Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.05.2010, Az. X B 192, 193/08, X B 192/08, X B 193/08

10. Senat | REWIS RS 2010, 6763

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Übergehen eines Befangenheitsantrags als Verfahrensmangel


Leitsatz

NV: Bearbeitet das FG einen Befangenheitsantrag nicht und entscheidet es sogleich in der Sache, ist nur dann ein rechtserheblicher Verfahrensmangel gegeben, wenn das Urteil hierauf beruhen kann. Hieran kann es fehlen, wenn der Befangenheitsantrag unzulässig war.

Gründe

1

Der angerufene [X.] hat die [X.]eschwerdeverfahren verbunden. Die [X.]eschwerden haben keinen Erfolg. Die [X.]eschwerdebegründung der Klägerin und [X.]eschwerdeführerin (Klägerin) genügt teilweise nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) an die Darlegung eines [X.] i.S. des § 115 Abs. 2 [X.]O. Im Übrigen liegen keine Gründe für die Zulassung der Revision vor.

2

1. Der [X.] hielt die Verbindung der Verfahren gemäß § 121 i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 1 [X.]O für geboten, weil der Streitstoff in beiden Verfahren im Wesentlichen identisch ist.

3

2. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass die Rechtssache grundsätzliche [X.]edeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) bzw. dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] ([X.]) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternativen 1 und 2 [X.]O).

4

Die Klägerin beanstandet die Gültigkeit der bundesdeutschen Gesetze, insbesondere solcher, die die Steuerpflicht begründen. Sie macht geltend, aus dem Grundgesetz ([X.]) lasse sich keine [X.]erechtigung zur Steuererhebung begründen. Auch sei fraglich, ob das [X.] seinerseits gültig sei. Dieser pauschale Vortrag lässt jegliche Auseinandersetzung mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung des [X.] ([X.]) vermissen. Es fehlt eine eingehende Auseinandersetzung mit dem [X.]eschluss des [X.] vom 21. Dezember 1997  2 [X.]vL 6/95 ([X.]E 97, 117), wonach das [X.] auch nach der [X.] weiterhin Gültigkeit hat. Insbesondere fehlt jegliche Darlegung dazu, welche gewichtigen Einwände in der Rechtsprechung und/oder der Literatur hiergegen erhoben wurden. Gleiches gilt, soweit die Klägerin die Rechtsprechung des [X.] kritisiert, welche die grundsätzliche Gültigkeit der [X.]undesgesetze einschließlich der Steuergesetze bejaht.

5

3. Die Klägerin hat den Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O nicht dadurch dargelegt, dass sie pauschal vorträgt, die angefochtenen Entscheidungen zeigten, dass die damit befassten Juristen parteiisch seien, die Urteile Rechtsmissbrauch erkennen ließen, willkürlich und durch Falschbehauptungen und Täuschungen gekennzeichnet seien. Dieser Vortrag ist unsubstantiiert und daher nicht geeignet, aufzuzeigen, dass die angefochtenen Entscheidungen greifbar gesetzwidrig sind. Gleiches gilt, soweit die Klägerin ohne nähere Darlegungen einen Verstoß gegen zahlreiche Normen des [X.] geltend macht.

6

4. Die Klägerin zeigt ferner nicht in schlüssiger Form auf, dass die angefochtenen Entscheidungen auf Verfahrensfehlern beruhen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O). Soweit sie das Übergehen ihrer [X.]efangenheitsanträge rügt, beruhen die angefochtenen Urteile des Finanzgerichts ([X.]) nicht auf diesem Verfahrensfehler.

7

a) Die Klägerin hat nicht in der erforderlichen Weise dargelegt, dass das [X.] als erkennendes Gericht i.S. des § 119 Nr. 1 [X.]O nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei und deshalb die Entscheidungen nicht durch den gesetzlichen [X.] i.S. von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.] ergangen seien.

8

Ihr Einwand, die Geschäftsverteilungspläne des [X.] für 2007 und 2008 seien nichtig, weil sie im Umlaufverfahren beschlossen worden seien, berücksichtigt nicht den Hinweis in dem von der Klägerin selbst vorgelegten Schreiben des Präsidenten des [X.] vom 7. Mai 2008. Danach seien die Geschäftsverteilungspläne ordnungsgemäß durch das Präsidium des [X.] beschlossen worden. Lediglich die technisch zutreffende Umsetzung in dem jeweiligen Geschäftsverteilungsplan sei gegebenenfalls durch Umlaufbeschluss des Präsidiums bestätigt worden. Der [X.] sieht keine Veranlassung, an der Richtigkeit dieser Darstellung zu zweifeln.

