Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.09.2014, Az. 4 StR 367/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 3095

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Gegenstand

Rücktritt vom versuchten Mord: Fehlschlag eines Versuchs im Rahmen eines mehraktigen Geschehens; Urteilsfeststellungen bei Nichtverwirklichung des ursprünglichen Tatplans


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] (Oder) vom 27. Februar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, [X.] und versuchtem [X.] mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die gegen diese Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten hat in vollem Umfang Erfolg.

I.

2

Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Der Angeklagte fasste im Juni 2013 den Entschluss, sich während einer Flugstunde mit dem Nebenkläger, bei dessen Flugschule er sich zur Pilotenausbildung angemeldet hatte, durch einen herbeigeführten Flugzeugabsturz zu töten und dabei den Anschein eines Flugunfalls zu erwecken. Am Nachmittag des 21. Juni 2013 befanden sich der Angeklagte und der Nebenkläger während der zweiten Ausbildungsstunde in einem viersitzigen, einmotorigen Motorflugzeug vom Typ „[X.] N", das auf der linken und auf der rechten [X.] mit einem [X.] ausgerüstet ist, in etwa 900 m Höhe. Der Angeklagte führte ohne Wissen des [X.] einen etwa 1.100 g schweren Amethyst mit sich, den er zuvor aus der Mineraliensammlung eines Bekannten entwendet hatte, ferner ein 21 cm langes Küchenmesser. Er beabsichtigte, den Nebenkläger während des Fluges durch Schläge mit dem Amethyst tätlich anzugreifen und mindestens handlungsunfähig zu machen, um sich durch den Absturz der dann führerlosen Maschine selbst zu töten. Er ging davon aus, dass auch der Nebenkläger dabei sterben würde, was ihm gleichgültig war, da es ihm darauf ankam, seinen Selbstmord als aufsehenerregenden Flugunfall zu inszenieren. Nachdem der Nebenkläger dem Wunsch des Angeklagten entsprochen hatte, auf eine Höhe von etwa 1.500 m zu steigen, übernahm er in der Annahme, der Angeklagte wolle aus seiner Wasserflasche trinken, alleine das Steuer. Als der Nebenkläger, der neben dem Angeklagten auf dem rechten Vordersitz der Maschine saß, für einen Augenblick durch das rechte Seitenfenster aus dem Flugzeug schaute, nutzte der Angeklagte die Gelegenheit, um unbemerkt den Amethyst aus seiner Tasche zu nehmen. Mit [X.] schlug er sodann unvermittelt mindestens dreimal auf die linke Kopfhälfte des [X.]. Als der Angeklagte bemerkte, dass die Schläge mit [X.] nicht zur Besinnungslosigkeit des [X.] geführt hatten, umklammerte er mit beiden Händen dessen Kopf und fuhr mit seinen Daumen in dessen Augenhöhlen hinein, um die Augen einzudrücken. Der Nebenkläger schob und drückte den Angeklagten mit beiden Händen von sich weg, wobei er die Steuerung loslassen musste. Das Flugzeug ging daraufhin in einen Sturzflug über. Der Angeklagte bemerkte dies und drückte sein [X.] nach vorne, um so den Sturzflug noch zu beschleunigen. Nachdem es dem Nebenkläger nicht gelungen war, einen Notruf abzusetzen, ergriff er während des rasanten Sturzfluges erneut das [X.]. Es gelang ihm auf Grund seiner langjährigen Flugerfahrung, die Kontrolle über das Flugzeug wiederzuerlangen; kurz vor einem Aufschlag auf den Boden konnte er die Maschine nach oben ziehen und so den Absturz verhindern. Der Angeklagte saß während dieses Vorgangs schweigend neben ihm. Bei der darauffolgenden Notlandung brach das Bugrad der Maschine, woraufhin sich das Flugzeug bei einer Geschwindigkeit von etwa 90 km/h überschlug und auf dem Dach liegend zum Stehen kam. Der Nebenkläger erlitt u.a. zahlreiche Hautabschürfungen und Blutergüsse; er war drei Wochen lang nicht flugtauglich.

4

2. Das [X.] hat angenommen, der Angeklagte habe den Nebenkläger heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zu töten versucht. Die Tathandlung erfülle ferner neben einer gefährlichen Körperverletzung auch den Tatbestand des Angriffs auf den Luftverkehr in Tateinheit mit versuchtem [X.] mit Todesfolge. Vom Mordversuch sowie vom Versuch, durch den [X.] den Tod des [X.] zu verursachen, sei der Angeklagte auch nicht strafbefreiend zurückgetreten; der Versuch sei fehlgeschlagen. Die Tathandlung, also die mindestens dreimaligen Schläge auf den Kopf des [X.], seien aus Sicht des Angeklagten objektiv erfolglos gewesen, da der Nebenkläger dadurch nicht bewusstlos geworden sei und auch die Kontrolle über das Flugzeug nicht verloren habe. Auch habe der Angeklagte die Maschine nicht, wie beabsichtigt, durch Betätigung der Steuerung zum Absturz bringen können, da der Nebenkläger das Flugzeug letztlich wieder habe hochreißen und eine Notlandung durchführen können.

