Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.04.2010, Az. V ZB 51/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 7798

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[X.][X.] vom 8. April 2010 in der [X.]- 2 - Der [X.] hat am 8. April 2010 durch den [X.] [X.] [X.], [X.] [X.] und [X.], die Richterin [X.] und [X.] [X.] beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 25. Januar 2010 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 3.000 • festgesetzt. Gründe: [X.] Der Betroffene ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 1. Dezember 2009 von [X.] kommend nach [X.] ohne Reisepass oder Visum ein. Bei seiner Kontrolle durch Beamte der [X.] in [X.] gab er an, mit Hilfe eines Schleusers über die [X.] und Griec[X.]land nach [X.] gelangt zu sein. Zum Schutz vor Verfolgung in seinem Heimat-land wolle er in [X.] bleiben. Der Betroffene wurde angewiesen, sich spätestens am 3. Dezember 2009 bei der Außenstelle des [X.] in Münc[X.] zu melden. Ihm wurde nach einer von einem Dolmetscher übersetzten mündlic[X.] Belehrung über die Folgen der Nichtvorstellung bei dem [X.] eine schriftliche Belehrung hierüber aus-1 - 3 - gehändigt. Der Betroffene bestätigte schriftlich den Empfang der Belehrung. In Münc[X.] meldete er sich nicht. 2 Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18. Dezember 2009 stellte er bei der Außenstelle des [X.] in [X.] einen Asylantrag. Daraufhin wurde er der Erstaufnahmeeinrichtung in [X.] zugewiesen, bei der er sich am 29. Dezember 2009 einfand, nach-dem er am 27. Dezember 2009 einen Antrag auf Umverteilung nach [X.] gestellt hatte, wo Verwandte des Betroffenen leben und er sich in ärztlicher [X.] befindet. Am 11. Januar 2010 erschien der Betroffene beim Jugendamt in [X.] und stellte dort einen Antrag auf Bestellung eines Vormunds, um als [X.] einen Asylantrag stellen zu können. Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen und Einsichtnahme in die Ausländerakte gegen den Betroffenen [X.] bis zum 11. April 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Das [X.] hat die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen die Entscheidung des Amtsgerichts zurückgewiesen. 3 Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene, den Beschluss des [X.]s aufzuheben und seine Freilassung anzuordnen. 4 I[X.] Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei vollziehbar [X.]. Er sei ohne einen Aufenthaltstitel nach [X.] eingereist. Seine illegale Einreise mit der Hilfe eines Schleusers, sein Untertauc[X.] nach seinem ersten Aufgreifen und seine Versuche, die Behörden über seine Identität zu täusc[X.], begründeten die Annahme, er werde sich der Abschiebung [X.] - 4 - [X.]. Bei dem Asylantrag vom 18. Dezember 2009 handele es sich um einen Folgeantrag, der der Haftanordnung nicht entgegenstehe. Einer neuerlic[X.] Anhörung des Betroffenen bedürfe es nicht, weil weiteres Vorbringen des Be-troffenen nicht erfolgt sei. II[X.] [X.] ist nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. § 415 FamFG, § 62 [X.] statthaft und zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG. 6 1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist [X.] und in jeder Lage des Verfahrens und damit auch durch das [X.] wegen zu prüfen (Senat, Beschl. v. 18. März 2010, [X.], zur [X.] bestimmt; Senat, Beschl. v. 30. März 2010, [X.], zur [X.] bestimmt). Die Prüfung führt zur Bejahung der Zuständigkeit der Beteiligten zu 2. 7 a) In Abschiebehaftsac[X.] ergibt sich die örtliche Zuständigkeit aus den jeweiligen [X.], weil das [X.] keine eigenständige allgemeine Regelung der örtlic[X.] Zuständigkeit enthält ([X.] NVwZ-RR 1998, 201; [X.] 2007, 455, 456). § 71 [X.] bedeutet eine Regelung der sachlic[X.], nicht aber der örtlic[X.] Zuständigkeit ([X.] 2008, 227, 228). 8 Sind keine länderspezifisc[X.] Sondervorschriften über die örtliche [X.] gegeben, sind die jeweiligen Verwaltungsverfahrensvorschriften an-zuwenden ([X.] NVwZ-RR 1998, 201). Durch § 1 Nr. 1 [X.]