Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.07.2011, Az. X ZR 75/08

10. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4882

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Gegenstand

Patentnichtigkeitsverfahren: Genügende Offenbarung eines zur Erfindung gehörenden Bestandteils - Reifenabdichtmittel


Leitsatz

Reifenabdichtmittel

Ist den ursprünglichen Unterlagen der Patentanmeldung zu entnehmen, dass ein Erzeugnis bestimmte Bestandteile "enthalten" soll, ist damit nicht ohne weiteres auch als zur Erfindung gehörend offenbart, dass ihm keine weiteren Bestandteile hinzugefügt werden dürfen. Für die Offenbarung, dass es zur Erfindung gehört, dass das Erzeugnis ausschließlich aus den genannten Bestandteilen "besteht", bedarf es vielmehr in der Regel darüber hinausgehender Anhaltspunkte in den ursprünglichen Unterlagen, wie etwa des Hinweises, dass das ausschließliche Bestehen des Erzeugnisses aus den genannten Bestandteilen besondere Vorteile hat oder sonst erwünscht ist .

Tenor

Die Berufung gegen das am 16. Mai 2008 an [X.] Statt zugestellte Urteil des 3. Senats ([X.]) des [X.] wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des [X.] (Streitpatents), das am 9. Juli 1996 unter Inanspruchnahme zweier [X.] Prioritätsanmeldungen vom 11. Juli und 8. Dezember 1995 angemeldet wurde.

2

Patentanspruch 1, auf den die Patentansprüche 2 bis 9 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind, und Patentanspruch 18, auf den die Patentansprüche 19 und 20 unmittelbar rückbezogen sind, haben in der [X.] Verfahrenssprache des Streitpatents folgenden Wortlaut:

"1. A preparation for sealing tyres with a puncture which is introducible via the valve into the tyre, [X.] that the preparation contains a natural rubber latex and an adhesive resin compatible with the rubber latex.

18. An apparatus for the sealing of punctures and pumping up of tyres, [X.] (4) containing a sealing preparation (6) and having an [X.] for the sealing preparation and also a gas inlet, and a pressure source with which gas under pressure can be introduced into the pressure-tight container via the gas inlet, [X.] that the sealing preparation (6) is according to any of claims 1 to 9."

3

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 9 sowie 18 bis 20 sei nicht patentfähig. Demgegenüber hat die Beklagte das Streitpatent in der erteilten Fassung und in der Fassung von sechs [X.]n verteidigt.

4

Das Patentgericht hat das Streitpatent im angegriffenen Umfang für nichtig erklärt.

5

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, wobei sie das Streitpatent zuletzt mit einem Haupt- und drei [X.]n verteidigt.

6

Nach dem Hauptantrag soll Patentanspruch 1 folgende Fassung erhalten:

"Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel einen Kautschuklatex und ein mit dem Kautschuklatex kompatibles [X.] enthält und wobei der Kautschuklatex im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht."

7

Nach Hilfsantrag I soll Patentanspruch 1 lauten:

"Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel aus einem Kautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen [X.], einem Gefrierschutzmittel und optional einem Dispergiermittel besteht, wobei der Kautschuklatex im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht."

8

Nach Hilfsantrag II soll Patentanspruch 1 folgende Fassung erhalten:

"Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel einen Kautschuklatex und ein mit dem Kautschuklatex kompatibles [X.] enthält, wobei in dem Mittel das Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu [X.] 4:1 bis 1:1 beträgt und wobei der Kautschuklatex im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht."

9

Mit Hilfsantrag III wird folgende Fassung des Patentanspruchs 1 verteidigt:

"Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel aus einem Naturkautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen [X.] und einem Gefrierschutzmittel besteht."

An Patentanspruch 1 in der Fassung des [X.] und der [X.] sollen sich jeweils die erteilten Patentansprüche 2 bis 9 und 18 bis 20 mit Ausnahme des [X.] umformuliert zu Verwendungsansprüchen anschließen.

Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. [X.]    , [X.]    , [X.], ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

I. Das Streitpatent betrifft ein Mittel zum [X.] bei Pannen und eine Vorrichtung zum Abdichten und Aufpumpen von Reifen bei Pannen mit einem druckfesten Behälter.

