Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.09.2014, Az. III R 56/13

3. Senat | REWIS RS 2014, 2595

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Gegenstand

Reichweite eines Verpflichtungsurteils in Kindergeldangelegenheiten


Leitsatz

NV: Hebt das Finanzgericht einen in vollem Umfang angegriffenen Bescheid der Familienkasse auf, mit dem diese die Kindergeldfestsetzung "ab" einem bestimmten Monat abgelehnt hat, und spricht es die Verpflichtung der Familienkasse aus, Kindergeld "ab" dem betreffenden Monat festzusetzen, ist davon auszugehen, dass das Finanzgericht nicht über den durch die Einspruchsentscheidung umfassten Regelungszeitraum hinaus entschieden hat, sofern sich nicht aus dem Urteil etwas anderes ergibt .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist der Vater seiner im August 2004 geborenen [X.]ochter ([X.]), die bei der Kindesmutter in [X.] lebt.

2

Mit am 4. Juni 2012 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) eingegangenem Antrag begehrte der Kläger Kindergeld für [X.] Durch Bescheid vom 30. Oktober 2012 und Einspruchsentscheidung vom 26. März 2013 wurde der Antrag des [X.] abgelehnt. Die Ablehnung erfolgte mit der Begründung, dass unter mehreren Anspruchsberechtigten nach § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes derjenige vorrangig berechtigt sei, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe. [X.] sei indessen nicht in den Haushalt des [X.], sondern in den der Kindesmutter aufgenommen.

3

Mit der hiergegen gerichteten Klage begehrte der Kläger Kindergeld ab Juni 2012. Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage in vollem Umfang statt und verpflichtete die Familienkasse, "ab Juni 2012 Kindergeld in der gesetzlichen Höhe zu gewähren". In den Entscheidungsgründen führte das [X.] u.a. aus, dass die Frage, ob dem Kläger auch für den Zeitraum von September 2010 bis Mai 2012 Kindergeld zustehe, nicht Streitgegenstand des Verfahrens sei, da der Kläger ausdrücklich nur Kindergeld ab Juni 2012 beantragt habe.

4

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine Verletzung des § 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Das [X.] habe die Familienkasse zu Unrecht verpflichtet, dem Kläger "ab Juni 2012" Kindergeld zu gewähren. Eine Verpflichtung der Familienkasse zur [X.] hätte nur für den Zeitraum Juni 2012 bis März 2013 ausgesprochen werden dürfen. Für den Zeitraum ab April 2013 hätte die Klage als unzulässig abgewiesen werden müssen.

5

Die Familienkasse beantragt, das [X.]-Urteil insoweit aufzuheben, als Zeiträume ab April 2013 betroffen seien und die Klage insoweit als unzulässig abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

7

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 i.V.m. § 121 [X.]O).

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O).

9

1. Nach § 44 Abs. 1 [X.]O ist in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, die Klage --vorbehaltlich der §§ 45 und 46 [X.]O-- nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist.

a) Die Prüfung der Frage, ob das Vorverfahren ganz oder teilweise erfolglos geblieben ist, setzt voraus, dass der Verfahrensgegenstand des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens und der Streitgegenstand des Klageverfahrens in objektiver und subjektiver Hinsicht übereinstimmen (vgl. z.B. Urteile des [X.] --BFH-- vom 16. November 1984 VI R 176/82, [X.], 27, [X.] 1985, 266 zu einem Fall mangelnder Übereinstimmung in objektiver Hinsicht; vom 24. April 2007 I R 33/06, [X.], 2236 zu einem Fall mangelnder Übereinstimmung in subjektiver Hinsicht; vgl. auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 44 [X.]O Rz 176 ff.; von [X.] in [X.], [X.]O § 44 Rz 93 ff.).

b) Den (objektiven) Umfang des Verfahrensgegenstands des [X.] bei einem nicht eingeschränkten Einspruch gegen einen von der Familienkasse erlassenen Ablehnungsbescheid hat der [X.] im Urteil vom 4. August 2011 III R 71/10 ([X.], 203, [X.] 2013, 380) näher definiert. Danach umfasst das Einspruchsverfahren als fortgesetztes Verwaltungsverfahren bei einem Ablehnungsbescheid, der sich auf den Zeitraum "ab" einem bestimmten Monat (nicht "von ... bis") bezieht, nicht nur die Monate bis zur Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids, sondern --sofern im Einspruchsverfahren eine sachliche Prüfung stattfindet-- auch die Monate bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.

