Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.03.2013, Az. X S 12/13 (PKH)

10. Senat | REWIS RS 2013, 7489

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Gegenstand

(Keine Verkürzung der Sechs-Monats-Frist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG - Fristbeginn - Verfassungsmäßigkeit der Fristenregelung - Abgrenzung zu § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 GVG - Prüfung des Vorliegens einer unangemessenen Verzögerung nur bei Zulässigkeit der Entschädigungsklage)


Leitsatz

NV: Die Sechs-Monats-Frist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG kann auch nicht ausnahmsweise verkürzt werden .

Tatbestand

1

I. Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe ([X.]) für eine Klage, mit der er Entschädigung in Höhe "ab" 1.200 € erhalten möchte. Er meint, das Verfahren [X.] ([X.]) beim [X.] des [X.] ([X.]) habe zu lange gedauert.

2

Im Finanzgerichtsverfahren stritt der Antragsteller mit der Familienkasse um die Frage, wie das Kindergeld für seine Tochter ausgezahlt wird. Das [X.] ([X.]) verhandelte am 8. August 2012 mündlich. Der Antragsteller wandte sich vornehmlich dagegen, die Kosten des Verfahrens tragen zu sollen.

3

Das [X.] wies die Klage durch Urteil vom 8. August 2012 ab.

4

Der Antragsteller beantragte daraufhin beim [X.] [X.] für eine Beschwerde gegen das Urteil. Dieser Antrag wurde unter [X.] ([X.]) aufgenommen.

5

Die [X.] [X.] stellte dem Antragsteller am 30. November 2012 für das Verfahren vor dem [X.] … € in Rechnung. Am 19. Dezember 2012 erfolgte eine Mahnung.

6

Am 24. Dezember 2012 schrieb der Antragsteller persönlich an den [X.] und gab dem [X.] sowie der [X.] [X.] Kopien zur Kenntnis. Er erhob Verfassungsbeschwerde gegen die Untätigkeit des [X.] in der Sache [X.] ([X.]), [X.] und [X.]. Er habe zeitnah (am 24. August 2012) das [X.]-Formular ausgefüllt und dem [X.] übersandt. Der [X.] hätte innerhalb von zehn Tagen entscheiden müssen. Die Untätigkeit des [X.] bringe schwere Folgen für seine Familie. Die [X.] fordere weiterhin … € ein. Der [X.] möge das Urteil des [X.] aufheben, die Sache zurückverweisen und einen kostenlosen Anwalt ernennen. Nach §§ 198, 201 des Gerichtsverfassungsgesetzes ([X.]) seien wohl 1.200 € angemessen. Es sei nicht in Ordnung, dass die [X.] die Entscheidung des [X.] nicht abwarte.

7

Der [X.] [X.] leitete das Schreiben dem für [X.]n nach §§ 198 ff. [X.] zuständigen [X.] des [X.] zu. Der [X.] teilte mit Schreiben vom 2. Januar 2013 mit, er fasse das Schreiben vom 24. Dezember 2012 noch nicht als [X.], sondern als [X.] nach § 198 Abs. 3 [X.] auf. Zum einen könne eine [X.] gemäß § 198 Abs. 5 [X.] frühestens sechs Monate nach Erhebung der [X.] erhoben werden. Zum anderen bestehe vor dem [X.] gemäß § 62 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) [X.].

8

Mit Schreiben vom 7. Januar 2013 beanstandete der Antragsteller diese Handhabung. Das Gesetz sei nicht richtig angewandt. § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] lasse ausnahmsweise eine kürzere Frist als sechs Monate zu. Da die Beschwerde gegen das Urteil des [X.] innerhalb von zwei Monaten zu begründen sei und ein Anwalt auch einen Monat benötige, hätte über die [X.] schneller entschieden werden müssen. Außerdem habe er beim [X.] bereits am 16. April 2012 [X.] beantragt. Nach § 198 Abs. 5 [X.] könne er nunmehr klagen. Auch sei § 62 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 [X.]O falsch angewandt. Er habe [X.] beantragt, um kostenlos einen Anwalt zu erhalten. Er verstehe nicht, warum es immer noch keinen Beschluss über die [X.] gebe.