In der Beschreibung wird ausgeführt, dass bereits verschiedene [X.] für Reifenpannen auf dem Markt seien. Während die meisten Latices kolloidale Dispersionen aus Polymeren in einem wässrigen Medium enthielten, gebe es auch andere [X.], deren Trägermittel nicht Wasser, sondern [X.] sei. Eine aus der [X.] 4 116 895 ([X.] 29) bekannte Abdichtzusammensetzung sei dazu bestimmt, bei der Herstellung des [X.] auf dessen innerer Oberfläche aufgebracht zu werden, damit sich ein teilweise vernetzter Kautschuk bilde. Dies habe jedoch den Nachteil, dass sich das Gewicht des [X.] bzw. des Radaufbaus von Anfang an vergrößere (Rn. 3).

Ferner sei bekannt, im Falle einer Reifenpanne das [X.] aus einem druckfesten Behälter mit einem verflüssigten Gas als Druckquelle ([X.]raydose) durch das Reifenventil in das Innere des [X.] zu sprühen. Dabei werde der Reifen mittels des Treibgases auf einen bestimmten Druck aufgepumpt und dann einige Kilometer in Abhängigkeit von der Art des Defektes gefahren, um das [X.] im Inneren des [X.] zu verteilen und den Defekt abzudichten (Rn. 5). Bei einer anderen Vorrichtung werde der [X.] entfernt und das [X.] durch Pressen einer Flasche in den Reifen gespritzt, der [X.] wieder eingesetzt und der Reifen mit Hilfe von [X.] wieder aufgepumpt (Rn. 6). Nach den Ausführungen in der [X.] seien die bisher verwendeten [X.] jedoch nicht zufriedenstellend, weil sie leicht mechanisch entfernt werden könnten, einige von ihnen nicht ausreichend wasserfest seien und keine Abdichtung bewirkten, wenn der Reifendefekt an den Rändern des [X.] (Protektorauslauf) liege (Rn. 7).

Der Erfindung liegt nach den Angaben der [X.] das Problem ("die Aufgabe") zugrunde, ein [X.] bereit zu stellen, das eine wirksame Abdichtung auch bei Nässe sowie bei Defekten im Protektorauslauf erreiche und das mechanisch schwer zu entfernen sei. Außerdem sollen Vorrichtungen zum Einbringen des [X.]s in den Reifen und Aufpumpen des [X.] auf einen Druck vorgestellt werden, bei dem der Reifen verwendet werden kann (Rn. 11).

Die Lehre aus Patentanspruch 1 in der im Hauptantrag von der [X.] verteidigten Fassung umfasst folgende Merkmale:

1. [X.] wird verwendet zum [X.] bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen.

2. [X.] enthält einen [X.], der im Wesentlichen nur aus [X.] besteht.

3. [X.] enthält einen [X.], der mit [X.] kompatibel ist.

In der [X.] wird dem Fachmann, bei dem es sich um einen Chemiker handelt, der über vertiefte Kenntnisse und praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Kautschuktechnologie (natürliche und synthetische Werkstoffe und deren Verarbeitung) insbesondere im Hinblick auf die Herstellung von [X.]n von Reifen verfügt und sich in diesem Zusammenhang auch mit Dispersionsklebstoffen und Fragen der Polymerchemie beschäftigt hat, erläutert, dass ein [X.] "kompatibel" mit dem [X.] ist, wenn er keine Koagulation desselben verursacht. "[X.]e" sind [X.]e, welche die Haftfähigkeit des [X.] am Reifen verbessern, wie etwa [X.]e, denen Elastomere als Klebrigmacher ("Tackifier") zugesetzt worden sind (Rn. 14). Merkmal 3 schließt es aus Sicht des Fachmanns nicht aus, dass das Mittel neben einem [X.]latex auch synthetischen Kautschuk "enthält". Das exklusive Vorhandensein von [X.] in dem Mittel ist in der [X.] lediglich als "besonders bevorzugt" beschrieben (vgl. Rn. 16).

