Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 06.04.2011, Az. XII ZR 79/09

12. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 7908

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Rückforderung von aufgrund eines nichtigen Prozessvergleichs erbrachten Leistungen im Wege eines neuen Rechtsstreits


Leitsatz

Die Rückforderung von Leistungen, die aufgrund eines nichtigen Prozessvergleichs erbracht worden sind, kann jedenfalls dann im Wege eines neuen Rechtsstreits erfolgen, wenn das Ursprungsverfahren, in dem der Vergleich geschlossen worden ist, rechtskräftig beendet ist (Abgrenzung zu BGH, 29. Juli 1999, III ZR 272/98, BGHZ 142, 253 = NJW 1999, 2903) .

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 13. Zivilsenats - 1. Senat für Familiensachen - des [X.] vom 25. März 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das [X.] zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückzahlung von Trennungsunterhalt in Anspruch.

2

Die Parteien waren miteinander verheiratet. Am 24. Juli 2003 schlossen sie vor dem Familiengericht in einem über Trennungs- und Kindesunterhalt geführten Rechtsstreit (20 [X.]) einen Vergleich. Dabei offenbarte die Beklagte nicht, dass sie außer Einkünften aus einer [X.] bereits seit April 2003 über weiteres Einkommen in Höhe von monatlich 400 € aus einer geringfügigen Beschäftigung verfügte. Nachdem der Kläger hiervon Kenntnis erlangt hatte, erklärte er die Anfechtung des Vergleichs wegen arglistiger Täuschung und machte den Sachverhalt im Rahmen einer bereits erhobenen Abänderungsklage geltend, mit der er erreichen wollte, dass ab Januar 2004 kein Trennungsunterhalt mehr geschuldet werde. Während das Amtsgericht der Klage stattgab, hob das [X.] das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Beklagten auf und wies die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Anfechtung des [X.] auch zur Unwirksamkeit des Vergleichs geführt habe, so dass dieser nicht Grundlage einer Abänderungsklage sein könne. Die Unwirksamkeit sei im Ausgangsverfahren geltend zu machen.

3

In dem daraufhin fortgeführten Verfahren 20 [X.] wurde der Kläger im Juli 2007 verurteilt, Trennungsunterhalt bis einschließlich März 2003 zu zahlen; für die [X.] ab April 2003 wurde die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] hatte wegen des ausgeurteilten Unterhalts teilweise Erfolg; die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen.

4

Im vorliegenden Rechtsstreit, der seit Ende Dezember 2005 anhängig ist, begehrt der Kläger die Rückzahlung des für die [X.] von April 2003 bis August 2004 in Höhe von monatlich 491 € gezahlten Unterhalts zuzüglich Zinsen und angefallener Vollstreckungskosten.

5

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] das angefochtene Urteil abgeändert und die Klage als unzulässig abgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision des [X.].

Entscheidungsgründe

6

Gegen die im Verhandlungstermin nicht vertretene Beklagte ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Dieses beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis; es berücksichtigt den gesamten Sach- und Streitstand (vgl. [X.], 79, 81 ff.).

7

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

8

1. Das [X.], dessen Entscheidung in [X.], 1696 veröffentlicht ist, hat die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs im vorliegenden Verfahren für treuwidrig gehalten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] sei der Streit darüber, ob ein [X.] nichtig sei, grundsätzlich in Fortführung des [X.] auszutragen. Darüber hinaus habe der [X.] entschieden, dass grundsätzlich auch der Anspruch auf Rückerstattung der aufgrund des Vergleichs erbrachten Leistungen durch Fortsetzung des Ausgangsverfahrens geltend zu machen sei, weshalb das Rechtsschutzbedürfnis für eine neue Klage zu verneinen sei. Daher habe der im Januar 2006 im vorliegenden Verfahren zugestellten Klage zunächst das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt. Dies gelte nach rechtskräftiger Beendigung des Ausgangsverfahrens zwar nicht mehr. Die prozessuale Situation, bei der nicht mehr auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis abgestellt werden könne, habe der Kläger aber in treuwidriger Weise erlangt. Er habe das vorliegende Verfahren im Hinblick auf das Ausgangsverfahren nach der mündlichen Verhandlung vom 6. Juli 2006 nicht mehr betrieben und erst Ende 2007 - zunächst formal - wieder aufgenommen, um nach der Beendigung jenes Verfahrens die Forderung in dem vorliegenden Rechtsstreit weiterzuverfolgen. Auch die Geltendmachung verfahrensrechtlicher Rechte unterliege den Grundsätzen von Treu und Glauben und könne mit der Folge verwirkt werden, dass die Rechte nicht mehr ausgeübt werden dürften. Die Verwirkung setze einen längeren [X.]raum voraus, währenddessen die Möglichkeit der Einleitung von Verfahrensschritten bestanden habe. Diese Möglichkeit müsse dem Berechtigten bewusst gewesen sein. Dabei stehe der positiven Kenntnis regelmäßig gleich, wenn die fragliche Streitfrage in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit längerem geklärt sei. Das sei hier der Fall gewesen. Zudem sei der Ausgangspunkt der Rechtsprechung in der Senatsentscheidung in dem Abänderungsverfahren nochmals deutlich gemacht worden. Wenn der Kläger gleichwohl über zumindest zwei Jahre hin nicht die Konsequenzen hieraus gezogen habe, so bleibe die bereits ursprünglich wegen fehlenden [X.] unzulässige Klage auch weiterhin aus dem Gesichtspunkt der prozessualen Verwirkung unzulässig.