c) Zum Streitgegenstand eines sich hieran anschließenden finanzgerichtlichen Klageverfahrens hat der [X.] entschieden, dass der Anspruch auf Kindergeld grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand einer Inhaltskontrolle gemacht werden kann, in dem die Familienkasse den Kindergeldanspruch geregelt hat (Urteil vom 22. Dezember 2011 III R 41/07, [X.], 144, [X.] 2012, 681). Der zeitliche Regelungsumfang eines Ablehnungsbescheids wird durch die Klageerhebung nicht verändert. Insbesondere ist das gerichtliche Verfahren keine Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens ([X.]surteil in [X.], 144, [X.] 2012, 681). Würde ein Kläger mit seiner Klage über diesen Zeitraum hinaus Kindergeld begehren, wäre sie insoweit unzulässig ([X.]surteil in [X.], 144, [X.] 2012, 681). Soweit der Kläger daher nicht --ggf. trotz eines vom Vorsitzenden gemäß § 76 Abs. 2 [X.]O erteilten Hinweises auf eine zutreffende [X.] ausdrücklich etwas anderes beantragt, ist der Klageantrag nach der recht verstandenen Interessenlage des [X.] dahin auszulegen, dass er nicht über den zulässigen Streitgegenstand hinausgeht ([X.]surteil vom 27. September 2012 III R 70/11, [X.], 116, [X.] 2013, 544).

2. Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] im Streitfall nicht über einen Kindergeldanspruch entschieden, über den noch kein Einspruchsverfahren stattgefunden hat.

a) Da die Familienkasse im Einspruchsverfahren eine sachliche Prüfung des [X.] vorgenommen hat, umfasste der Verfahrensgegenstand des [X.] den Kindergeldanspruch bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.

b) Der Streitgegenstand des Klageverfahrens reichte nicht über den Gegenstand des [X.] hinaus.

aa) Eine Erweiterung des Streitgegenstands ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass der Kläger die Kindergeldgewährung "ab Juni 2012" beantragt hat.

Auch wenn der Kläger mit diesem Antrag nur den Beginn des [X.] bezeichnet hat, war sein Antrag --da der Kläger auch nicht ausdrücklich etwas anderes begehrt hat-- nach dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften dahin auszulegen, dass das Kindergeld bis zum Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung begehrt wird. Folglich bestand --entgegen der Auffassung der [X.] auch kein Anlass für das [X.], die Klage für den nachfolgenden Zeitraum als unzulässig abzuweisen.

bb) Eine Erweiterung des Streitgegenstands lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass das [X.] die Familienkasse im Tenor des Urteils nach § 101 Satz 1 [X.]O zur Kindergeldgewährung "ab Juni 2012" verpflichtet hat.

Die Urteilsformel (§ 105 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) ist ebenfalls der Auslegung zugänglich, wozu erforderlichenfalls auch auf die übrigen [X.] (Tatbestand, Entscheidungsgründe, Antrag des [X.]) zurückgegriffen werden kann ([X.] vom 25. Oktober 2006 VIII B 205/05, juris; Lange in [X.], § 105 [X.]O Rz 25, § 110 [X.]O Rz 54, jeweils m.w.[X.]). Insoweit ist im Streitfall nicht davon auszugehen, dass das [X.] mit der Tenorierung "ab Juni 2012" eine ab Juni 2012 in alle Zukunft gerichtete Verpflichtung zur Kindergeldfestsetzung ausgesprochen hat. Vielmehr ergibt sich aus den Entscheidungsgründen, dass das [X.] sich im Rahmen des Antrags des [X.] gehalten und nicht über den von der Familienkasse geregelten Zeitraum hinaus entschieden hat. Der Hinweis des [X.], wonach die Frage, ob dem Kläger auch für den Zeitraum zwischen September 2010 und Mai 2012 Kindergeld zustehe, wegen eines entsprechend ausdrücklich beschränkten Klageantrags nicht streitgegenständlich sei, bezieht sich nur auf den Zeitraum vor Juni 2012. Aus ihm ergibt sich indessen nicht, dass das [X.] hinsichtlich des Zeitraums ab Juni 2012 unbeschränkt geprüft und über den Gegenstand des [X.] hinaus entschieden hat.

3. [X.] folgt aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

III R 56/13

25.09.2014

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 8. Oktober 2013, Az: 10 K 1395/13 Kg, Urteil

§ 44 Abs 1 FGO, § 101 S 1 FGO, § 105 Abs 2 Nr 3 FGO, § 133 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.09.2014, Az. III R 56/13 (REWIS RS 2014, 2595)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2595

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