X.] hat den Sachverhalt als Totschlag in Tateinheit mit vor-sätzlichem gefährlichen
Eingriff in den Straßenverkehr bewertet. Es ist der [X.], dass das Mordmerkmal der Heimtücke nicht vorliege, da Zweifel daran bestünden, dass der Angeklagte die objektiv gegebene Arg-
und Wehrlosigkeit seiner Ehefrau bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt habe. Denn er habe nicht ausschließbar den [X.] in einer psychischen Ausnahmesituation spontan gefasst. Niedrige Beweggründe seien nicht gegeben, weil der Ange-klagte -
jedenfalls nicht ausschließbar -
aus Verzweiflung über seine Lebenssi-tuation (u.a. vieljährige Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme) und aus Angst vor einer endgültigen Trennung von seiner von ihm geliebten Ehefrau, der drohen-den Trennung von seinen Kindern und dem Verlust des ihm seit vielen Jahren vertrauten Familienlebens gehandelt habe.

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II.

Das Rechtsmittel des Angeklagten hat keinen Erfolg.

Insbesondere weist die Beweiswürdigung zum Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der Tötung seiner Ehefrau keinen Rechtsfehler auf. Auch ein [X.] gegen den [X.] liegt aus den vom [X.] in der Antragsschrift vom 16. Mai 2014 dargelegten Gründen nicht vor.

III.

Der vom [X.] nicht vertretenen Revision der Staatsan-waltschaft, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen -
heimtückischen -
Mordes erstrebt, bleibt der Erfolg ebenfalls versagt. Ergänzend zu den Ausfüh-rungen des [X.] in der Zuschrift vom 16. Mai 2014 bemerkt der Senat:

a) Für das bewusste Ausnutzen von Arg-
und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die
Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist,
einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen
Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 12. Februar 2009 -
4 [X.], NStZ
2009, 264; vom
19. Oktober 2011 -
1 [X.] [juris Rn. 24]; vom 11. Dezember 2012 -
5 [X.], NStZ
2013, 232, 233). Dieses [X.] kann bereits aus dem objektiven Bild des [X.] entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt ([X.], Beschluss vom 30. Juli 2013 -
2 StR 5/13, 4
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6
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NStZ
2013, 709, 710). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Einge-bung folgend begangen hat (vgl. [X.], Urteil vom 17. September 2008 -
5 [X.], NStZ
2009, 30, 31). Denn bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fä-higkeit des [X.], die [X.] in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht
beeinträchtigt ([X.], Urteile vom 27. Februar 2008 -
2 [X.], NStZ
2008, 510, 511 f.; vom 10. Februar 2010 -
2 StR 391/09, NStZ-RR
2010, 175, 176; Beschluss vom 24. November 2009 -
1 [X.], StV
2010, 287, 289 jeweils mwN).

Anders kann es jedoch bei "[X.]", insbesondere bei affekti-ven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen sein ([X.], Urteil vom 17. September 2008 -
5 [X.], NStZ
2009, 30, 31). Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg-
und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insbesondere die Spontanität des [X.]es im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des [X.] ein Beweis-anzeichen dafür sein, dass ihm das [X.] gefehlt hat ([X.], Urteil vom 11. Dezember 2012 -
5 [X.], NStZ
2013, 232, 233; [X.] vom 29. November 2011 -
3 [X.], NStZ
2012, 270, 271; vom 4. Mai 2011 -
5 [X.], NStZ
2011, 634; vom 24. April 2012 -
5 [X.], NStZ
2012, 693, 694
jeweils mwN).

Hierbei handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage ([X.], Urteil vom 11. Dezember 2012 -
5 [X.], NStZ
2013, 232, 233; Beschluss vom 4. Mai 2011 -
5 [X.], NStZ
2011, 634, 635 jeweils mwN).

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b) Daran gemessen ist die Ablehnung des [X.] der Heimtücke durch das [X.] aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Das Schwurgericht hat nicht verkannt, dass nach der Rechtsprechung [X.] auf Grund der von ihm zugunsten des Angeklagten angenommenen erheb-lichen Einschränkung des Steuerungsvermögens nicht ohne Weiteres auf das Fehlen des [X.]s geschlossen werden darf (vgl. [X.],
Urteil vom 27. Februar 2008 -
2 [X.], NStZ
2008, 510; Beschluss vom 4.
Mai 2011 -
5 [X.], NStZ
2011, 634 mwN). Wenn es aber gleichwohl angesichts der besonderen äußeren und inneren Umstände der Tat unter Be-rücksichtigung des Vor-
sowie des [X.] eine sichere Überzeu-gung vom Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke nicht zu gewinnen vermochte, so hält sich dies im Rahmen der dem Tatrichter vorbehal-tenen Würdigung und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.

Auch zeigt die Revision der Staatsanwaltschaft keine durchgreifenden Lücken, Widersprüche oder sonstige Rechtsfehler in der tatrichterlichen Be-weiswürdigung auf. Richtig ist zwar, dass der [X.] nicht bedeutet, dass das Gericht von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestal-tung auch dann ausgehen muss, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen. Vorliegend bestand aber für das [X.] selbst nach Ausschöpfung aller [X.] die Möglichkeit, dass entweder ein das [X.] nicht in Frage stellender "[X.]" oder aber eine
spontane, ungeplante Umsetzung latent vorhandener Suizidabsichten ge-geben war, die zu einer psychischen Ausnahmesituation mit einer "ausgepräg-ten Einengung des Bewusstseinsinhalts" ([X.]) und damit zum Fehlen des [X.]s geführt hat. Überzogene Anforderungen an die Überzeugungsbildung hat das [X.] dabei nicht gestellt. Vielmehr ist es 10
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rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass es der [X.] in einem solchen Fall gebietet, von der für den Angeklagten günstigeren Konstellation auszuge-hen (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Mai 2001 -
2 [X.], StV
2001, 666, 667).

Ebenso wenig ist es aus Rechtsgründen zu beanstanden, dass das Schwurgericht einerseits davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte wusste, dass sich seine Ehefrau neben ihm in dem Fahrzeug befand und er deren Tod billigend in Kauf nahm sowie ihre Gefährdung sogar beabsichtigte, es aber an-dererseits angenommen hat, der Angeklagte habe deren Arg-
und Wehrlosig-keit bei der Tatbegehung nicht bewusst ausgenutzt. Hierin liegt insbesondere kein zu einem Rechtsfehler führender Widerspruch, sondern die vom Tatrichter zu verantwortende Schlussfolgerung, dass der Angeklagte zu Wahrnehmungen 13
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zwar fähig war und er aufgrund dieser eine Entscheidung (billigendes Inkauf-nehmen des Todes) traf, ihm eine darüber hinausgehende "Bedeutungskennt-nis" aber gefehlt hat und er sich infolgedessen nicht bewusst gewesen ist, die Arg-
und Wehrlosigkeit seines Opfers auszunutzen (vgl. [X.], Urteil vom
13.
August
1997 -
3 StR 189/97, [X.]R
StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26).

[X.]Roggenbuck [X.]

[X.] Quentin

Meta

4 StR 147/14

31.07.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.07.2014, Az. 4 StR 147/14 (REWIS RS 2014, 3641)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3641

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Zitiert

1 StR 273/11

5 StR 438/12

2 StR 5/13

2 StR 391/09

3 StR 326/11

5 StR 65/11

5 StR 95/12

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