II.

5

Die Annahme des [X.]s, der Angeklagte habe schon deshalb nicht strafbefreiend vom Versuch zurücktreten können, weil dieser fehlgeschlagen sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

6

1. Ein fehlgeschlagener Versuch liegt vor, wenn die Tat nach [X.] des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält, wobei es auf die [X.]icht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ankommt. Erkennt der Täter zu diesem Zeitpunkt oder hat er eine entsprechende subjektive Vorstellung dahin, dass es zur Herbeiführung des Erfolges eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 25. November 2004 - 4 [X.], [X.], 263, 264; Urteil vom 8. Februar 2007 - 3 [X.], [X.], 399). Nimmt der Täter - wie im vorliegenden Fall - im Rahmen eines mehraktigen Geschehens verschiedene Handlungen vor (hier Schläge mit [X.], dann Eindrücken der Augenhöhlen und anschließend Betätigen des Steuers zur Beschleunigung des [X.]), steht der Fehlschlag eines oder mehrerer der anfänglichen Einzelakte nicht notwendig und von vornherein einem Rücktritt vom Versuch entgegen. Sind diese Einzelakte untereinander sowie mit der letzten Tathandlung Teile eines durch die subjektive Zielsetzung des [X.] verbundenen, örtlich und zeitlich einheitlichen Geschehens, so beurteilen sich die Fragen, ob der Versuch fehlgeschlagen ist oder ob der strafbefreiende Rücktritt andernfalls allein schon durch das Unterlassen weiterer Tathandlungen (unbeendeter Versuch) oder durch Verhinderung der Tatvollendung (beendeter Versuch) erreicht werden kann, ebenfalls allein nach der subjektiven Sicht des [X.] nach Abschluss seiner letzten Ausführungshandlung ([X.], Urteil vom 8. Februar 2007 - 3 [X.], [X.], 399, Rn. 3).

7

Hält der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des angestrebten Erfolgs zwar zunächst für möglich, erkennt er aber unmittelbar darauf, dass er sich geirrt hat, so erlangt die an der wahrgenommenen Wirklichkeit korrigierte Vorstellung für den „Rücktrittshorizont" maßgebliche Bedeutung mit der Folge, dass der Täter, dessen Handlungsmöglichkeiten unverändert fortbestehen, durch Abstandnahme von weiteren Ausführungshandlungen mit strafbefreiender Wirkung zurücktreten kann (sog. Korrektur des [X.], [X.], Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, [X.]St 36, 224; Senatsbeschluss vom 5. September 2002 - 4 StR 279/02, [X.], 40). Entscheidend ist danach nicht, ob der Angeklagte seinen ursprünglichen [X.] nicht verwirklichen konnte, sondern ob ihm infolge einer Veränderung der Handlungssituation oder aufkommender innerer Hemmungen das Erreichen seines Zieles ohne zeitliche Zäsur nicht mehr möglich erschien. War der Angeklagte aber noch Herr seiner Entschlüsse, hielt er die Ausführung der Tat - wenn auch mit anderen Mitteln - noch für möglich, dann ist der Verzicht auf ein [X.] als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (Senatsbeschluss vom 26. September 2006 - 4 StR 347/06, [X.], 91; vgl. Senatsurteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, [X.], 569 f.).

8

2. Gemessen an diesen Grundsätzen hat das [X.] zwar, im rechtlichen Ansatzpunkt zutreffend, für die Beurteilung eines möglichen strafbefreienden Rücktritts des Angeklagten auf den Zeitpunkt abgestellt, in dem er die Steuerung des Flugzeugs betätigte, um den Sturzflug der Maschine zu beschleunigen. Keine Feststellungen hat das [X.] jedoch dazu getroffen, ob der Angeklagte die Ausführung der Tat, wenngleich mit anderen Mitteln, noch für möglich hielt, nachdem der Nebenkläger das Abstürzen des Flugzeugs zunächst verhindert hatte. Insoweit ist lediglich festgestellt, dass er bis zur Notlandung schweigend neben dem Nebenkläger saß. Danach bleibt insbesondere offen, ob der Angeklagte annahm, es bedürfe noch weiterer Handlungen zur Herbeiführung des von ihm angestrebten Erfolges, deren Ausführung ihm mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln noch möglich sei, was die Annahme eines unbeendeten Versuchs rechtfertigen könnte.

[X.]Franke

                         Bender                         [X.]

Meta

4 StR 367/14

09.09.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt (Oder), 27. Februar 2014, Az: 22 Ks 7/13

§ 24 StGB, § 211 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.09.2014, Az. 4 StR 367/14 (REWIS RS 2014, 3095)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3095

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