9

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis nicht stand.

a) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des [X.]. Der [X.] hat eine Doppelnatur: Er ist einerseits [X.], deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Verfahrensrechts bestimmt, und andererseits privates Rechtsgeschäft, für das die Regeln des materiellen Rechts gelten ([X.], vgl. etwa [X.], 253 = NJW 1999, 2903 f. und Senatsurteil vom 24. Oktober 1984 - IV b ZR 35/83 - FamRZ 1985, 166 jeweils mwN). Da die [X.] nur die "Begleitform" für einen materiell-rechtlichen Vergleich ist, verliert sie ihre Wirksamkeit, wenn der materielle Vergleich seinerseits unwirksam ist oder wird; dem Vergleich wird die verfahrensrechtliche Wirkung der Prozessbeendigung entzogen, wenn er aus sachlich-rechtlichen Gründen unwirksam ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist der Streit darüber, ob ein [X.] nichtig ist, deshalb in Fortführung des [X.] auszutragen. Maßgeblich hierfür ist vor allem die Erwägung, dass ein nichtiger [X.] nicht zur Beendigung des [X.] geführt hat; einer neuen Klage würde daher, jedenfalls soweit mit ihr das ursprüngliche Prozessziel bei unverändert gebliebenem Streitgegenstand weiterverfolgt werden soll, der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit entgegenstehen ([X.], 253 = NJW 1999, 2903 f.; [X.], 227 = NJW 1983, 2034 f. jeweils mwN).

b) Das Berufungsgericht hat ebenfalls richtig gesehen, dass der [X.] in Fortführung dieser Rechtsprechungsgrundsätze das Rechtsschutzbedürfnis auch für eine neue Klage verneint hat, mit der die Leistungen zurückgefordert werden, die aufgrund eines nichtigen Vergleichs erbracht worden sind. Das soll jedenfalls dann gelten, wenn die Leistungen ausschließlich die durch den Vergleich auf eine neue Grundlage gestellte Klageforderung des [X.] betreffen ([X.], 253 = NJW 1999, 2903 f.). Zwar sei die Rückforderung der erbrachten Leistungen gegenüber der Ursprungsforderung ein anderer Streitgegenstand. Sie beruhe auf einem anderen Klagegrund, nämlich der behaupteten Unwirksamkeit des [X.]s. Dies bedeute jedoch, dass die Entscheidung in der Sache in gleicher Weise wie die Weiterverfolgung der ursprünglichen Klageforderung von der Wirksamkeit des Vergleichs abhänge. Deshalb würden die gegen ein Rechtsschutzbedürfnis für eine neue Klage sprechenden Umstände in vollem Umfang auch insoweit gelten.

Die Entscheidung hat teilweise Zustimmung gefunden ([X.]/[X.] ZPO 28. Aufl. § 794 Rn. 15 a; Musielak/[X.] ZPO 7. Aufl. § 794 Rn. 21; [X.]/Terlau BGB 12. Aufl. § 779 Rn. 31; im Ergebnis zustimmend: [X.] ZZP 113, 366, 372), teilweise aber auch Kritik erfahren ([X.] JZ 2000, 422 ff.; [X.]/[X.] ZPO 22. Aufl. § 794 Rn. 61, 77;Staudinger/[X.] [2009] § 779 Rn. 116; [X.] in [X.] 3. Aufl. § 794 Rn. 74; [X.] LM ZPO § 794 Abs. 1 Ziff. 11 Nr. 44; [X.] § 794 ZPO 1.00). Die Gegenansicht stellt im Wesentlichen darauf ab, dass der Rückforderungsklage ein anderer Streitgegenstand zugrunde liege; der Anspruch könne deshalb auch außerhalb des [X.] eingeklagt werden.