II. Das Patentgericht hat es dahingestellt sein lassen, ob dem Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung bereits die Neuheit fehle, weil er durch die [X.] Patentschrift 1 016 016 ([X.] 4) offenbart sei. Denn jedenfalls sei der Fachmann im Prioritätszeitpunkt in der Lage gewesen, die Lehre des Patentanspruchs 1 aus der US-Patentschrift 4 501 825 ([X.] 6) in Verbindung mit der US-Patentschrift 4 337 322 ([X.] 19) in naheliegender Weise aufzufinden.

In der [X.] 6 sei ein Mittel zum [X.] bei Pannen beschrieben, wobei das Mittel über das Ventil in den Reifen einführbar sei. Dieses Mittel enthalte neben anderen Bestandteilen einen [X.] und ein [X.]. Zwar sei nicht ausdrücklich angesprochen, dass das [X.] mit dem [X.] kompatibel sei. Dem Fachmann, der auch wisse, dass [X.] zu den gebräuchlichsten Additiven in der [X.] zählten, werde jedoch mangels gegenteiliger Hinweise aus der [X.] 6 den Schluss ziehen, dass mit dem Einsatz von [X.]n als Klebharz die Eigenschaften von [X.] nicht beeinträchtigt würden und [X.] deshalb keinerlei Koagulation der Latices verursachten. Da das in der [X.] 6 beschriebene [X.] zum Zeitpunkt der Anwendung bei einer Reifenpanne fließfähig sei, müsse das in [X.] 6 verwendete [X.] zwangsläufig auch kompatibel mit dem [X.] sein.

Als Material für den [X.] schlage die [X.] 6 vor, Polymere und/oder [X.] von [X.], Styrol und Butadien einzusetzen. Zwar gehe aus der Stoffangabe Polyisopren nicht ausdrücklich hervor, dass [X.] - aufgrund der gleichen chemischen Zusammensetzung - ein Mittel der Wahl sei, zumal in den Beispielen der [X.] 6 ein solcher nicht genannt sei. Allerdings werde der Fachmann [X.] als Polyisopren schon deshalb in seine Überlegungen einbeziehen, weil in der Beschreibungseinleitung der [X.] 6 als Stand der Technik auf die US-Patentschrift 4 337 322 ([X.] 19) Bezug genommen werde, aus der ein [X.] hervorgehe, das neben anderen Bestandteilen ebenfalls Polyisopren und zwar in Form eines [X.]latex enthalte. Damit verdeutliche die [X.] 19, dass es sich bei Polyisopren und [X.] um für den Fachmann auf dem Gebiet der [X.] überschneidende Begriffe und um zwei nicht klar voneinander abgrenzbare Stoffe handele. Deshalb werde der Fachmann, wenn er mit der Entwicklung eines [X.]s befasst sei, bei dem Hinweis auf Polyisopren zwangsläufig auch [X.]latex als parates Mittel in Erwägung ziehen und zwar unabhängig von der Bezeichnung in der jeweiligen Veröffentlichung.

Auch der Einwand der [X.], der Fachmann beziehe die [X.] 6 nicht in seine Überlegungen mit ein, weil es sich um die Bereitstellung eines Abdicht-mittels auf Basis synthetischer [X.] handele, überzeuge nicht. Im Streitpatent sei auch der Einsatz von [X.] als geeignet beschrieben, darunter auch Styrolbutadienlatex. Die Verwendung von natürlichen [X.] allein als [X.] sei lediglich eine besonders bevorzugte Ausführungsform. Die von der [X.] weiter geltend gemachten Vorteile, insbesondere unerwartete Vorteile des erfindungsgemäßen Abdicht-mittels, qualifizierten dieses ebenfalls nicht als Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit.

Wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht rechtsbeständig seien überdies die [X.] im angegriffenen Umfang sowie die Fassungen des Patentanspruchs 1, mit denen die Beklagte das Streitpatent hilfsweise verteidigt habe.

[X.]. [X.] halten den Angriffen der Berufung auch hinsichtlich der mit Haupt- und Hilfsanträgen verteidigten Fassung des Patentanspruchs 1 im Wesentlichen stand.

