Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.09.2017, Az. III ZR 71/17

III. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 5646

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:070917U[X.]71.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
III ZR 71/17

Verkündet am:

7. September 2017

A n k e r

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja

Einl Pr ALR §§ 74, 75

Der allgemeine Aufopferungsanspruch wegen eines hoheitlichen Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit ist nicht auf den Ersatz materieller Schäden begrenzt, sondern umfasst auch nichtvermögensrechtliche Nachteile des Be-troffenen (Aufgabe der früheren Senatsrechtsprechung, Urteil vom 13. Februar 1956 -
III ZR 175/54, [X.], 61, 68 ff).

[X.], Urteil vom 7. September 2017 -
III ZR 71/17 -
[X.] am Main

[X.]

-

2

-

Der III.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
7. September 2017
durch [X.] [X.],
[X.] und [X.] sowie die Richterinnen [X.] und Dr. Arend

für Recht erkannt:

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 26.
Januar 2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des [X.] gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des [X.] vom 26. November 2014 zurückgewiesen worden ist.

In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger verlangt vom beklagten Land Ersatz materiellen und immate-riellen Schadens wegen eines Polizeieinsatzes, bei welchem er durch Anwen-dung unmittelbaren Zwangs im Rahmen einer Maßnahme zur Identitätsfeststel-lung (§
163b Abs.
1 StPO) eine Schulterverletzung erlitt. Die Parteien streiten, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, darum, ob ein [X.] auf Entschädigung aus Aufopferung auch Schmerzensgeld umfasst.
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Das [X.] hat dem Kläger
Ersatz des geltend gemachten materiel-len Schadens zuerkannt, die Klage hinsichtlich der Schmerzensgeldforderung
und des Anspruchs auf Freistellung von hierauf entfallenden vorgerichtlichen
Rechtsanwaltskosten jedoch abgewiesen. Die hiergegen von beiden Parteien eingelegten Rechtsmittel haben keinen Erfolg gehabt. Gegen das Berufungsur-teil
richtet sich die Revision
des [X.], die das [X.] zu seinen Gunsten zugelassen hat.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt, soweit zum Nachteil des [X.] erkannt worden ist, zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das [X.] ist in Übereinstimmung mit dem [X.] da-von ausgegangen, dass dem Kläger kein Schmerzensgeld zusteht
(Urteil vom 26. Januar 2017 -
1 U 31/15, juris). Zwar umfasse der Anspruch auf Entschädi-gung aus Aufopferung [X.] durch hoheitliche Eingriffe in nicht vermö-genswerte Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Freiheit.
Jedoch sei die Entschädigung
nach der Rechtsprechung des [X.]
auf die aus dem Eingriff resultierenden vermögensrechtlichen Nachteile beschränkt und umfasse damit kein
Schmerzensgeld. Diese Rechtsprechung sei auch nicht aufgrund der zum 1.
August 2002 in [X.] getretenen Regelung in §
253 Abs.
2 [X.] überholt. Zwar gelte nunmehr im Rahmen des [X.], 2
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dass unter anderem bei einer Körperverletzung auch wegen
des Schadens, der nicht
Vermögensschaden sei, eine billige Entschädigung in Geld gefordert wer-den könne. Der Anspruch aus Aufopferung sei aber kein Anspruch auf [X.], sondern nur auf billige beziehungsweise angemessene Entschädi-gung
gerichtet. Wegen dieses strukturellen Unterschieds könne §
253 Abs.
2 [X.] auch nicht analog angewandt werden. Andere Anspruchsgrundlagen auf Zahlung eines Schmerzensgeldes schieden
aus, wie das [X.], dessen diesbezügliche Ausführungen mit der Berufung auch nicht angegriffen worden seien, zutreffend festgestellt habe.

II.