-DVO werden die Aufgaben des [X.] in [X.] rechtssystema-9 - 5 - tisch der Gefahrenabwehr und organisatorisch den allgemeinen [X.] zugewiesen. Damit hat sich der [X.] Gesetzgeber dafür entschie-den, das gesamte Ausländerrecht dem Recht der Gefahrenabwehr zuzuordnen ([X.] BeckRS 1997, 21064). § 100 [X.] regelt abschließend die örtliche Zuständigkeit der Ordnungsbehörden. Die Vorschrift bedeutet eine § 3 Abs. 1 HessVwVfG verdrängende Regelung ([X.] BeckRS 1997, 21064). Örtlich zuständig ist die Ausländerbehörde, in deren Bezirk der [X.] seinen gewöhnlic[X.] Aufenthalt hat. Dieser befindet sich nach der [X.] von § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I dort, wo der Betroffene sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorüberge[X.]d verweilt (BVerwG NVwZ-RR 1997, 751). Der innere Wille des Betroffenen ist insoweit ohne Bedeutung. Entscheidend ist die nach den tatsächlic[X.] Verhältnissen zu treffende Prognose (BVerwG NVwZ-RR 1997, 751). Hiernach hat der Betroffene seinen gewöhnlic[X.] Aufenthalt in [X.]. Dort leben nach dem Antrag des Betroffenen auf Umverteilung vom 27. Dezember 2009 seine Verwandten. In [X.] ist er in ärztlicher [X.]. Seine Ärztin führt in dem von dem Betroffenen vorgelegten Attest vom 18. Dezember 2009 aus, sie empfehle dringend, dass der [X.] bei seinen Verwandten in [X.] wohnen könne. Durch diese Erklä-rung wird deutlich, dass der Betroffene auch vor dem 18. Dezember 2009 bei seinen Verwandten in [X.] gelebt hat. Nach der gebotenen [X.] hat der Betroffene mithin seinen gewöhnlic[X.] Aufenthalt in [X.]. Das führt zur Zuständigkeit der Beteiligten zu 2. 10 b) Die Zuteilung des Betroffenen auf die Erstaufnahmeeinrichtung [X.] ändert hieran nichts. Hierdurch wurde die dortige [X.] zusätzlich örtlich zuständig ([X.] NVwZ-RR 1998, 201, 202). 11 - 6 - Auch die Ausführungen in der Beschwerdebegründung vom 14. Januar 2010 lassen keinen Schluss auf einen alleinigen anderen gewöhnlic[X.] Aufenthalt des Betroffenen zu. Dass der Betroffene unabhängig von seiner Unterbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung in [X.] dort gelebt hat, ist weder ausge-führt noch ersichtlich. 2. Das Verfahren des [X.] hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde jedoch nicht stand. Das Beschwerdegericht hat rechtsfeh-lerhaft den Vortrag des Betroffenen im Schriftsatz vom 22. Januar 2010 bei der Entscheidung nicht berücksichtigt und diesen entgegen § 420 Abs. 1 Satz 2 FamFG nicht angehört. Darin liegt zugleich ein Verstoß gegen den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung des rechtlic[X.] Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG. Zudem beruht die Entscheidung auf einer unzureic[X.]den Aufklärung des Sachverhalts, § 26 FamFG. 12 a) Ergibt sich die vollziehbare Ausreisepflicht weder aus einer bestands-kräftigen Abschiebungs- bzw. Zurückschiebungsverfügung noch aus einer ver-waltungsgerichtlic[X.] Entscheidung, muss der Haftrichter die erforderliche Prü-fung selbst vornehmen (Senat, Beschl. v. 16. Dezember 2009, [X.] 148/09, [X.] 2010, 50; Beschl. v. 25. März 2010, [X.], zur [X.] bestimmt). Ein Betroffener ist in [X.] zu nehmen, wenn er aufgrund unerlaubter Einreise in das [X.] vollziehbar ausreisepflichtig ist (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.]) und die Ausländerbehörde beabsichtigt, die [X.] (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.]) zwangsweise durchzusetzen. So verhält es sich grundsätzlich auch im vorliegenden Fall. 13 aa) Das Beschwerdegericht geht insoweit zwar zutreffend davon aus, dass ein Asylantrag, der als [X.] nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu werten ist, nach § 71 Abs. 8 AsylVfG unabhängig davon, ob der [X.] eine Aufenthaltsgestattung zur Folge hat (vgl. zum Streitstand Senat, 14 - 7 - Beschl. v. 25. März 2010, [X.], zur [X.] bestimmt), einer Haftanordnung nicht entgegensteht. Als [X.] ist nach § 20 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG ein Asylantrag zu behandeln, der unter Verstoß gegen § 20 Abs. 1 AsylVfG gestellt wird. Das ist hier der Fall, soweit dem Betroffenen aufer-legt worden war, sich bis zum 3. Dezember 2009 bei der Außenstelle des [X.] in Münc[X.] zu melden, § 19 Abs. 1 AsylVfG, und der Betroffene diese Verpflichtung nicht erfüllt hat. Der Verstoß gegen die