c) Ob der vorgenannten Entscheidung gleichwohl zu folgen ist, kann - wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat - im vorliegenden Fall dahinstehen. Denn das - fortgeführte - Ausgangsverfahren ist durch Urteil des [X.] vom 10. März 2008 rechtskräftig abgeschlossen, eine Rechtsverfolgung in jenem Verfahren mithin nicht mehr möglich. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine neue Klage kann deshalb im Hinblick auf das Ausgangsverfahren nicht mehr verneint werden.

d) Entgegen der Auffassung des [X.] hat der Kläger die prozessuale Situation, in der nicht mehr auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis abgestellt werden kann, nicht in treuwidriger Weise erlangt. Er hat insbesondere nicht das Recht, den Rückzahlungsanspruch einzuklagen, verwirkt.

aa) Das Berufungsgericht hat seine gegenteilige Ansicht damit begründet, die Notwendigkeit der Fortsetzung des [X.] sei in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit längerem geklärt. Zudem sei der Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung in dem Urteil vom 10. März 2008 nochmals deutlich gemacht worden. Wenn der Kläger hieraus gleichwohl über zwei Jahre keine Konsequenzen gezogen habe, so bleibe die ursprünglich wegen fehlenden [X.] unzulässige Klage wegen Verwirkung unzulässig.

bb) Diese Erwägungen vermögen die Annahme der Verwirkung indessen nicht zu rechtfertigen. Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere [X.] nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre (sogenanntes [X.]moment) und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (sogenanntes Umstandsmoment; st.Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 12. März 2008 - [X.] - NJW 2008, 2254 Rn. 22 mwN).

Die vom Berufungsgericht gegebene Begründung betrifft allein das sogenannte [X.]moment. Dass die Beklagte aus dem zeitweisen Nichtbetreiben des vorliegenden Rechtsstreits berechtigterweise den Schluss ziehen konnte, der Beklagte werde den Rechtsstreit nicht mehr aufnehmen und sein Recht nicht mehr geltend machen, ist deshalb nicht festgestellt. Dafür ist auch sonst nichts ersichtlich. Wie die Revision zu Recht geltend gemacht hat, hat der Kläger das Verfahren, dessen Ruhen in der mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht vom 6. Juli 2006 angeordnet worden war, mit Schriftsatz vom 31. Dezember 2007 wieder aufgenommen und um Anberaumung eines Termins gebeten. Mit Verfügung vom 8. Januar 2008 wurde ihm daraufhin vom Familiengericht der Hinweis erteilt, dass der Ausgang des Rechtstreits bei dem [X.] abgewartet werden sollte.

Der Kläger hat zu dem Hinweis mit Schriftsatz vom 15. Januar 2008 Stellung genommen und mitgeteilt, es würden keine Einwendungen erhoben, wenn das Gericht im April terminiere, und für den Fall, dass eine Entscheidung des [X.]s in der anderen Sache noch nicht vorliege, dieser Termin wieder aufgehoben und neuer Termin bestimmt werde.

Bei dieser Sachlage durfte die Beklagte sich aber nicht darauf einrichten, der Kläger werde den [X.] nicht weiterverfolgen. Vielmehr musste ihr aufgrund des auch ihr zugegangenen gerichtlichen Hinweises und der Stellungnahme des [X.] hierzu bewusst sein, dass dieser lediglich den Ausgang des [X.] abwarten würde.

3. Danach kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Der Senat ist nicht in der Lage, in der Sache abschließend zu entscheiden. Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das nunmehr über die Begründetheit der Klage zu befinden haben wird.

Dose                                        Weber-Monecke                                                   Klinkhammer

                    Schilling                                                     Nedden-Boeger

Meta

XII ZR 79/09

06.04.2011

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Versäumnisurteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 25. März 2009, Az: 13 UF 623/08, Urteil

§ 794 Abs 1 Nr 1 ZPO, § 779 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 06.04.2011, Az. XII ZR 79/09 (REWIS RS 2011, 7908)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7908

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZR 79/09 (Bundesgerichtshof)


VII ZR 48/12 (Bundesgerichtshof)

Fortsetzung des Rechtsstreits bei unwirksamem Prozessvergleich; Rechtzeitigkeit des Vorbringens der Unwirksamkeit des Vergleichs


VII ZR 48/12 (Bundesgerichtshof)


XII ZR 8/08 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 222/17 (Bundesgerichtshof)

Prozessvergleich: Verlängerung der vereinbarten Widerrufsfrist; Wirksamkeit einer nachträglichen Vereinbarung des Widerrufsrechts


Referenzen
Wird zitiert von

XII ZR 72/11

XII ZR 79/09

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.