Soweit das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem [X.] angenommen hat, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Aufopfe-rungsanspruchs dem Grunde nach gegeben sind und andere Anspruchsgrund-lagen nicht in Betracht kommen, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und wird auch von keiner der Parteien in Frage gestellt. [X.] ist damit, ob der allgemeine Aufopferungsanspruch wegen eines hoheitlichen Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit auf den Ersatz materieller Schäden begrenzt ist. Insoweit hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung, die eine solche Begrenzung annimmt,
nicht mehr fest.

1.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 13.
Februar 1956 (III
ZR 175/54, [X.], 61, 68
ff) seine frühere Auffassung im Wesentlichen wie folgt [X.]:

Die Rechtsordnung und insbesondere das Schadensersatz-
und Ent-schädigungsrecht seien beherrscht von dem in §
253 [X.] festgelegten Grund-5
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satz, dass ein Ausgleich in Geld nur für vermögensrechtliche (materielle) Ein-bußen verlangt werden könne. Nur ganz ausnahmsweise gewähre das Gesetz in §§
847, 1300 [X.] (a.F.) eine billige Entschädigung auch wegen des [X.]. Es handele sich hierbei um Tatbestände, in denen durch ein -
vermeidbares
-
schuldhaftes Verhalten einem [X.] zugefügt [X.] sei, und in diesen Fällen liege die ausnahmsweise für den Schädiger im Gesetz normierte Verpflichtung
zur Entschädigungsleistung über den vermö-gensrechtlichen Schaden hinaus entscheidend mitbegründet in dem Gedanken der Genugtuung, die der Schädiger dem Verletzten schulde. Dementsprechend habe der Gesetzgeber bei allen sonstigen Haftungstatbeständen, die ein [X.] nicht voraussetzten und bei denen infolgedessen auch der [X.] keine entscheidende Rolle spielen könne, insbesondere bei der sogenannten Gefährdungshaftung, davon abgesehen, dem Geschädigten einen Ausgleich für immaterielle Schäden zu gewähren. Von dem Grundsatz, dass nur für vermögensrechtliche Nachteile Entschädigung zu gewähren sei, gingen auch die [X.] Bestimmungen der §§
74, 75 [X.]
aus, auf die das auch für die Gebiete außerhalb des [X.] anerkannte und gewohn-heitsrechtlich fortgebildete Rechtsinstitut des allgemeinen Aufopferungsan-spruchs zurückgehe. Dementsprechend sei auch in allen Fällen, in denen [X.] in der Vergangenheit eine besondere gesetzliche Rege-lung erfahren hätten, von einer Entschädigung für nicht vermögensrechtliche Nachteile abgesehen worden. Aus all dem müsse auf den Willen des [X.] geschlossen werden, dass eine Entschädigung für immaterielle [X.] nur in den ausdrücklich normierten Sonderfällen der §§
847, 1300 [X.]
(a.F.) gewährt werden könne, im Übrigen aber -
insbesondere auch bei Vorlie-gen von Aufopferungstatbeständen
-
Schadensersatz und Entschädigung auf den Ausgleich vermögensrechtlicher Nachteile beschränkt bleiben solle. Zwar werde
die Schutzwürdigkeit
des Lebens und der Gesundheit und ebenso der -

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Freiheit von der Rechtsordnung besonders betont, indem das Grundgesetz in Art.
2 neben dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit das Recht des Einzelnen auf Leben und körperliche Unversehrtheit und die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person als verfassungsmäßig geschützte Grundrechte aus-drücklich garantiere. Dies
rechtfertige angesichts der
Gesetzeslage aber nicht, die zu gewährende billige Entschädigung unter Einschluss immaterieller Nach-teile zu bestimmen. Vielmehr müsse es dem Gesetzgeber überlassen bleiben, aus der in der Verfassung zum Ausdruck kommenden Ordnung der Werte der einzelnen [X.] gegebenenfalls Folgerungen für eine andersartige Re-gelung des Entschädigungsrechts zu ziehen und den in §
253 [X.] normierten Grundsatz, der
nicht mehr allseits befriedigen könne, zu verlassen.