9

Soweit die Klägerin zur [X.]egründung eines Verstoßes gegen § 119 Nr. 1 [X.]O geltend macht, die Liste der ehrenamtlichen [X.] sei manipuliert, die in ihrem Verfahren eingesetzten ehrenamtlichen [X.] seien selektiv und mit dem Ziel, sie zu benachteiligen, ausgewählt worden, ist dies unsubstantiiert. Insbesondere zeigt die Klägerin nicht auf, welche angeblichen Manipulationen sie festgestellt haben will. Soweit sie beanstandet, das [X.] habe ihr mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt, wegen möglicher Verhinderungen von ehrenamtlichen [X.]n könnten sich in der [X.]esetzung noch kurzfristig Änderungen ergeben, um eine Überprüfung der ordnungsgemäßen [X.]esetzung durch die Klägerin zu verhindern, geht dieser Hinweis fehl. Die Klägerin hätte zur mündlichen Verhandlung anreisen können und noch während dieser den Antrag stellen können, die Geschäftsverteilungspläne sowie die Liste der ehrenamtlichen [X.] sowie die gegebenenfalls anzuwendende Vertretungsregelung einzusehen.

b) Soweit die Klägerin geltend macht, das [X.] habe ihren [X.]efangenheitsantrag vom 21. April 2008 nicht bearbeitet und sogleich in der Sache entschieden, war der geltend gemachte Verfahrensmangel für die Entscheidung des [X.] nicht erheblich.

aa) Die Revision darf nur zugelassen werden, wenn das Urteil des [X.] auf dem Verfahrensfehler beruhen kann (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 96). Erheblich ist ein Verfahrensfehler nur dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass das Urteil bei richtigem Verfahren anders ausgefallen wäre. Der [X.] muss daher im Rahmen der Zulassung der Revision prüfen, wie die Entscheidung ausgefallen wäre, wenn das [X.] richtigerweise über den [X.]efangenheitsantrag entschieden hätte.

bb) Im Streitfall beruht die Entscheidung des [X.] nicht auf dem Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O), da der [X.]efangenheitsantrag unzulässig war. Im Ergebnis haben daher die gesetzlichen [X.] in der Sache entschieden.

Die Klägerin hatte in ihrem Schriftsatz an das [X.] vom 21. April 2008 unter anderem vorgetragen: "Die Juristen A, [X.] und [X.] haben am 15.01.2008 im Verfahren 15 K 128/07 ein derart unverständliches grundgesetzwidriges Rechtsverständnis vorgeführt, dass sie unter keinen Umständen mehr gesetzliche [X.] sein können ... Sie sind ... als zum [X.] parteiisch, vorbefasst und nachweislich nicht erkenntnisfähig abgelehnt."

Dieser [X.]efangenheitsantrag war offensichtlich unzulässig. Er war nicht hinreichend substantiiert. Der geltend gemachte Ablehnungsgrund war nicht tragend. Der pauschale Hinweis auf ein angebliches Fehlverhalten ist nicht ausreichend. Kein Ablehnungsgrund ist das Verhalten der [X.] in einem anderen Verfahren. Selbst wenn ein [X.] einen anderen Rechtsstreit zu Ungunsten der [X.]eteiligten entschieden hat, ist dies kein Ablehnungsgrund (vgl. Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 51 Rz 32, 49, 56). Es ist daher davon auszugehen, dass die Entscheidung auch bei Vermeidung des Verfahrensfehlers nicht anders ausgefallen wäre. Das [X.] hätte den [X.]efangenheitsantrag als erfolglos zurückgewiesen. Das Verfahren konnte deshalb nicht anders ausgehen als geschehen.

cc) Ein absoluter Revisionsgrund i.S. des § 119 [X.]O liegt nicht vor.

Das Gericht war tatsächlich vorschriftsmäßig besetzt. Ein [X.]esetzungsmangel i.S. des § 119 Nr. 1 [X.]O kommt nur dann in [X.]etracht, wenn an der Entscheidung ein erfolglos abgelehnter [X.] mitgewirkt hat, sofern die Zurückweisung des [X.] willkürlich war (Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 119 Rz 5a, 6). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil das Ablehnungsgesuch wie oben dargelegt unzulässig war.

[X.]estätigt wird diese Einschätzung durch den [X.]eschluss des [X.] vom 22. Januar 1962  2 [X.]vR 36/60 ([X.]E 11, 1). Nach dieser Entscheidung ist Art. 101 Abs. 1 Satz 2 [X.] nur dann verletzt, wenn willkürliche Erwägungen für die [X.]estimmung des entscheidenden [X.]s maßgebend sind. Dieser Grundsatz gelte auch dann [X.] das [X.]--, wenn ein Gericht über ein unzulässiges oder offensichtlich unbegründetes Ablehnungsgesuch nicht entschieden habe. Dafür, dass in jenem Fall der [X.]undesgerichtshof aus willkürlichen Erwägungen über das Ablehnungsgesuch des [X.]eschwerdeführers hinweggegangen sei, lägen jedoch nicht die geringsten Anhaltspunkte vor. Auch in den Streitfällen fehlen entsprechende Hinweise.