1. Dem Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des [X.] fehlt die Patentfähigkeit (Art. 52 EPÜ).

a) Die Lehre aus Patentanspruch 1 ist allerdings neu (Art. 54 EPÜ). Wie sich aus den oben wiedergegebenen Ausführungen des Patentgerichts in dem mit der Berufung angegriffenen Urteil ergibt und zwischen den Parteien auch nicht streitig ist, offenbart die US-Patentschrift 4 501 825 ([X.] 6) zwar ein Mittel zum [X.], das mit Ausnahme der näheren Definition der [X.] der Lehre des Patentanspruchs 1 entspricht. Insbesondere konnte der Fachmann der Entgegenhaltung die Verwendung des Mittels zum [X.] bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen im Pannenfall entnehmen (vgl. [X.] 6, [X.]. 2 Z. 53 ff.).

Nicht offenbart ist jedoch das Merkmal 2, wonach das Mittel einen [X.] enthalten soll, der im Wesentlichen nur aus [X.]latex besteht. In der Vorveröffentlichung wird zwar ausgeführt, dass als [X.] alle geeigneten polymerischen oder copolymerischen Latices, wie Polymere oder [X.] von [X.], Styrol und Butadien in Betracht kommen ([X.], [X.]. 3 Z. 44 ff.). Zudem war dem Fachmann bekannt, dass [X.] ein Polymer von [X.] ist. Unter die abstrakte Bezeichnung "Polymere oder [X.] von [X.], Styrol und Butadien" fallen jedoch mehrere Tausend natürliche oder synthetische Verbindungen (vgl. die gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. W.     vom 21.1.2011, E 24), und [X.] wird weder an dieser noch an einer anderen Stelle der Entgegenhaltung ausdrücklich als mögliche [X.] erwähnt. Es kann daher nicht angenommen werden, dass es aus fachlicher Sicht selbstverständlich gewesen ist und deshalb keiner besonderen [X.] bedurfte, [X.] als [X.] auszuwählen (vgl. Senat, Urteil vom 16. Dezember 2008 - [X.], Rn. 26, [X.], 168, 174 - Olanzapin).

b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des [X.] ergab sich für den Fachmann allerdings in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (Art. 56 EPÜ).

Wie dargelegt wurde dem Fachmann in der [X.] 6 ein Mittel zum [X.] bei Pannen durch Einführen über das Ventil offenbart, welches unter anderem ein [X.] enthält, das mit der [X.] kompatibel ist. Hinsichtlich der genauen Art des zu verwendenden Latex erhielt er aus der Entgegenhaltung die Anregung, dafür ein geeignetes Polymer oder ein Copolymer von [X.], Styrol und Butadien zu nehmen ([X.], [X.]. 3 Z. 44 ff.). Zwar wird als insoweit bevorzugte [X.] ein [X.] genannt, das unter der Marke [X.] 5336 von [X.] erhältlich ist, einen Butadiengehalt von über 50 % aufweist und auf der Basis von Fettsäureemulsion hergestellt ist ([X.] 6, [X.]. 3 Z. 47 ff.), und dieses Latex ([X.] Latex) wird auch in Ausführungsbeispiel 1 der Entgegenhaltung zur Herstellung des [X.]s eingesetzt ([X.] 6, [X.]. 5 Z. 31, 38). Jedoch schloss dies aus Sicht des Fachmanns auf Grundlage der allgemeinen Erläuterungen in der Entgegenhaltung, dass insoweit "jedes geeignete Polymer oder Copolymer von [X.], Styrol und Butadien" in Betracht kommt, nicht aus, als [X.] auch einen anderen Latex als das ausdrücklich genannte Produkt [X.] 5336 oder ein sonstiges Copolymer von Styrol und Butadien zu nehmen. Als eine solche alternative [X.] bot sich dem Fachmann nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung ein [X.]latex als (Mono-)Polymer von [X.] an. Für diese Alternative sprach zunächst die Überlegung, dass für die Herstellung von Reifen üblicherweise Mischungen aus Styrol-Butadien ([X.] [[X.]]) und [X.] verwendet werden und die Verwendung eines [X.]latex es daher wie bei der von der [X.] 6 ausdrücklich gelehrten Benutzung eines [X.]s erlaubte, für die [X.] eines Mittels zur Abdichtung von Reifen, das sich fest und dauerhaft mit dem Reifen verbinden soll, auf einen Reifengrundstoff zurückzugreifen. Hinzu kamen die hervorragenden elastomeren Eigenschaften des aus Latex ausgefällten und aufgearbeiteten [X.]s aufgrund des hohen Anteils von cis-1,4-Polyisopren (vgl. Gutachten, S. 10 f.), die aus fachlicher Sicht [X.]latex als eine realistische Alternative zu Styrol-Butadien als [X.] erscheinen ließen.