9

Am 11. Januar 2013 lehnte der [X.] des [X.] in dem Verfahren [X.] ([X.]) die Bewilligung von [X.] für das Beschwerdeverfahren gegen das Urteil des [X.] ab.

Am 24. Januar 2013 verwarf der [X.] die Verfassungsbeschwerde.

Mit Schreiben vom 30. Januar 2013 an den [X.] beantragte der Antragsteller die aufschiebende Wirkung der Kostenrechnung der [X.] [X.].

Mit einem am 2. Februar 2013 eingegangenen Schreiben nahm der Antragsteller auf seine [X.] und seine [X.] Bezug. Er beantragte, der [X.] möge innerhalb von zehn Tagen 1.200 € an ihn bezahlen, da er für die Beschwerde zum [X.] Zeit bis zum 11. März 2013 habe. Der Beschluss vom 11. Januar 2013 sei zu spät gewesen. Der [X.] hätte spätestens bis zum 8. Oktober 2012 entscheiden müssen.

Dieses Schreiben wurde als [X.] in das Gerichtsregister des [X.] aufgenommen.

Am 18. Februar 2013 stellte die Kostenstelle des [X.] dem Antragsteller für die [X.] eine Verfahrensgebühr in Rechnung.

Am 21. Februar 2013 beantragte der Antragsteller, [X.] zu gewähren, und bat um einen Rechtsanwalt. Ein [X.]-Formular liege dem Gericht bereits vor. Gleichzeitig legte er Erinnerung gegen die Kostenrechnung des [X.] ein.

Entscheidungsgründe

II. Der Antrag ist unbegründet.

Gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Daran fehlt es. Die Klage auf Entschädigung wegen der Dauer des Verfahrens V S 27/12 (PKH) hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Gemäß § 198 [X.] kann unter bestimmten Voraussetzungen für die unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens eine Entschädigung beansprucht werden. Diese Voraussetzungen hat der Antragsteller nicht erfüllt.

a) Nach § 198 Abs. 3 Satz 1 [X.] erhält ein Verfahrensbeteiligter nur Entschädigung, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Verzögerung gerügt hat (Verzögerungsrüge). Nach § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 [X.] kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen [X.] abgeschlossen wird.

Da der Senat in der Korrespondenz mit dem Antragsteller erklärt hat, dass er das Schreiben vom 24. Dezember 2012 als Verzögerungsrüge werte, geht er an dieser Stelle zu Gunsten des Antragstellers von einer wirksamen Verzögerungsrüge aus. Ob in dem primär an den [X.] gerichteten Schreiben eine Verzögerungsrüge "bei" dem [X.] gesehen werden kann und ob bereits Anlass zur Besorgnis verzögerlicher Behandlung bestand, ob mithin tatsächlich eine den genannten Anforderungen genügende Verzögerungsrüge vorlag, kann dahinstehen.

b) Der Antragsteller hat die Frist des § 198 Abs. 5 Satz 1 [X.] nicht abgewartet.

aa) Nach dieser Vorschrift kann eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Wenn das Schreiben vom 24. Dezember 2012 eine Verzögerungsrüge war, so konnte folglich die [X.] frühestens im Juni 2013 erhoben werden. Der Antragsteller hat die Klage jedoch vorzeitig eingereicht. Sie ist daher unzulässig.

bb) Der Antragsteller meint, die sechsmonatige Frist zur Klageerhebung könne gemäß § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] ausnahmsweise kürzer sein.

Das ist unzutreffend.