An dieser Auffassung hat der Senat in der Folgezeit in seiner älteren Rechtsprechung festgehalten (vgl. nur Urteile vom 15. Oktober 1956 -
III ZR 226/55, [X.], 43, 48, 50; vom 3.
November 1958 -
III
ZR 139/57, [X.], 297, 301; vom 31.
Januar 1966 -
III
ZR 118/64, [X.], 58, 77; vom 6. Juni 1966 -
III ZR 167/64, NJW 1966, 1859, 1861, insoweit in [X.], 290 nicht abgedruckt; vom 8.
Juli 1971 -
III
ZR 67/68, NJW 1971, 1881, 1883 und vom 27. Mai 1993 -
III ZR 59/92, [X.], 363, 368). Im Schrifttum wird diese Se-natsrechtsprechung
regelmäßig ohne nähere Erörterung wiedergegeben
(vgl. nur
BeckOGK/Dörr
[X.] § 839 Rn. 1199 [Stand 1. Juli 2017]; [X.]/[X.], [X.], 76. Aufl., Überbl. v. § 903 Rn. 16; [X.] in [X.], [X.], [X.] 2017, [X.] zu §§ 249 ff Rn. 20; [X.]/[X.]/Schwall, Praxishand-buch des Amts-
und Staatshaftungsrechts, 2. Aufl., Rn. 365), teilweise aber auch eine Abkehr von der als überholt angesehenen Rechtsprechung gefordert (vgl.
Ossenbühl/[X.], Staatshaftungsrecht, 6. Aufl., [X.]; MüKo[X.]/
[X.], 7. Aufl., § 253 Rn. 20; siehe auch [X.], NVwZ-RR 2014, 142, 143).
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2.
Die im Urteil vom 13.
Februar 1956 dargestellte Gesetzeslage hat sich zwischenzeitlich grundlegend geändert. Von einem Willen des Gesetzgebers, die Ersatzpflicht im Schadensersatz-
und Entschädigungsrecht bei Eingriffen in immaterielle Rechtsgüter wie Leben, Freiheit oder körperliche Unversehrtheit grundsätzlich auf Vermögensschäden zu beschränken, kann nicht mehr ausge-gangen
werden.

a) Durch Art.
2 Nr.
2 des [X.] zur Änderung schadenser-satzrechtlicher Vorschriften vom 19.
Juli 2002 ([X.]l.
I 2674) ist §
253 [X.] -
die bisherige Regelung

ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen -
durch Einfügung eines Absat-zes
2 in der Form geändert worden, dass dann, wenn wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten ist, auch wegen des Schadens, der [X.] ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden kann. Hiermit wurde
-
wie es im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 7.
Dezem-ber 2001 (BT-Drucks. 14/7752 S.
1) heißt
-
ein allgemeiner Anspruch auf Schmerzensgeld eingeführt, der über die bereits erfasste außervertragliche Verschuldenshaftung hinaus auch die Gefährdungshaftung und die Vertragshaf-tung mit einbezieht. Zur Begründung (aaO S. 11, 14) wurde unter anderem [X.] hingewiesen, dass die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches, die das Recht der unerlaubten Handlungen und des Schadensersatzes regelten, seit dessen Inkrafttreten zum 1.
Januar 1900 nahezu unverändert geblieben seien. Zwar sei es der Rechtsprechung aufgrund des hohen Abstraktionsgrades der Vorschriften möglich gewesen, durch entsprechende Auslegung, aber auch durch richterliche Rechtsfortbildung, eine Reihe von Anpassungen an die ge-9
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wandelten Verhältnisse vorzunehmen. Dieser Weg sei jedoch dort an Grenzen gestoßen, wo das Gesetz selbst Entscheidungen vorgegeben habe. Im Laufe der [X.] habe sich zunehmend deutlicher gezeigt, dass manche dieser [X.] zum Schadensersatzrecht nur noch schwer mit den heutigen Verhältnissen und Wertvorstellungen in Übereinstimmung zu bringen seien. Es entstünden Haftungslücken, auch [X.], die dieses Gesetz [X.] wolle. Dies gelte auch für
den Ersatz des immateriellen Schadens bei Körper-
und Gesundheitsverletzungen, der nach geltendem Recht grundsätzlich nur im Rahmen außervertraglicher Verschuldenshaftung gewährt werde, ob-wohl er unter Ausgleichsgesichtspunkten bei der Gefährdungs-
und [X.] gleichermaßen in Betracht komme. Durch die Neuregelung werde nunmehr ein einheitlicher und übergreifender Anspruch auf Schmerzensgeld bei Verletzungen von Körper, Gesundheit, Freiheit oder sexueller Selbstbestim-mung geschaffen, der nicht mehr
danach unterscheide, auf welchem Rechts-grund die Haftung für die Verletzung beruhe.