In diesen Überlegungen konnte sich der Fachmann dadurch bestätigt sehen, dass in der [X.] 6 bei der Darstellung des Standes der Technik auf die US-Patentschrift 4 337 322 ([X.] 19) verwiesen und dabei ausgeführt wird, dass diese eine Zusammensetzung für die [X.] und Abdichtung offenbart, die neben anderen Komponenten aus Polyisopren besteht. Der [X.] 19 konnte der Fachmann dann bei der Beschreibung der bevorzugten Ausführungsform entnehmen, dass als Polyisopren ein ungehärteter Naturlatex eingesetzt werden kann bzw. das Polyisopren in der Form von natürlichem Latexkautschuk (natürlichem Poly-cis-1,4-polyisopren) in dem [X.] enthalten ist ([X.] 19, [X.]. 2 Z. 12, 21 ff.). Dies war geeignet, den Fachmann darin zu bestärken, für das [X.] als [X.] einen [X.]latex in Erwägung zu ziehen.

Das wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die [X.] 19 vor allem die vorbeugende Behandlung eines [X.] gegen Perforationen betrifft und die Reparatur eines bereits platten [X.] nicht erwähnt (vgl. [X.], [X.]. 1 Z. 29 ff.; [X.]. 2 Z. 53 ff.). Denn dabei handelt es sich vornehmlich um einen anwendungstechnischen Unterschied, der es, wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt hat, aus fachlicher Sicht jedenfalls nicht ausschließt, die Verwendung des in der [X.] 19 als Polyisoprenkomponente vorgeschlagenen natürlichen [X.] als [X.] des in der [X.] 6 vorgeschlagenen [X.]s in Erwägung zu ziehen.

Zwar sind die Ausführungen der [X.] zutreffend, dass es sich bei den in der [X.] 6 neben Polymeren oder [X.]n von [X.] genannten beiden anderen Latices (Polymere oder [X.] von Styrol und/oder Butadien) um synthetische [X.] handelt. Dies rechtfertigt jedoch nicht den Schluss, dass auch mit dem Begriff der [X.], der nach allgemeinem Verständnis sowohl natürliche als auch synthetische Polymere des [X.] umfasst, lediglich synthetische Polymere des [X.]s gemeint sind. Ein derart eingeschränktes fachliches Verständnis wird durch die [X.] 6 nicht veranlasst, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend in seinem Gutachten ausgeführt und in der Verhandlung bestätigt hat. Der [X.] kann daher nicht in dem Argument gefolgt werden, dass die Beschreibung der Entgegenhaltung ganz (ausschließlich) auf die Verwendung von synthetischem Latex ausgerichtet sei. Dies verkennt den Begriff des Polyisoprens, der nach allgemeinem Verständnis neben synthetischen auch natürliche Polymere von [X.] umfasst und der auch im [X.] der [X.] 6 nicht eingeschränkt worden ist.

Es mag sein, dass sich [X.]latex und synthetischer Latex insbesondere auch von Polyisopren hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und ihrer Eigenschaften (Stereoisomerenreinheit, Molekulargewicht und Molekularverteilung, Anwesenheit funktioneller Gruppen und Art der vorhandenen Gruppen) unterscheiden, wie von der [X.] im Einzelnen ausgeführt worden ist. Es ist aber nicht ersichtlich und von der [X.] auch nicht dargetan worden, inwiefern diese Unterschiede den Fachmann am [X.] des Streitpatents davon hätten abhalten sollen, entsprechend der Anregung in [X.] 6 natürliches Polyisopren als Latex in Betracht zu ziehen und - wie dargelegt - gestützt auf sein Fachwissen und entsprechend der Anregung in der [X.] 19, auf die in der [X.] 6 hingewiesen wird, bei der Herstellung des Reifendichtmittels zu verwenden.