§ 198 Abs. 3 Satz 2 [X.] befasst sich mit dem [X.]punkt, zu dem eine Verzögerungsrüge erhoben werden kann. Nach § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 [X.] kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn die Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener [X.] abgeschlossen wird (s.o.). Halbsatz 2 regelt, dass eine Wiederholung der Verzögerungsrüge frühestens nach sechs Monaten möglich ist, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Die [X.] des § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] und insbesondere die Ausnahmeregelung beziehen sich folglich nur auf die Wiederholung der Verzögerungsrüge. Sie beziehen sich nicht auf die [X.] selbst.

Die [X.] für die [X.] in § 198 Abs. 5 [X.] ist eine andere Frist. Eine vergleichbare Ausnahmeregelung sieht das Gesetz dafür gerade nicht vor; einen Grund, die Ausnahmeregelung des § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] entsprechend anzuwenden, erkennt der Senat nicht.

cc) Ferner meint der Antragsteller, er habe die sechsmonatige Frist gewahrt, weil er bereits am 16. April 2012 beim [X.] beantragt habe.

Auch das ist unzutreffend. Die [X.] des § 198 Abs. 5 [X.] beginnt, wie unter aa dargestellt, erst mit der Verzögerungsrüge. Sie begann nicht schon mit dem [X.] beim [X.], erst recht nicht mit dem [X.] beim FG.

dd) Die Fristenregelung benachteiligt den Antragsteller nicht in unzumutbarer Weise, so dass kein Anlass besteht, etwa mit Rücksicht auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes an deren Verfassungsmäßigkeit zu zweifeln. Durch das sechsmonatige Zuwarten zwischen Verzögerungsrüge und Klage verliert der Verfahrensbeteiligte keine Rechte.

aaa) Soweit der Antragsteller einwendet, der V. Senat habe über den [X.] in dem Verfahren V S 27/12 (PKH) schneller entscheiden müssen, weil Fristen für die Beschwerde oder Beschwerdebegründung einzuhalten gewesen wären, hat dies nichts mit der gebotenen Frist zwischen Verzögerungsrüge und Klageerhebung zu tun. Es betrifft vielmehr die inhaltliche Frage, ob das Verfahren, dessen Verzögerung er rügt, tatsächlich unangemessen verzögert wurde. Diese Frage kann aber erst geprüft werden, wenn eine zulässige [X.] vorliegt.

bbb) Die Befürchtungen des Antragstellers sind allerdings auch unbegründet.

Dass der V. Senat in dem Verfahren V S 27/12 (PKH) nicht innerhalb von zehn Tagen oder bis zum 8. Oktober 2012 entschieden hatte, führte nicht zu einem [X.]. Hat ein Beteiligter die für die Einlegung eines Rechtsmittels geltende Frist versäumt, weil er wegen Mittellosigkeit keinen Prozessbevollmächtigten beauftragen kann, kann ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (Senatsbeschluss vom 25. Juli 2012 [X.] (PKH), [X.]/NV 2012, 1821). Hätte der [X.] PKH gewährt, wäre also die Versäumung der Frist für die Beschwerde und die Beschwerdebegründung unschädlich gewesen. Nachdem er nicht PKH gewährt hat, kommt es auf diese Fristen nicht mehr an.

2. Der Senat weist darauf hin, dass die vorliegende Entscheidung lediglich den bei ihm gestellten [X.] betrifft. Über die Erinnerung gegen die Kostenrechnung für die [X.] ist damit noch nicht entschieden.

3. Der Senat weist ferner darauf hin, dass die Rechnung der [X.] nicht das vorliegende Verfahren betrifft. Es handelt sich um eine Kostenrechnung für die Vorinstanz. Der [X.] hat über diese Kostenrechnung nicht zu befinden.

4. Das Verfahren betreffend die Bewilligung von PKH ist gerichtskostenfrei.

Meta

X S 12/13 (PKH)

12.03.2013

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

§ 198 Abs 3 GVG, § 198 Abs 5 GVG, Art 19 Abs 4 GG, § 142 Abs 1 FGO, § 114 S 1 ZPO, § 155 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.03.2013, Az. X S 12/13 (PKH) (REWIS RS 2013, 7489)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7489

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