b) Durch diese Neuregelung hat der Gesetzgeber den bisher in §
253 [X.] normierten Grundsatz, auf den der Senat sein Urteil vom 13.
Februar 1956 wesentlich gestützt hat, verlassen. Nunmehr kann im Schadensersatzrecht bei Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schmerzensgeld verlangt werden. Auch soweit der Senat in diesem Zusammenhang auf die Verschuldenshaftung und den Gedanken der Genugtuung abgestellt hatte, ist dieser Argumentation nach der Einbeziehung der Gefährdungshaftung in die Änderung des [X.] die [X.] entzogen, abgesehen davon, dass der Gedanke der Genugtuung
regel-mäßig nur bei besonderen Fallgestaltungen eine Rolle spielt, während für
die
Bemessung des Schmerzensgeldes der Entschädigungs-
oder [X.] im Vordergrund steht
(vgl. nur [X.], Beschluss vom 16.
September 2016
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VGS 1/16, [X.], 180 Rn.
48 f
mwN; siehe auch Begründung der [X.] zum
Entwurf des [X.] zur Änderung schadenser-satzrechtlicher Vorschriften, [X.]. 14/7752 S. 15).

c) Auch im Bereich der vom Senat in seinem Urteil vom 13. Februar 1956 zitierten spezialgesetzlichen Regelungen haben sich Änderungen ergeben. Während zum Beispiel in §
2 Abs.
1 des Gesetzes betreffend die Entschädi-gung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen vom 20.
Mai 1898 ([X.]. 345) sowie in §
3 Abs.
1 des Gesetzes betreffend die Ent-schädigung für
unschuldig erlittene Untersuchungshaft vom 14.
Juli 1904 ([X.]. 321) nur für Vermögensschäden eine Haftung vorgesehen war, enthält nunmehr §
7 Abs.
1 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfol-gungsmaßnahmen ([X.]) vom 8.
März 1971 ([X.]l.
I S.
157) eine Regelung, wonach im Falle der Freiheitsentziehung aufgrund gerichtlicher Entscheidung auch der Schaden zu ersetzen ist, der [X.] ist. Die Polizei-
und Ordnungsgesetze der Länder -
neben dem beklagten Land (§ 65 Abs. 2 H[X.]) unter anderem [X.] (§ 60 Abs. 2 [X.]), [X.] (§ 81 Abs. 2
Nds. [X.]), [X.] (§
69 Abs. 2 POG), [X.] (§ 69 Abs. 2 SPolG),
Sachsen

53
Abs.
2 [X.]), [X.] (§ 70 Abs. 2 [X.] LSA) und [X.] (§ 69 Abs.
2 [X.]) -
enthalten inzwischen vielfach Rege-lungen zum Ersatz auch des immateriellen Schadens
bei der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit oder bei einer Freiheitsentziehung
(zu letzterem siehe auch
Bayern in Art. 70 Abs. 7 Satz 2
[X.] und [X.] in § 57 Abs. 1 Satz 2 BremPolG).

d) Nur ergänzend ist auch auf die Regelung in § 198 GVG (zu deren Ein-ordnung als staatshaftungsrechtlicher Anspruch sui generis, als Aufopferungs-anspruch oder als prozessuale Risikohaftung siehe [X.], NJW 2015, 2554, 12
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2555 ff)
hinzuweisen, die im Rahmen der angemessenen Entschädigung für überlange Verfahrensdauer auch Ersatz für immaterielle Nachteile kennt.