Die Voraussetzungen des § 119 Nr. 2 [X.]O liegen ebenfalls nicht vor. Danach müsste ein [X.] mitgewirkt haben, der wegen [X.]esorgnis der [X.]efangenheit mit Erfolg abgelehnt war. Die Vorschrift knüpft ausdrücklich an den Erfolg der Ablehnung an ([X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 119 [X.]O Rz 35). Hieran fehlt es in den Streitfällen.

dd) Der angerufene [X.] kann dahinstehen lassen, ob er sich den Ausführungen im [X.]eschluss des [X.] vom 12. Dezember 2005 XI [X.] 4/05 ([X.]/NV 2006, 1301) inhaltlich in vollem Umfang anschließen könnte. Dem Fall lag ein abweichender Sachverhalt zugrunde. Im Fall des [X.]eschlusses XI [X.] 4/05 war über ein Ablehnungsgesuch zwar entschieden, der [X.]eschluss aber nicht bekannt gegeben worden. Die Kläger konnten daher die Willkürlichkeit der Verwerfung des [X.] nicht prüfen.

ee) Auch der [X.]eschluss des [X.] vom 2. Juni 2005  2 [X.]vR 625/01 u.a. ([X.] 2005, 3410) betraf eine andere Konstellation. In diesem Fall waren im Unterschied zu den vorliegenden Streitfällen [X.]efangenheitsanträge grob fehlerhaft als unzulässig verworfen worden.

c) Soweit die Klägerin rügt, das [X.] habe ihren Schriftsatz an das [X.] vom 21. April 2008 nicht berücksichtigt, den Tatbestand im Urteil nur verkürzt wiedergegeben und das rechtliche Gehör verletzt, zeigt sie nicht in schlüssiger Weise einen Verfahrensfehler auf. Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich nicht, welches konkrete Vorbringen angeblich unberücksichtigt geblieben ist und dass es unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Gerichts möglicherweise zu abweichenden Entscheidungen geführt hätte.

d) Auch die Rüge der Klägerin, das [X.] habe die beiden Streitsachen zunächst verbunden, dann aber später wieder getrennt und durch zwei Urteile entschieden, um ihr höhere Kosten auferlegen zu können, zeigt keinen Verfahrensfehler auf. Verhandelt wie in den Streitsachen ein Gericht in der mündlichen Verhandlung mehrere Verfahren gleichzeitig, dann liegt regelmäßig keine Verbindung i.S. des § 73 Abs. 1 Satz 1 [X.]O vor. Vielmehr handelt es sich um eine rechtlich zulässige, der tatsächlichen Vereinfachung dienliche vorübergehende Maßnahme ([X.]-[X.]eschluss vom 24. Oktober 1979 [X.]/78, [X.]E 129, 111, [X.]St[X.]l II 1980, 105). Mangels einer Verbindung im genannten Sinne, stellt sich in einem solchen Fall die Frage einer späteren Trennung der Verfahren i.S. des § 73 Abs. 1 Satz 1 [X.]O nicht. Ausweislich der Akten des [X.] hat das [X.] auch keinen Trennungsbeschluss gefasst.

Meta

X B 192, 193/08, X B 192/08, X B 193/08

11.05.2010

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 28. April 2008, Az: 15 K 186/07, Urteil

§ 57 Abs 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 1 FGO, § 119 Nr 2 FGO, § 73 Abs 1 S 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.05.2010, Az. X B 192, 193/08, X B 192/08, X B 193/08 (REWIS RS 2010, 6763)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6763

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX B 15/21 (Bundesfinanzhof)

Ablehnung eines "coronabedingten" Terminsverlegungsantrags


X B 5/14, X B 6/14, X B 5/14, X B 6/14 (Bundesfinanzhof)

(Nichtzulassungsbeschwerde: Nichtgewährung von Akteneinsicht und abgelehnter Befangenheitsantrag als Verfahrensfehler - Behaupteter Fehler des Finanzamtes kein …


I B 83/09 (Bundesfinanzhof)

Mitwirkung von Richtern an der Gerichtsentscheidung, wenn mehrere mündliche Verhandlungen an verschiedenen Terminstagen stattfinden - …


III B 91/10 (Bundesfinanzhof)

(Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache und höhere Gewalt i.S. des § 110 Abs. 3 AO - …


IX B 16/21 (Bundesfinanzhof)

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Beschluss vom 22.10.2021 IX B 15/21 - Ablehnung eines "coronabedingten" Terminsverlegungsantrags)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 BvL 6/95

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.