Verpflichtung führt nach § 20 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG jedoch nur dann dazu, einen Asylantrag als Folgeantrag werten zu können, wenn der Pflichtverstoß des Betroffenen vorsätzlich oder grob fahrläs-sig erfolgt ist. Hierzu hat der Betroffene mit Schriftsatz vom 22. Januar 2010 geltend gemacht, er habe seine Belehrung durch die [X.] aufgrund einer Stresssituation nicht verstanden und alles unterschrieben, was ihm [X.] worden sei. Trifft dieses Vorbringen zu, kann es sein, dass der Verstoß des Betroffenen gegen die Verpflichtung, sich bis zum 3. Dezember 2009 bei der Außenstelle des [X.] in Münc[X.] zu melden, nicht als vorsätzlich oder grob fahrlässig zu beurteilen ist und der Be-troffene daher nicht vollziehbar ausreisepflichtig ist. 15 [X.]) Das Vorbringen des Betroffenen war von dem Beschwerdegericht zu berücksichtigen. Neues Vorbringen kann im Beschwerdeverfahren bis zum Zeit-punkt des Erlasses der Entscheidung erfolgen ([X.], FamFG, 16. Aufl., § 65 Rdn. 12). Entscheidend ist die objektive Möglichkeit der Kennt-nisnahme. Hierzu genügt es, dass schriftsätzliches Vorbringen, in welchem neue Tatsac[X.] behauptet werden, in den Bereich des Gerichts gelangt ist ([X.], FamFG, aaO., § 65 Rdn. 7). 16 - 8 - 17 Für den Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung kommt es nach § 38 Abs. 3 FamFG auf den Zeitpunkt an, in dem die Übergabe der vollständig abge-fassten unterschriebenen Entscheidung an die Geschäftsstelle erfolgt ist ([X.]. 16/6308 S. 195). Insoweit ist von dem 26. Januar 2010 auszuge[X.]. An diesem Tag erfolgte die Beglaubigung der bei den Akten befindlic[X.] Abschrift des Beschlusses durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. Die [X.] an die beteilige Behörde geschah um 14.00 Uhr, an den Betroffenen geschah sie um 14.02 Uhr. Der Schriftsatz des Betroffnen vom 22. Januar 2010 ist bei der Briefannahmestelle der Justizbehörden in [X.] am 25. Januar 2010 eingegangen. Die Geschäftsstelle der Kammer hat er am 26. Januar 2010 erreicht. Die Verzögerung im internen Geschäftsablauf der Postverteilung wirkt nicht zu Lasten des Betroffenen. cc) Der Schriftsatz durfte auch nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil der Berichterstatter dem Betroffenen eine Vortragsfrist bis zum 25. Januar 2010 11.00 Uhr gesetzt hatte. Eine Ausschlussfrist für Vorbringen kommt in den von dem Untersuchungsgrundsatz des § 26 FamFG bestimmten Verfahren, zu denen Freiheitsentziehungssac[X.] gehören, nicht in Betracht. Zudem ist ein Berichterstatter nicht in der Lage, anstelle der Kammer eine solche Frist zu [X.]. Schließlich erlaubt der Eingangsstempel auf dem Schriftsatz die Feststel-lung nicht, dass der Schriftsatz vom 22. Januar 2010 nicht fristgerecht [X.] ist. 18 b) Bei Berücksichtigung des Vorbringens des Betroffenen im Schriftsatz vom 22. Januar 2010 war das Beschwerdegericht zur Anhörung des [X.] verpflichtet. Eine solche ist auch im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich erforderlich (Senat, Beschl. v. 4. März 2010, [X.] 222/09, zur [X.] bestimmt). Hiervon kann nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG nur abgese[X.] wer-den, wenn eine persönliche Anhörung des Betroffenen in erster Instanz erfolgt 19 - 9 - ist und zusätzliche Erkenntnisse durch eine erneute Anhörung nicht zu erwarten sind (Senat, Beschl. v. 28. Januar 2010, [X.] 2/10, zur [X.] be-stimmt; Beschl. v. 4. März 2010, [X.] 222/09, zur [X.] bestimmt). So verhält es sich hier nicht, weil nach dem Vortrag im Schriftsatz vom 22. Januar 2010 neue Erkenntnisse durch die Anhörung des Betroffenen zu erwarten sind und es auf den persönlic[X.] Eindruck des Betroffenen ankommt, weil über die Glaubwürdigkeit seines neuen Vorbringens zu entscheiden ist. Krüger [X.] Lemke Stresemann [X.] Vorinstanzen: AG [X.], Entscheidung vom 12.01.2010 - 710 XIV 24/10 - LG [X.], Entscheidung vom [X.] - 4 T 14/10 -

Meta

V ZB 51/10

08.04.2010

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.04.2010, Az. V ZB 51/10 (REWIS RS 2010, 7798)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 7798

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