e) Vor diesem Hintergrund kann -
auch wenn es weiterhin in Teilberei-chen spezialgesetzliche Bestimmungen gibt, in denen die Rechtsfolgen aufop-ferungsrechtlicher Tatbestände anders als in den vorerwähnten Bestimmungen geregelt sind (vgl. etwa für Impfschäden die versorgungsrechtliche Lösung in §
60 [X.] iVm den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes) -
die Annah-me des Senats in seinem Urteil vom 13.
Februar 1956, das Schadensersatz-
und Entschädigungsrecht sei
von dem Willen des Gesetzgebers geprägt, Er-satzleistungen grundsätzlich auf Vermögensschäden zu beschränken, sodass auch der Umfang der Entschädigung aus Aufopferung nur unter Ausschluss des Schmerzensgeldes bestimmt werden könne, nicht mehr aufrechterhalten wer-den.

3.
Eine solche Beschränkung folgt auch nicht aus der Natur des öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs.

a) Dieser Anspruch hat sich gewohnheitsrechtlich gemäß dem in § 75 [X.] (1794) enthaltenen Rechtsgrundsatz entwickelt. Nach dieser Bestim-mung ist der Staat gehalten, denjenigen zu entschädigen, der seine besonde-ren Rechte und Vorteile dem Wohl des Gemeinwesens aufzuopfern genötigt wird. Der Grundsatz, der in dieser Vorschrift seinen gesetzlichen Ausdruck ge-funden hat, hat über den Bereich der früheren alt[X.] Provinzen hinaus allgemeine Geltung erlangt (vgl. nur Senat, Urteil vom 19. Februar 1953 -
III ZR 208/51, [X.]Z 9, 83, 85 f). Allerdings wurde vormals in der Rechtsprechung (vgl. nur [X.], 298, 301
f; 156, 305, 310) der
Ausgleich für [X.] dahingehend eingeschränkt, dass er nur für Eingriffe des Staates in das Eigen-14
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-

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-

tum beziehungsweise vermögenswerte Rechte, nicht dagegen für Personen-schäden -
wie Verletzungen der Gesundheit oder des Lebens -
in Betracht kommt. Dieser im Wesentlichen auf die [X.] Kabinetsorder vom 4.
Dezember 1831 (Gesetz-Sammlung für die [X.], S.
255, 257) gestützten, den Rechtsgrundsatz des § 75 [X.] begrenzenden Auffassung ist der Senat allerdings in ständiger Rechtsprechung nicht gefolgt (vgl. nur Urteil vom 19. Februar 1953 aaO [X.] ff; siehe auch bereits
Urteil vom 14. Juli 1952 -
III ZR 95/51, [X.]Z 7, 96, 99 f). Vielmehr ist auch ein Sonderop-fer, das der Einzelne an immateriellen Rechtsgütern zum Wohl der [X.] zu erbringen genötigt wird, zu ersetzen (vgl. Senat, Urteil vom 19. Februar 1953 aaO S. 88
f).
Bei einem hoheitlichen Eingriff in die körperliche Unver-sehrtheit besteht das [X.] aber nicht nur in den daraus folgenden mate-riellen, sondern auch in den daraus folgenden immateriellen Nachteilen.