2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des [X.] geht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus und ist daher nicht zulässig (Art. 123 Abs. 2 EPÜ).

Zur Feststellung einer unzulässigen Erweiterung ist der Gegenstand des erteilten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu vergleichen. Der Inhalt der Patentanmeldung ist der Gesamtheit der Unterlagen zu entnehmen. Der Patentanspruch darf nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, den die ursprüngliche [X.] aus Sicht des Fachmanns nicht zur Erfindung gehörend erkennen lässt (Senat, Urteil vom 5. Juli 2005 - [X.], [X.], 1023, 1024 - Einkaufswagen II; Urteil vom 22. Dezember 2009 - [X.], Rn. 29, [X.], 513 - Hubgliedertor II). Dies ist jedoch hier der Fall.

Patentanspruch 1 in der Fassung des [X.] unterscheidet sich von selbigem in der Fassung des [X.] dadurch, dass nicht mehr nur vorgesehen ist, dass das [X.], dessen Verwendung im Pannenfall unter Schutz gestellt werden soll, einen (Natur-)[X.] und ein mit diesem kompatibles [X.] "enthält", sondern dass das [X.] aus einem (Natur-)[X.], einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuk-latex kompatiblen [X.] und optional einem [X.] "besteht". Dies ist - wie auch die Beklagte in der Verhandlung ausgeführt hat - aus fachlicher Sicht dahin zu verstehen, dass das erfindungsgemäße [X.] ausschließlich aus den genannten Bestandteilen bestehen darf, wobei lediglich das [X.] nicht zwingend enthalten sein muss. Insbesondere dürfen dem erfindungsgemäßen [X.] damit auch keine Füllstoffe, wie etwa faserige Materialien, zugesetzt worden sein. Gerade auf das Fehlen solcher faserigen Materialien, auf das im ursprünglich formulierten Hilfsantrag [X.] ausdrücklich abgestellt worden war, zielt erklärtermaßen die von der [X.] gewählte Anspruchsfassung.

Die Verwendung eines [X.]s im Pannenfall, das ausschließlich aus einem (Natur-)[X.], einem pH-Regulator, einem mit dem [X.] kompatiblen [X.] besteht und dem allein ein [X.] wahlweise zugegeben werden durfte, wird dem Fachmann in der ursprünglichen Anmeldung jedoch nicht als zur Erfindung gehörend offenbart. In den gesamten [X.] findet sich an keiner Stelle ein Hinweis darauf, dass eine derart exklusive Zusammensetzung des [X.]s, die vor allem auch keine Füllstoffe aufweist, besondere technische Vorteile hat oder sonst erwünscht ist und deshalb vom Fachmann als zur Erfindung gehörend angesehen wird.

In der Anmeldung wird zwar, worauf die Beklagte insoweit zutreffend im Verhandlungstermin hingewiesen hat, ein Ausführungsbeispiel beschrieben, bei dem ein [X.] durch Mischen von [X.]latex (300 g [X.]latex mit einem Kautschukgehalt von 60 Gew.-%), das einen pH-Regulator (Ammoniak) enthält, unter einen [X.] (120 g Terpenphenolharzdispersion mit einem [X.]gehalt von 55 Gew.-% [Dermulsene®]) und nach Zugabe eines Gefrierschutzmittels (67 g Ethylenglycol) hergestellt wurde (vgl. Rn. 49). Damit wurde dem Fachmann jedoch lediglich ein [X.] als erfindungsgemäß offenbart, das die genannten Bestandteile enthält, nicht aber ein solches, das (ausgenommen die wahlweise Zugabe von [X.]) exklusiv aus diesen Komponenten bestehen und damit insbesondere auch keine Füllstoffe, wie etwa faserige Materialen, umfassen darf. Vielmehr wird an anderer Stelle in der Anmeldung die Zugabe von einem oder mehreren Füllstoffen wie etwa faserigen Materialien als für eine rasche Abdichtung oder für die Abdichtung größerer Löcher vorteilhaft gelehrt (Rn. 20), ohne dass eine solche Zugabe im Hinblick auf das Ausführungsbeispiel ausgeschlossen wird, so dass aus fachmännischer Sicht insoweit kein Grund zu der Annahme besteht, dass die Aufzählung der in dem Ausführungsbeispiel genannten Komponenten zwingend als abschließend zu verstehen ist.

3. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des [X.]I, der sich von Patentanspruch 1 in der Fassung des [X.] durch das zusätzliche Merkmal unterscheidet, dass das Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu [X.] 4:1 bis 1:1 betragen soll, ist zulässig, aber nicht patentfähig.

War es für den Fachmann - entsprechend den obigen Ausführungen zu Patentanspruch 1 in der Fassung des [X.] - naheliegend, als Alternative zu Styrol-Butadien-Latex [X.]latex in Erwägung zu ziehen, so stellte sich ihm bei der Formulierung einer konkreten Rezeptur die Frage nach dem Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu [X.]. Der [X.] 6 entnahm er insoweit gemäß der allgemeinen Definition der Mischung in der Beschreibung ([X.] 6, [X.]. 3 Z. 9 ff.) und in [X.] 1, dass der Massenanteil von [X.] und [X.] jeweils zwischen 20 - 40 % liegen kann. Da die Entgegenhaltung keine näheren Angaben zu dem Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu Klebstoff enthält, lag für den Fachmann, wie auch das Patentgericht angenommen hat, im Hinblick auf die parallelen Bereichsangaben der Massenanteile von [X.] und [X.] die Annahme nahe, dass der Feststoffanteil in der wässrigen Phase bei dem [X.] und dem [X.] in etwa identisch ist, so dass die in der [X.] 6 offenbarten Gewichtsverhältnisse von Kautschuk zu [X.] in einem Bereich von etwa 1:2 bis etwa 2:1 liegen. Dabei liegt, wie auch der gerichtliche Sachverständige im Verhandlungstermin bestätigt hat, die genaue Bestimmung des Gewichtsverhältnisses von Kautschuk und [X.] für das bei Reifenpannen zu verwendende Dichtmittel im "[X.]" des Fachmanns, wobei es diesem aufgrund seines Fachwissens auch bekannt ist, das ein verhältnismäßig hoher Anteil von Kautschuk die elastomeren Eigenschaften des Dichtmittels verbessert, so dass er auch unter diesem Gesichtspunkt motiviert ist, den Gewichtsanteil von Kautschuk nicht geringer, sondern höher als den von [X.] zu bestimmen.

4. Dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des [X.]II über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus geht und daher nicht zulässig ist, folgt ohne weiteres aus den Ausführungen zu Patentanspruch 1 in der Fassung des [X.], weil sich Patentanspruch 1 in der Fassung der [X.] und [X.] lediglich darin unterscheiden, dass die optionale Zugabe von [X.] nicht mehr erlaubt ist.

5. Dass die jeweils auf Patentanspruch 1 in der Fassung des [X.] und der drei Hilfsanträge rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen, ist bereits vom Patentgericht verneint worden. Es ist auch unter Berücksichtigung der Neufassung des Patentanspruchs 1 als Verwendungsanspruch weder von der [X.] dargelegt worden noch sonst ersichtlich, dass die Beurteilung des Patentgerichts fehlerhaft wäre. Gleiches gilt hinsichtlich des Patentanspruchs 18 und der auf diesen rückbezogenen Patentansprüche 19 und 20; die Patentfähigkeit des Gegenstands dieser Vorrichtungsansprüche hat auch die Beklagte nur mit denjenigen Erwägungen gerechtfertigt, die sie zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 angeführt hat.

[X.]. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 [X.] und § 97 Abs. 1 ZPO.

Meier-Beck                           Keukenschrijver                           Mühlens

                       [X.]

Meta

X ZR 75/08

12.07.2011

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BPatG München, 16. Mai 2008, Az: 3 Ni 48/07 (EU), Urteil

Art 123 Abs 2 EuPatÜbk, § 38 PatG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.07.2011, Az. X ZR 75/08 (REWIS RS 2011, 4882)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4882

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

X ZR 61/21

X ZB 5/16

X ZR 64/13

X ZR 60/13

X ZR 94/09

X ZR 75/08

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