b) Ein Ausschluss des Schmerzensgeldes folgt auch nicht aus dem [X.], dass der allgemeine Aufopferungsanspruch kein Schadensersatzan-spruch
im Sinne der §§ 249 ff [X.]
ist. Der Anspruch aus Aufopferung geht auf Leistung eines angemessenen beziehungsweise billigen Ausgleichs
für das dem Betroffenen hoheitlich auferlegte [X.] (vgl. nur Senat, Urteile vom 23.
Oktober 1952 -
III
ZR 231/51, [X.]Z 7, 331, 334; vom 15.
Oktober 1956
-
III
ZR 226/55, [X.], 43, 48; vom 3.
November 1958 -
III
ZR 139/57, [X.], 297, 301 und vom 31.
Januar 1966 -
III
ZR 118/64, [X.], 58, 77). Der Anspruch auf Entschädigung kann
insoweit
-
wie in der Senatsrechtsprechung verschiedentlich im Zusammenhang mit Vermögensschäden ausgeführt worden ist (vgl. nur Urteil
vom 23.
Oktober 1952 aaO; siehe
auch [X.], Beschluss vom 10. Juni 1952 -
GSZ 2/52, [X.]Z 6, 270, 293, 295) -
zwar im Einzelfall darin bestehen, dem Geschädigten vollen Schadensersatz zuzubilligen, aber die Kri-terien der Angemessenheit und Billigkeit können auch Einschränkungen [X.]
-

12

-

fertigen. Insoweit ist
der Aufopferungsanspruch -
anders als grundsätzlich der Anspruch auf Schadensersatz -
nicht seiner Natur nach auf restlosen Ersatz
gerichtet. Dieser Unterschied, auf den im Übrigen der Senat in seinem Urteil vom 13.
Februar 1956 auch nicht abgestellt hat, hat jedoch keinen
inhaltlichen
Bezug zu der Frage, ob
die Aufopferungsentschädigung
auf vermögenswerte Nachteile
beschränkt ist. Die für den Umfang der Entschädigung maßgebliche Angemessenheit und Billigkeit besagt nichts darüber, welche Arten von [X.] von dem Anspruch erfasst sind.

c)
Zu Unrecht verweist das beklagte Land für seine gegenteilige Rechts-auffassung auf das
Urteil des V.
Zivilsenats vom 23. Juli 2010 ([X.], NJW 2010, 3160). Diese Entscheidung betrifft den Anspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 [X.]. Insoweit handelt es sich um eine
aus dem Grundstückseigentum
abgeleitete Forderung, die
dem Interessenausgleich zwischen Nachbarn dient und auf dem Gedanken von Treu und Glauben im nachbarlichen Gemein-schaftsverhältnis beruht (vgl. [X.] aaO Rn. 7 f). Dieser Anspruch umfasst kein Schmerzensgeld. Der V. Zivilsenat (aaO Rn. 9) hat insoweit auch eine analoge Anwendung des § 253 Abs. 2 [X.] mit der Begründung abgelehnt, § 906 Abs. 2 Satz 2 [X.] sei kein Schadensersatzanspruch.

Soweit das beklagte Land hieraus ableiten will, dass auch im vorliegen-den Fall Schmerzensgeld
nicht in Betracht komme, weil der allgemeine Aufop-ferungsanspruch für hoheitliche Eingriffe in nichtvermögenswerte Rechtsgüter ebenfalls kein Schadensersatzanspruch sei, ist dem entgegenzuhalten, dass es hier nicht um die Frage einer analogen Anwendung des § 253 Abs. 2 [X.], sondern darum geht, ob die
billige und angemessene Entschädigung für ein im Zusammenhang mit einem hoheitlichen Eingriff in die körperliche Unversehrt-heit erbrachtes [X.] von vorneherein nur materielle und keine immate-18
19
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13

-

riellen Nachteile erfasst.
Diese Frage ist aber -
soweit keine (spezial)gesetz-lichen
Begrenzungen bestehen -
aus den vorstehenden Gründen zu verneinen.

III.

Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben (§
562 Abs.
1 ZPO) und die Sache, da es weiterer tatrichterlicher Feststellungen zur Bemes-sung des Aufopferungsanspruchs bedarf, an das [X.] zurückzu-verweisen (§
563 Abs.
1 Satz
1 ZPO).

[X.]

[X.]

[X.]

[X.]
Arend
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 26.11.2014 -
5 [X.]/13 -

[X.] am Main, Entscheidung vom 26.01.2017 -
1 U 31/15 -

20

Meta

III ZR 71/17

07.09.2017

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.09.2017, Az. III ZR 71/17 (REWIS RS 2017, 5646)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5646

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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